Die letzte Meile im Orbit

Derzeit herrscht in der Raumfahrt Goldgräberstimmung. Nicht nur das sich zig Firmen berufen fühlen, neue Raketen zu entwickeln, es werden neue Konstellationen von Satelliten geplant – nicht nur die Riesenflotten von OneWeb und SpaceX, sondern auch kleinere. Kepler hat 140 Satelliten, Telsat 117 und Leosat 78. Zwar eine Größenordnung kleiner als SpaceX aber immer noch mehr Satelliten als z.B. das bisher größte Netz, Iridium hat.

Es gibt aber auch Firmen mit komplett neuen Geschäftsideen. Space Tango will im Orbit fertigen lassen und der heutige Blog beschäftigt sich mit einem anderen Startup: Momentum. Die Firma hat 8,3 Millionen Dollar an Kapital gesammelt und viel vor: Ein Transfer eines 100 bis 200 kg schweren Satelliten vom niedrigen Erdorbit in einen Mondorbit soll 10 Millionen Dollar kosten. Anfangen will sie 2020 mit dem Transfer von 60 kg vom LEO in den GEO. Dann 250 kg vom niedrigen Erdorbit in einen Mondorbit oder 180 kg vom Mond in einen Marsorbit. 8,3 Millionen sind wenig, denn davon muss ja nicht nur die Entwicklung des Schleppers sondern such dessen Start finanziert werden, der derzeit für nicht weniger als 5,9 Millionen zu haben ist.

Die Website wird dann etwas konkreter. Alle Module arbeiten mit Wasser als Arbeitsmedium. Für den Laien bleiben da Fragezeichen. Der Experte weiß: Dann werden Plasmatriebwerke eingesetzt. Eine heute eher selten genutzte Abart der Ionentriebwerke, bei der das Arbeitsmedium in ein Plasma umgewandelt wird. Neben dem geringen spezifischen Impuls haben Plasmatriebwerke noch andere Nachteile. Der Wirkungsgrad ist viel kleiner als bei elektrostatischen Triebwerken, weil viel Energie in die Erzeugung des Plasmas gesteckt wird. Zusätzlich werden die Elektroden werden durch das Plasma geschädigt. Plasmatriebwerke haben daher eine vergleichsweise kurze Lebensdauer. Aerojet fertigt auch solche Triebwerke. Ihre MR-509/510 Plasmatriebwerke liegen bei rund 2 kW Leistung, einem Schub von 0,2 bis 0,25 N und eine Lebensdauer von 1000 bis 1700 Stunden. Dabei muss man nach 1 Stunde Betrieb mindestens eine halbe Stunde Pause machen.

Die Daten ihrer Module sind folgende:

Parameter Vigroide Ardoride
Startmasse 180 bis 300 kg 500 bis 1.250 kg
Nutzlast 60 kg LEO → GEO 180 kg LEO → Mondorbit
DV < 6.000 m/s < 6.000 m/s
Spez impuls < 6.860 m/s < 6.860 m/s
Elektrische Leistung 500 Watt 2.000 bis 3000 Watt

Weiter unten steht dann noch ein Kalkulator, der aber nach einfacher Prüfung vollkommen unsinnige Ergebnisse liefert. Sowohl Treibstoffverbrauch wie auch Transferzeit sind zu niedrig angegeben.

Die Frage ist natürlich die der Sinnhaftigkeit. Ziel sind ja, wie man an den Satellitenmassen sieht Sekundärnutzlasten wie Klein- oder Kleinstsatelliten, bei der Vigroide ist sogar der ESPA-Ring als ein typischer Sekundärnutzlastadapter aufgeführt. Die meisten Starts dieser Sekundärnutzlasten gehen aber in sonnensynchrone Orbits. Da man da den Richtungsvektor der Inklination vom Transfer SSO in den GEO um rund 90 Grad drehen muss, reichen die 6 km/s ΔV-Vermögen nicht. Man braucht die 1,4-fache Bahngeschwindigkeit um die Inklination um 90 Grad zu ändern, und das sind, selbst wenn man das erst im GEO macht, noch über 3 km/s. Dazu kommt noch das ΔV zwischen niedrigem Erdorbit und GEO von rund 4,5 km/s. Aufgehen würde das Konzept nur, wenn der Start schon am Anfang eine Inklination von weniger als 30 Grad hat. Das wäre z.B. bei einer GTO-Bahn der Fall, nur ist dass eben kein Transfer vom LEO in den GEO.

Die zweite Sinnhaftigkeit ist die Antriebswahl. Plasmatriebwerke werden eingesetzt für kleine DV-Änderungen, da sowohl Gesamtimpuls wie auch Lebensdauer der Triebwerke gering sind. Für 6 km maximales ΔV besteht bei dem niedrigen spezifischen Impuls des Antriebs das Gefährt zu 60 % aus Treibstoff. Daneben ist der Wirkungsgrad bei den Aerojettriebwerken mit 35 % etwas halb so hoch wie bei elektrostatischen Triebwerken. Man würde also sowohl aus Gewichtsgründen wie auch Effizienz diese einsetzen, auch wenn die Drucktanks für Xenon viel mehr wiegen als die für Wasser. Das spart man bei dem Treibstoff wieder ein, man könnte sogar einen solchen Schlepper mehrfach einsetzen, um vom LEO zum GEO zu pendeln.

Die Orbits sind teilweise auch relativ sinnfrei. Warum sollte man vom Mondorbit in den Marsorbit wechseln?

