Microsoft und das Altair BASIC (1)
Ich habe ja euch schon die Geschichte des ersten „PC“, des Altairs 8800 in zwei Teilen erzählt. Eng damit verwoben ist die Entstehung von Microsoft. Zeit auch diese Geschichte mal zu erzählen.
Die beiden Kernfiguren sind Paul Allen, der 2018 starb und Bill Gates. Die Geschichte geht auch etwas weiter in die Vergangenheit zurück, Allen und Gates kannten sich schon als Schüler an der Lakeside High School, wo sie das Privileg hatten über ein Time-Sharing System programmieren zu können – wir reden hier von den frühen Siebziger Jahren und da war dies auch in den USA nicht selbstverständlich. Beide hatten auch schon an der Schule eine Firma: Sie bauten ein System auf Basis des 8008 Prozessors, des Vorgängers des 8080 zusammen und dieses bestimmte den Verkehrsfluss indem Messstreifen in den Straßen jeweils einen Kontakt abgaben, wenn ein Auto darüber fuhr. Diese Daten bereiteten sie auf und verkauften sie an die Stadt die das für die Verkehrsplanung benötigte.
Als sie im Dezember 1974 die Januarausgabe von Popular Electronics sahen, kauften sie sich ein Exemplar und nach Gates erkannten sie beide, dass nun die „Mikrocomputerrevolution“ beginnen würde und sie ein Teil davon sein wollten. Damals war Bill Gates Student an Harvard – sein Vater war Anwalt und er drängte seinen Sohn ein Studium aufzunehmen das in Richtung Wirtschaft ging. Paul Allen aus weniger reichem Haus arbeitete bei Honeywell, einem Computerhersteller.
Nach zwei oder drei Tagen der Diskussion riefen sie bei MITS an. Sie bekamen gleich Ed Roberts, den Firmenchef ans Telefon. Bill Gates versprach in drei bis vier Wochen ein BASIC für den Altair zu programmieren, sie hätten es schon, müssten es nur an den Altair anpassen. Das war eine glatte Lüge. Sie waren aber nicht die einzigen, nach Roberts Aussage versprachen etwa 50 Leute für den Altair Software zu entwickeln, die meisten die Programmiersprache BASIC. Bill Gates schickte dann etwas später noch einen Brief zu MITS, in dem er das telefonisch Gesagte schriftlich bestätigte. Der Brief stammte noch von seiner ersten Firma, und die hatte keine Firmenadresse, sondern die Adresse der Lakeside High-School. Als dort Roberts anruft, kannte niemand Bill Gates und er dachte an einen Scherz von Schülern. Später dürfte ihm und den MITS Mitarbeitern aber klar geworden sein, das die beiden es ernst meinten. Denn für die Ein-/Ausgabe benötigten Bill Gates Informationen. Das normale Ein-/Ausgabegerät war ein ASR-33 Fernschreiber. Sie mussten wissen wie dieser angesprochen wird, in Popular Electronics wurde nur die CPU und RAM-Karte beschrieben, keine der Ein-/Ausgabekarten.
Doch das war eines der kleineren Probleme. Das Hauptproblem war: Sie wollten Software für einen Rechner schreiben, den es noch gar nicht gab. Sie erhielten nicht von MITS einen Altair für die Entwicklung. Sie hatten auch nicht das Geld ein Intel Entwicklungssystem für den 8080 Prozessor zu kaufen. Sie mussten ohne einen 8080 Prozessor zu haben, ein Programm für den 8080 Prozessor schreiben. Das ging mit einem Emulator. Paul Allen schrieb nach der Arbeit und Nachts bei Honeywell einen Emulator auf einer PDP-10, einem Großrechner von Digital Equipment. Bill Gates besorgte sich ein Handbuch der Assemblersprache des 8080 Prozessors und schrieb den Code für das BASIC. Der Emulator lief dann auf einer PDP-10 der Harvard Uni, die eigentlich ein DARPA Rechner war, also ein militärischer Rechner. Beide haben nach eigener Aussage acht Wochen lang pro Tag rund 20 Stunden an dem BASIC gearbeitet.
