Quao vadis Europa?

Das war die Überschrift zu einem SuW Beitrag. Die Frage stellt sich nach Ansicht des Autors auch für die bemannte Raumfahrt in Europa. Nachdem es für die nächsten 3 Jahre nur eine Studie für das ATV gibt und diese von Deutschland exklusiv finanziert wird. Umgekehrt soll Italien zusammen mit den USA an einem eigenen ISS Zubringer arbeiten. Europa sollte sich entscheiden ob es einen eigenen  Zugang zum Weltraum haben will. Nun wo die Shuttles außer Dienst gestellt werden. Der Autor malt das Gespenst an die Wand, dass Europa den Stuhl vor die Tür gestellt bekommt.

Was gäbe es dazu zu sagen?

Erstens – Wer ist heute überhaupt noch unabhängig?

  • Japan ist in der gleichen Situation wie Europa. Hinsichtlich des Beitrags zur ISS steht es sogar noch schlechter da. Es stellt nur ein Labor (wenn auch ein großes) – keine anderen ISS Elemente. Das HTV ist nicht fähig alleine an die ISS anzudocken.
  • Russland ist zwar die einzige Nation, die derzeit einen unbemannten Transporter und ein bemanntes Raumschiff verfügbar hat – aber ihre Beteiligung an der ISS ist inzwischen kleiner als die von Europa und Japan. Von Russland stammt nur ein Modul (Swesda) das zweite (Sarja) wurde von den USA gekauft. Russland ist bei der ISS der große Gewinner – gemessen an ihrer finanziellen Beteiligung ist ihr Anteil an der Mannschaft recht hoch.
  • Die USA haben zwar den größten Teil der ISS gebaut, aber selbst den eigenen Zugang zum Weltraum vernachlässigt. Sie haben es versäumt sich rechtzeitig nach einer Alternativ zum Space Shuttle umzusehen um die Lücke zwischen deren Ausmustern und Verfügbarkeit der Ares zu schließen. Sie sind für die nächsten Jahre genauso auf Russland angewiesen wie Europa und Japan.

Die ISS ist dahingehend einzigartig, weil sie wirklich nur als ganzes funktioniert:

  • Würde Russland aussteigen, so würde der komplette Mannschaftstransport ab 2010 wegfallen. Russlands Module wären ersetzbar, aber das ATV könnte nirgends ankoppeln und auch die rund 8 t Fracht der Progress fehlen.
  • Würde Japan aussteigen, so entfiele das größte Labor und ebenfalls mit dem HTV etwa 5 t Versorgungsgüter pro Jahr.
  • Würde Europa aussteigen, so entfällt nicht nur das Columbus Modul (ein vergleichsweise kleines Labormodul) es entfallen auch zwei der drei Verbindungskonten – und ohne diese entfallen Ankopplungspunkte und Kibo müsste auch entfallen. Ohne den Platz wäre die Besatzung auf 3 Personen beschränkt. Ohne das ATV fehlen auch noch rund 5 t Fracht pro Jahr.
  • Tja und ohne die ISS würde praktisch die gesamte Stromversorgung und ein Großteil der Versorgung der ISS.
  • Kann man einer Nation "den Stuhl vor die Tür stellen"? Nein, naatürlich nicht. Es gibt internationale Verträge. Auch diese sind verantwortlich dafür, dass die USA heute noch an der ISS bauen – ansonsten wären die Konvenationalstrafen happig geworden.

Das zweite, warum ich diesen Ansatz zu diesem Zeitpunkt falsch fand, war, dass er so tut als hätte man jetzt ein Problem. Dem ist nicht so. Die Geschichte der ISS könnte man auch beschreiben als eine Geschichte der laufenden Umplanungen. In den ersten Planungen war es eine Raumstation mit zwei nahezu gleichberechtigten Partnern. Schon vor dem Start de ersten Moduls begann aber Russland seinen Anteil rapide zu reduzieren, bis schließlich nur noch 1 Modul übrig blieb. Doch auch die USA wollten schon frühzeitig die ISS nicht mehr. Im Herbst 2002 gab es den offiziellen Plan, die Station nicht fertig zu stellen und die Besatzung auf 3 Personen zu beschränken. Dazu wäre es auch ohne den Verlust der Columbia gekommen, die erstaunlicherweise gerade das Gegenteil bewirkte. Trotzdem: Auch die USA haben ein Wohnmodul und ein zweites Labormodul gestrichen.

Japan und Europa – beide wusste seit 2002 von der Ansicht der USA, die ISS zu verkleinern und seit 2004 von der Einstellung der Space Shuttles. Wenn man sich jetzt darüber aufregt, dass nun kein Beschluss für eine Weiterentwicklung gefallen ist, dann ist das zum falschen Zeitpunkt: Die Entwicklung eines bemannten Raumschiffs dauert naturgemäß recht lange. Orion soll 2014 zum ersten mal fliegen und wird seit 2005 entwickelt. 8 Jahre sind sicher ein realistisch Ansatz. Selbst wenn die ESA also Ende 2008 ein Crew Transfer Vehicle beschlossen hätte (und ein solches stand nicht zur Debatte, sondern nur eine unbemannte Version), dann wäre es nicht vor Ende 2016 zur Verfügung gestanden, Also recht spät und zum Ende der Lebensdauer der ISS. Insbesondere hilft dies nichts, wenn ab 2010 ein solches benötigt wird, da ab 2014/5 ja wieder die Orion Kapsel einsatzbereit ist.

Der letzte Punkt: Will Europa eigentlich die bemannte Raumfahrt – zumindest eine die eigenständig ist, ohne auf andere Partner angewiesen zu sein? Meiner Meinung nach nicht. Bei allen Projekten die etwas mit "bemannt" zu tun haben war Deutschland bislang der Hauptsponsor. Bei über 50 % beim Spacelab, etwa 40-50 bei Columbus und dem ATV. Die anderen Nationen sind da nicht sooo begeistert. Deutschland war auch die einzige Nation die jemals eigene Spacelab Flüge buchte. Deutschland würde aber alleine niemals die Mittel aufbringen und selbst mit Deutschland reicht es nicht für eine eigene Raumstation und einen eigenen, bemannten Transporter.

So gesehen finde ich den Ansatz falsch. Warum sollte Europa anfangen für ihr kleines Labor einen Zubringer zu entwickeln, der dann erst in vielen Jahren verfügbar ist. Würde ein solcher nicht nur erforderlich sein, wenn man eine eigene Raumstation hat? Doch das ist ein anderer Punkt, den ich noch beleuchten will.

2 thoughts on “Quao vadis Europa?

  1. Ich denke, bevor Europa ein für den Personentransport qualifiziertes Raumfahrzeug baut, sollte es erst einmal die Hausaufgaben machen, und die Ariane weiter ausbauen. Ich denke dabei an das VINCI-Triebwerk, die ESC-B Oberstufe, das VULCAIN3-Triebwerk. All diese Vorhaben wären für das gesamte Spektrum der Raumfahrtaktivitäten nützlich, und nicht nur isoliert für die ISS. Und wenn Russland vom europäischen Startplatz aus starten will, sollte man sich mit ihnen doch auch einigen können, wenn es um den Personentransport geht.

  2. Leider ist unsere Weltraumpolitik zentriert auf bemannte Raumfahrt und Trägerraketen (die auch Arbeitsplätze über Aufträge langfristig sichern) haben nur einen geringen Stellenwert bei der DLR. Frankreich will dagegen nicht die Finanzmittel abdrücken, aber trotzdem die Entwcklungshoheit behalten. So wird die Misere bleiben….

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