Die Lösung für ein überflüssiges Problem – die Kanone im Weltraum

So, nachdem ich in den letzten Tag etwas Geld verdient habe, schließlich kann man vom Bloggen nicht leben, kommt nach einigen tagen Pause heute wieder ein Blog. Leider fehlt es immer noch an Themen. So mache ich es wie die privaten Fernsehsender: ich gebe wie in so called „Wissenschaftssendungen“ Antworten auf Fragen die keiner gestellt hat. Der moderne Ausdruck ist „überflüssiges Wissen“. Auf die heutige kam ich durch einen Beitrag über die militärischen Raumstationen MOL und Saljut. Saljut hatte eine Kanone an Bord. Während des kalten Kriegs meinte man sich wohl in der UdSSR gegen US-Angreifer schützen zu müssen (angesichts dessen, dass als Saljut 3 gestartet wurde, das Apolloprogramm schon beendet war und bis zum Start des Space Shuttles Saljut längst verglüht ist, war der Sinn wohl nicht gegeben). In einer US-Fernsehsendung hat man sogar ausprobiert ob die Kanone funktioniert – man hat einen Revolver in einem evakuierten Gefäß abgeschossen. Besonders peinlich: eine US-Astronautin war darüber erstaunt, das es funktionierte – warum auch nicht: die Explosion des Sprengstoffs braucht keine Luft, der ganze Sauerstoff ist chemisch vorhanden (sonst ging die Reaktion nicht so schnell, weil der Sauerstoff der Luft in einem Rohr ja viel zu gering ist und Zeit braucht um an den Verbrennungsort zu kommen). Und das eine Kanone in jeder Richtung schießen kann weiß man ja von Kampflugzeugen die auch nach unten feuern können.

Also ein Projektil wird abgefeuert. Kann man damit auch treffen? Auch diese Frage ist leicht beantwortet – natürlich. Die Gesetze der Physik im Orbit sind die gleichen wie auf der Erde. Wenn wir auf der Erde ein Projektil abfeuern, um etwas direkt zu treffen (es gibt auch ballistische Bahnen bei denen man von oben etwas beschießt, meist bei weitreichenden Kanonen oder Seeschlachten) dann ist es so, das das Projektil sich nach vorne bewegt und durch die Schwerkraft gleichzeitig fällt – man muss dies kompensieren indem man höher zielt, als eigentlich nötig. Das gilt auch im Weltraum, eigentlich ist ein Satellit nichts anderes als ein Projektil: er bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit gerade nach vorne und fällt gleichzeitig. Eine Kreisbahn resultiert dann, wenn sich der Satellit pro Zeiteinheit so weit nach vorne bewegt, dass die Fallstrecke dem daraus resultierenden höheren Abstandes von der Erdoberfläche entspricht.  Auf kurze Strecken, wo man eine Kanone einsetzen würde, funktioniert sie wie eine auf dem Boden, sogar noch besser – das Projektil wird nicht durch die Atmosphäre abgebremst und in einer Kreisbahn wo das ziel die gleiche Höhe und Geschwindigkeit hat, wird das Projektil sich nicht nach unten bewegen, man muss also nicht „vorhalten“.

Die interessantere Frage ist nicht ob es funktioniert, sondern was passiert wenn man trifft und was wenn nicht. Nun wenn man trifft, wird das gleiche passieren wie auf der Erde. Die Kanone Rikhter R-23 ist eine Kanone nach dem Revolverprinzip. Derartige Waffen werden in vielen Flugzeugen eingesetzt auch das Kaliber von 23 mm ist typisch für eine solche Waffe. Sie stammt vom TU-22P Bomber. Wenn ein Projektil eine Raumkapsel trifft, so würde es wohl ein größeres Loch schlagen und die Luft entweicht. Weichere Strukturen wie das Servicemodul oder die Strukturen eines Satelliten würde sie aufgrund der aerodynamischen Form glatt durchschlagen. Es gibt auch Varianten die beim Aufschlag eine Sprengladung zünden – bei Flugzeugmunition die Regel, weil ein Loch einem Flugzeug normalerweise wenig ausmacht außer man trifft Motoren und Tanks – eine großflächig beschädigte Außenhaut dagegen die Aerodynamik stark stört. Dann würde ein Raumschiff stärker beschädigt, wenn man das Servicemodul trifft könnte es zur Explosion von Treibstoff, gelagertem Druckgas oder kryogenen Flüssigkeiten kommen und es würden viele kleine Fragmente entstehen. (Der Aufprall darf nicht verwechselt werden mit der Kollision eines Satelliten mit Weltraummüll, da dabei die Geschwindigkeit und die übertragene Energie viel höher sind).