Warum BASIC? Es gab damals schon etliche Programmiersprachen. BASIC wurde als Lehrsprache etwa 10 Jahre vorher von Kenemy und Kurz erfunden und lehnte sich an FORTRAN an. Der Charakter als Lehrsprache war ein Vorteil, so konnte man die Grundlagen leicht verstehen, als ich meinen ersten Rechner 1982 kaufte, habe ich das BASIC Handbuch mit Beispielen in einem Wochenende durchgearbeitet. Vor allem aber benötigte das System wenig Platz. BASIC ist eine interpretierende Sprache. Das Gegenstück ist eine compilierte Sprache. Für diese braucht man einen Editor um den Quelltext zu erstellen und einen Compiler um ihn zu übersetzen und natürlich ein Betriebssystem unter dem beide laufen. Bei BASIC startet der Interpreter direkt und ist auch das Betriebssystem. Wer mal einen Heimcomputer hatte erinnert sich noch an das Prompt – meist „Ready“ und das man dann nur BASIC Befehle eingeben konnte. Selbst für das Starten eines Programms oder Spiels musste man zumindest einige BASIC-Befehle kennen.
Der Altair in Popular Electronics hatte 256 Byte Speicher, erweiterbar auf 1 KByte. Das reichte nicht mal für minimales BASIC. Bill Gates reduzierte den Sprachumfang auf 20 Schlüsselworte, so gab es für Ein-/Ausgabe nur die Befehle Print und Input. Er war auch tatsächlich nach drei bis vier Wochen fertig, brachte aber dann nochmals genauso viel Zeit damit zu es kleiner und schneller zu machen. Nach eigener Aussage ist das das coolste Programm, das er je geschrieben hat und er ist besonders stolz darauf. Es passte schließlich in 4 KByte Speicher und lies noch 750 Bytes für Programme übrig. Was auf jeden Fall mir Respekt abnötigt ist das sie eine Software für einen Rechner entwickelten, der überhaupt noch nicht existierte und sie hatten nicht mal den Prozessor, auf dem er basierte zur Verfügung.
Im März 1975 sind sie fertig. Außer Bill Gates und Paul Allen ist noch ein Dritter beteiligt: Monte Davidoff, Student an Harvard bekommt von dem Projekt Wind und schreibt die mathematischen Routinen, für die Gates und Allen keine Lust haben. Paul Allen fliegt nach Albuquerque dem Firmensitz von MITS. Er mietet sich im teuersten Hotel der Stadt ein, muss sich aber von Roberts Geld leihen um die Rechnung zu zahlen. Auf dem Weg zum Flugplatz fällt beiden ein, dass sie zwar das BASIC programmiert haben, aber vergessen haben den Bootloader, also das Program, das den BASIC-Interpreter einliest und startet zu programmieren. Das holt Allen auf einigen Seiten Papier während des Flugs nach.
Am nächsten Tag kommt Allen zu MITS und ist enttäuscht. Er dachte es wäre eine große Elektronikfirma und MITS ist immer noch klein, hat einige Ingenieure. Die Firma kämpft noch mit Problemen die Altairs zuverlässig zu bekommen. In einem Raum laufen unzählige Altairs, um sicher zu gehen, das sie nicht bald nach Auslieferung ausfallen. Er wird zu einem besonderen Exemplar gelotst. Dieser Altair hat einen Speicher von 7 KByte und ist an einen Fernschreiber angeschlossen, verfügt also über mehr Speicher und ein Ein/Ausgabemedium Er legt den Papierstreifen – damals ein gängiges Speichermedium – in den ASR-33 Fernschreiber ein (der kostet das vierfache eines Altairs), tippt den Bootcode am Altair ein und das Programm lädt. Als sich BASIC meldet, tippt er „Print 2+2“ ein und erhält die Antwort „4“. Mehr ist über diese erste Sitzung nicht bekannt, obwohl man sicher annehmen kann das noch mehr ausprobiert wurde. Später besorgt er sich ein das Buch „101 Basic Computer Games“ und tippt das Spiel „Lunar Lander“ ein.
Danach fliegt Allen zurück und die beiden feiern. Danach geht es erst mal wieder zurück zur Tagesordnung. Bill Gates bekommt sehr bald Ärger, weil die Administratoren der PDP-10 feststellen, dass er Rechenzeit im Wert einiger Tausend Dollar verbraucht hat. Gates hat Glück, es gibt keinen Passus in den Richtlinien, die das verbieten. Ein halbes Jahr später wird die Vorschrift angepasst und wenn nun jemand ein kommerzielles Produkt entwickelt, muss Harvard an dem Gewinn beteiligt werden. Bill Gates muss nun Rechenzeit von einem Bostoner Timesharing Unternehmen einkaufen.
