Die schwärzeste Stunde der NASA

Heute folgt Teil 2 meiner kleinen Serie über die Geschichte der NASA, die am 1.10.2018 ihren 60-sten Geburtstag feierte. Wie der Titel schon sagt, geht es um die schwärzeste Stunde der NASA in den letzten 60 Jahren. Während man über die Sternstunde der NASA sicher diskutieren kann, senke ich ist die Auswahl bei der schwärzesten Stunde einfach. Es ist eine bemannte Mission, denn bei unbemannten Missionen ist sowohl das öffentliche Interesse, wie auch die Betroffenheit viel geringer – es mag zwar ein finanzieller Verlust aufgetreten sein, aber niemand wurde getötet. Daneben sind die finanziellen Folgen in der bemannten Raumfahrt viel höher, selbst wenn man es mit Megapannen bei unbemannten Programmen vergleicht, wie dem Totalverlust des Mars Observers, oder der geringen Datenmenge von Galileo oder der Kurzsichtigkeit von Hubble und die daraus resultierenden Kosten für die Reparatur. Doch selbst wenn man Galileo als Totalverlust ansieht, sind deren Kosten von 900 Millionen Dollar (bis zur Entdeckung des Defekts) klein im Vergleich zu den Kosten die die folgenden drei Unglücke generierten. Auch die Auswirkungen auf das Programm, das in jedem der Fälle mindestens 18 Monate stand, sind viel größer als bei unbemannten Programmen, wo man einfach die nächste Mission startete – auch wenn wie bei Ranger nur die letzten drei von neun Sonden erfolgreich waren. (Ein bemanntes Programm hätte man schon weitaus früher eingestellt).

Es gab drei Unglücke in der Geschichte der NASA, in der Astronauten starben – auch wenn es ungerecht ist, denn es gab natürlich etliche andere Unglücke bei denen es Tote gab. Die Sicht fokussiert sich leider nur auf die toten Astronauten. Zählt man alle anderen Toten der USA die es durch die Raumfahrt gab zusammen, so sind dies mehr als die getöteten Astronauten.

Nun es gab drei Katastrophen bei denen Astronauten starben:

  • Apollo 1: Bei einem Probecountdown bricht in der Apollokapsel ein Feuer aus. Obwohl die Ursache nie ganz genau geklärt wird was den Brand auslöste, gehen die meisten Fachleute davon aus, das die Kapsel nicht genügend gegen die Brandgefahr gesichert war. Es wurden viele flammenempfindliche Materialien verwendet. Das Redesign des CM verzögert das Programm um 18 Monate. Eine Zeit, die aber auch für weitere unbemannte Tests genutzt wurde und nicht zuletzt waren auch Saturn V und LM zum Zeitpunkt des geplanten Starts von Apollo 1 nicht einsatzbereit. Der Nettoeinfluss auf Apollo war somit nicht so groß, wie die 18 Monate Verzögerung zwischen geplantem Startdatum von Apollo 1 und der Apollo 7 Mission (mit denselben Missionszielen) suggeriert.
  • STS 51L: 72 s nach dem Start explodiert der Wasserstofftank des Space Shuttles und das Shuttle selbst wird zerstört. Alle sieben Astronauten sterben. Anders als bei Apollo wird die primäre Ursache rasch gefunden. Es ist ein durchgebrannter Dichtungsring aus Gummi zwischen zwei Segmenten der Feststoffbooster. Er war bei den niedrigen Starttemperaturen zu unelastisch. Das Space Shuttle Programm stand für zweieinhalb Jahre. Eine neue Fähre musste gebaut werden.
  • STS 107: Beim Wiedereintritt verglüht die Raumfähre Columbia. Als Ursache stellt sich ein beim Start abgelöstes Stück Schaumstoff von der Rampe, an der die Fähre am Tank befestigt ist, heraus. Es prallte auf die Flügelkante und riss dort ein Loch in ein RCC-Panel durch das beim Wiedereintritt Plasma eintreten konnte. Erneut steht das Programm für zweieinhalb Jahre. Diesmal wird keine neue Fähre gebaut, stattdessen der Beschluss zur Einstellung des Space Shuttle Programms gefasst.

Welches ist nun meiner Meinung nach die größte Katastrophe, die schwärzeste Stunde? Wartet bevor ihr weiterlest und denkt selbst erst mal nach.

