Die „Tricks“ der Lebensmittelindustrie

Den Aufhänger für meinen heutigen Blog lieferte eine Sendung, die ich gestern sah, „Die Tricks mit Wurst und Schinken“. Es gibt eine Reihe dieser Sendungen, in fast allen findet man das Wörtchen „Tricks“ im Titel. Ich bin nun ja von der Ausbildung her Lebensmittelchemiker, arbeite aber seit 20 Jahren nicht mehr aktiv. Man sollte also meinen, ich könnte bei den Sendungen angesichts dieser Zeit weg vom Beruf noch was hinzulernen, aber dem war nicht so. Der einzige neue Trick in der obigen Sendung, den ich nicht kannte, war der das man durch Hochdruck Lebensmittel entkeimen kann. Das gab es zu meiner Studienzeit noch nicht. Gut andere Tricks gab es auch nicht, aber die chemischen Grundlagen dafür gab es schon zu meiner Zeit, so dass man durch Eiweiß Wasser binden kann und so mehr Wurst aus einer bestimmten Menge Fleisch herausbekommt.

Ich habe ursprünglich begonnen Chemie zu studieren, nicht weil es mein Wunschfach war, sondern weil ich in ihm einen guten Kompromiss sah zwischen Interessen und Arbeitsmarkt. Am liebsten hätte Ökotrophologie studiert, also Ernährungslehre. Ich wusste aber schon durch meine Lehrerin, die das studierte und weil sie keinen Job fand, dann noch Lehramt dran gehängt hatte, das es da mau auf dem Arbeitsmarkt aussah. Lebensmittelchemie hatte ich außen vor gelassen, weil es als NC-Fach nicht sicher war, ob ich dann nicht woanders hinziehen müsste. Als ich zwei Jahre studiert hatte, war ich ernüchtert. Die Chemie, die ich kannte, hatte mit Natur zu tun, mit Stoffwechsel mit Biologie. Die Chemie, die gelehrt wurde, war industrielle Chemie. Um die Zeit herum häuften sich erste Lebensmittelskandale – ich kann mich an den Ethylenglykolskandal und das Clenbuterol erinnern (wie sich später herausstellte, mästete man damit nicht nur Kälber, sondern auch Sportlerinnen) und die Kombination von besseren Berufsaussichten in dem Fach und Frustration im Chemiestudium führte dazu das ich auf Lebensmittelchemie wechselte – an der gleichen Uni, was ich dem Einsatz eines Professors zu verdanken habe, der einen Trick ausnutzte: Die Studienplätze werden für Sommer- und Wintersemester gleichermaßen vergeben, die meisten Studenten wollen aber im Wintersemester anfangen, sodass ich mit einer Rückstufung in der Semesterzahl auf dem Papier im Sommersemester angefangen habe.

Den Wechsel habe ich nie bereut, auch wenn das Studium und vor allem die einjährige Praxisphase an der „Anstalt“ (Chemische Landesuntersuchungsanstalt Stuttgart) stressig waren. Doch damals war die Mediensituation eine andere, aber auch der gesamte Markt. Es gab nicht so viele Produkte und es erschienen auch nicht in einer solchen Häufigkeit Produkte. Schon damals war ein Problem, das Werbeaussagen grenzwertig formuliert sind. Es ist im Prinzip verboten bestimmte Dinge über ein Lebensmittel zu sagen, für den Verbraucher am relevantesten wohl die gesundheitsbezogene Werbung. Also man darf nicht damit werben, das ein Lebensmittel irgendeine Krankheit bekämpft. Das wird umgangen, indem die Aussagen allgemein gefasst sind. An der Problematik hat sich auch nicht wirklich fundamental etwas geändert, obwohl inzwischen die EU durch die Health Claim Verordnung etwas getan hat. Zumindest bei Nahrungsmitteln ist es durch die Verordnung aber besser geworden. Gängig ist aber immer noch die Werbung mit Selbstverständlichkeiten, so etwas wie „ohne xxx“, wobei das Lebensmittel auch bei anderen Herstellern kein xxx enthält.

