Stimmkorrektur
Heute ein Gastblog von Arne. Von mir gibt es erst am 4. wieder was.
Nachdem die letzten Musikrätsel auf wenig Resonanz getroffen sind, möchte ich versuchen, das Interesse an musikalischen Themen mit einem etwas kontroversen Thema wiederzubeleben: Stimmkorrektur.
Mitte der 90er brachte die Firma Antares ihr Produkt Autotune auf den Markt, das erst durch die in den Jahren davor verfügbar gewordene Rechenleistung möglich geworden war. Vereinfacht gesagt geht es darum, einstimmigen Gesang zu korrigieren, wenn der Sänger die Töne nicht getroffen hat. Der Algorithmus analysiert in Echtzeit die gesungene Tonhöhe und vergleicht sie mit dem Soll. Dazu kann man dem Gerät (oder der Software, Autotune gibt es mittlerweile sowohl als eigenständiges Gerät als auch als Software, die auf verschiedenen Hardwareplattformen läuft) entweder die an dieser Stelle gewünschte Note oder die Tonart vorgeben. Im zweiten Fall sucht sich der Algorithmus dann die passende Note, die am dichtesten an der gesungenen liegt. Anschließend wird dann die Tonhöhe des Gesangs korrigiert. Die Technik für die reine Tonhöhenänderung gibt es schon länger und wird in der Musik in Form der sogenannten „Pitch Shifter“ eingesetzt. Beispiele dafür sind tiefe, aber unnatürlich klingende Stimmen wie in „Oh Yeah“ von Yello oder die Mickey-Mouse Stimmen einiger Techno-Songs von Anfang der 90er (Dune, Das Modul, Scooter…).
Bei der Tonhöhenkorrektur von Gesang sind natürlich einige Feinheiten zu beachten, damit das Ergebnis natürlich klingt. So sollte der Eingriff möglichst sparsam erfolgen, und sehr geringe Abweichungen der Tonhöhe sollten unkorrigiert bleiben, damit der Gesang lebendig klingt. Der Algorithmus hat also einen gewissen (einstellbaren) Schwellwert für die Abweichung von der idealen Tonhöhe, ab dem er erst aktiv wird. Außerdem kann man einstellen, ob die Tonhöhe nur etwas in die richtige Richtung korrigiert wird, so dass der Ton nicht mehr schief klingt, oder ob er exakt auf die gewünschte Tonhöhe gebracht werden soll. Ein weiterer Parameter ist eine zeitliche Verzögerung, ab der die Korrektur aktiv wird. Mit den richtigen Einstellungen bleibt die Lebendigkeit des Gesangs erhalten. Ein Vibrato, das ja nichts anderes als eine regelmäßige Schwankung der Tonhöhe um den Mittelwert ist, kann allerdings problematisch werden. Vibrato wird von der überwiegenden Zahl der Sänger angewendet, wenn sie eine Note längere Zeit halten. Die Korrektur würde das Vibrato erstmal entfernen. Man kann sich damit behelfen, die Software das Vibrato an den richtigen Stellen selbst wieder auf das Signal hinaufrechnen zu lassen.
Als ich den Effekt das erste Mal bewusst gehört hatte, war ich schwer beeindruckt. Es war zwar nicht Autotune, sondern ein Konkurrenzprodukt, aber das Prinzip ist das gleiche. Als Test diente eine reine Gesangsspur ohne jede musikalische Begleitung, deren gesangliche Qualität auch in den schlechtesten Castingshows zu einem Rauswurf in der ersten Runde geführt hätte. Mit Bearbeitung jedoch klang es perfekt, wie von einem Profi eingesungen. Irgendwelche Artefakte von der Bearbeitung konnte ich nicht heraushören. Wenn dann noch die Musikbegleitung dazu kommt und eine weniger gute Anlage als die Studiomonitorboxen, auf denen ich das gehört hatte, dürfte klar sein, dass der größte Teil der Zuhörer in den allermeisten Fällen nicht bemerkt, dass nachträglich korrigiert wurde.