Sinn machen würde für mich nur ein Transfer mit dem Ausgangsorbit der ISS. Da gibt es durch die Transporter pro Jahr mindestens vier Startgelegenheiten. Die werden auch schon genutzt, meist aber für Cubesats, doch Kleinsatelliten mitzuführen, wäre nicht unmöglich. Die ISS ist aber zu erdnahe für größere Satelliten, die länger betrieben werden sollen und die Bahnneigung ist ungünstig, zumindest für Satelliten welche, die ganze Erde beobachten sollen. Wegen des immer gleichen Beleuchtungsverhältnisses wären sonnensynchrone Umlaufbahnen sinnvoll. Um von einer 400 km hohen Bahn mit 51,6 Grad Bahnneigung in eine sonnensynchrone 600 km hohe Bahn mit 97,78 Grad zu wechseln, braucht man 5.888 m/s, was gerade noch in das ΔV-Budget der Module von 6.000 m/s passt. Wenn man allerdings wie oben angedeutet, dafür 10 Millionen Dollar zahlen muss, dann kann man auch gleich einen Start buchen: Eine Vega kostet 32 Millionen Euro und kann rund 1,6 t in die 600 km hohe Umlaufbahn bringen. Rechnet man 300 kg für die Mehrfachstartvorrichtung ab, so wären das fünf der 250 kg schweren Nutzlasten und Startkosten von etwa 7 Millionen Dollar pro Kunde. Ab 2019 wird es mit der Vega-C noch billiger, da die Nutzlast bei gleichen Kosten um 30 % steigt. Dann steht auch ein neuer Dispenser zur Verfügung, der drei unterschiedliche Konfigurationen erlaubt. In einer kann die Vega acht Mikrosatelliten von maximal 200 kg Gewicht und 12 Cubesats oder Nanosats befördern. Das macht einen solchen Schlepper weitestgehend überflüssig,

Transfers von einem SSO in einen anderen sind wegen der geringen Bahnneigungsunterschieden energetisch viel günstiger. Vom 600 km hohen in den 800 km SSO zu gelangen, muss man die Bahnneigung nur um 0,9 Grad erhöhen, das ΔV liegt dann bei 143 m/s, das schafft auch die Oberstufe. Die Vega hat schon mehrfach Satelliten in unterschiedlichen Orbits ausgesetzt. Dafür bräuchte man dann kein Modul, bzw. selbst wenn der Launch Service Provider den Service nicht bietet, kann man das mit einem einfachen monergolen Antrieb auf Hydrazinbasis bei kleinem Zusatzgewicht selbst machen.

Das überhaupt jemand auf diese Idee kommt ist der derzeitigen Praxis von Sekundärstarts zu verdanken. Es gibt zwar standardisierte Mitnahmemöglichkeiten, für Atlas und Delta der ESPA-Ring, bei Ariane 5 die ASAP-5 Plattform, für die Vega die VESPA, aber sie werden viel zu wenig eingesetzt, vor allem bei Arianespace. Verglichen mit der Ariane 4 gab es nur wenige Einsätze der ASAP-5. Es gibt im Jahr rund 20 Starts in den GTO. Eine Sekundärplattform wiegt nicht viel, so um die 100 bis 200 kg, ein Mikrosatellit ebenfalls in der Region, da könnte man Sekundärnutzlasten bei fast jedem Start einer Ariane 5 mitführen, bei der die Nutzlast nicht voll ausgenutzt wird (sie wird bei allen Raketen als Ring an dem Konus befestigt der zwischen Durchmesser der Standardsatellitenadapter von maximal 2,624 m und dem Durchmesser der Oberstufe von je nach Typ 3,05 bis 5,4 m vermittelt). Ebenso sieht es bei ISS-Starts aus, zumindest die der Dragon sind ja nicht nutzlastbegrenzt, sondern volumenbegrenzt. Die Dragon wurde schon bei der Falcon „erster Versuch“ eingesetzt, mit 60 % der heutigen Nutzlast. Da gäbe es genügend Masse für weitere Nutzlasten. Die anderen fRachter werden wohl die maximale Nutzlast der Trägerrakete ausnutzen.

Das ist ja inzwischen so weit gediehen, dass Unternehmen Startaufträge sammeln und einen eigenen Flug buchen: Der nächste Falcon 9 Start in Vandenberg ist so einer: Spaceflight Industries hat ihn gebucht und startet 70 Satelliten auf einmal – bei 15 Mikosatelliten und 56 Cubesats nutzt man bei den maximalen Gewichtsgrenzen von 25 kg für Cubesats und 200 kg für Mikrosatelliten die Nutzlast mit 4.400 kg nur zu einem Bruchteil aus. Aber es war wohl einfacher einen Start zu buchen, als zu warten, bis man irgendwo eine Mitfluggelegenheit bekommt.

Dagegen würde Druck helfen. Zumindest die Starts für Regierungen, sei es Weltreimbehörden, Verteidigungsministerien oder Wetterorganisationen sollte eine Mitnahme Pflicht sein. Darauf entfallen immer noch viele Starts. Sie müssten drauf dringen, das Sekundärnutzlasten bei jedem ihrer Starts mitgeführt werden, sofern möglich. Das war auch früher so. Die Amateurfunkorganisation AMSAT hat in den sechziger und siebziger Jahren serienweise Satelliten als Sekundärnutzlast mit militärischen Starts in den Orbit gebracht, dann wurden neue bürokratische Strukturen eingeführt und das hörte auf. Zeit das Rad wieder zurückzudrehen.

One thought on “Die letzte Meile im Orbit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.