Die Werbung ist das eine, das nächste ist ein Dauerknackpunkt nämlich Produktname und Verkehrsbezeichnung. Der Produktname kann vom Hersteller frei gewählt werden. Die Verkehrsbezeichnung muss informieren, was das für ein Lebensmittel ist. Gut werden sie sagen, das ist doch leicht unterscheidbar. Da heißt das Produkt „Mars“ und Verkehrserziehung ist dann „Schokoriegel mit Cremefüllung“. Ja dann gibt es aber Hersteller, die haben als Produktname „Himbeergrütze“ und als Verkehrserziehung „Aromatisierte Fruchtzubereitung“. Für Grütze gibt es Vorschriften, wie viel Frucht enthalten sein muss, für Fruchtzubereitungen nicht.

Der Hauptteil der diesen „Tricks Sendungen“ Stoff liefert ist das heute die meisten Lebensmittel nicht mehr im Handwerk produziert und verkauft werden, sondern industriell gefertigt und über Handelsketten verkauft. Gemäß der deutschen Mentalität beim Essen Geld zu sparen wird dann eben bei der Produktion überall an Geld gespart. Dass dann vermehrt Zusatzstoffe zum Einsatz kommen oder teure durch preiswerte Zutaten ersetzt werden, ist doch logisch. Doch ist das dann ein „Trick“ oder doch nur eine Folge des Preisdrucks, den der Verbraucher selbst auslöst? Der Verbraucher ist ja an allem Schuld, meint auch unsere Verbraucherministerin Glöckner. Sie spricht von der „Abstimmung an der Kasse“. Ganz so einfach ist es nicht. Denn zum einen kann der Gesetzgeber ja Vorschriften erlassen. Er muss ja nicht reglementieren, wie Lebensmittel produziert werden. Er kann aber Begriffe schützen, wie die EU dies schon seit Jahrzehnten macht und das hat Lebensmittelproduzenten, die traditionell produzierten, sehr geholfen. Nur ein Beispiel: wir haben seit Jahren eine Flut von Bezeichnungen die eine bessere Qualität suggerieren wie „Premium“, „First Class“, „Edel“ etc.. Keiner dieser Begriffe ist an eine bestimmte Zusammensetzung gebunden. Der Gesetzgeber könnte vorschrieben das bestimmte Stoffe dafür verboten sind, oder einfach die handwerkliche Zusammensetzung als Standard für diese „xxx“-Produkte definieren. Doch heute ist ja durchaus nicht immer so, das man, wenn man etwas kauft, was als qualitativ hochwertig beworben wird auch qualitativ hochwertig ist. Ein Beispiel, das auch in einer dieser „Tricks“ Sendungen kommt, ist der Unterschied zwischen „Schoko“ und Schokolade. Die Kakaobohne, von der beides gewonnen wird, ist ein Samen und wie jeder Samen enthält sie Fett als Nährstoffvorrat für das Wachstum der jungen Pflanze und Eiweiß, das vitale Gewebe. Das Fett nennt man Kakaobutter und die fettfreie Masse Kakao, je nach Restanteil des Kakaos noch ergänzt um „schwach entölt“ oder „stark entölt“. In Schokolade sorgt die Kakaobutter für das Gefühl auf der Zunge, sie schmilzt gerade bei der Temperatur die menschliche Haut hat. So kommt der „Schmelz“ zustande. Sofern in einem Produkt nun aber nur der Kakoageschmack vorhanden sein muss, ist die Kakaobutter nicht nötig, denn wie jedes Fett schmeckt sie isoliert nach nichts. Für die zahlreichen Produkte angefangen von Schokoladeneis über Schokopudding bis hin zu Glasuren oder Füllungen (Doppelkeks) reicht Kakaopulver für den eigentlichen Geschmack und das Fett kann man durch ein anderes ersetzen, ja manchmal ist das sogar nötig, wenn die Glasur z.B. nicht schon bei Zimmertemperatur weich werden soll, kann man keine Kakaobutter nehmen und wenn eine Füllung eines Doppelkeks cremig sein soll, ebenso wenig. Kakaobutter ist gefragt denn aufgrund des Schmelzpunktes verwendet ihn auch die kosmetische Industrie und er ist schon aufgrund der geringen Menge im Kakao daher teuer. So wird er gerne ersetzt. Dass ist dann ein „Trick“ und die Sendung mokiert, dass der Begriff „Schoko“ und Variationen dessen wie „choco“ nichts mit dem Vorhandensein von Schokolade (mit Kakaobutter) zu tun hat. Das ist ein weiteres Problem in dem Dunstkreis Produktname – Vekehrsbezeichnung. Warum ich aber auf das Beispiel kam – auch bei Schokolade, die ja Kakaobutter enthalten muss, ist nicht vorgeschrieben wie viel, sondern nur wie viel Kakaobestandteile insgesamt. So ist gängige Praxis, dass ein Teil der Kakaobutter durch ein billigeres Fett wie Butterreinfett ersetzt wird und dies ist eben auch bei Marken so, sogar bei Edelmarken, die wirklich teuer sind wie Lindt. Wenn ich mich also nicht einmal bei diesen „Premiummarken“ die ein Vielfaches von anderen Marken oder gar Non-Nameprodukten kosten auf eine qualitativ hochwertige Zusammensetzung verlassen kann, so braucht sich Frau Glöckner nicht wundern, wenn die Abstimmung immer zum billigeren Produkt geht.

