Die SSME: Herausforderungen und Triebwerksstart

Weiter geht es in der losen Reihe über die SSME:

Zwei wesentliche Herausforderungen gab es bei dem SSME. Das eine waren die extrem hohen auftretenden Drücke, bedingt dadurch dass der Großteil des Wasserstoffs noch vor dem Erreichen der Brennkammer in Gas umgewandelt wird und so sein Volumen vervielfacht (entsprechend den Druck) und gleichzeitig dürfte das Triebwerk nicht zu schwer sein, weil es bis in den Orbit transportiert wird. Betroffen waren vor allem die Hochdruckturbinen an denen die höchsten Drücke anlagen, weil sie den Treibstoff gegen den Brennkammerdruck pressen mussten. Das verdeutlichen die Drücke bei den ersten Exemplaren an folgenden Stationen:

Station Druck LH2 Druck LOX
vom Tank kommend 2 bar 7 bar
nach Verlassen der Niedrigdruckpumpe 17,2 bar 27,8 bar
nach dem Vorbrenner 347 bar
nach Verlassen der Hochdruckpumpe 413 bar 310 bar
in der Brennkammer 207 bar 207 bar

Der Druck ist die eine Sache, die andere ist dass trotzdem das Triebwerk sehr leicht sein sollte. Soweit möglich wurde geschweißt, was insgesamt eine Tonne Material einsparte, aber über 1000 Schweißverbindungen ergab.

Die Leistung war bezogen auf das Gewicht enorm. Die Kombination von Breburner und Turbopumpe war 1,20 m lang und 60 cm breit. Die Leistung betrug 23.068 PS bei der Sauerstoff und 61.420 PS bei der Wasserstoffpumpe, siebenmal mehr als bei der J-2 Pumpe, die 8.668 PS leistete. Dies wurde während der Entwicklung noch gesteigert. Jedes Pfund Gewicht der 351 kg schweren Hochdruckwasserstoffpumpe leistete etwa 100 PS, dagegen liegt bei einem Motor in einem PKW die Leistung bei etwa 0,5 PS pro Pfund Gewicht.

Die hohen Anforderungen sind das eine. Gleichzeitig sollte das Triebwerk wiederverwendbar sein. Das bedeutete seine Lebensdauer musste erheblich höher sein als bei allen bisher entwickelten Exemplaren. Die Lebensdauer eines Triebwerks ist höher als seine nominelle Betriebszeit. Zum einen braucht man Sicherheitsreserven, zum anderen ist es üblich bei bemannten Einsätzen das Triebwerk vorher zu testen. Ein F-1 wurde vor dem Start dreimal getestet und absolvierte dabei ein Testprogramm das erheblich länger als die spätere Einsatzzeit war. Für die letzte Generation betrug die Solllebensdauer 10 Zündungen und 3600 s Betriebszeit. Das SSME sollte 55-mal gezündet werden können und eine Betriebsdauer von 27.000 d aufweisen. Diese Werte sind 5-7 mal höher als bei bisherigen Triebwerken.

Schon während der Entwicklung musste man Abstriche machen. Geplant war ein spezifischer Impuls von 4472 m/s, korrespondierend mit einem Ausgangsdruck der Hochdruckpumpen von 326 / 437 bar. Dies war nicht erreichbar, ebenso wenig wie die geplante Masse von 3050 kg.

Triebwerksstart

StartsequenzAm kritischsten ist der Start des Triebwerks, bei dem alle Ereignisse genau getimt sind. Das zeigte sich auch bei den Tests. Es dauerte 19 Tests und 23 Wochen um bis zu 2 Sekunden Marke der 5 Sekunden langen Startsequenz zu kommen. Dafür wurde achtmal die Turbopumpe ausgewechselt. Nach weiteren 18 Tests, 12 weiteren Wochen und 5 erneuten Austauschaktionen der Turbopumpe kam man kurzzeitig an die Sollleistung heran. Das war im Januar 1976, als man kurzzeitig während einer 3,36 s langen Anlaufsequenz auf das 50% Level kam, das damals als niedrigster Operationsmodus galt. Es dauerte bis Ende 1978 bis man die Startsequenz des Triebwerks in den Feinheiten ausgearbeitet hatte.