Ed Roberts erkennt die Bedeutung von BASIC. Was er verkauft ist die nackte Hardware. Anders als die bisherigen Kits von Tischrechnern ist der Altair ohne Software völlig nutzlos. Ein heutiger Vergleich wäre wenn sie einen Computer ohne Betriebssystem kaufen. Gut, sie können heute ein Linux oder Windows von einem USB-Stick aufspielen, aber damals ging das nicht. Sie müssten Linux selbst schreiben wobei sie aber wohl zuerst mal ein Programm schreiben müssten, damit sie überhaupt programmieren könnten, einen Assembler. Mich wundert bis heute, das für den Altair das BASIC vor dem Assembler erschien. Kurz: das BASIC, das später „Altair BASIC“ heißen wird ist das Pfund, mit dem MITS wuchern kann. Es macht den Rechner zu einem nützlichen Werkzeug. Zudem bringt es weiteres Einkommen: man braucht Speichererweiterungskarten: im September 1975 kostete nach einer Anzeige in „Byte“ eine 1 KByte Karte 97/139 und eine 4 K DRAM Karte 264/339 Dollar (jeweils Kit oder fertig zusammengebaut). Zwei 4 K Karten oder 7 x 1 K Karten, wie beim Vorführexemplar, überstiegen somit den Preis der Basisausstattung. Im April 1975 vermeldet MITS das das Altair BASIC läuft. Es ist aber noch eine Vorversion.
Ed Roberts stellt Paul Allen, den er bisher als einzigen persönlich kennt als Software-Direktor an. Genauer gesagt: Allen ist der einzige, der Software bei MITS macht. Bill Gates kehrt dagegen zu der Uni und seinen Pokerrunden zurück, der wichtigsten Freizeitbeschäftigung die er nachging. Kurze Zeit darauf gründeten die beiden die Firma Micro-Soft als Abkürzung von Microcomputer und Software, der Trennstrich wurde dann aber bald aus dem Namen gestrichen. 40 % der Anteile bekam Paul Allen, 60 % Bill Gates. Die Aufteilung resultiert, weil Gates am 4 K Basic mehr arbeitete, Allen musste ja tagsüber noch bei Honeywell arbeiten. Das war im Nachhinein günstig für Bill Gates, weil seine komplette Beteiligung an der Firma aus acht Wochen Arbeit resultierte, während Paul Allen nun in Albuquerque – an einem echten Altair – eine weitere Version von BASIC programmierte, genannt „8 K Basic“ weil sie 8 KByte Speicher erforderte und dann noch 1.750 Byte für Programme übrig ließ.
Im Sommer kam Bill Gates in den Semesterferien wieder nach New Mexiko, brachte zwei Freunde von der Lakside-School mit, die ebenfalls programmierten. MITS fuhr mit dem MITS-Mobile durch die Staaten, einem blau angestrichenen Caravan von Ed Roberts. Es war ein mobiles Marketing-Instrument. Zum einen sollten Ingenieure von MITS Käufern Hilfsstellung geben wenn Altairs nicht funktionierten. Zum anderen sollte der Rechner bekannt gemacht und verkauft werden. Interessierte sahen hier funktionierende Altairs mit mehr Speicher, Fernschreiberanschluss und laufendem BASIC. Das waren nun nützliche Maschinen, anders als die in Popular Electronics vorgestellte Basisausstattung. Es wurde meist neben Unis gestoppt, weil die meisten Käufer an einer Uni arbeiteten oder studierten. Bei einem Stopp beim Motel Rickey’s Hyatt House bei Palo Alto schnappte sich jemand den Papierstreifen, lief zum Unicomputer der Uni von Palo Alto und kopierte ihn. Beim nächsten Treffen des hiesigen Computerclubs – die entstanden damals landesweit, weil – ohne Internet oder auch nur BBS – es die einzige Möglichkeit war, das sich Computernerds organisierten – lag da eine Schale mit 50 kopierten Papierstreifen der Vorversion des des 4K BASICs. Diese Kopien machten bald die Runde von Computerclub zu Computerclub.
Bill Gates kehrte im Herbst zurück nach Harvard, brachte sein zweites Jahr an der Uni zu Ende und brach dann das Studium erneut ab und zog zu Paul Allen nach Albuquerque. Der musste inzwischen, weil MITS einen Altair 680 auf Basis des 6800 Prozessors von Motorola heraubringen will, das BASIC adaptieren. Danach folgte eine 12 K Version, genannt „Extended BASIC“ und da MITS 8 Zoll Diskettenlaufwerke einsetzen wollte noch das „Disk BASIC“.