Splitter der MAD-Doktrin

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Vom ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara stammt der Begriff der MAD-Doktrin, MAD: „mutually assured destruction“ im Deutschen „Gleichgewicht des Schreckens“ bezeichnet, bedeutet das jede Supermacht so viele Atomsprengköpfe hat, dass auch ein Erstschlag des Gegners genügend Träger übrig lässt, das sie den Gegner vernichten kann.Das führt zum „Overkill“ also viel mehr Atomwaffen als man wirklich braucht. In der Spitze gab es – die Zahlen schwanken je nach Quelle – zwischen 40.000 und 64.000 Sprengköpfe Mitte der Achtziger Jahre. Seitdem wurden sie weniger durch Abrüstungsabkommen. Die meisten dieser Sprengköpfe haben ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshima-bombe und das bei einer (damaligen) Weltbevölkerung von etwa 4 bis 5 Milliarden, also wirklich mehr als genug Atomwaffen, um nicht nur die USA und die UdSSR auszulöschen, sondern die ganze restliche Welt gleich mehrfach!

Diese Doktrin hält bis heute, auch wenn die Zahl der Sprengköpfe auf „nur“ 12.000 gesunken ist. Gorbatschow schlug Reagan vor, auf nur 100 abzurüsten, doch der ging nicht darauf ein. Aber es gab in den vergangenen rund 60 Jahren genügend Vorhaben, sich trotzdem einen Vorteil zu verschaffen:

Safeguard

Den ersten Raketenschild installierten die USA in den Siebziger Jahre. Ursprünglich war das Safeguard-System gedacht als Schutz von Städten. Dann wurde aufgrund explodierender Kosten schnell ein Abwehrschild genannt Safegard nur für die Minuteman Silos daraus. Mit der damaligen Technik war ein Sprengkopf (der sich, wenn er die USA erreichte, längst von der Rakete getrennt hatte) nicht genau zu treffen. Also installierte man zwei Raketensysteme die ihn nicht treffen mussten. Die Hauptlast sollten „Spartan Raketen“, Weiterentwicklungen der Nike Luftabwehrrakete tragen. Die Spartan hatten je nach Version einen 400 bis 5.000 kT thermonuklearen Sprengkopf und mussten so ein Ziel gar nicht genau treffen. Neben der Wirkung durch die Hitze des Feuerballs verursachen solche Sprengungen im Weltraum auch einen Elektromagnetischen Impuls (EMP) der Elektronik zerstört. Das wussten die USA, seit sie Atombombentests Ende der fünfziger Jahre im Weltraum durchführten, damals vielen etliche Satelliten aus und diese bestanden damals noch nicht mal aus integrierten Schaltungen sondern Widerständen, Dioden und Transistoren. Sprengköpfe die durchkommen, sollten von Sprint-Raketen abgefangen werden, die maximal 40 km Höhe erreichten, damit sie das Ziel schnell erreichten, enorm schnell beschleunigten und nur einen 3 kt Sprengkopf hatten, also etwas präziser sein mussten.

Das System kostete Milliarden Dollar und wurde nach wenigen Jahren durch den ersten Abrüstungsvertrag START obsolet, der Raketenabwehrsysteme (ABM Systeme) verbot.

FOBS

Schon etwas früher kam man in der Sowjetunion auf eine tolle Idee. Man könnte sich doch einen Vorteil verschaffen. Eine ICBM durchfliegt physikalisch gesehen eine Bahn, die vom Erdmittelpunkt aus geht mit einem maximalen Punkt etwa 1.000 bis 1.300 km über der Erdoberfläche auf halber Distanz zwischen Startort und Einschlagsort. Die kürzeste Entfernung zwischen den USA und der Sowjetunion gibt es bei einem Flug über den Nordpol, der auch ziemlich genau in der Mitte liegt. Entsprechend bauten die USA Frühwarnstationen mit Radar in Polnähe, also in Alaska, Kanada und Grönland auf. Bedingt durch die hohe Entfernung zur Erdoberfläche tauchte eine ICBM schon kurz nach dem Start auf dem Radar auf und es gab durch die Frühwarnstationen rund 20 Minuten Vorwarnzeit. Jede Minute ist kostbar, man kann zum einen verifizieren ob es ein Angriff oder ein Fehlalarm ist, man kann aber auch die eigenen Raketen startfertig machen und Bomber aufsteigen lassen.

