Eine Rakete für einen breiten Nutzlastbereich

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So, durch den Ausfall des Internets bei mir über eine Woche hat sich dann doch ein Rückstand angehäuft. So gibt es in den nächsten Tagen einige Artikel im täglichen abstand. Diesmal geht es um Clusterung und Booster.

Erneut ein Artikel, den ich gefühlt bestimmt schon einmal geschrieben habe, und zwar wie schon früher ein Grundlagenartikel. Es geht um eine relativ einfache Tatsache. Jede Rakete hat eine bestimmte Maximalnutzlast. Will man einen breiten Bereich von möglichen Nutzlasten (in dem Gewicht) abdecken, so braucht man viele Raketen – oder – darum geht es hier, man wandelt ein Basismodell ab. Alternativ – auch das kam vor – passt man die Nutzlast der Rakete an. Lange Zeit wogen die Kommunikationssatelliten just genauso viel wie die Maximalnutzlast der jeweils aktuellen Delta-Variante wog. Noch gängiger ist dies im militärischen Bereich. Die GPS-Satelliten waren auf die Maximalnutzlast der Delta 2 ausgelegt und die Keyhole Satelliten lagen immer im Bereich der Maximalnutzlast der jeweils eingesetzten Träger. Sie wanderten aber, als sie schwer wurden, von der Thor über die Atlas zur Titan.

Variation der Oberstufen

Die früheste Möglichkeit, die Rakete an die Nutzlast anzupassen gab es durch die Variation der Oberstufe. In der frühen Raumfahrt war die erste Stufe eine militärische ICBM oder Mittelstreckenrakete. Die Oberstufen mussten erst entwickelt werden und es gab davon anfangs viele. Also wurden verschiedene Oberstufen eingesetzt. Die Thor wurde mit der Agena und Delta-Oberstufe und im militärischen Bereich auch mit Oberstufen mit Feststoffantrieben eingesetzt. Die Atlas mit der Agena und Centaur und ebenfalls – erneut im militärischen Bereich mit festen Oberstufen. Dabei wurden in beiden Fällen Raketen gestartet die nach der Ausmusterung als militärische Träger überflüssig waren. Auf der Titan wurden Transtage und Agena parallel eingesetzt, später auch die Centaur und IUS.

Es gibt neben der Variation der maximalen Nutzlast noch einen zweiten Grund für mehrere Oberstufen: sie haben unterschiedliche Fähigkeiten. Die Transtage Stufe auf der Titan hatte eine lange Betriebszeit und konnte Satelliten direkt in den GEO bringen. Die Agena wurde dagegen meist für Transporte in den SSO eingesetzt.

Das Konzept finden wir auch in anderen Ländern. In Russland wurde lange Zeit die erste Oberstufe der R-7 der Block E (Wostok) parallel neben der moderneren Oberstufe Block I (Sojus, Molnija) eingesetzt. Immer dann wenn die Nutzlast leicht genug war, wurde Block E verwendet. Auf der Proton wurden bis zuletzt Block DM und Breeze parallel eingesetzt, obwohl beide vergleichbare Fähigkeiten hatten. Beide waren mehrfach zündbar und konnten theoretisch auch GEO-Missionen durchführen. Russland setzte Block DM aber nur für eigene Satelliten und GEO-Transporte ein und kommerzielle Starts nutzen ausschließlich die Breeze M.

China hat bis heute bei ihren Modellen mehrere Stufen parallel im Einsatz, auch bei neu entwickelten Modellen wie der Serie Langer Marsch 5 bis 8. In Europa kam die erste Oberstufe der Ariane 5, die EPS noch zum Einsatz, als das Nachfolgemodell ESC-A schon flog: die war wiederzündbar und für lange Betriebsdauer qualifiziert und kam so für die ATV-Starts und Galileo-Satelliten zum Einsatz, die beide Fähigkeiten erforderten.

Im Allgemeinen ist heute aber die Variation der Oberstufe unüblich, denn sie macht nur einen kleinen Teil der Startkosten aus, man verschenkt aber Nutzlast. Sinnigerweise passt man heute die Rakete der Nutzlast durch das zweite Konzept an: Booster

Booster

Im Englischen Sprachgebrauch ist das Wort Booster weiter gefasst und meint jede Rakete. So hieß in der NASA in der Missionskontrolle derjenige Ingenieur, der für die Rakete als Ganzes verantwortlich war, auch „Booster“. Bei uns versteht man unter „Booster“ aber zusätzliche Raketen, die an die erste Stufe montiert werden und mit ihr betrieben werden.