Mein Kriterium ist bei einer solchen Katastrophe ist die Vermeidbarkeit. Man könnte auch die finanziellen, zeitlichen oder organisatorischen Auswirkungen nehmen. Gehen wir mal die drei Katastrophen durch:

Apollo 1: Der Brand beruht darauf, dass man damals in den US-Raumfahrzeugen eine reine Sauerstoffatmosphäre, wenn auch unter reduziertem Druck einsetzte. Eigentlich ist logisch, das eine solche Atmosphäre Brände fördert. Doch es gab bei den bisherigen Einsätzen im Mercuryprogramm und Geminiprogramm keinerlei Probleme – also über 6 Jahre Einsatz auf über zwei Dutzend Missionen. Im Mercuryprogramm hatte man auch eine Verfahrensvorschrift für Brände: Helm schließen, Kabinenatmosphäre in den Weltraum entlassen. Das Unglück besteht aus zwei Teilen. Das eine war die unterschätzte Brandgefahr. Das andere waren tatsächliche Versäumnisse von North American bei der Konstruktion. Man entdeckte bei der folgenden Untersuchung zahlreiche Fertigungsdefizite und versteckte Mängel bei den Raumschiffen. Das war auch dem Wettrennen um den Mond geschuldet. Es gibt übrigens auch andere Stimmen. Wenn die Mängel erst bei einem Flug aufgetreten wären, dann hätte man die Besatzung auch verloren, jedoch mit wesentlich größeren Auswirkungen auf das Programm und vor allem, ohne das man eine Kapsel gehabt hätte, in der man nach der Ursache des Brandes suchen konnte. Falls das passiert wäre, so vermuten Kenner des US-Raumfahrtprogramms hätte man wahrscheinlich Apollo eingestellt.

STS-107: Die Ursache war eine Kombination aus mehreren Unglücksfaktoren. Es gab immer wieder abgelöste Schaumstoffstücke vom Tank. Sie waren nie ein Problem. Diesmal war es ein großes Stück, das nur von einer Stelle, der Verbindung des Tanks zur Fähre abgehen konnte, woanders war die Isolierung nur dünn und hätte die Schäden nicht verursacht. Der Verlust der Fähre konnte nur passieren weil das Stück auf die Flügelvorderkante aufprallte. Auf der Oberseite wäre es unkritisch gewesen, da diese maximal 280°C heiß wird, weit unterhalb der Erweichungstemperatur des Flügels. Auf der Unterseite auch, weil die Strömung durch die Flügelform über ein Loch ohne Kacheln, aber mit Flügelunterstruktur hinweggezogen wäre. Die Flügel wären an der Stelle höher thermisch belastet worden, hätten aber wahrscheinlich gehalten. Die Kante ist dünn, hat viel weniger Fläche. Das sie getroffen wurde ist Zufall gewesen. Zudem war es sehr großes Stück. Ein kleineres Stück hätte wesentlich weniger folgen gehabt.

Zuletzt musste das Schaumstoffstück in einer Höhe abgehen in der die Fähre schnell ist. In zu niedriger Höhe ist die Aufprallgeschwindigkeit zu klein, in zu großer Höhe ist die Atmosphäre so dünn, dass der Druck nicht ausreicht, Schaumstoff abzulösen. Man hat danach noch mehr getan, um die Fähren abzusichern. Aber ich halte das Vorkommnis, auch wenn mancher es anders sieht, als Restrisiko. Denn das die Fähren so sicher wie eine Kapsel sein würden, das war von Programmbeginn klar.

Was die Auswirkungen angeht, ist der Verlust von STS-107 natürlich der einzige der drei Katastrophen die zur Einstellung des Programms führten. Allerdings hat der nichts mit dem Verlust zu tun. Er fiel erst als George W. Bush sein Constellation Programm aus der Taufe hob und das Geld, dass die Space Shuttles verschlangen, dafür brauchte. Er wollte ja auch die ISS einstellen und die war damals noch nicht mal fertig gebaut. Man wollte den Beschluss auch umkehren, als die Fähren einige Jahre ohne Probleme flogen und dafür Constellation eingestellt war, da war es aber dann schon zu spät.

Bleibt der Verlust von STS-51L übrig. Ich halte ihn für die schwärzeste Stunde der NASA. Aus mehreren Gründen. Der für mich offensichtlichste ist, das er viel mehr als die anderen beiden Ereignisse vorhersehbar war. Die Ringe hatten bei drei vorhergehenden Flügen Probleme gemacht und man wusste, das dies mit niedrigen Temperaturen zusammenhing und es war beim Start so kalt wie bisher bei keinem Shuttle-Start. Techniker von Thiokol, dem Hersteller der Feststoffraketen, sprachen sich auch gegen den Start aus. Das NASA-Management übte Druck auf, das führte dazu das schließlich auch das Thiokol-Management ihre eigenen Techniker dazu bewog, den Start freizugeben. Anders als bei den anderen Katastrophen war diese vorhersehbar und vermeidbar. Es war eine Folge einer NASA-Politik die Flugrate über Sicherheit stellte.