Die Kubakrise 1962 wurde dadurch ausgelöst, dass die UdSSR Raketen auf Kuba stationierten, direkt vor den USA mit entsprechender Verkürzung der Vorwarnzeit auf wenige Minuten. Die Raketen wurden abgezogen, aber die Idee bekam man in der russischen Führung wohl nicht aus dem Kopf und so entwickelte Russland die R-36 ICBM. Eine Rakete, die als normale ICBM eingesetzt werden konnte, aber auch den Sprengkopf in einen Orbit bringen konnte. Der Laie fragt sich, wofür ist das gut? Nun ein solcher Sprengkopf hätte nach dem Start die Erde nicht ganz umrundet, um von Süden kommend dann auf die USA zuzufliegen, also eher aus Richtung Mexiko kommend. Dort wäre er abgebremst worden und vor dem Vollenden eines Umlaufs aufgeschlagen. Das hatte zwei „Vorteile“. Das eine war das die USA im Süden ihres Territoriums keine Frühwarnstationen hatten. Das zweite war, das er in 200 km Höhe eine viel geringere Vorwarnzeit hatte von nur etwa 5 Minuten. Und bis er abbremste, war nicht mal sicher ob es sich nicht um einen „normalen“ Satelliten handelte. Der Nachteil ist, dass die zu erreichende Geschwindigkeit höher ist und man noch Treibstoff für das Abbremsen braucht. Die Rakete ist also zwangsläufig größer. Durch die längere Betriebsdauer leidet zudem die Zielgenauigkeit (Inertialsysteme, mit denen man den Ort feststellte, basieren damals auf schnell rotierenden Kreiseln, die haben durch die Reibung einen zeitlich sich vergrößernden Drift und GPS / Glonass gab es Ende der Sechziger Jahre noch nicht). Russland testete das FOBS-System ab 1965, stationierte ab 1969 die R-36 und musste sie dann als Folge des SALT-II Vertrages ab 1982 wieder abbauen. Den Namen FOBS bekam sie als Abkürzung für die Funktionsweise: Fractional Orbit Bombard System.

Bunker-Buster

Eine zweite Überlegung der sowjetischen Militärs galt es zu gewährleisten, dass man bei einem Erstschlag möglichst viele der gegnerischen Raketen ausschalten kann. (Als würden nicht wenige schon für eine Zerstörung der eigenen Zivilisation ausreichen) Nun gibt es seit langem panzerbrechende konventionelle Bomben, aber Bomben mit konventionellem Sprengkopf sind mit nuklearen nicht zu vergleichen. In konventionellen Bomben kann man Verzögerungszünder einbauen, die dafür sorgen das eine Bombe erst durch die kinetische Energie einen Teil der Armierung durchschlägt und dann erst explodiert. Eine nukleare Waffe wäre dann aber so zerstört worden, dass es wohl nicht zur Kernfission oder Kernfusion kommt. Normalerweise haben Nuklearbomben die höchste Sprengkraft, wenn sie in einiger Distanz über der Oberfläche gezündet werden, da die Hauptenergie in der Druckwelle steckt. Die Hiroshima Bombe wurde z.B. in 600 m Höhe zur Detonation gebracht. Gegen eine Druckwelle kann man Silos aber gut durch entsprechend dicke Beton- und/oder Stahlplatten schützen.

Was macht man da als sowjetischer Militär? Man baut eine Rakete die einen wirklich großen Sprengkopf transportieren kann, das die Druckwelle durch die hohe Sprengkraft trotzdem stark genug ist. Das war der Nachfolger der obigen R-36, die RS-36M. Sie war noch größer als die R-36 (Startgewicht bis zu 211 t) und es gab neben Varianten mit mehreren Sprengköpfen auch eine mit nur einem Sprengkopf. Nur ein Sprengkopf war als sie 1975 stationiert wurde eigentlich obsolet. Inzwischen setzte man nicht nur auf leichtere Sprengköpfe mit kleinerer Sprengkraft, weil die Zielgenauigkeit viel besser als in den Sechziger Jahren war, sondern auch auf mehr Sprengköpfe pro Rakete, die RS-36M konnte auch bis zu acht kleinere Atomsprengköpfe transportieren. Oder eben einen mit 18 bis 25 MT geschätzter Sprengkraft. Das löste bei den USA die Befürchtung aus, dass man mit einer solchen Sprengkraft vielleicht doch die Silos oder zumindest die Kontrollzentren zerstören könnte und führte zum nächsten Projekt:

Mobile Raketen

Ob eine Rakete mobil ist hängt primär von ihrer Masse ab. Raketen für kürzere Reichweiten waren schon früh mobil. Das wäre prinzipiell auch mit den Minuteman möglich gewesen, die seit Jahrzehnten die meisten landgestützten Raketen der USA stellen, man einschloss sich als sie in den Sechziger Jahren eingeführt wurden jedoch für eine Silostationierung. Auch das ist primär eine Frage der Steuerung und bei dem damaligen Stand der Elektronik war ein dauernd wechselnder Startort wohl nicht von der Avionik in die Berechnungen einbeziehbar. Mobil sind in jedem Falle Raketen auf U-Booten, auf denen die USA mehr Sprengköpfe als auf landgestützten Raketen stationiert haben. Daneben sind sie weniger verwundbar – ein U-Boot ist getaucht schwer aufspürbar und besser vor einem Einschlag geschützt als eine Rakete auf einem Laster.

