Die glorreichen 10 – Rekorde im Sonnensystem (2)
So weiter geht es mit den Extremen im Sonnensystem, eigentlich einer nett verpackten geschichte der Entstehung des Sonnensystems. Teil 1 erschien gestern. An diesen Beitrag schließt dieser Blog an.
Platz 5: Jupiter, der Staubsauger im Sonnensystem
Jupiter liegt jenseits der Eislinie. Das ist in der Astronomie eine Grenze bei der Wasser nicht mehr gasförmig sein kann, sondern fest, und sich so zu Eiskristallen, Schneebällen und schließlich Himmelskörpern aggregiert. Die Grenze ist variabel, je nach Albedo eines Körpers, aber auch der Sonnenaktivität, die im Laufe der Jahrmilliarden zunimmt. Als äußerste Grenze gelten bei unserem Sonnensystem 3,2 AE, Jupiter ist 5,2 AE entfernt.
Damit steht für Jupiter viel mehr Material zu seiner Bildung zur Verfügung. Neben Silikaten eben Wasser in Form von Eis. Sobald Jupiter eine bestimmte Größe hatte, konnte er durch seine Gravitation auch Gase binden – am häufigsten im solaren Urnebel ist der Wasserstoff, dann folgt Helium. Alle schwereren Elemente machen zusammen weniger als ein Prozent der Häufigkeit von Wasserstoff und Helium aus. Damit ein Planet die leichten Gase Wasserstoff und Helium binden kann, muss er sehr massereich sein – ein Gasatom oder Molekül hat abhängig von Masse und Temperatur eine mittlere Geschwindigkeit. Aber dies ist eben das Mittel, einige Moleküle können viel schneller sein und wenn ihre Geschwindigkeit höher als die Fluchtgeschwindigkeit des Planeten ist, dann verliert er sie. Die Erde kann Wasserstoff und Helium nicht halten. Wasserstoff der durch UV-Spaltung von Wasser entsteht, geht genauso verloren wie Helium das nur nur aus dem radioaktiven Zerfall von Elementen entsteht. Daher ist das Gas auch relativ teuer.
Der Jupiter konnte beide Elemente binden und wurde so schnell immer größer und immer massereicher, womit er noch mehr Materie band bis er schließlich seine ganze Region freigeräumt hatte. Das trifft nicht nur auf Jupiter selbst zu, sondern auch seine Monde. Anders als Saturn und Uranus hat Jupiter keine „mittelgroßen2 Monde, sondern nur vier große und etliche eingefangene Asteroiden. Auch die vier galileischen Monde – zwei sind davon größer als Merkur und drei größer als der Erdmond – haben so viel Material aufgenommen, das für kleinere Monde von 500 bis 1.500 km Größe wie sie bei den anderen äußeren Planeten vorkommen, keines mehr übrig blieb.
Jupiter hat so viel Wasserstoff, das im Inneren der Druck so hoch ist, das ein Wasserstoffatom ihr Elektron abgibt. Freie Elektronen bewirken aber einen elektrischen Strom und dieser wiederum induziert ein Magnetfeld. Jupiters Magnetfeld ist nach der Sonne das stärkste im Sonnensystem. Wie unser Magnetfeld fängt es so die Teilchen des Sonnenwindes ein. Der entstehende Strahlengürtel ist so stark, dass ein Mensch nicht mal eine kurze Durchquerung überleben könnte. Selbst Raumsonden, die auf die 25-fache Dosis ausgelegt sind, die für einen Menschen tödlich ist, brauchen für die Elektronik eine zentimeterdicke Titanhülle und dürfen sich trotzdem nur kurzzeitig bis auf den Orbit von Europa nähern. Darunter steigt die Strahlung rasch an, weshalb Io als innerster großer Mond bisher nur sporadisch besucht wurde.
Platz 4: Saturn – der leichteste
Die Dichte der solaren Urwolke nimmt aber mit der Entfernung ab. Zum einen, weil durch die Gravitation die Materie zum Zentrum strömte – in der Sonne stecken über 99 % der Materie des Sonnensystems – und zum anderen, weil sie sich auf einen immer größeren Radius verteilte. Saturn entstand so wie Jupiter, aber in der Region, in der er sich bildete, gab es schon weniger Material. Beide haben fast denselben Durchmesser, aber Saturn hat 95 Erdmassen und Jupiter 318. Das hat Folgen. Den Wasserstoff mit metallischen Eigenschaften hat der Saturn nicht, der Druck reicht dazu nicht aus. Der Druck reicht auch nicht aus, um die Gase stark zu komprimieren. Die mittlere Dichte von Saturn ist daher kleiner als die von Wasser. Gäbe es einen riesigen Ozean aus Wasser, der Saturn würde darin schwimmen, alle anderen Planeten dagegen untergehen. Jupiter schrumpft auch noch weiter, er gibt dadurch mehr Wärme ab als er von der Sonne erhält. Saturn tut dies schon lange nicht mehr. Die geringere Gravitation kann auch die Fliehkraft durch die Eigenrotation in etwas über 10 Stunden nur bedingt kompensieren. Der Planet ist dadurch sichtbar abgeplattet – der Äquatorradius ist 10 % größer als der Polradius. Bei den anderen Gasplaneten wie Jupiter ist diese Abplattung sehr viel geringer.