Vor dem Start wurden Stickstoff durch die Sauerstoffleitungen und Helium durch die Wasserstoffleitungen getrieben. Sie sollten Feuchtigkeit austreiben. Wenn dann die kryogenen Flüssigkeiten durch die Leitungen durchgetrieben würden, konnten diese Gase nicht auskondensieren, da Stickstoff bei tieferen Temperaturen auskondensiert als Sauerstoff und Helium bei tieferen als Wasserstoff. Die Kühlung mit den verflüssigten Gasen hielt über eine Stunde an und umfasste alle Teile, bis auf die Brennkammer und Düse. Da diese später 3315°C ausgesetzt waren, war es nicht nötig sie vorher stark abzukühlen.

Der Start erfolgte mit dem Öffnen des Wasserstoffventils. Wasserstoff aus der 43 cm dicken Hauptleitung durchströmte die Leitungen, kam zur Brennkammer und Düse und verdampfte dort und erzeugte einen Startdruck durch den dabei verdampfenden Wasserstoff. Der Wasserstoff brachte die Turbinen auf eine niedrige Drehzahl, doch dies war nicht stabil, der Druck oszillierte mit einer Periode von 1,5 Sekunden. Auf diese Oszillation wurden nun die folgenden Ereignisse genau abgestimmt.

Zuerst erfolgt 1,25 s nach dem Start ein Check: die Wasserstoff-Hochdruckpumpe muss zu diesem Zeitpunkt mindestens eine Drehzahl von 4.600 U/min haben. Ist diese nicht erreicht, so hat die Turbine zu wenig Leistung und würde durch den Gegendruck bei der Zündung zerstört werden. Der Start wird dann abgebrochen.

1,4 s nach dem Start wurde das Ventil zum Wasserstoff Vorbrenner geöffnet. Beide Vorbrenner waren vor dem Start mit Sauerstoff gefüllt worden. Ein Zündfunke entzündete das sich nun bildende Gemisch und produzierte ein Gasgemisch, das nun die Turbopumpe auf Touren brachte und mehr Wasserstoff pumpte. Dabei trat ein kurzfristiger Temperatursprung von 220 Grad Celsius auf. Wäre nun nichts passiert, so würde die Turbine in kürzester Zeit durchdrehen, es war Gegendruck nötig. Der kam von der Brennkammer die 0,1 s nach dem Vorbrenner zündete. Ihr Druck verhinderte eine zu schnelle Rotation der Turbinenblätter. Das Timing war kritisch 0,25 s oder 2% der Ventilposition entschieden über stabilen Betrieb oder Selbstzerstörung der Turbine. Schon der normale Anstieg der Rotation entspricht 400.000 U/min, das heißt in weniger als 0,1 s stieg die Rotationsgeschwindigkeit von 4.600 auf 35.000 U/min. Wäre die Zündung der Brennkammer früher erfolgt, so wäre ihr Druck höher gewesen, als der Druck der von der Turbopumpe aufgebaut wurde und heißes Gas von der Brennkammer würde in die Turbopumpe gelangen und sie überhitzen. Nun lief das Wasserstoffförderungssystem auf vollen Touren, aber nur gespeist von dem Sauerstoff der mit Tankdruck einströmte, also geringer Flussrate. Das änderte sich nun. 1,6 s nach dem Start zündete auch der Sauerstoffvorbrenner. Nach 2 Sekunden hat die Brennkammer 25% des Normalschubs, denn sie 0,4 s lang beibehält um normale Schwankungen in den Treibstoffdrücken und Temperaturen auszugleichen. Der Triebwerkscontroller kontrolliert die Funktion der Triebwerke nach 1,7 und 2,3 s. Sind sie innerhalb der Sollparameter so wird 2,4 s nach dem Start auf den geschlossenen Betrieb umgeschaltet. Dabei wird der Brennkammerdruck mit einer vorgegebenen Anstiegskurve verglichen. Er justiert dann das Hauptventil für den Sauerstoff um Differenzen auszugleichen. Das Wasserstoffventil folgt, weil das Mischungsverhältnis konstant ist.Es wird mach 3,8 s aktiviert und sollte 4,7 s nach dem Start das Sollverhältnis von 6 erreichen. Nach 4,7 s war das Triebwerk im operativen Betrieb und das Shuttle hätte abheben können.

