Gravitationsverluste

Was sind Gravitationsverluste? Nein, das sind nicht Frauen mit Hängetitten oder die Kosten für Brust-Ops. Es ist ein Fachbegriff aus der Raumfahrt. Er ist eigentlich falsch gewählt, denn natürlich geht nichts verloren. Es ist vielmehr so, dass Energie in eine Form umgewandelt wird, die nicht gewünscht ist.

Wovon wir sprechen sind Bewegungen in einer Bahn um einen Himmelskörper. Jeder Körper hat dabei zwei Energieformen die bei Bewegungen ineinander umgewandelt werden:

  • Potentielle Energie, definiert als Hubarbeit im Gravitationsfeld. Je weiter ein Körper vom Erdmittelpunkt entfernt ist, um so höher ist die Hubarbeit. Um eine Höhenforschungsrakete z.B. nur senkrecht gegen die Erdbeschleunigung anzuheben braucht man eine Menge Energie. Die gewonnene Energie wird beim Fall wieder frei.
  • Kinetische Energie in Form von Geschwindigkeit.

Bei einer Satellitenbahn sind wir vor allem an der kinetischen Energie interessiert. Sie muss hoch genug sein um einen Orbit zu erreichen. Wenn er elliptisch ist nimmt sie ab, wenn der Körper sich weiter von der Erde entfernt. Gleichzeitig nimmt die potentielle Energie zu, weil er weiter vom Erdmittelpunkt entfernt ist. Es wird also eine Energieform in eine andere umgewandelt.

Wenn nun ein Orbit verändert werden soll, so ist dies am effektivsten wenn ein möglichst kurzer Schubimpuls am niedrigsten Punkt der Bahn erfolgt (wenn der erdfernste Punkt angehoben werden soll) oder am erdfernsten Punkt (wenn der erdnächste Punkt  angehoben werden soll). Dafür gibt es zwei Gründe. Das eine ist, dass nur in diesen Punkten eine Zündung in Bahnrichtung auch voll die Geschwindigkeit ändert. In allen anderen Punkten ist Geschwindigkeitsvektor und Bahnvektor nicht identisch. Ein Betrieb in jedem anderen Punkt, wird beide Bahnpunkte verändern (erdnächsten und erdfernsten Punkt).

Was passiert wenn es nicht möglich ist, einen kurzen Impuls durchzuführen? Dann passiert folgendes: Die Stufe/Nutzlast wird langsam schneller. Wenn sie schneller wird, so entfernt sie sich von der Erde, weil sie nun eine höhere Geschwindigkeit als die Kreisbahngeschwindigkeit hat. Der Betrieb findet also in immer höherer Entfernung von der Erde statt: Die höhere Bahn schluckt aber auch Geschwindigkeit, weil sie eine höhere Bahn mehr potentieller Energie entspricht. Gleichzeitig hebt man, weil der Geschwindigkeitsvektor nicht mehr identisch mit dem Bahnvektor ist, den erdnächsten Punkt an. Das bezeichnet man als Gravitationsverluste. Die Energie die erreicht werden muss ist dann höher.

Nehmen wir die folgende Abbildung der Höhe gegen die Zeit bei einem Ariane 5 ECA Start:

Der Brennschluss (bei H3) findet in über 600 km Höhe statt. Das ist schon deutlich höher als bei der Ariane 4 (maximal 220 km). Es ergibt sich aus der langen Brennzeit von fast 1000 Sekunden. Der erdnächste Punkt wird so auf 250 km angehoben. Die Alte EPS Stufe war hier noch ungünstiger, da ihre Brennzeit noch länger war. Ihr Brennschluss fand in über 1000 km Höhe statt und das hob den erdnächsten Punkt auf fast 600 km Höhe an. Der Satellit muss so etwas weniger Geschwindigkeit aufnehmen, aber das ist gegenüber dem Mehraufwand für die Rakete zu vernachlässigen. Die Ariane 5 G brauchte so zwischen 100 und 170 m/s (je nachdem welche Daten für die ESC-A Oberstufe ich nehme DLR/Arianespace differieren hier) mehr Geschwindigkeit um einen GTO Orbit zu erreichen.

