Raumfahrteuphorie

Euphorie definiert Wikipedia als „bezeichnet eine subjektiv temporäre überschwängliche Gemütsverfassung mit allgemeiner Hochstimmung, auch Hochgefühl genannt“. So was kann man persönlich haben, es kann aber auch eine ganze Gesellschaft oder Branche erfassen. Wernher von Brauns buch „Bemannte Raumfahrt“ ist so ein Beispiel. Neben technischen Erklärungen gibt er auch einen Ausblick – was kommen wird. Natürlich das wiederverwendbare Startgefährt und dadurch um den Faktor 10 sinkende Startpreise, häufiger Flug ins All. Arbeit im All und zahlreiche Anwendungen für die Menschheit. Das Interessante – vieles ist auch gekommen, wie die präzise Wettervorhersage oder die alltägliche Kommunikation über Satelliten – nur eben nicht bemannt wie er es oft prognostizierte. Euphorisch ist die Prognose trotzdem, weil sie auf einer falschen Annahme beruht. Nämlich das dieses Gefährt kommen wird und es wirklich die Transportkosten rapide senken wird. Alle anderen Annahmen beruhen dann schon nicht mehr auf technischen Prognosen, die man für das System, das später einmal Shuttle hieß, machen konnte, sondern einfach postulierte.

Es kam anders, als man dachte. Ich will nicht auf das Shuttle selbst eingehen. Es war als Prototyp zu teuer, aber vor allem erreichte es nicht die Flugrate, die geplant war. So verteilten sich die Fixkosten, die am Schluss bei 2,4 Milliarden Dollar pro Jahr lagen, auf nur wenige Flüge. Das Grundproblem der Euphorie damals war eine lineare Fortschreibung des Trends. Das Buch erschien 1967. In diesem Jahr sollte die Saturn V zum ersten Mal starten – mit der 10.000-fachen Nutzlast der Vanguard, der Trägerrakete die man 10 Jahre zuvor hatte. 1957 starteten die USA einen Satelliten, 1967 waren es 92. Von Braun hat einfach den Trend weitergerechnet. Dann ergibt sich in 10 Jahren der Bedarf, täglich zu starten und mit dem wiederverwendbaren Gefährt bekommt man dann eine häufige Flugfolge mit der Folge eines niedrigen Preises (nebenbei: auch unbemannte Raketen wären um einiges billiger geworden, wenn es anstatt 61 Start pro jahr 365 Starts gegeben hätte, einfach aufgrund der Gesetzmäßigkeit das höhere Stückzahlen die Produktionskosten jedes einzelnen Gutes senken).

Wie wir wissen, war dem nicht so, denn mit diesem Anstieg der Startrate von 1957 bis 1967 ging auch ein Anstieg des Budgets einher. Das militärische Budget ist naturgemäß nicht bekannt (und auf das Militär entfeilend damals, wie heute, die meisten US-Starts), doch das NASA Budget klettere von 89 Millionen Dollar 1958 auf 5923 Millionen im Jahr 1967. Der Anteil am Gesamthaushalt der USA stieg von 0,12 auf 5,55 % – also um das 50-fache. Das dies nicht einfach so weiter gehen konnte war klar, sonst würde man in 10 Jahren alle Steuereinnahmen der USA nur noch für die NASA ausgeben. Schon 1967 sank das NASA-Budget. Der Trend hat angehalten. Das NASA-Budget von 2017 nimmt nur noch 0,55 % des Gesamtbudgets ein. Das ist das grundsätzliche Problem mit Prognosen – sie basieren meist auf einer linearen Fortschreibung des Trends.

Ich habe aber auch die Parallelen zu heute gesehen. Wir haben ja heute wieder eine solche Euphorie. Es gibt allerdings nicht die Euphorie, sondern es gibt verschiedene Teilgebiete. Das eine ist der rapide expandierende Markt von Klein- und Kleinstsatelliten. Die Startzahlen nehmen seit Jahren zu, inzwischen sind es so viele Satelliten, das Betreiber ganzer Flotten sich nicht mehr auf Startgelegenheiten als Sekundärnutzlasten verlassen, sondern eigene Starts buchen. Eine PSLV hat dieses Jahr schon 104 Satelliten bei einem Start transportiert, ein weiterer Start mit 31 Satelliten steht an. Das hat schon zur Entwicklung neuer Trägerraketen geführt.