In einem Orbit fliegen diese erst mal weg wie auf dem Erdboden gewohnt. Doch ohne Schwerkraft und ohne Luft geraten sie auf neue Bahnen anstatt auf dem Erdboden zu landen. Dabei gäbe es drei Grenzfälle zu unterscheiden:

  • Das Bruchstück wird verlangsamt: es resultiert eine Bahn deren erdnächster Punkt niedriger ist. Bei der niedrigen Bahnhöhe von Saljut 3 würde das zum Verglühen in der oberen Atmosphäre innerhalb kurzer Zeit führen.
  • Das Bruchstück wird beschleunigt: es resultiert eine Bahn deren erdfernster Punkt höher liegt. Der niedrigste Punkt liegt aber immer noch in der Ursprungsbahnhöhe. einmal pro Umlauf passiert das Bruchstück daher die Bahnebene der Station.
  • Das Bruchstück wird senkrecht zur Bahn beschleunigt: es resultiert eine Bahn die eine andere Bahnneigung als die Orginalbahn hat, aber die gleiche Form. Sie schneidet die Ursprungsbahn zweimal pro Umlauf.

In der Praxis wird ein Bruchstück einen Impuls unterschiedlicher Art in allen drei Raumrichtungen erhalten. Es resultieren so neue Bahnen mit anderen Parametern. Ein Teil der Bruchstücke wird verglühen, ein anderer Teil im Orbit verbleiben. Sie können mit der Station kollidieren. Was die Sache problematisch für eine Vorhersage macht ist, das mit einer neuen Bahn sich die Umlaufszeit ändert. Doch irgendwann wird das Bruchstück wieder zur gleichen Zeit am gleichen Ort wie Station befinden. Einen Trost gibt es aber: da der erdnächste Punkt (Bahnhöhe von Saljut) dafür in nur 270 km Höhe liegt, werden die meisten bald verglühen zumal ein Bruchstück meist eine große Oberfläche verglichen mit der Masse hat.

Problematischer ist es, wenn man das Ziel verfehlt. Im Orbit wird man dann nicht beim nächsten Umlauf vom eigenen Geschoss getroffen aber bald danbach. Auch das Geschoss gelangt auf eine neue Bahn. Da man dessen Geschwindigkeit (850 m/s) kennt, kann man diese berechnen, Hier eine kleine Berechnung auf welche Bahn das Projektil dann gerät:

Startbahn 270,0 km x 270,0 km x 0,00 °
Reale Geschwindigkeit in der alten Periapsis 7743,6 m/s
Reale Geschwindigkeit in der neuen Periapsis 8593,6 m/s
Differenz Geschwindigkeit in der Periapsis -850,0 m/s
Umlaufszeit 1 1 h 29 m 54 s
Umlaufszeit 2 2 h 13 m 28 s

Die Umlaufszeit beträgt das 1,484 fache des Orginalwerts. das ist nahe an der 1,5-fachen. Würde es nur leicht mehr beschleunigt, auf 868,1 m/s so wäre die neue Umlaufbahn eine 270 x 4396 km die Umlaufszeit beträgt dann das 1,5-fache von Saljut. Nach zwei Umlaufen des Geschosses hat Saljut drei Umläufe absolviert und beide sind wieder am Startpunkt angekommen – so kann man sich selbst abschießen.