Als nun die RS-36M stationiert wurde, könnten die USA das als das sehen was es in Wirklichkeit war – das Eingeständnis einer Schwäche Russlands. Aber Militärs denken anders. Die sehen immer Gefahren wobei ein Wort sehr häufig fällt, die „Lücke“ oder „Gap“, von Stanley Kubrik in seinem grandiosen Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ perfekt persifliert, es kommt ja dann sogar zur „Stollen-Lücke“. Also mit den RS-36M gibt es eine Lücke, es könnten ja die Minuteman bei einem Erstschlag zerstört werden. Kein Wort das Anfang der achtziger Jahre schon die USA mehr Sprengköpfe auf Atom U-booten als an Land hatten. Man musste was neues entwickeln, auf die einfache Lösung, eine Minuteman einfach mobil zu machen, kam man nicht. (Militärs denken selten logisch. Als sie in den Siebzigern ein Exemplar des damals als überlegen eingestuften Mig-25 Jägers ergatterten und dort anstatt Mikroelektronik Relais und Röhrenverstärker vorfanden, kamen sie nicht auf die Idee das die Sowjetunion technologisch hinterherhinkte sondern meinten, das wäre speziell gemacht um sich vor einem EMP zu schützen)

Es entstand die neue ICBM MX Peacekeeper. Wie immer beweisen die US-Militärs besonderes Feingefühl bei der Namensvergabe. „Peacekeeper“ suggeriert, dass die Gegenseite nicht den Frieden sichern will. Noch prekärer: „Peacemaker“ war der Name des populärsten Revolvers der Firma Colt der Wildwest-Ära, der bei uns und wahrscheinlich in der Sowjetunion auch für eine Zeit stand, in der man zuerst schoss und dann redete.

Doch damit man so was auch bauen kann, insbesondere wenn es schweineteuer ist, obwohl man 1.000 Minuteman stationiert hat, braucht man jemanden der strohdoof ist und dem man einreden kann, das es keine andere Lösung gibt, z.B. einem ehemaligen Schauspieler, der in B-Movies mitspielte und dem seine Berater Dinge erklären, indem sie ihm Filme zeigen und der meint wen er den Film „Rambo II“ sieht, das wäre die Wirklichkeit. (Psychologen haben herausgefunden, dass viele Menschen davor zurückschrecken Menschen zu wählen, die ihnen intellektuell überlegen sind, was den Wahlerfolg solcher Personen, wie auch der AfD für mich relativ gut erklärt). Tja dann machte das US-Militär aber die Rechnung ohne den Wirt, sprich den Kongress, der bewilligte zuerst gar keine Mittel, dann nur einen Teil und das auch nur, indem Minuteman dafür verschrottet wurden und den teuersten Teil, das mobile System wurde auch einkassiert.

So morgen geht es weiter mit den beiden Filetstücken, der Megabombe mit der Mega-Rakete und dem Krieg der Sterne.

One thought on “Splitter der MAD-Doktrin

  1. Safeguard wurde nicht wegen des START I Vertrages (und erst recht nicht wegen START II, wie es im Deutschsprachigen Wikipedia Artikel steht) wieder deaktiviert. Der Relevante Abrüstungsvertrag ist der ABM Vertrag von 1972. Der hat verboten das man mehr als zwei Systeme aufbauen durfte. Später wurde es dann sogar auf nur eines Reduziert. Die UDSSR hat ein ABM System rund um Moskauf aufgebaut und kontinuierlich betrieben, der USA war der Aufwand zum schutz der Minutman wohl zu hoch, so das sie das ganze erst mal wieder aufgegeben haben (aber mehrmals wieder neu angesetzt haben, aber das kommt wahrscheinlich in deinem Artikel morgen).

    Was du nicht klar schreibst ist das die MX Peacekeeper ursprünglich in Zügen oder LKW’s fahren sollten. Wurde aber wegen der nötigen Sicherheitsmaßnamen zu teuer. Die Sowjetunion (und jetzt Russland) machen das hingegen. Bei den in Zügen Stationierten ICBM ist dabei der Trick das diese in bestimmten „Bahnhofsgebäuden“ stehen und von dort schießen sollen. Es gibt aber deutlich mehr von den Gebäuden als von den Wagons/Raketen.

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