Das zweite und noch größer dimensionierte Unternehmen sind erdnahe Kommunikationssatelliten. So was gibt es mit Globalstar und Iridium ja schon. Nur haben beide Unternehmen nicht die hohen Gewinne eingefahren die erhofft wurden. Iridium konnte nur durch Eingriff des US-Militärs vor der Insolvenz gerettet werden. Die neuen Konstellationen basieren nun auch noch mehr Satelliten, Iridium hat 77 Satelliten OneWeb wird die erste Phase mit 720 bestreiten, plant aber eine Erweiterung auf bis zu 2.000 Stück. Andere Konstellationen, die aber bisher noch nicht so weit in der Umsetzung sind, gehen von noch mehr Satelliten aus.

Das Dritte ist die von einer Firma geschürte Erwartung, dass die Transportpreise um den Faktor 100 sinken könnten. Bedenkt man was man sich von der Reduktion durch das Space Shuttle nur um den Faktor 10 sich erhoffte, so kann man ermessen, was dann für Erwartungen geschürt werden. Diese gehen bis zur Kolonisation des Mars – bisher war schon eine Marsexpedition den US-Präsidenten zu teuer.

Meine Einstellung dazu: Abwarten und Kaffee trinken. Die Beobachtung, die ich über Jahrzehnte gemacht habe, ist, die das es wenig Sinn macht Dinge zu prognostizieren, weil es immer anders kommt als gedacht. Die grundlegende Fortschreibung des Trends hat sich oft genug als falsch erwiesen. Für das Space Shuttle waren mal geplant:

  • Energiegewinnung im All, Übertragung als Mikrowellen zur Erde
  • Riesige Kommunikationssatelliten, die im LEO zusammengebaut werden und die ganze USA abdecken – funken würde man mit armbanduhrgroßen Geräten.
  • Entsorgung des Atommülls, indem man ihn auf eine Fluchtbahn bringt.

Das Letztere war schon damals eine dumme Idee. Die Abschirmung für einen Fehlstart hätte die Nutzlast stark abgesenkt und es wäre schon damals einfach gewesen, ihn irgendwo in einem sicheren Langzeitdepot unterzubringen.

Die Energiefarmen sind auch so eine Sache. Sicher im Weltall ist die Sonneneinstrahlung höher und auf einer sonnensynchronen Umlaufbahn auch dauernd verfügbar. Doch ob dies die höheren Kosten für den Transport und die alltaugliche Technik aufwiegt (man wird ja nicht die gleichen Paneele wie auf der Erde nehmen sondern selbst bei kleineren Transportkosten besonders leichtgewichtige, die dann auch teurer sind).

Was gekommen ist, ist die Kommunikation über ein armbanduhrgroßes Gerät. Wir nennen es heute Handy. Nur eben über viele irdische Empfangsmasten. Hier bin ich mir nicht mal sicher, ob ein Satellit nicht billiger gewesen wäre. Die Masten sind ja dicht gepackt, so <1 km Abstand zwischen zwei Masten und da braucht man alleine in Deutschland rund 400.000 Stück. Wenn jeder 100.000 Euro kostet dann sind das 40 Milliarden Euro Investitionskosten, dafür bekommt man schon ein ziemlich großes Satellitensystem. Auch als Satellitensystem ist so was entstanden, das Iridium/Globalstar-Netz nur eben nicht mit einem Satelliten im GEO, sondern vielen kleinen im Leo.

Man sieht – das lineare Weiterrechnen bringt selten ein richtiges Zukunftsbild. Einfach weil etwas passiert was die Annahme obsolet macht. Mir fällt da auch spontan ein Kinderbuch aus den frühen Siebziger Jahren über die Zukunft im Jahr 2000 ein. Da gab es fliegende Autos, Autobahnen auf Stelzen und übereinander, Haushaltsroboter und alle möglichen automatischen elektrischen Haushaltsgeräte. Aber kein Wort davon, das heute in jedem Haus ein Computer steht. Man hat einfach den Fortschritt und die steigende Verbreitung von Autos und Haushaltsgeräten die seit dem zweiten Weltkrieg enorm zulegte, weiter gerechnet. Computer waren damals aber immer noch große und teure Rechenmonster. Also fehlten sie in der Prognose.

