Ein unbemannter Raumstationsersatz? Teil 1: Bestandsaufnahme
Also ich greife mal Niels Vorschlag auf wie eine „unbemannte ISS“ aussehen könnte. Ich bin mir sicher das ich das schon mal im Blog erwähnt habe, aber trotzdem nochmal das Thema. Fangen wir mal an mit einer Bestandsaufnahme. Was wird an der ISS geforscht und was nicht? Was zuerst auffällt ist, das die Fragestellungen für die sonst Satelliten gestartet werden keine Rolle spielen. An Bord der ISS wird keine Erderkundung betrieben (dafür ist schon die Umlaufbahn nicht geeignet), keine Astronomie (Beobachtung der Sonne, Planeten, Sterne, Milchstraße oder des Kosmos), keine physikalische Erkundung der Erde (Vermessung des Schwerefeldes, der Magnetosphäre, der Teilchengürtel).
Die Forschung an Bord der ISS umfasst drei Gebiete: Physik, Biologie und Medizin. In der Physik nutzt man die fehlende Schwerkraft aus, um Vorgänge zu untersuchen, bei denen die Schwerkraft sonst andere viel schwächere Kräfte verdeckt. Das betrifft vor allem Strömungen in allen Medien. Metalle mischen sich, die sonst wegen der unterschiedlichen Dichte sich in Legierungen trennen würden. In Gasen und Flüssigkeiten kann man Diffusionsströmungen beobachten, die sonst ebenfalls von der Schwerkraft überlagert werden. Selbst Plasma verhält sich in der Schwerelosigkeit anders. Niemand erwartet hier einen Durchbruch in der Forschung. Die meisten Dinge sind theoretisch bekannt und werden nun eben praktisch beobachtet. Vor einigen Jahrzehnten glaubte man noch, das man erzeugte Materialien auch kommerziell nutzen könnte, aber das hat sich zerschlagen. Zum einen erreicht man z.B. bei der Züchtung von Reinkristallen von Proteinen viel höhere Reinheiten auf der Erde als auf der ISS und bei vielen Materialproben hat man Alternativen gefunden. So war ein Ergebnis der Forschung an Bord von Skylab das man sehr viel größere Galliumarsenidreinkristalle züchten konnte. Damals ein Material der Zukunft, mit dem Computer viel schneller sein könnten. Da man für Chips (zumindest für Supercomputer) nur eine begrenzte Zahl von kleinen hauchdünne Plättchen braucht, wären selbst kleine Mengen an Bord einer Raumstation interessant. Doch inzwischen erreicht man mit Silizium höhere Schaltgeschwindigkeiten als mit Galliumarsenid.
Das zweite ist die Medizin. Das bedeutet, wie wirkt sich die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus aus. Die Befürworter verweisen darauf, dass die Phänomene (Muskelabbau, Verlust von Knochenmatrix) auch bei bestimmten Krankheiten oder im Alter auftreten. Nur kann man das auch auf der Erde in „Bedrest“ Studien sehr gut untersuchen. Die Personen müssen dazu monatelang im Bett liegen – und dort treten natürlich auch die gleichen Phänomene auf, wie bei Alten die kaum Bewegung haben. Die Kritiker sehen das als Selbstzweck – man untersucht die Schwerelosigkeit, aber ohne Raumstation wäre der Mensch nie in einem Stadium, das keine Gewichtskraft längere Zeit auf ihn einwirkt.
Bei der Erforschung der Biologie geht es darum, wie weit die Gravitation auf Organismen einwirkt. Da viele schneller wachsen als der Mensch, kann man bei vielen Pflanzen oder Tieren einen größeren Teil des Lebenszyklus untersuchen. z.B. wie gerade oder schräg wachsen Pflanzen ohne Schwerelosigkeit, können Spinnen ohne Schwerkraft ein normales Netz bilden und wirkt sie sich auch bei Fischen aus (im Meer wirkt sie eigentlich kaum noch, weil die Auftriebskraft relativ stark ist). Daneben kann man auch die Wirkung von ionisierender Strahlung untersuchen, z.B. wie sie das Erbgut verändert. Zumindest letzteres ist mit Strahlenquellen auch auf der Erde möglich. Auch hier gewinnt man die eine oder andere Erkenntnis, doch wohl nicht genug, um die Forschung an Bord der ISS zu rechtfertigen. Den gerade diese biologische Forschung ist weitgehend automatisiert. Daher gibt es auch ab und an unbemannte Missionen, z.B. ging gerade erst eine russische Fotonmission zu Ende bei der Geckos mitflogen. Also diese könnte in jedem Falle von der ISS ausweichen.