Die spätere Untersuchung zeigte denn auch zahlreiche andere Mängel auf. So hatte man zu wenig Ersatzteile, was dazu führte das man bei defekten oder beschädigten Zeilen, welche aus den Fähren ausbaute, die beim Hersteller bei der Überholung waren oder aus Fähren die gerade nicht flogen. Das nannten die Techniker „Kannibalisierung“. Man hatte das Ziel wirklich viele Flüge durchzuführen. Es gab ja mal ein Manifest mit 48 Flügen pro Jahr. 1985 hatte man neun Flüge absolviert und das obwohl die Atlantis als letzter Orbiter erst im Oktober zur Flotte kam und die Columbia zur Umrüstung bei Rockwell war. Nur zwei Fähren – Discovery und Challenger hatten sieben der neun Flüge absolviert. Da erschienen bei vier Fähren die 13 bis 16 geplanten Flüge für 1986 sogar möglich. Nie mehr sollte man aber neun Flüge wieder erreichen. Denn die Flüge vorher waren meist nicht ohne Probleme: Startabbrüche, Abort to Orbit, Ausfall des Lebenserhaltungssystems und Missionsverkürzung, unbrauchbare Raumanzüge, Computerausfälle, platzende Reifen bei der Landung, sich entzündendes Hydrazin bei der Landung. All das kam bei den vorherigen Missionen vor. Man ging darüber hinweg, anstatt die Probleme zu lösen. Der Unfall war nur der Schlusspunkt eines NASA-Systems das sich gewandelt hatte. Nach dem Verlust von Apollo 1 war die Sicherheit der Astronauten das Wichtigste und nun war es die Flugrate, wobei die meisten Missionen nicht einmal bemannt sein mussten – sie transportieren Satelliten, die auch unbemannt hätten gestartet werden können, einige Missionen waren sogar rein kommerziell, nicht für die NASA oder das DoD.

Aufgrund dessen ist für mich die Challenger-Katastrophe die schwärzeste Stunde der NASA. Was meint ihr. Was ist eure schwärzeste Stunde der NASA? Übermorgen kommt der dritte und letzte Zeil der kurzen Serie – die größte Panne der NASA. Panne im Sinne von: „Das hätte man auch vermeiden können“.

5 thoughts on “Die schwärzeste Stunde der NASA

  1. Vielleicht war es die schwärzeste Stunde der NASA, als Wernher von Braun nach dem Beinahe-Fehlschlag von Schimpanse Hams Mercuryflug auf einem weiteren unbemannten Testflug bestand, dem Mercury-BD von Ende März 1961. Wäre diese Mission bemannt gewesen, so könnten die Amis beghaupten, den ersten Raumflug der Geschichte durchgeführt zu haben, und Gagarins Flug knapp drei Wochen später wäre im Westen kaum beachtet worden? Vielleicht hat dies die Sicherheitskultur der NASA so geprägt, dass die drei genannten Unglücke passieren konnten?

    Ich bin (knapp) alt genug, um den Jungfernflug der Columbia 1981 miterlebt zu haben, und kann mich erinnern, dass es schon damals Befürchtungen gab, der Hitzeschutzschild des Orbiters würde den Belastungen beim Start nicht standhalten, und die Columbia könnte beim Wiedereintritt verglühen. Damals lag man knapp 22 Jahre daneben. Aber schon beim zweiten Flug im November 1981 versagte ein O-Ring, und nur ein sich bildender Schlackepfropfen verhinderte die Katastrophe. Es gab Befürchtungen, dass bei einem Start bei kalten Temperaturen die Raumfähre schon beim Abheben explodieren würde, und damals irrten die Warner um 72 Sekunden, und der Startkomplex blieb intakt.