Nun ja ganz unrecht hat das Buch nicht. Es gibt tatsächlich unzählige elektrische Haushaltsgeräte vor allem in der Küche – Sandwhichmaker, Waffeleisen, Eismaschine, Smoothie-Maker, Eierkocher um nur mal einige zu nennen die ich für völlig unnütz halte. Gerade der Nutzen viel wohl bei der Betrachtung der Zukunft wegefallen. Natürlich gibt es elektrische Geräte, die nützlich sind. Der Nutzen ist definiert als ersparter Zeitaufwand x Einsatzfrequenz / Kosten (Leitenbergsches Kosten-Nutzen-Gesetz). Eine Waschmaschine wird mehrmals in der Woche genutzt und erspart einen ganzen Waschtag, so lange brauchte man früher um die Wäsche zu waschen. Ein Waffeleisen braucht man einmal alle paar Wochen und es spart einem nur wenig Zeit – den Weg zum nächsten Bäcker.

Aber zurück zu den Zukunftsprognosen. Meine Vorstellung: Wenn wir heute etwas prognostizieren, was in naher Zukunft Routine ist, dann ist es schon heute möglich, aber eben sehr teuer, sodass es nur begrenzt eingesetzt wird. Ein praktisches Beispiel: Weltraumfernerkundung. Das war teuer, trotzdem gab das Militär enorm viel Geld für Satelliten aus, die den Gegner überwachten, sowohl in den USA wie der UdSSR. Hier gab es einen Nutzen in Form von Erkenntnis, die man wohl damals nicht mit einem Preisschild versah.

Die zivile Raumfahrt setzte Die Fernerkundung erst 1972 mit Landsat um – ohne die erschöpfliche Ressource Film und daher in Kosten pro Bild überlegen, allerdings auch mit einer groben Auflösung von 30 bis 80 m/Pixel. In den Achtzigern erlaubten CCD-Detektoren als neuem Detektortyp, dass auch die zweitrangigen Weltraumnationen Fernerkundung mit Satelliten einsetzten. Spot-1 wurde von Frankreich gestartet. Die Auflösung stieg nun auf 10-20 m/Pixel. Um die Jahrtausendwende erlaubten es neue CCD-Sensoren die Auflösung weiter zu steigern (vorher begrenzt durch die Bewegungsunschärfe, sofern man nicht, wie beim Militär eine Kompensation nutzte) und seitdem gibt es eine Flut von kommerziellen, also nicht staatlich vorfinanzierten, Aufklärungssatelliten die mittlerweile 0,25 m/Pixel erreicht haben. Vor allem aber waren diese Satelliten erst möglich, weil die Computertechnik sich enorm weiterentwickelt hatte und es auch Halbleiterspeicher gab, die große Datenmengen speichern konnten. Vorher wurde auf Band gespeichert oder direkt über Satelliten im GEO übertragen, was weitere Kosten generierte. Magnetband hatte lange Zugriffszeiten, die Datenübertragungsrate war vergleichsweise klein und als mechanisches System verschliss es. Heute gibt es unzählige Erdbeobachtungssatelliten, die kleinsten haben nur Cubesatgröße. Das alles geschah, ohne ein neues Transportsystem mit geringen Kosten geschaffen wurde, es gab Fortschritte auf anderen Gebieten die de heutigen Satelliten ermöglichten. Aber das System hat sich seit Landsat kaum geändert. Auch die Rolle des Menschen ist geschrumpft. Ohne ihn waren die Visionen gar nicht umsetzbar, alles musste im Weltall gewartet und zusammengebaut werden. Heute ist es preiswerter einen Satelliten nachzubauen als ihn warten zu lassen.

Zurück zu Wernher von Braun. Ich bin mir nicht sicher, ob er mit den 1000 Dollar nicht den Preis pro Pfund meinte, die in den USA übliche Einheit, denn selbst die billigsten Trägerraketen waren doppelt so teuer wie die Ziffer und auch das Space Shuttle lag in der Ersten, voll wiederverwendbare Version bei rund 200 $/US-Pfund. Nimmt man diese Ziffer und berücksichtigt man den Wertverlust seitdem, so entspricht dies je nach Maßstab 719 bis 2199 $/US-Pfund. Übertragen auf die 22,2 t Nutzlast billigste US-Trägerrakete, Falcon 9, sind das 35 bis 107 Millionen $ in heutigem Wert, also eine Summe, die erreicht wird. Das heißt, alle diese Prognosen wären heute ohne neues Gefährt umsetzbar!