Was soll man nun davon halten? Man könnte es als Krücke für unfähige Sänger sehen, die in einem Tonstudio oder auf der Bühne eigentlich nichts verloren haben, oder auch als Chance für mittelmäßige Sänger, einfach besser klingende Musik abzuliefern. Meiner Meinung nach ist es einfach ein weiteres Werkzeug, das man gebrauchen oder missbrauchen kann. Für anspruchslosere Produktionen spart es einfach Zeit im Studio, weil der Gesang bei den meisten modernen Popproduktionen das einzige ist, was nicht wiederholbar perfekt vom Computer gespielt werden kann. Ein Sänger muss ohne Korrekturmöglichkeiten seinen Part also so lange immer wieder einsingen (zumindest in Teilen), bis alles stimmt. Mit Stimmkorrektur geht das schneller, deshalb ist Autotune oder dessen Konkurrenz in fast allen modernen Tonstudios zu finden. Robbie Williams hat den Einsatz mit dem Vergleich von Rechtschreibkorrektur am Rechner verteidigt: jeder benutzt es einfach, auch wenn er eigentlich gut in Rechtschreibung ist. Deshalb würde der Einsatz von Autotune nicht bedeuten, dass man nicht singen könne.
Aber kommen wir nun zum Missbrauch: Bei der britischen Variante der Gesangscastingshow X-Factor wurden die Stimmen für die Fernsehausstrahlung nachträglich mit Autotune bereinigt, und zwar so dilletantisch, dass man die Nachbearbeitung teils deutlich hören konnte. Gerade bei einem Wettbewerb, wo man nun wirklich hören möchte, ob die Kandidaten etwas können oder nicht, ist das natürlich vollkommen unangebracht. Angeblich war in der Liveshow selbst alles unbearbeitet, aber die meisten Zuschauer sitzen nun mal vorm Fernseher und nicht vor der Bühne.
Der zweite Missbrauch (zumindest meiner bescheidenen Meinung nach), der leider auch heute noch regelmäßig mit Autotune getrieben wird, ist der „Cher-Effekt“. Das Produkt lässt sich nämlich als sehr als gut hörbarer Soundeffekt verwenden. Dazu macht man einfach die Einstellungen extrem: jede noch so kleine Abweichung wird hart korrigiert, ohne jeder Verzögerung. Das Ergebnis ist, dass eine gleitende Tonhöhe abgestuft und damit unnatürlich klingt, keinerlei Lebendigkeit, geschweige denn Vibrato erhalten bleibt. Einem breiteren Publikum wurde der Effekt erstmals in Cher’s „Believe“ vorgeführt, daher die Bezeichnung. Da fand ich es noch interessant, aber eigentlich wird der Effekt recht schnell langweilig. Ein vorläufiger Tiefpunkt für mich war „Around the world“ von Daft Punkt, bei dem ausschließlich per Autotune verfremdeter Gesang zu hören ist. Nachdem ich aber die Hoffnung hatte, dass der Effekt endlich langsam aus der Mode kommt, kam Ende letzten Jahres das Album „The Beginning“ von den Black Eyed Peas. Jeder einzelne der Songs darauf beinhaltet mindestens einen durchgehend mit Autotune verfremdeten Gesangs- bzw. Sprechpart. Es nervt einfach nur noch, und damit hat sich das Album die vielen 1-Sterne Bewertungen bei Amazon auch redlich verdient. Der Begriff Autotune ist mittlerweile in der Öffentlichkeit schon recht bekannt, aber eher negativ behaftet. Eigentlich schade um ein gutes, innovatives Produkt, dessen Namen bei allgemein maßvollem und dezenten Gebrauch wahrscheinlich niemand außerhalb der Musikszene gekannt hätte.
Ich sehe es ebenfalls als Werkzeug, um dem Produzenten Zeit und dem Künstler Nerven (und Zeit ;-)) zu sparen.
Wobei man zumindest beim guten alten Antares Autotune (das einzige, was ich je verwendet hab), den Effekt mit geschultem Ohr meist schon sehr deutlich hört, auch bei kleinen Korrekturen. Die Formantenkorrektur beim Pitch-Shifting klingt irgendwie „heiser“, selbst bei einer Korrektur von 10 Cent… aber gut, das hör ich auch echt nur Solo und auf meinen Tannoy 800A 🙂
Ich kenne den t.c. Intonator, der klingt etwas natürlicher, dafür kann man damit den Cher-Effekt nicht besonders gut hinbekommen.