Mein Hauptkritikpunkt ist aber die prinzipielle Machart dieser Sendungen. Wenn es um Tricks geht, dann wird das meist nachgestellt und zwar meist übertrieben. Im ZDF stellt Sebastian Lege in einer Fabrikhalle mit selbst gebauten Utensilien das nach, im WDR besucht man Leute, die sich auskennen (Lege ist kein Lebensmitteltechnologe, sondern Koch, der sich nach Wikipedia sein „Wissen autodidaktisch beibrachte“. Beiden ist gemein, dass sie übertreiben. In der Sendung ging es um die Möglichkeit Fleisch in einer Fleischwurst durch Proteinpulver zu ersetzen, das Wasser bindet. Dann wurden aus drei Würsten vier (Herstellerempfehlung), 7 oder gar 10. Das Ganze wurde dann auch verkostet, ebenfalls ein typisches Element dieser Sendungen, wobei man nur Kommentare sieht, bei denen die Leute drauf reinfielen. Es gab auch das Statement eines Experten, der sich beruflich damit beschäftigt und der meint, dass so seiner Erfahrung nach einige Prozent Fleisch eingespart werden – schon bei der Herstellerempfelung waren es ja nicht einige Prozent, sondern 33 %, aber das geht dann unter. Der Eindruck des „Tricksens“ durch diese Übertreibung bleibt.

Neutral sind diese Sendungen nicht, wenn eine Meinung noch vertreten ist, dann von Verbauchvereinen, wobei diese aber wenigstens fundiert sind oder schlimmer man sucht irgendjemanden als Experten aus. Im obigen Beispiel war, das ein Feinkosthändler der Salamis beurteilen sollte. Seiner Ansicht nach sollten diese süß schmecken und die Salami aus dem Discounter schmeckten seiner Ansicht nach nur sauer im Abgang.

Schön, aber das ist eine Meinung. Wer sich die „Salamis“ anschaut, die der Händler selbst herstellt und verkauft, hat dünne, lange Würste mit großen Fettbrocken vor sich, nach Art einer Kaminwurz, auch spanische Salami sieht so aus. Nur hat das mit der Salami, die man sonst kauft, nichts zu tun. Die hat einen viel größeren Durchmesser, das Fett ist viel feiner verteilt. Damit eine solche Wurst nicht innen, wo kein Sauerstoff mehr herankommt und wo sie aufgrund des großen Durchmessers auch nicht schnell trocknet, sich gefährliche anaerobe Keime ansiedeln wie Clostridium Botulinum werden sie mit Starterkulturen versetzt und im anaeroben inneren Bereich bauen diese Bakterien den Restzucker zu Säure ab, die gleichzeitig vor Fremdbakterien schützt. Die Säure ist bei größeren Durchmessern also notwendig. Wenn so jemand der nicht mal vom Fach ist, (Feinkosthändler nicht Metzger) als Experte herangezogen wird, dann gute Nacht. Das ganze ist symptomatisch für die Sendungen, die offensichtlich davon ausgehen, das Lebensmittel selbsterklärend sein sollten, damit selbst der Dümmste sofort erkennt, warum es sich handelt oder noch besser sie so produziert werden, wie er sich das denkt.

