Die EU am Scheideweg
Ich halte mich ja in den Blogs weitestgehend aus der Politik heraus. Nicht weil ich unpolitisch bin, sondern weil ich in den letzten Jahrzehnten doch ziemlich desillusioniert wurde. Meine Meinung ist, dass zumindest in Deutschland Politiker am erfolgreichsten sind, wenn sie gar nichts machen. Wenn es mal Veränderungen gibt, dann um Interessen von Lobbygruppen durchzusetzen oder auf Pump oder als Aktionismus wie gerade das „Asylpacket II“. Trotzdem heute mal, außer der Reihe, meine Meinung zu Europa respektive der Europäischen Union.
Meiner Ansicht nach ist die Krise, die wir jetzt in Europa haben, absehbar gewesen. Die Europäische Union begann mal als Wirtschaftsgemeinschaft. Zuerst mit wenigen Staaten, dann immer mehr. Ende der Siebziger Jahre kam noch das EU-Parlament dazu, obwohl es eigentlich bis heute ein Debattierklub geblieben ist. Die wichtigen Beschlüsse werden vom Rat und der Kommission beschlossen, die mit Regierungsvertretern besetzt sind.
Die Aufgabe, damals wie heute, war es die Märkte in der EU zu vereinheitlichen. Vereinfacht gesagt sollte es so sein, dass es gemeinsame Regelungen für Waren und Standards in der ganzen EU gibt. Das sollte den Warenaustausch erleichtern. Ich habe ja mal Lebensmittelchemie studiert und da waren schon in den frühen Neunzigern alle Vorschriften über die Zusatzstoffe und Angaben auf Verpackungen durch EU-Verordnungen geregelt. Daneben ein Großteil des Weinrechts und jede Menge Spezialvorschriften für Lebensmittel außerhalb der EU für den Import. Der Nutzen ist offensichtlich: Ein Lebensmittel, das in Deutschland produziert wird, kann so auch in Frankreich, Griechenland oder England in den Handel gelangen. Der Markt für einen Hersteller ist größer, die Hemmnisse für den Vertrieb werden abgebaut. Was sich natürlich auch ergibt, ist das es bei verschiedenen Standards es den Trend gibt, das man den kleinsten gemeinsamen Nenner als Standard nimmt. So hatten wir damals bei Bionahrungsmitteln die Forderung nach Rückstandsfreiheit. Als die EU das auch regelte, waren plötzlich Rückstände erlaubt. Die Landwirte konnten sich so auf „Verwehungen“ berufen.
Derartige Vorschriften gibt es nicht nur bei Lebensmitteln, die EU regelt alles, wofür es Standards geben muss. Auffällig ist das nur, wenn es nicht ankommt wie das Glühlampenverbot oder wenn die EU den Stromverbrauch von Staubsaugern oder die maximale Betriebszeit von Kaffeemaschinen regelt. EU Verordnungen müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Macht da ein Land innerhalb einer bestimmten Zeit nicht, dann gelten sie danach unmittelbar. Das bedeutet: in der Gesetzgebung war schon vor 30 Jahren die EU über den nationalen Parlamenten die oberste Instanz.
Schon damals ging die EU aber weiter. Sie hat damals wie heute die Nahrungsmittelproduktion geregelt. Es gibt fast überall Quoten, das heißt nicht jeder kann so viel produzieren, wie er will. Weil die meisten Lebensmittel in der EU teuerer als woanders produziert wird gibt es auch Fördertöpfe, ebenfalls an Quoten gekoppelt. Hier hat die EU in meinen Augen eine schlechte Arbeit geleistet. In den Achtzigern gab es regelmäßig Meldungen über Überproduktion. Lasterweise wurden Tomaten auf Müllkippen abgeladen und man sprach von Milchseen und Butterbergen. Zu Weihnachten gab es regelmäßig billige Butter, um zumindest den letzten Berg abzutragen. Danach hat man das Quotierungssystem eingeführt, aber auch nicht richtig. Wenn man zu viel produziert dann wäre wohl im Sinne der Verbraucher das man weniger aber besser produziert. Das wäre möglich gewesen, wenn die EU die extensive Landwirtschaft gefördert hätte, doch das tat sie nicht.
In den Neunzigern änderte sich zweierlei. Das eine war, das die vorher langsame Erweiterung der EU plötzlich an Fahrt Zunahme. Bis 1986 hatte die EU 12 Mitgliedsstaaten, dann kamen 1995 gleich drei weitere hinzu und 2004 gleich zehn, also fast so viele wie es bisher schon gab. Die Staaten die 2004 dazu kamen waren mit der Ausnahme von Zypern alles ehemalige Ostblockstaaten. Ich hatte schon damals Zweifel daran, dass die Staaten dazu kommen sollten. Zum einen ob sie wirtschaftlich bereit sind. Deutschland hatte bis dahin über 1 Billiarde DM in die neuen Bundesländer gepumpt und trotzdem waren diese wirtschaftlich noch hinter dem Westen hinterherhinkend. Wie sollten die anderen Staaten ohne diese Finanzhilfe dann so weit sein? Das lief darauf hinaus dass die anderen Staaten diese über Jahrzehnte subventionieren, so wie dies ja schon immer der Fall war – finanzkräftige Staaten zahlten mehr in die EU ein, als sie zurückerhielten. Vor allem aber sah ich nicht das in vielen Staaten dort auch die Bevölkerung proeuropäisch war. Vor allem in Ungarn und Bulgarien gab es noch postkommunistische Regime.