Platz 3: Uranus, der gekippte
Zwei Planeten fallen mit ihrer Eigenrotation auf. Die Venus durch ihre retrograde Rotation und der Uranus weil die Rotationsachse gekippt ist. Gäbe es keine Kollisionen, so würde die Rotationsachse eines Planeten senkrecht zur Bahn stehen. Jupiter der sehr schnell wuchs, kommt diesem Ideal am nächsten. Merkur interessanterweise auch, ebenso die Venus, aber durch die retrograde Rotation wären es bei ihr eigentlich 177 Grad. Bei den anderen Planeten sind die Rotationsachsen um 23 bis 30 Grad geneigt. Bei Uranus ist die Rotationsachse dagegen um 98 Grad geneigt, das heilt sie verläuft annähernd parallel zur Bahnachse. Bei Uranus schauen also die Pole in die Bahnrichtung. Dadurch haben sich bei Uranus die Bedeutung von Tag und Jahr vertauscht: Ein Umlauf dauert 84 Erdjahre. Ein Pol ist ungefähr die Hälfte der Zeit voll beleuchtet und liegt die weitere 42 Jahre im Schatten. Nur zur Zeiten der Sonnenwende gibt es für kurze Zeit eine Situation, in der der ganze Planet beleuchtet wird. Ein solcher Zeitpunkt ist für eine Raumsonde, die den ganzen Planeten und seine Monde untersuchen will, natürlich der ideale. Als Voyager 2 den Uranus passierte, war aber gerade die Wintersonnenwende vorbei und so konnte die Sonde von allen Monden maximal die Hälfte der Oberfläche erfassen. Den nächsten Zeitpunkt einer Sonnenwende – 2006/7 hat man verpasst, die nächste Chance gäbe es dann 2048/49.
Wie Uranus zu dieser Verschiebung der Rotationsachse kommt, ist nicht endgültig geklärt. Nach der gängigen Theorie wurde er wie die Venus von großen Protoplaneten getroffen , welche die Rotationsachse verschoben. Da auch alle Monde in dieser Ebene rotieren ,muss dies sehr früh gewesen sein. Das Innere scheint die Kollision weniger stark getroffen zu haben, denn das Magnetfeld ist um 60 Grad zur Rotationsachse geneigt, bei den anderen Planeten beträgt die Abweichung der Magnetfeldachse zur -rotationsachse nur wenige Grad. Nach Computersimulationen müssten es mindestens zwei Einschläge von Körpern mit mindestens zwei Erdmassen sein, um die Verschiebung der Rotationsachse zu erklären.
Platz 2: Neptun, der letzte Eisriese
Neptun und Uranus bezeichnet man als Eisriesen. Ihre obere, beobachtbare Atmosphäre besteht aus Wasserstoff, Helium und Spuren anderer Gase, aber die meiste Masse macht Eis aus. Der innerste Kern kann aus Gestein bestehen. Das zeigt den Trend auf, den schon Saturn vorgebt: die protosolare Scheibe wird nach außen hin immer dünner. Obwohl in Neptuns Distanz der Sonnenwind weniger stark ist und so langsamer das Gas wegweht und auch die Wärmestrahlung der Sonne das Gas nicht so erwärmt, dass es aus der Wolke entkommen kann, können die Protoplaneten in dieser Region nicht mehr so viel Material aufsammeln und bleiben kleiner. Wenn, dann ist ihr Baumaterial eben Eis und nicht Gase, die bei Jupiter und Saturn der Großteil der Masse bilden.
Neptun hält auch einen anderen Rekord: Der Mond S/2021 N 1 ist der Mond, der die längste Umlaufszeit aller bekannten Satelliten hat. Zwischen 28 und 71 Millionen km vom Planeten entfernt, hat er eine Umlaufsdauer von 27 Jahren. Das liegt daran, dass Neptun die ausgedehnteste Einflusssphäre hat. Es gibt zwei Definitionen der Einflusssphäre. Die erste auch Sphere of Influence (SOI) genannte, ist die Umgebung in der man den Gravitativen Einfluss eines anderen Himmelskörpers (bei Planeten: die Sonne) bei Berechnungen vernachlässigen kann. Diese Einflussphäre hat bei der Erde einen Radius von 925.000 km. Die zweite Definition, die der Hill-Sphäre ist die, wo sich die gravitativen Einflüsse von Sonne und Planet aufheben, bei der Erde ist das in 1,5 Millionen km Distanz der Fall. Uranus hat einen SOI Radius von 86,7 Mill. Km, deutlich mehr als Jupiter, Saturn und Uranbus die um 50 Mill. km liegen. Der Radius der Hill-Sphäre liegt sogar bei 114 Mill. km. Der Unterschied ist: erst in der Hillsphäre besteht die Gefahr das ein Körper von einer Kreisbahn um den Planeten auf eine Sonnenumlaufbahn wechselt, aber schon außerhalb der Einflussphäre (SOI) kann die Sonne die Bahnen stören, sodass man ihren Einfluss für die genaue Bahnberechnung schon berücksichtigen muss.