Leider gibt es aber weder die Fabrik im Weltall noch die anderen Prognosen des Buchs heute. Was lehrt uns auf die heutigen Prognosen? Meiner Ansicht nach – wie oben erläutert – wird alles, was in näherer Zukunft erreichbar ist, heute schon da sein, nur eben zu teuer. Eine Prognose über die nähere Zukunft hinaus ist zu riskant. So glaube ich das der Welktraumtourismus zunehmen wird. Den gibt es schon heute, aber ein Sitzplatz ist recht teuer. Interessanterweise werden niedrige Startkosten daran auch nichts ändern. Denn heute fliegen die Touristen an Bord von Sojuskapseln mit, müssen aber weder diese finanzieren noch die ISS. Wenn sie eine Raumstation finanzieren müssen, sinken die Einsparungen. Doch mit der Wiederverwendung der Kapsel denke ich kann man die Kosten senken. Doch trotzdem wird ein Ticket einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Würde man in naher Zukunft oder auch mittlerer Zukunft den Mars kolonisieren können, dann wäre das für eine Weltraumagentur mit viel höherem Budget heute schon möglich. Eine bemannte Marslandung wird seit 40 Jahren aber immer konstant 15 Jahre in die Zukunft projiziert. Nach von Brauns Plänen sind wir schon zwischen 1982 und 1986 auf dem Mars gelandet …

Zum Schluss noch ein weiterer Punkt wie man irren kann, und zwar indem man von seiner eigenen Kenntnis ausgeht. Wernher von Braun hat eines richtig prognostiziert – dass Kommunikationssatelliten bedeutend werden würden. Damals war das größte Exemplar Intelsat II mit zwei TV-Transpondern oder der Fähigkeit alternativ etwa 2000 Telefongespräche zu übertragen. Allerdings nehme ich an, ist Wernher von Braun im privaten Umfeld dann wohl auch in der Gesellschaft von Menschen höherer Bildung umgeben gewesen, bei der Arbeit sowieso. Er prognostizierte, das man mit den vielen TV-Programmen den Analphabetismus auf der ganzen Welt in 10 Jahren beseitigen wird können. Was haben wir heute? Tausende von Kanälen, aber wie schon 1992 (bei weniger Kanälen) Bruce Springsteen sagte: „57 Channels and nothing on“.

https://www.youtube.com/watch?v=YAlDbP4tdqc

4 thoughts on “Raumfahrteuphorie

  1. Das mit den Kostenentwcklungsvorstellungen ist immer so eine Sache die witzig ist.

    Ich hab ja vor 5 Jahren, basierend auf Zahlen in Heppenheimers „Colonies in Space“ von 1977 ebenfalls mal rumgerechnet.

    (Falls du mal Langeweile hast, das Buch kann man kostenlos hier online lesen: http://www.nss.org/settlement/ColoniesInSpace/ )

    Die Zahlen im Buch waren wie folgt.

    Space Shuttle: 160 Dollar pro Pfund
    Ein HLLV basierend auf dem Shuttle
    (Im Konzept her der späteren Shuttle C Idee ertaunlich ähnlich): 90 Dollar pro Pfund
    Eine komplett neue Schwerlastrakete (Im Konzept her der Ares V bzw. dem SLS sehr ähnlich): 68 Dollar pro Pfund.

    Nach den Preisen von 2012 (bin grad zu Faul den aktuellen Wert auszurechnen) und in Kilo wären das:

    Space Shuttle: 1300-1400 Dollar pro Kilo
    „Shuttle C Konzept“: 600-700 Dollar pro Kilo
    „Ares Konzept“: 500-600 Dollar pro Kilo

    Also deinen Zahlen recht ähnlich.

    Was imo. aber am amüsantesten ist, wieviele menschliche Arbeiter für die entsprechenden Konstruktionen prognostiziert wurden.

    Arthur C. Clarke hat ja auch (das war glaub ich noch in den 50ern) von riesigen noch bekannten Kommunikationsplattformen gesprochen, etwas was heute compurisierte Satelliten mit einem Bruchteil der Größe schaffen…

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