Der Nutzen ist relativ offensichtlich: Booster erhöhen die Raketenmasse, sie liefern zusätzlichen Schub, was die Aufstiegsverluste senken kann. Durch beide Maßnahmen steigt die Nutzlast. Was die Technologie angeht, gibt es die unterschiedlichsten Konzepte. Ein Booster kann flüssige oder feste Treibstoffe einsetzen. Er kann leicht oder schwerer als die Erststufe selbst sein. Die einzige Weltraumnation, die heute noch aktiv ist und keine Booster einsetzt ist Russland. Ansonsten sind sie weit verbreitet. Angefangen haben damit die USA bei den Thor Raketen. Inzwischen ist es normal Raketen zu entwickeln, die ohne Booster gar nicht abheben können. Sie sind damit keine Starthilfsraketen mehr, sondern Bestandteil des Gesamtsystems, unverzichtbar.

Es gibt aber Grenzen. Feststoffbooster werden sehr gerne eingesetzt, weil ihre technischen Nachteile sich hier kaum auswirken: sie können nicht vorzeitig abgeschaltet werden und ihr Schub ist sehr hoch, dafür die Brennzeit kurz. Sind Feststoffbooster aber sehr schwer, so resultiert eine unangenehme Beschleunigungsspitze am Schluss. International eingebürgert hat sich eine Maximalbeschleunigung von 5 bis 6 g also knapp unter 50 bis 60 m/s. Die Beschleunigung ist nicht so sehr das Problem, als vielmehr das die Rakete auch vibriert und zwar um so stärker je weniger Resttriebstoff vorhanden ist, der dämpft und somit steigen die Vibrationen mit der Spitzenbeschleunigung an. Das setzt meist die Obergrenze der Zahl der Booster, die eingesetzt werden kann. Ariane 6 könnte zum Beispiel keine 6 Booster einsetzen, weil dann die Spitzenbeschleunigung viel zu hoch wäre. Es gibt dann aber eine Lösung. Bei der Delta ab der 3xxx Serie war es normal, dass nicht alle Booster beim Start gezündet wurden, sondern einige erst nach Ausbrennen der ersten. Das ging, weil ihre Brennzeit mit knapp über einer Minute sehr kurz war. Sie lieferten so enorm viel Schub beim Start der ausreichte auch die weiteren Booster zu befördern, die erst später zündeten.

Bei der Titan 3 war dies nicht möglich. Hier lag die Brennzeit der Booster nur knapp unter der Brennzeit der bisherigen Erststufe Core 1. Um eine Beschleunigungsspitze zu vermeiden, sind die als Core 0 bezeichneten Raketen daher auch keione „Booster“ im engeren Sinn, sondern eine eigene Stufe: als einzige Rakete bisher zünden bei der Titan ¾ die Booster vor der Core 1, die erst zündet wenn in den Boostern der Treibstoff zu Ende geht.

Ein zweites skurriles Konzept des Boostereinsatzes gibt es bei der indischen GSLV Mark II. Als einzige Rakete weltweit setzt sie eine feste Zentralstufe zusammen mit Booster die mit flüssigen Treibstoffen angetrieben werden, ein. Sie ist daher vor den Boostern ausgebrannt. Da diese aber an der Zentralstufe hängen, wird beides erst nach Brennschluss der Booster abgetrennt.

Clustern

Eine spezielle Form des Einsatzes von Boostern ist das Clustern. Darunter versteht man, dass identische Raketen zusammen starten. Das Konzept ist nicht neu: im Prinzip basierte das Konzept der OTRAG darauf, massiv zu clustern, nicht einige wenige sondern Hundetee von einfachen Raketen. Die nächste Umsetzung war die Conestoga, die im Prinzip aus Castor IV Boostern mit einer Oberstufe bestand, aber nicht erfolgreich flog.

Erfolgreich eingesetzt wurde es dagegen bei der Delta IVH und später auch bei der Falcon Heavy. Das grundlegende Problem der Clusterung ist, dass ohne andere Maßnahmen alle Stufen dieselbe Brennzeit haben und damit es eine sehr hohe Beschleunigungsspitze zu Brennschluss gibt. Das ist wohl der Grund, dass es so lange dauerte, bis es eingesetzt wurde – die erste Delta 4H startete 2004. Dieses Problem muss gelöst werden. Es gibt drei Lösungsansätze, von denen aber nur einer eingesetzt wird. Der eingesetzte Ansatz ist es, das man das zentrale Triebwerk im Schub senkt. So hat es bei Brennschluss der äußeren beiden Stufen noch Resttreibstoff in der zentralen Stufe und die Beschleunigungsspitze zu Brennschluss ist geringer. Dazu benötigt man im Schub senkbare Triebwerke. Die Triebwerke der ersten Generationen waren das nicht. So verwundert es nicht das man so spät auf die Clusterung kam.