Um das zu vermeiden empfiehlt es sich wenn möglich gegen die Bewegungsrichtung zu schießen – vorausgesetzt der Gegner nähert sich von dieser Richtung aus. Dann wird das Geschoss abgebremst und würde nach wenigen Minuten verglühen.

13 thoughts on “Die Lösung für ein überflüssiges Problem – die Kanone im Weltraum

  1. Typisch für solche Flugzeug-Kanonen ist, daß keine einzelnen Schüsse abgegeben werden, sondern ganze Schußserien. Im Prinzip wirkt die Kanone dabei wie ein kleines Raketentriebwerk. Wenn die Schußachse nicht genau durch den Schwerpunkt der Station geht, entsteht bei jedem Schuß ein Drehimpuls. Je mehr Schüsse abgegeben werden, desto mehr dreht sich der ganze Spaß vom Ziel weg. Durch den fehlenden Luftwiderstand wären theoretisch deutlich größere Reichweiten als auf der Erde möglich. Um zu treffen, muß man aber aus möglichst geringer Entfernung schießen.

  2. Der ist vernachlässigbar gering, er würde ja sonst auch ein Flugzeug abbremsen. Ein Projektil wiegt 0,175 kg und verlässt die Mündung mit 850 m/s. Die Kanone kann etwa 1500 bis 2000 Schuss/Min abfeuern. Nehmen wir als Mittel 1800 Schuss/Min und einen Feuerstoß von 1 s dauer so beträgt der Impuls:

    I = 850 m/s * 0,175 kg * 1800 / 60 = 4462,5 N.

    Die verteilen sich auf eine über 20 t schwere Station und bremsen diese dann um etwa 0,2 bis 0,25 m/s ab.

  3. Überflüssige Info zum Überflüssigen Thema:

    Die Boardkanone der A10 ‚Warthog‘ hat eine mechanische Sperre drin, die Feuerstösse auf 2 Sekunden Dauer begrenzt.
    Allerdings hat die Bordkanone auch Kaliber 30 mm und eine Kadenz von 4300 Schuss/min. Bei einem Geschossgewicht von 750 gr ergibt daß einen Rückstoss von fast 45 kN. Mehr als den Schub von einem der 2 Triebwerke.
    Da die Maschine im Tiefflug nahe am Strömungsabriss operiert, wird es da schon kritisch.
    https://de.wikipedia.org/wiki/GAU-8/A_Avenger

  4. Interessant das mit der Kanone, diese Kanone ist ja wegen ihrer Außmase gut bekannt aber ich hätte echt nicht gedacht das sie einen solchen Schub erzeugt (auch wenn die A-10 Triebwerke jetzt nicht die stärksten sind, aber trotzdem).

  5. Zu Thema militärische Waffen im Weltraum.

    Erst 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, können die meisten endlich die weltweit einzige Waffe der Raumstaation Almaz sehen. Es handelte sich um eine Kanone R-23M Kartetsch, eine tiefe Modernisierung der 23-Millimeter automatischen Bordkanone. Zu sehen war die Waffe dank der russischen TV-Show im Oktober 2015.

    Entwickler war das Konstruktionsbüro von A. Nudelman, im Zweiten Weltkrieg wurden dort einige bahnbrechende Entwicklungen gemacht. Die Waffe konnte Ziele bis auf 4 Kilometern treffen und zwischen 950-5000 Schuss pro Minute abgeben, die Fluggeschwindigkeit des 200-Gramm-Projektils betrug 690 Meter pro Sekunde.

    Am 24 Januar 1974 wurden erstmals an Bord der Saljut-3 etwa 20 Schüsse abgefeuert, während der Zeit wurden auch die Triebwerke der Station angelassen. Die Aufnahmen wurden im Teststand des Totschmasch Unternehmen von allen Seiten gemacht, so konnte A.Zak ein 3D Modell erstellen, siehe Link mit Bildern.

    http://hi-news.ru/space/raskryt-vneshnij-vid-sekretnoj-sovetskoj-kosmicheskoj-pushki.html

  6. Man fragt sich nur gegen was die Kanone gut war. Doch eigentlich nur gegen langsam fliegende Gegner die sich annähern um die Station zu untersuchen? Alles was schnell kommt um die Station zu zerstören ist ja nicht mehr aufzuhalten.