Welche Alternative gibt es? Anstatt den Bahnübergang auf einmal zu machen, kann man ihn in mehreren Manövern machen. Wobei jedes dann kürzer ist. Dies machen die Satelliten so, die heute meist auch nur einen 500 N Motor haben, aber einige Tonnen wiegen. Die Bahnanhebung in den geostationären Orbit findet dann über mehrere Zwischenorbits statt. Auch die Breeze M Oberstufe erreicht über mehrere Zündungen die GTO Bahn. Bei dieser spielt aber auch eine Rolle, dass Baikonur weit nördlich liegt und es durch mehrere äquatornahe Zündungen möglich ist, so die Bahnneigung abzubauen. Das ist wichtig für die Kunden, da deren Satelliten einen vorgegebenen begrenzten Treibstoffvorrat haben und bei der normalen Bahnneigung von Baikonur diese 600 m/s mehr Geschwindigkeit für den GTO Orbit brauchen als von Kourou aus.

Auch die EPS Oberstufe könnte zuerst einen ersten Orbit erreichen und diesen beim zweiten Umlauf anheben. Nach Arianespace hebt das die Nutzlast immerhin um 200 kg an. Beim chemischen antrieben und dem geostationären Orbit spielen die Verluste zwar eine Tolle, sie werden aber nicht zu hoch. Der maximale wert, der erreicht wird ist die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen GEO Orbit und LEO Orbit also rund 4700 m/s. Der übliche Zwei-Impuls Transfer erfordert dagegen nur 3900 m/s. Mehr als 800 m/s mehr werden es also nie sein.

Viel bedeutender ist dies bei Bahnen im Sonnensystem. Das Erde/Mond System verlässt man von einem niedrigen Orbit aus mit 3200 m/s mehr. Dann erreicht man die Fluchtgeschwindigkeit. Würde man mit Ionenantrieben sich langsam hochspiralen, so würde im Extremfall die gleiche Geschwindigkeit aufzuwenden sein wie für die Startkreisbahn also etwa 7800 m/s. (In einer Kreisbahn sind kinetische und potentielle Energie gleich groß, deswegen umkreist der Satellit die Erde ja schwerelos). Fliegt man zu anderen Planeten so wird das Verhältnis noch ungünstiger: Mit 500 m/s über Fluchtgeschwindigkeit befindet man sich auf einer hyperbolischen Bahn und nimmt auf dieser so viel Restgeschwindigkeit mit, dass im Unendlichen noch 2.7 km/s übrig bleiben – genug für eine Transferbahn zum Mars. Ein elektrischer Antrieb kann davon nicht profitieren und muss diese 2500 m/s aufwenden.

Was folgt daraus?

  1. Am besten zündet man Ionenantriebe nur im erdnächsten Punkt der Bahn. Das wurde z.b. bei SMART-1 so gemacht (siehe Grafik)
  2. Wenn eine Interplanetare Bahn mit Ionenantrieb eingeschlagen werden soll, so ist es vielleicht besser ihn chemisch auf mehr als Fluchtgeschwindigkeit zu beschleunigen) und nur das Reststück mit Ionenantrieb zu beschleunigen. (So gemacht bei Dawn und geplant für Bepi Colombo). Aus diesem Gesichtspunkt lohnen sich Ionentriebwerke für Missionen zu Mars und Venus nicht, außer ich habe viel Zeit und muss Masse einsparen. Doch dazu komme ich morgen.

Was gibt es sonst noch? Bei meinem Buch über europäische Trägerraketen (ja dass, das nach DLR Angaben keiner lesen wird) habe ich die Datensammel-Phase für die Europa Rakete abgeschlossen. Ich lerne ja dazu und will bei jedem Buch es etwas besser machen. so sammele ich erst mal Daten und schreibe sie ins Grobe um dann später als doppelte und dreifache zu eliminieren. Zumindest weiß ich nun eines: Es gibt einen deutlichen Mehrwert gegenüber der Website, weil es mir doch gelungen ist noch mehr Details ausfindig zu machen. und ich auch stärker auf den politischen Hintergrund eingehen werde und es gibt noch die geplanten Europa Varianten (ELDO B, ELDO C/Europa 4 und Europa 2 TA). Ich lasse mir aber Zeit, auch weil ich hoffe, das bald die fehlenden Teile des LM Buchs von den Korrekturlesern zurückkommen. und ich mich dann wieder auf dieses konzentrieren werde.

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