Die zweite Lösung ist das von Elon Musk angekündigte „Cross-Feeding“. Technisch gesehen zieht man Treibstoffleitungen zwischen den Stufen ein. Die zentrale Stufe verbrennt so den Treibstoff aus den Außenstufen. Bei zwei Boostern, wie bei der Falcon Heavy würde die Brennzeit der Booster auf 2/3 der Brennzeit ohne Crossfeeding absinken. Sind ihre Tanks leer werden sie abgetrennt. Die Zentralstufe hat dann noch volle Tanks. Technisch offeriert dies durch geringere Aufstiegsverluste noch mehr Nutzlast. Aber man muss Leitungen zwischen den Stufen legen, die auch bei Vibrationen flexibel sind und diese muss man präzise wieder verschließen und dann durchtrennen können. Das klingt nach viel Aufwand. So verwundert es nicht, das SpaceX dieses Konzept dann doch nie umsetzte.

Eine dritte Lösung zur Begrenzung der Spitzenbeschleunigung wurde für die Clusterung nie eingesetzt aber bei normalen Boostern, wäre für die Clusterung aber eine gute Lösung. Es ist das Weglassen von Treibstoff. Eingesetzt wurde es bei der Ariane 4 die auch ohne Booster starten sollte. Ohne Booster war die Ariane 4 eine Ariane 2, aber die erste Stufe war um rund 50 % verlängert worden, weil die Booster es erlaubten mehr Treibstoff zuzuladen. Ohne Booster könnte die Ariane 40 also gar nicht abheben. Wurde kein Booster oder nur zwei eingesetzt, so tankte man einfach nicht voll auf. Das klingt zuerst nach Verschwendung erhöhen die oberen Segmente der Tanks, die nicht genutzt werden doch das Leergewicht. Aber bei Raketen mit Treibstoffen hoher Dichte machen die Tanks nur einen kleinen Anteil an der Leermasse aus. Aktuelles Beispiel: Bei dem Starship sind es trotz der ungünstigen Wahl von Edelstahl als Material 80 t von 200 t Startmasse also nur 40 Prozent der Startmasse. Der Vorteil gegenüber einer ebenfalls möglichen Verlängerung von Tanks ist, dass man an der Produktion nichts ändern muss und sich vor allem an der Position der Anschlüsse für die Tankleitungen am Startturm nichts ändert.

Bei reinen Feststoffraketen kann man dagegen sogar darauf verzichten, dass auch die Zentralstufe zündet, dann werden aus den Boostern eigenständige Stufen. Das ist möglich, weil sie so viel Schub entwickeln, ihre Brennzeiten aber kurz sind. Die schon erwähnte Conestoga hätte vier Castor in der ersten Stufe, zwei in der zweiten und einen als dritte Stufe eingesetzt. Die sechs Castor der ersten beiden Stufen umgaben als Ring dazu den Castor der dritten Stufe. Auch das PPH-Konzept für die Ariane 6 geht in diese Richtung.

Feststoffraketen haben zwar Nachteile: sie haben einen niedrigen spe zischen Impuls, vergleichsweise hohe Leermassen, aber sie sind eben preiswert herzustellen, so machen Feststoffbooster bei der Ariane 64 etwa 50 Prozent des Startpreises aus, aber über 70 Prozent der Startmasse. Die bei einer Clusterung benötigte große Zahl senkt durch höhere Stückzahl weiter die Preise. Allerdings sehen wir weltweit einen Trend weg von Feststoffraketen wieder hin zu dem Einsatz von Triebwerken für flüssige Treibstoffe.

Morgen will ich mal zwei mögliche Clusterungskonzepte vorstellen.

6 thoughts on “Eine Rakete für einen breiten Nutzlastbereich

  1. Deinem Schluß zu den Kosten Feststoffbooster vs Flüssigkeitsbooster glaube ich nicht so wirklich. Ja er wird immer wieder genannt und er wird auch unter bestimmten Bedingungen passen oder gepasst habe. Im allgemeinen gehe ich aber davon aus das Flüssigkeitstreibwerke das Rennen um den günstigsten Startpreis gewinnen werden.

    – Sie sind leichter auf unterschiedliche Brenndauern anpassbar (Tank vergrößern deutlich einfacher als bei einer Feststoffrakete)
    – Sie sind besser für die Wiederverwendbarkeit geeignet
    – Die Treibstoffkosten sind (wenn nichts zu exotisches verwendet wird) günstiger
    – Typischerweise Stückzahlvorteil da mehrere Triebwerke an einem Tank betrieben werden können und Booster sowie Erststufe die selben Treibwerke verwenden können.