    1. Die Sache mit Mercury BD habe ich auch in meinem Buch diskutiert. Liest man die Memoiren von Kraft aber auch die Äußerungen anderer an dem Programm beteiligten so kann man aus heutiger Sicht den Kopf nur schütteln. Nur um „erster“ zu sein würden die ein Menschenleben riskieren. Selbst in der Retrospektive zeigt Kraft keine Einsicht. Selbst wenn der Hopser zuerst erfolgt wäre, er wäre von dem Flug von Gagarin deklassiert worden. Das ist nun mal Fakt.
      Zur Sicherheitspolitik. Von Braun wurde immer vorgeworfen, er wäre zu konservativ. Schließlich gab es auch bei Apollo einen Wettlauf – nur eben gegen die Zeit. Von Braun musste aber auch als erster lernen, das die Qualität von sauber designten Raketen wenn sie von der US-Industrie gebaut wurden mangelhaft war. Er machte die Erfahrung bei de Redstone und führte damals erstmals ein Qualitätsmanagement ein, das es nicht gab. Von ähnlichem berichten auch die Astronauten in ihrem Buch. Sie nennen es dort „Glitch“ wenn etwas nicht funktioniert obwohl das Flugzeug nagelneu ist. Bei meinen Büchern bin ich immer wieder auf die Tatsache gestoßen, das die US-Industrie schlecht produziert. Bei der Atlas gab es ein eigenes unabhängiges Panel das an Verbesserungen in der Produktion arbeitete, bei der Titan schickte der Teil von Martin der die Raketen für die NASA umrüsten sollte, alle schlecht verarbeiteten zurück in die Fabrik.

      Im Prinzip kann man dazu auch Apollo 1 dazu nehmen, auch hier hat man sich über die Brandgefahr erst Gedanken gemacht als ein Unglück passierte.

      Bei dem Space Shuttle gab es in der Tat Sorgen wegen den Hitzeschutzkacheln. Vor allem weil auf Aufnahmen aus dem Orbit welche fehlten. Mit der Kamera konnte man aber nur die thermisch unkritische Oberfläche erfassen. Damals holte die NASA vom NRO noch Aufnahmen mit einem Keyhole Satelliten der Unterseite ein. Das Problem beim Jungfernflug war das er schon bemannt war. Daran waren aber die Astronauten selbst schuld. Der Bordcomputer hätte wie bei der Buran die Fähre auch landen können, nur gab es mechanische Absicherungen das bestimmte Systeme nur von dem Piloten betätigt werden konnten.

      Angekohlte Ringe gab es bei mehreren Missionen vorher, jedoch war immer der zweite Sicherungsring intakt.

      1. Die mangelnde Qualität der amerikanischen Produkte ist immer wieder ein Thema.
        Gestern habe ich noch mal die Geschichte der Bergung der versunkenen Mercury-Redstone-4-Kapsel gelesen. Da haben die nach fast vierzig Jahren unter 5 km Salzwasser noch allerhand drin gefunden. Sachen wie Zigarettenkippen und anderes Zeug was nicht vom Astronauten Virgil Grissom stammte sondern bei der Fertigung hineingelangt sein musste.

        1. herumfliegende Kugelschreiber und Reinigungstücher hat man schon bei Mercury Redstone 1A beobachtet. Je mehr ich mich mit dem bemannten Raumfahrtprogramm beschäftige, desto mehr verwundert mich das es so lange gut ging.

    2. Ein Verzicht auf die Mercury-BD und somit ein US-Astronaut als erster Mensch im All wäre für die NASA genauso kontraproduktiv gewesen wie ein US-Satellitenstart 1956 unter von Brauns Leitung für die gesamte US-Raumfahrt. Beides hätte den Wettlauf ins All im Keim erstickt und die entsprechenden Mittel wären weiterhin in die Militärtechnik geflossen. Ich mag mir gar nicht vorstellen wie sich das beispielsweise auf die Kuba-Krise ausgewirkt hätte (btw. Wünsche nachträglich einen fröhlichen Petrov-Tag).

      Die gravierendeste Fehlentscheidung ist meiner Meinung nach eher die vorzeitige Beendigung des Apollo-Programms und die Entscheidung für die einfachste Space-Shuttle-Variante mit Feststoffboostern im Jahr 1972. Es gab eine komplette Saturn-V incl. CM, SM und LM die noch bis 1977 hätte eingesetzt werden können, drei Saturn-Ib, ein Skylab und eine weitere, fast fertige Saturn-V wären auch noch vorhanden gewesen. Man hätte fast zum Nulltarif noch einmal zum Mond fliegen und eine zweite Raumstation betreiben können (ggf. auch in Zusammenarbeit mit den Sowjets) und so die Zeit/Mittel für die zweite Shuttle-Variante mit Flüssigtreibstoff-Boostern gehabt. So wäre zumindest die Challenger-Katastrophe verhindert worden. Hauptursache für die Columbia-Katastrophe ist wohl das Huckepack-Konzept. Das hätte man konstruktiv grundsätzlich verhindern können indem man eine extra Antriebssektion mit eigenem Hitzeschild für die drei SSME verwendet und den Orbiter oben auf den ET gesetzt hätte. So wären auch die Triebwerke schon nach etwa 24 Stunden wieder in der Wartung gewesen und man hätte das System auch ohne Orbiter als normale Trägerrakete verwenden können wie es für das Cargo-Shuttle geplant war.

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