Man hat in den letzten Jahren durch automatisierte Auswertungen von Fotos und empfindliche Kameras immer mehr irreguläre Monde in stark elliptischen, weit hinausreichenden Bahnen in allen möglichen Bahnneigungen entdeckt. Jupiter hat 97 bekannte Monde, Saturn 275, Uranus 28 und Neptun 16. Das die beiden äußeren Planeten so wenige (bekannte) Monde haben liegt nicht nur an ihrer kleineren Masse, sondern Monde fallen bei ihnen, weil sie weiter entfernt sind nicht so auf, bewegen sich langsamer und sind lichtschwächer. Zum Vergleich, als ich mich vor knapp 45 Jahren für Astronomie interessierte hatte Jupiter noch 14, Saturn 10, Uranus 5 und Neptun 2 Monde.
Platz 1: Kometen und KBO, die letzten Körper im Sonnensystem
Ebenfalls durch automatisierte Suchprogramme sind seit den Neunziger Jahren viele weitere Asteroiden jenseits des Neptuns entdeckt worden. Die Zone wurde schon vor Jahrzehnten von dem Astronomen Kuiper vorhergesagt und heißt denn auch Kuipergürtel und die Asteroiden dort KNO für Kuiper Belt Objects. Man kann auch im Kuipergürtel Familien ausmachen, also Körper mit ähnlichen Bahnen, so gehört Pluto zu einer Familie deren Bahnen eine 3:2 Resonanz mit Neptun haben.
Die Bahnen können seit weit nach außen reichen. Der rund 1.000 km große Asteroid Senda hat z.B. eine Umlaufbahn mit einem Perihel von 76,369 AE und einem Aphel von 1006,894 AE. Zum Vergleich, Voyager 1, die derzeit am weitesten entfernte Raumsonde hat während ich dies schreibe gerade mal 166,7 AE erreicht. Er braucht über 12.600 Jahre um die Bahn zu durchlaufen und wurde vor allem deswegen entdeckt, weil er derzeit nahe des Perihels ist, das er 2075 erreicht. Exzentrische Umlaufbahnen und auch hohe Bahnneigungen sind die Regel, das spricht dafür das diese Körper sehr ursprünglich sind, also ihre Bahn nicht durch nahe Vorbeiflüge an Planeten verändert wurden. Für Pluto trifft das nicht zu, dessen Bahn hat nur eine geringe Neigung zur Ekliptik und ist zwar elliptisch, aber weitaus weniger extrem als die anderer Körper.
Neptuns einziger großer Mond Triton ist wahrscheinlich ein KBO, denn er rotiert retrograd und stark geneigt zu Neptuns Äquator. Alle anderen planetennahen Monde, die mit den Planeten entstanden rotieren prograd und in der Äquatorebene. Triton wie auch Pluto zeigen deutliche Anzeichen von Kryovulkanismus, denn man vorher so weit außen im Sonnensystem nicht mehr erwartete.
Noch weiter draußen bis in 1 Lichtjahr Distanz soll sich die Oortsche Wolke befinden. Körper in ihr sind nur lose gravitativ an die Sonne gebunden, Planeten beeinflussen ihre Bahn schon gar nicht mehr. Interstellare Störungen, wie ein vorbeiziehender Stern oder eine nahe explodierende Supernova können sie durch ihre Anziehung aus ihren bahnen werfen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten – sie verlassen das Sonnensystem oder sie stürzen in Richtung Sonne. Bis sie dort ankommen brauchen sie wegen ihrer anfangs geringen Geschwindigkeit aber sehr lange, Tausende bis Millionen Jahre. Sie bestehen aus Eis und darin eingeschlossenen Gasen, das bei Erwärmung verdampft und dann bilden sie einen Kometenschweif aus.
Auch die Zahl der bekannten Kometen hat sich ebenfalls explosionsartig vergrößert. Bisher erkannte man nur Kometen die hell am Nachthimmel aufleuchteten, Kometen die tagsüber am Himmel waren konnte man nicht sehen. Als Entdecker entpuppte sich ausgerechnet eine Sonnenmission: der ESA-NASA Satellit SOHO hat einen Koronografen an Bord, der die Sonnenscheibe abdeckt und die solare Corona beobachtet. Regelmäßig durchfliegen Kometen das Blickfeld oder schlagen auf der Sonne auf. Schon Ende November 2020 waren es 4.000. Da es durchschnittlich drei pro Woche sind dürfte Ende 2027 der 5.000-ste fällig sein.
Immer wieder faszienierend, unser Sonnensystem. Danke vielmals fuer die Reihe Bernd. Vor allem Saturn und Jupiter sind und waren immer meine Favoriten. Einige details ueber die Interaktion von Juptier mit dem Asteroidenguertel waren sogar noch neu fuer mich.
Danke vielmals