  2. Das ist das Problem mit dem Glauben, man sucht sich einfach aus was einem passt, egal ob es stimmt.
    Also im Regelfall sind Flüssigraketen deutlich komplexer als welche mit festen Treibstoffen. Alleine die Turbopumpen sind ein riesiger Kostenfaktor. Dazu kommen noch die ganzen Leitungen, Ventile, die Einspritzdüsen, die regenerativ gekühlten Düsen, die Treibstofftanks, alles was zur Lagerung und Betankung kryogener Treibstoffe dazugehört, etc.

    „– Sie sind leichter auf unterschiedliche Brenndauern anpassbar (Tank vergrößern deutlich einfacher als bei einer Feststoffrakete)“
    Warum, sollte das der Fall sein? Die anspruchsvoll zu fertigenden Tanks inkl. Verrohrung und Isolierung zu verlängern ist sicher nicht günstiger als Hülle und Treibstoff beim Feststoffbooster. Dazu kommt noch, dass Düse und Turbopumpe evtl. für die längere Betriebsdauer angepasst werden müssen.

    „– Sie sind besser für die Wiederverwendbarkeit geeignet“
    Da bin ich mir gar nicht so sicher. Wurde ein Feststoffbooster schon einmal neu befüllt und gestartet? Müsste aber durchaus möglich sein, solange die Rakete für die Wiederverwendung generell etwas robuster ausgelegt wird. Das Problem dürfte sein, den gesamten Booster auf minimale Schäden abzusuchen. Aber bei Raketen mit flüssigen Treibstoffen muss ja auch das ganze System durchgecheckt werden.

    „– Die Treibstoffkosten sind (wenn nichts zu exotisches verwendet wird) günstiger“
    Also ist flüssiger Sauerstoff für dich schon exotisch? Zu den Kosten für den Treibstoff kommt noch der Aufwand zur Lagerung, Transport und Betankung.

    „– Typischerweise Stückzahlvorteil da mehrere Triebwerke an einem Tank betrieben werden können und Booster sowie Erststufe die selben Treibwerke verwenden können.“
    Das gilt doch für beide Antriebsarten. Ob ich jetzt mehr Feststoff- oder mehr Flüssigtriebwerke montiere.
    Tatsächlich ist das eher ein Steckenpferd der Feststoffbooster. Sie sind einfacher und eben günstiger in Serie zu fertigen.

    1. Mir fällt gerade wieder ein:
      Wurden die Space Shuttle Booster nicht sogar wiederverwendet oder war das nur immer geplant? Bin mir da gerade nicht mehr sicher.

    2. Das Problem ist das man gerade bei den Kosten nur schwer vergleichbare Zahlen findet.

      Die Anpassung der Tankgröße ist bei einer Flüssigkeitsrakete deutlich einfacher. Im einfachsten Fall muß man nur Tanks und ein paar Leitungen verlängern. Ja, oft wird man noch Strukturell ein bisschen tun müssen und so weiter. Aber, das gute ist. Am Triebwerk an sich änder sich erst einmal nichts. Der übergabepunkt zwischen Tank und Treibwerk ändert sich ja nicht. Bei einem Feststofftriebwerk hingegen hängt alles zusammen. Man benötigt wieder eine komplett andere Form des Abbrandbereiches damit der Druck nicht steigt und die Brenndauer steigt.

      – Zur Wiederverwendbarkeit. Das Thema ist aber das bei einem Feststofftriebwerk ein deutlich größer Anteil der kosten im Treibstoff liegt als bei einer Flüssigkeitsrakete. Das macht eine Wiederverwendbarkeit finanziell weniger lohnend.

      – Zu Treibstoffkosten
      Welchen Anteil der an den Startkosten das haben Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff bei den Kosten z.B. eines Ariane 6 Starts? Ich gehe von vernachlässigbar aus. Bei Methan oder Kerosin sieht es ähnlich aus. Bei einem Feststoffbooster sind die Stoffe weiter verarbeiter daher teurer. Das Giesen in den Booster ist ebenfalls eine hochkritische, schwierige Aufgabe. Es darf keine Blasen geben. Ja man hat danach dann den Vorteil das man den Booster mehr oder weniger einfach irgendwo hin stellen kann bis man ihn braucht. Der Transport ist aber wieder viel schwieriger. Der Booster ist Explosionsgefährdet und sehr schwer und groß. Bei einem Flüssigkeitsrakete hat man einmal die große aber leichte Rakete. Und dann mindestens zwei Flüssigkeiten die man in normaler LKW Größe teilen kann. Dazu auch in Pipelines transportieren kann. Die Komponenten einzeln sind auch nicht so explosions/brandgefährlich wie die Brennmasse einer Feststoffrakete.

      – Zur Stückzahl
      Ja natürlich kann man auch viele Feststoffbooster verwenden. Aber das Leergewicht ist gerade bei kleinen Feststoffbootstern relativ hoch.

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