Es tat dies aber jetzt noch nicht. Durch die räumliche Lage der Triebwerke ging ihr Schub nicht durch den Schwerpunkt des Systems. Die Triebwerke brachten das ganze System zum Schwingen. das Shuttle schwang nach vorne und dann wieder zurück. Als es nach 1,9 Sekunden genau wieder in der Startposition angekommen war, erfolgte das Zündkommando der Feststoffbooster. Das bedeutete, dass die Triebwerke später im Betrieb 2 Sekunden kürzer arbeiten würden, was etwa 600 kg Nutzlast kostete, aber es war eine einfachere Lösung als diese Schwingen zu unterbinden. Das Phänomen war durch Simulationen schon vor dem Start bekannt und bei der Befestigung berücksichtigt worden, nur war die Amplitude größer: Die NASA erwartete eine von 48 cm, es waren aber 65 cm. 6,6 s nach dem Zünden der Triebwerke hebt dann das Shuttle ab, da die SRB innerhalb von 0,3 s ihren vollen Schub erreichen.

Es dauerte Jahre um die Startsequenz zu erarbeiten. Probleme beim Start begleiteten das Testprogramm von Anfang an. Das letzte Ereignis trat noch am 3.10.1978 auf, mehr als drei Jahre nach Entwicklungsbeginn.

Auch beim Betrieb gibt es einige Besonderheiten. Um die maximale aerodynamische Belastung zu senken, werden die Triebwerke kurz vor dem Erreichen der maximalen aerodynamischen Belastung, 53 s nach dem Start im Schub auf 67% heruntergefahren, nach Passage dieses Punktes wieder auf das Maximallevel (bei den ersten Flügen 100%, später 104,5%. Wenn die Beschleunigung 3 g erreicht. etwa 7 Minuten nach dem Start, werden die Triebwerke langsam auf 67% heruntergefahren und dieses Schublevel halten sie dann bis der Brennschluss nach 520 s erreicht wird. Dieser kann durch den Bordcomputer ausgelöst werden (Erreichen der vorgegebenen Zielbahn) oder durch das Signalisieren, das die Treibstoffvorräte im externen Rank unterhalb eine Mindestschwelle (0,5% für den Sauerstoff und 0,65% für den Wasserstoff) gefallen sind.

Beim Herunterfahren müssen analog die Ventile kurz hintereinander getimt geschlossen werden um einen kurzfristigen Überdruck oder eine zu sauerstoffreiche Mischung in den Vorbrennern zu vermeiden. Auch das Runterfahren des Triebwerks dauert so 3,5 s, das ist relativ lange, bei den meisten anderen Triebwerken die nicht wiederverwendbar sind, ist dies in Sekundenbruchteilen erledigt, man schließt einfach die Ventile zu den Triebstoffleistungen. Doch diese robuste Vorgehensweise wäre erheblicher Stress für die Turbopumpen und daher gibt es eine so lange dauernde Abschaltsequenz. Dazu wurde das Sauerstoffventil langsam geschlossen. Das hatte zwei erwünschte Wirkungen: Die Mischung wurde wasserstoffreicher und kühler und die Rotationsgeschwindigkeiten und Drücke sanken ab. Das Wasserstoffventil folgte zeitverzögert. Nach 1,5 s war das Sauerstoffventil geschlossen, nach 2,5 s das Wasserstoffventil. Dies gewährleistete eine Geschwindigkeitsabnahme der Turbine von maximal 700.000 U/min zu gewährleisten. Wenn eine Rate von 7.000 U/s erreicht war, konnte der restliche im System gebundene Triebstoff verdampfen ohne die Turbine zu beschädigen.

Es verbleiben dann aber noch Reste im Triebwerk und den Leitungen. Sie müssen entlassen werden um das Gewicht zu reduzieren. Vor dem Zünden der OMS Triebwerke werden 2080 kg Sauerstoff entlassen. Parallel zu der Zündung der OMS Triebwerke werden dann die noch verbliebenden 136 kg Wasserstoff abgelassen. Das erhöht den spezifischen Impuls der OMS und spart so etwa 60 kg Treibstoff ein.

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