Ich brauch’n Druck auf mein‘ Gewebe Bruder hast du’n Tipp?
Ich lese gerade von Dieter Huzel „Von Peenemünde nach Cape Canaveral“. Huzel war ab Mitte 1943 in Peenemünde, übernahm die Leitung des Prüfstandes P-7 und wurde ab Ende 1944 rechte Hand von Wernher von Braun. Er beschreibt in dem Buch wie es in Peenemünde zuging. Von Abschüssen, Bombardierungen und Evakuierung. Ein sehr lesenswertes Buch, das ich wenn ich es fertig habe noch hier vorstellen werde.
Das Buch hat mir in Erinnerung gerufen was damals alles entwickelt wurde und wie wenig seitdem hinzu kam. Das wurde mir auch klar als ich am vorletzten Beitrag über die Luftfahrt im vergleich zur Raumfahrt geschrieben habe.
Bevor Anfang der Dreißiger Jahre das Militär die Raketenentwicklung in Deutschland übernahm gab es Raketen schon über 200 Jahre. Doch ihre Technik hatte sich kaum weiterentwickelt. Es waren Raketen mit festen Treibstoffen, man hatte sich nicht mal die Mühe gemacht nach einer effizienten Düse und Stabilisierung zu suchen. Ein Loch unten und ein Stab das war es. Um die Jahrhundertwende hat Konstantin Ziolkowski die Grundlagen der Raumfahrt aufgestellt wie die nach ihm benannte Raketengrundgleichung.
1923 erschein dann von Oberth das Buch „Mit der Rakete zu den Planetenräumen“. Es enthielt in vielen Formeln das gesamte theoretische Gerüst für den Raketenbau und die Aufstiegsbahn sowie die Grundprinzipien des Raketenbaus. Später befasste sich auch Oberth mit dem Raketenbau.
Praktische Experimente machte auch Goddard in Amerika. Er hat vieles als erstes entwickelt, so den Flüssigkeitsantrieb mit Pumpenförderung oder die Stabilisierung mit Gyroskopen. Goddard war aber ein Eigenbrötler. Nachdem eine Zeitschrift einen Satz aus einer theoretischen Arbeit herausnahm und schrieb wer würde ein Blitzlicht zum Mond schicken, veröffentlichte er nur noch wenig über seine Versuche. Stattdessen lief er als guter Amerikaner zum Patentamt und lies insgesamt 41 grundlegende Dinge patentieren so z.B. die Mehrstufenrakete. Die NASA kaufte die Patente später seinen Erben ab. Goddards praktischer Einfluss auf die Raketentechnik blieb daher gering, auch weil er zwar die Probleme im Prinzip löste, aber nicht so dass sie praktisch nutzbar waren. Seien erste Rakete mit Pumpenantrieb konnte z.B. gerade mal schweben also ihr eigenes Gewicht anheben. Die von ihm erfundene Stabilisierung mit Gyroskopen war so schwer das die Raketen nur Höhen von einigen Hundert Meter erreichten. Erst als in Deutschland die Raketenentwicklung schon viel weiter war und man Goddard längst in den Flugleitungen überholt hatte erfuhr man Goddards Arbeiten in den USA.
In Deutschland experimentiere man seit den Zwanziger Jahren auch mit Raketen. Die ersten versuche mit Flüssigkeitsraketen schlugen jedoch alle fehl. Es gab zwei grundsätzliche Probleme: Die Kühlung der Brennkammer (die ersten umgaben sie mit Wasser) und die Stabilisierung des Flugs. Meist flogen die Raketen nicht senkrecht nach oben sondern machten einen Bogen und schlugen unweit des Startorts wieder auf.
1932 hatte der private Verein VfR schon die Maximalhöhe von Goddard überboten, ohne allerdings von ihm zu wissen. Die Rakete flog aber noch nicht stabil. Dann übernahm das Militär die Raketenforschung von Braun erhielt für die damalige Zeit enorme Mittel und entwickelte zuerst das Aggregat 1. Das Problem der Brennkammerkühlung löste er durch die Verdampfungskühlung: Der Alkohol verdampfte bevor er sich mit dem Sauerstoff entzünden konnte und kühlte so die Wand. Die Stabilisierung wurde durch ein Gyroskop wie bei Goddard gelöst. Die A-1 flog aber nie stabil, sie war zu kopflastig. Die A-2 hatte das Gyroskop zwischen beiden Treibstoffbehältern und flog 1934 schon 2 bis 2,2 km hoch. Nun ging man an eine zehnmal schwere Rakete die auch überschallschnell sein musste. Nun brauchte man viel mehr Mitarbeiter und stampfte bei Peenemünde ein Forschungszentrum aus dem Boden. Die A-3 war der Vorläufer der A-4 im Kleinen. Sie hatte erstmals eine Stabilisierung durch Strahlruder. Das Gyroskop war nun viel kleiner denn es sollte nicht die Rakete selbst stabilisieren sondern nur Befehle für das Strahlruder generieren – die Rakete würde sichlbst stabsilieren, anstatt dass man auf die Atmosphäre (Finnen) oder ein schnell rotierendes Inertialsystem (Gyroskop) vertraute.