Nur: Blogleser ich muss euch enttäuschen im deutschen Gesetz ist nirgendwo verankert das Lebensmittel so produziert werden müssen wie „der Verbraucher“ das wünscht. Nur für einige Gruppen gibt es Eckwerte, das sind die Leitwerte im Lebensmittelbuch. Sie definieren die Mindestanforderungen, meist bezogen auf einige wenige die Qualität prägende Inhaltsstoffe. Wer definiert diese? Es ist die Lebensmittelkomission und die aus Vertretern der Bereiche Lebensmittelüberwachung, Wissenschaft, Verbraucherschaft und Lebensmittelwirtschaft besteht. Man beachte: Der Verbraucher ist einer von fünf beteiligten. Entsprechend sind die Leitsätze auch praktisch die Minimalanforderung, weil die Wirtschaft natürlich versucht, die Anforderungen zu klein wie möglich zu halten. Das ist auch der Grund warum wenn diese Sendungen mal etwas in ein Labor einschicken es trotz „Tricks“ als rechtskonform eingestuft wird. In dem Falle war es die Fleischwurst. Im Labor wird bestimmt, wie hoch der Flesichanteil ist und wie hoch der Anteil an Magerfleisch ist. Bei einer Fleischwurst sind das 7,5 % gemessen als Eiweißgehalt. Nur mal als Vergleich: Ein Schnitzel natur hat 21 % Eiweißanteil. Es ist auch ohne Proteinpulver möglich der Flesichwurst viel Wasser zuzusetzen, das man ebenfalls ohne Proteinpulver relativ einfach mit Phosphaten binden kann. So fielen denn auch die mit Proteinpulver hergestellten Würste erst auf, als extrem viel davon zugesetzt wurde.

Das Lebensmittelgesetz hat eine Vorstellung vom Verbraucher, ähnlich wie unsere Gesetzgebung eine vom Bürger hat. In beiden Fällen ist die Vorstellung die eines intelligenten Menschen, dem „mündigen Verbraucher“. Das gerät so langsam ins Wanken, wie selbst Heiko Maas 2014 (damals noch für Verbraucherschutz zuständig) einräumt. Es ist aber auch logisch. Lebensmittel werden immer komplexer die Leute können aber nicht jedem Trend folgen und von der Chemie zahlreicher Inhaltsstoffe, die heute ausgenutzt wird, haben sie keine Ahnung. Interessanterweise haben viele Vorstöße den Verbraucher zu informieren den gegenteiligen Effekt. So ist anders, als zu meinen Studienzeiten heute verpflichtend das man allergene Zutaten angibt, wertgebende Bestandteile hervorhebt und oft findet man auch eine Nährwertdeklaration oder eine Ampel. Damit werden die Angaben auf jeder Verpackung aber immer mehr. Man wird also besser informiert, aber hat immer mehr zu lesen und wer kann das schon? Eine Lösung sehe ich nicht, aber mir würde es ja schon mal reichen, wenn die Sendungen neutraler werden. Man kann einen Sachverhalt weniger aufreißerisch präsentieren, ohne Hexenküche in einer Fabrikhalle, ohne Verkostungen und Präsentation von geschockten Verbrauchern. Man kann echte Experten befragen und auch mal welche von der Industrie, anstatt immer nur gekürzte Stellungnahmen der Firmen vorzulesen.

3 thoughts on “Die „Tricks“ der Lebensmittelindustrie

  1. Was mir auffällt: Einige Mineralwässer haben auf dem Etikett groß „Bio“ stehen. Was kann an einfachem Wasser Bio sein? Ist das Zeug mit Gülle gedüngt?

    1. Mineralwasser stammt aus tiefen Quellen, das Wasser ist dort seit Tausenden von Jahren, also längst vor einer Zeit wo der Mensch in die Umwelt eingegriffen hat. Es ist also in dem Sinne frei von Rückständen wie es die EU-Ökoverordnung fordert. Aber es wird eben nicht wie ein Lebensmittel produziert, sondern nur abgefüllt. Das ist also so eine Täuschung wie wenn sie drauf schreiben würden „ohne gluten“.

      1. Dafür steht z.B. auf manchen Fleischprodukten „Glutenfrei“. Gluten ist der „Kleber“ im Weizen und anderen echten Getreidesorten. Jemand, der eine echte Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) hat, weiß welche Produkte er essen darf. Also ist eine solche Angabe nur für die dummen Kunden, die keine Ahnung von „Bio“, Gluten“ usw haben. Getoppt wird das von Produkten, die als zuckerfrei gekennzeichnet sind. Im Lebensmittelrecht ist damit nur Haushaltszucker gemeint. Werden statt diesem andere Zuckersorten verwendet, ist das rechtlich eben kein Zucker…

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