Trennen muss man von der Forschung die industrielle Nutzung und den „Public Outreach“. Das erste wurde von den Raumfahrtagenturen völlig überschätzt. NASA und ESA hofften das die Industrie sich in größerem Maße beteiligen würden und so ein Großteil der laufenden Kosten wieder hereinkommen würden. Das Interesse war gering bis nicht vorhanden. Man kann diskutieren ob es die Kosten sind, oder der bürokratische Aufwand bzw. die langen Fristen bis auch etwas im All ist. Aber Tatsache ist das die ISS kaum von der Industrie genutzt wird. Geschieht das einmal so ist das gleich eine größere Pressemitteilung wert. Nach der DLR beträgt der Industrieanteil 5%. Andere Forschungsgebiete außer den obigen drei machen weitere 15% aus. Dabei wird die ISS oft nur genutzt, weil es billiger ist eine Nutzlast dorthin zu bekommen, als einen Satelliten für die Nutzlast zu bauen. Das gilt so für den AMS-02 Detektor, der eben nur der Detektor ist. Die Stromversorgung kommt von der ISS, die Bahn ist egal bei dem Experiment und die Daten werden auch vom Computersystem der ISS übernommen und übertragen. Diese Paradoxie führt inzwischen dazu, das Cubesats im Inneren eines Raumtransporters zur ISS gebracht werden und dort bei einem Außeneinsatz oder durch die Luftschleuse entlassen werden. Das ist offensichtlich einfacher als auf eine Rakete zu montieren.
Public Outreach bezeichnet Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehören alle Aktivitäten die dazu dienen die ISS populärer zu machen, bemannte Raumfahrt zu rechtfertigen oder Begeisterung für Raumfahrt zu wecken. Das ist ein breites Spektrum, das losgeht von der Dokumentation der Arbeit selbst (NASA TV, Inboard und Outboard Kameras), über Experimente von Schülern die durchgeführt werden wie derzeit die Aktion 42 der DLR. Das ist interessant und es gab dies schon bei der ersten US-Raumstation Skylab. Nur kann man dies als typisches „Nice to have“ Feature ansehen. Damit kann man die ISS nicht rechtfertigen. Bei der ISS reden wir von mindestens 100 Milliarden Dollar Aufbaukosten und laufenden Unterhaltskosten alleine von ESA und NASA zusammen in der Höhe von 3,6 Milliarden Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: TerraSAR-X als Erderkundungssatellit kostet um die 150 Millionen Dollar, eine Mittelkasse Mission der ESA und NASA liegt bei rund 500 Millionen Dollar (MAVEN z.B.liegt bei 450 Millionen) und für die jährlichen Unterhaltskosten könnte man eine „Flagship“ Mission bauen, die sich ESA und NASA nur alle zehn Jahre leisten. Das sind z.B. Cassini oder Curiosity.
Schwer ist es Forschung in Werte zu übersetzen. Weltraumforschung ist zudem immer teurer als Forschung an einer Universität oder einem Forschungsinstitut. Das liegt an den Anforderungen (man kann in der Regel nichts reparieren, muss die Daten auch verarbeiten und kann sie nicht einfach zum nächsten PC übertragen, und man muss die gesamte Umgebung mit starten (Stromversorgung, Thermalkontrolle, evtl. Substrate, Gase, Flüssigkeiten). Aber wenn man versucht Forschung in Zahlen zu fassen, dann tut man es indem man Veröffentlichungen und Zitate zählt. Je mehr Veröffentlichungen es gibt, desto mehr Forscher haben die Daten genutzt und daraus Erkenntnisse gewonnen. Das alleine ist noch nicht aussagekräftig. Denn es gibt in der Wissenschaft Hierarchien. Es gibt Publikationen die sind international top, welche die sind national top und welche die stehen in der zweiten Reihe. Das ist ähnlich wie bei Zeitungen: Da ist die Frankfurter allgemeine auch bekannter und höher geschätzt als das Käsblättle des DM-Marktes. Zudem müssen die vielen Professoren, Doktoranden und Doktors die es weltweit in Universitäten gibt ja auch jemanden haben der ihre Arbeit veröffentlicht, auch wenn es nur die Entdeckung der 125-sten Maillardverbindung und nicht vielleicht eine Arbeit die nächstes Jahr den Nobelpreis bekommt. Auffällig bei den Veröffentlichungen die Erkenntnisse der ISS wiedergeben ist, das sie selten in der Spitzengruppe erscheinen, das unterscheidet sie von anderen Raumfahrtmissionen.
Das zweite Kriterium ist das Zitieren. Das bedeutet: Eine wichtige Veröffentlichung wird von vielen gelesen, und als Basis für weitere Untersuchungen genommen. Sie verifizieren sie, erweitern sie forschen in dieser Richtung weiter, nutzen das Verfahren. Dann wird auf die Originalarbeit verweisen, sprich zitiert und je mehr Zitate es gibt desto wichtiger (kann) diese Arbeit sein. Auch hier findet man eher weniger Zitate pro Arbeit bei Erkenntnissen von der ISS. Dies gilt übrigens für alle ISS Aktivitäten als Summe, während man sie sonst ja nur mit einer anderen Weltraummission vergleicht.
So, nach dieser Bestandsaufnahme dann morgen zu einem Vorschlag wie eine unbemannte ISS aussehen könnte.