Die A-3 konnte nun stabilisiert senkrecht nach oben fliegen. Die aus ihr entwickelte A-5 war dagegen steuerbar. Bei ihr wurde eine Programmsteuerung eingesetzt welche die Kreiselplattform programmgesteuert neigte und damit schwenkte die Rakete in eine schräge Bahn um. Die A-3 wurde 1937 und die A-5 1939 getestet. Damals befand sich die A-4 schon in der Entwicklung. Die A-5 war im Prinzip ein vereinfachtes A-4 Modell mit dem man einige Teilkonzepte schon testen konnte.
Die A-4 war die erste moderne Rakete, auch wenn man sie von Anfang an als Artilleriegeschoss konzipierte. Das erklärt ihre relativ hohe Leermasse, die für eine Weltraumrakete zu hoch war. Nun mal eine kleine Aufzählung dessen was man erreicht hatte und was noch später dazu kam.
Das erste gelöste Problem, schon vor der A-4 war die Brennkammerkühlung. Die Wand war doppelwandig und so konnte der Alkohol sie durchfließen und die Wärme aufnehmen. Dabei ist es bis heute geblieben. Man hat nur die Technologie leichter gemacht zuerst durch gewellte Wände und dann durch verschweißte Röhren. Iran setzt immer noch doppelwandige Wände bei seiner Safir ein.
Das zweite war die Treibstoffförderung: Sie geschah durch den Walther antrieb, der eigentlich für U-Boote vorgesehen war. Wasserstoffperoxyd wurde von einer wässrigen Kaliumpermanganatlösung zersetzt. Dabei entstand ein heißes Gas, das trieb eine Kreiselpumpe über eine Turbine an. Diese Pumpen konnten aus Feuerlöschpumpen entwickelt werden und damit wurde der Treibstoff in die Brennkammer gepresst. Die ersten US-Träger setzten auch dieses Verfahren ein, die Sojus bis vor wenigen Jahren auch. Später nutzte man anstatt einem eigenen Treibstoff für den Gasgenerator einen teil des Treibstoffs. Das heute so genannte Gasgeneratorverfahren ist bis heute der Standard bei den meisten Raketentriebwerken.
Problematisch war lange die Vermischung von Alkohol und Sauerstoff. Lange Zeit behalf man sich mit einer Notlösung dem 18-Becher Einspritzkopf. In diesem wurden in 18 Vorkammern die beiden Komponenten vermischt und erst dann in die Brennkammer eingeleitet. Später erfand man den koaxialen Injektor in dem in der Mitte eine Komponente und in einem Kreisring die zweite einströmt und viele dieser Injektoren (bei großen Triebwerken mehrere Hundert) vermischen dann die Treibstoffe gleichmäßig. Geschieht dies nicht so gibt es Verbrennungsinstabilitäten die bis hin zur Explosion der Brennkammer führen können.
Die Zündung erfolgte erst hypergol, dann pyrotechnisch. Heute gibt es noch die elektrische Zündung, die man nicht erprobte, schließlich sollte die Rakete unabhängig gestartet werden. Sonst hätte man einen Stromgenerator benötigt.
Der Schub muss auch lenkbar sein. Dazu benutzte die A-54 Strahlruder die in den Flammenstrahl reichten. Schwenkte man sie so wurde ein Teil der Flammen abgelenkt und die Rakete änderte ihre Richtung. Später nutzte man auf US-Seite vor allem kardanisch schwenkbare Triebwerke, bei denen das Triebwerk in zwei Achsen drehbar ist. Russland setzte länger auf eine einfachere Methode: fest eingebaute Triebwerke und nur kleine Steuertriebwerke die schwenkbar sind. Zusammen damit dass man den Schub des A-4 Triebwerks kaum steigerte kommt die Sojus so auf 32 Brennkammern in der ersten Stufe.