Zu dem Zeitpunkt gab es ja schon den Euro und damit war Europa nicht nur binnennational eine Wirtschaftsgemeinschaft sondern auch international eine Wirtschaftsgemeinschaft. Damit die Währung „hart“ bleibt müssen die Nationen wirtschaftlich gesund sein. Das war schon beim Beginn nicht der Fall. Deutschland hat auch mehrmals die Latte gerissen, Griechenland schlupfte immer unten durch. Man hat damals wie bei der Eingliederung geschlampt. Anstatt nur die aufzunehmen die auch bereit waren wollte man möglichst viele im Boot haben.
Nun gibt es jetzt die Flüchtlingskrise und England will austreten. Die Flüchtlingskrise berührt einen wunden Punkt: Mit der Reisefreiheit innerhalb von Europa stellt sich die europäische Union nach Außen hin als ein großer Binnenstaat mit einer gemeinsamen Währung ohne Grenzen dar. Es gab aber nie eine politische Union. Weder gibt es eine gemeinsame Außenpolitik noch sonst etwas was über Wirtschaft hinaus geht und so sagen nun eben die Staaten: „Flüchtlinge? Das hat nichts mit der EU zu tun. Gibt es dafür eine EU-Verordnung? Nein? Ja dann ist das nicht unser Bier“. Das sagen vor allem natürlich die neuen Länder, als hätte man das nicht schon 2004 gewusst.
England soll aus der EU austreten. Ja liebe Engländer, stimmt gegen die EU. Ich habe genug von Euch. Seit den Achtzigern gibt es alle paar Jahre neue Drohungen. Das ging los mit Maggi Thatcher und immer hat man euch nachgegeben. Sonderregelungen für England, Befreiungen usw. Ich habe das satt. Ein Land das selbst von „Europe“ so spricht als würden sie nicht dazu gehören (synonym mit „the Continent“) das sich selbst als den Geburtsort der Demokratie sieht, aber immer Extrawurst gebraten haben will, anstatt sich demokratischen Gemeinschaftsbeschlüssen unterzuordnen, gehört genauso wenig zu Europa wie undemokratische autoritäre Regime im Osten. Früher wart ihr mal ein Weltreich,m heute seid ihr so kleinlich, das ihr euch nicht mal desselben Beiträge wie Mazedonien leisten könnt. Wer nur im Weg steht den braucht Europa nicht. Ihr könnte euch ja noch als 51-ten Bundesstaat den USA anschließen. Wer wirtschaftlich und politisch nicht mit den anderen Staaten mithalten kann, soll draußen bleiben, bevor er die anderen mit in den Abgrund zieht. Auf England kann man schon wegen der Insellage gut verzichten, Zudem, das fiel mir beim Schreiben meines Buches über Zusatzstoffe auf, gibt es die meisten Zusatzstoffe mit Beschränkung auf wenige Speisen, fast nur in englischen Spezialitäten. Okay, ein Land das ernsthaft Pfefferminzsoße zu Braten serviert und bei dem man Essig auf Pommes träufelt und lauwarmes Bier trinkt hat von gutem Essen in etwa so viel Ahnung wie die Russen von Demokratie.
Die EU sollte insgesamt ihre Regelungswut herunterfahren und stattdessen sollten sich die Politiker entscheiden, wie viel EU sie allgemein wollen. Das zeigen gerade die Flüchtlinge. Sie sind nicht nur ein politisches Problem. Sie sind vor allem eben auch ein wirtschaftliches Problem. Sie brauchen Wohnungen, müssen versorgt werden und werfen Kosten auf. Da die EU vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, verstehe ich den deutschen Vorstoß zu gut, auch dieses Problem gesamteuropäisch zu regeln. Wenn man dann sagt, wir nehmen Subventionen gerne, aber keine Flüchtlinge, dann sollte die EU sich auch wirtschaftlich auf den Kern beschränken. Eben nicht versuchen alle Länder wirtschaftlich anzugleichen, sondern nur das ursprüngliche Ziel: Handelshemmnisse abzubauen. Keine gemeinsame Agrarpolitik mehr, keine Kredite an Staaten die pleite sind (bzw. Die werden ja dann sowieso aus dem Euroraum ausgeschlossen), keine Ausgleichszahlungen. Lieber eine kleine funktionieren Union als eine große die nicht funktioniert.
Sehe das ähnlich.
Das was aktuell mit den Engländern wieder gemacht wird ist reines „Appeasement“. Und imo. wird das ganz schön nach hinten losgehen.
Hinzukommt, dass einige prominente Torries ja Pro-Brexit sind, weil sie auf Camerons Posten scharf sind und ihn so loswerden wollen.
In Sachen EU wäre es vielleicht sogar ein heilsamer Schock, wenn die Briten austreten würden.
Erstmal abwarten, was die Abstimmung am 23.06. ergibt. Und selbst, wenn ein Brexit erfolgt, ist ja der British Reentry 5 oder 10 Jahre später nicht ausgeschlossen. Politik ist halt oft nach dem Prinzip „heute hü, morgen hott“, weil man sein Fähnchen in den Wind der öffentlichen Meinung hängt.