Am längsten brauchte man bei der A-4 für die Lenkung und Steuerung. Schließlich soll die Rakete ein Ziel mit hoher Präzision treffen. Das System der A-4 war einfach aber effektiv. Eine Kreisplattform wurde 4 s nach dem Start durch einen Schrittgeben in einem konstanten Winkel geneigt. Der Winkel wurde vor dem Start vorgegeben und entschied über die Flachheit der Kurve und damit die Reichweite. Die Richtung wurde durch eine Finne vorgegeben in deren Richtung geneigt wurde. So musste die Mannschaft nur die Rakete auftanken, Winkel einstellen, Finne ausrichten und starten – schließlich musste die A-4 von Soldaten gestartet werden die zu Kriegsende nur kurz ausgebildet waren. Huzel bezeichnet sie so auch als „idiotensicher“. Die Kreisplattform ist ein Inertialsystem. Wird es aus seiner Rotationsachse geneigt so gibt es einen Impuls ab, der wird verstärkt und zum Drehen der Strahlruder verwendet. So wurden auch Abweichungen durch Seitenwinde kompensiert. Dazu kam noch ein Beschleunigungsmesser. Seine Ausgabe wurde in eine Schaltung eingespeist in der er den Strom einer Batterie kompensierte. Sie war mit einer Strommenge vorgeladen worden die der späteren Endgeschwindigkeit entspracht. So wurde die Batterie entladen, was einer Integration der Beschleunigung entsprach. War sie entladen so war der Stromkreis nicht mehr stromlos und das schaltete ein Relais, das das Triebwerk abschaltete. Bei Tests wurde dieses Relay oft durch Vibrationen ausgelöst, als Folge schaltete das Triebwerk verfrüht ab. einmal sogar direkt nach dem Abheben wodurch die Rakete umkippte und es große Schäden am Teststand gab. Die Methode wurde aber in verfeinerte Form bei allen frühen Trägern angesetzt. Im Laufe der Sechziger Jahre wurden dann anstatt analogen Geräten im Westen digitale Computer eingeführt. In Russland blieb man bei den analogen Systemen. Als die Proton 1992 im Westen angesprochen wurde entsprach die Beschreibung ihres Steuerungssystems genau dem der A-4. Nun ja in Russland ticken die Uhren immer etwas anders so haben sie auch erst vor wenigen Jahren den Argon 16 Computer der Sojus aus Ende der Sechziger Jahre ersetzt – durch einen mit der Leistung eines 386 ers …
Man experimentierte auch mit Steuerung vom Boden aus, so der Leitung über Funkleitstahlen oder Radarvermessung der Geschwindigkeit und Senden eines Abschaltsignals. Beide Verfahren wurden später als „Radiolenkung“ Standard bei Trägerraketen. Bei militärischen Raketen blieb man wie bei den meisten A-4 beim Inertialsystem, da es so unabhängig war und nicht gestört werden konnte.
Der Treibstoff steckte schon in der A-4 in leichtgewichtigen Tanks. Die Wahl war übrigens nicht durch den Krieg vorgegeben. Die Entwicklung startete schon als Benzin noch nicht rationiert war. Man hatte einfach die Treibstoffe weiter verwendet die schon seit Anfang der Dreißiger Jahre verwendet wurden. Später ersetzte man Alkohol durch Kerosin, das etwa den doppelten Energiegehalt hat.
So nun zu den Unterschieden zu heute. Es gibt natürlich technologische Unterschiede. Die A-4 war relativ massiv, weil sie den Wiedereintritt mit Mach 5 überstehen musste. Das mussten spätere Modelle nicht, dadurch wurden sie viel leichter. Vor allem Brennkammer wurden mit der Fertigung aus Röhren viel leichter. Dafür war es viel robuster. Huzel berichtet von 10 Tests pro Tag im Versuchstand P-7 und einem Abschuss alle zwei Tage. Da man immer komplette Raketen testete und die als Abschluss gestartet wurden, bedeutet das das Triebwerk mindestens 21-mal verwendet werden konnte. Das hat bisher nur das SSME übertroffen und das kann man nicht 21-mal in 2 Tagen ohne Überholung zünden. Deutsche Wertarbeit eben.
Am Triebwerk und der Steuerung hat sich im Prinzip nicht viel geändert. Neu ist die Regelung des schubs, relativ einfach möglich durch Öffnen und schließen von Ventilen zum Gasgenerator. Neu ist die Verwendung von Wasserstoff als Treibstoff durch seine niedrige Temperatur und leichtes Verdampfen stellt er höhere Anforderungen an die Technologie als Kerosin oder Alkohol. Neu sind auch die beiden Hauptstromverfahren, wobei das Staged Combustion Verfahren eine Variante des Gasgeneratorverfahren ist, indem der gesamte Treibstoff verbrannt wird anstatt nur einige Prozent. Das Expander-Cycle ist neu, doch ist es auch nicht für Raketen die vom Boden aus starten anwendbar, dazu sind die Triebwerke zu schubschwach.
Nicht viel für 60 Jahre Entwicklung. Nachfahren der A-4 gibt es heute noch: die Unha und Safir. Beide basieren auf der Scud, einer russischen taktischen Rakete aus den frühen Fünfzigern, die einen Mix der Technologien der A-4 und Wasserfall Rakete einsetzte. Damit kommt man sogar in den Weltraum ….
Zuletzt noch ein Zitat das wohl alles sagt. Es stammt aus Boris Tschertoks Memoiren „Rockets and People, Band 4, Seite 231. Selbst 1969 waren die Russen noch überzeugt das sie von den Amis nur überholt wurden, weil sie die deutschen Experten hatten:
„We watched the Apollo 11 flight on the television at TsNIImash. After the happy conclusion of the lunar expedition, Tyulin proposed stopping by the director’s office. There, over a glass of cognac, he said: “This is all Chertok’s fault. In 1945 he came up with a scheme to snatch von Braun from the Americans and didn’t manage to pull it off.” “