  7. Nun ja, Kannone war auch ohne grosse Bedeutung. Spätere Entwicklungen waren gefährlicher, wie Skif mit 90 Tonnen oder der Raketenkomplex Kaskad von Nudelman. Die Ersterprobung der kosmischen Raketen solten an Bord von fünf Progress erfolgen. Nur so, die Produktion der entsprechenden Frachtraumschiffe Nr. 129, 130, 131, 132 und 133 erfogte auch. Kaskad sollte mit Energija starten.

  8. @Jewgeni: Da habe ich aber jetzt ein paar Fragen: Erstens, was versprach man sich von einem nuklear bewaffneten Buran, was Interkontinentalraketen nicht viel besser reaktionsschneller und vor allem sicherer erledigen konnten (in einem ernsthaften Nuklearkrieg wäre das Kosmodrom von Baikonur wohl kaum zu verteidigen gewesen und eine Dislozierung war auch nicht möglich)? Daneben wollte ich wissen, was man sich von dem Poljus-Programm versprach? Weltraumwaffen sind ja an sich effektiv, aber warum diese Menge an Ressourcen dafür ausgeben? Reagans SDI hatte das Ziel, den USA durch Sicherheit vor Nuklearwaffen einen strategischen Vorteil an die Hand zu geben. War Ähnliches durch eine größere Serie von Poljus gedacht?

  9. @ Aaron Kunz

    Zunächst, die Erprobung einer Kanone an Bord von Saljut wolten nicht die Kosmonauten sondern die Militärs. Raumfahrer möchten fliegen und forschen und nicht schiessen. Siehe Apollo Sojus Flug.

    Die Entscheidung zum Bau von Buran kamm von der Regierung als Antwort auf die USA Entwicklungen. Es war ein kalter Krieg, keiner hat den anderen getraut und die amerikanische Rhetorik war deutlich übertrieben. Russland das ein Krieg mit 25 Millionen toten Menschen erlebte, wollte sich gewisse wenn auch fragliche Vorteile sichern.

    Mit Skif handelte sich um eine Orbitalstation mit Laserwaffe. Obwohl die damalige Leistung schwach war, versuchten die Militärs auch alles zu erproben solange die Geldströme nicht abreißen. Selbstverständlich im Falle eines atomarens Infernos gibt es keine Sieger und keine Starts zum Kosmos. Siehe Kuba Krise, da musste Chruschtschow nachgeben als die USA ernsthaft einen nuklearen Schlag vorbereiteten. Russen waren aber so skeptisch, das mit dem Bau von Baikonur auch ein zweiter Baikonur (Attrape) zur Täuschung der amerikaner mit ihren U-2 entstand.

    Nun ja, noch vor Buran Start kamm die Perestrojka und B. Jelzin zum entsetzen der Entwickler von Energija-Buran, dabei sind auch heftige Worte gefallen, beendete das Programm mit einen Satz. Die Entwicklung von Buran hatte auch ihre Gegner, die Argumente der Startkosten waren stichhaltig. Ab 1985 wurde das wiederverwenbarer Zarja Raumschiff für 2-8 Kosmonauten entwickelt, im Januar 1989 durch Unterfinanzierung auch beendet.

  10. Es gibt aber noch heute so einige Geheimnisse, darunter das Moskauer Raketenschild A-135 Amur mit 68 Antiraketen 5ZT6, auf dem Kalender von Almaz-Antej ist nur die einzige Zeichnung zu sehen, die NATO Klasifikation-Gazelle. Nach der Charakteristika es gibt keine Analoge auf der Welt, die Rakete aus Verbundwerkstofen kann Belastungen bis 210 G überstehen. Die startet mit 100-facher Beschleunigung, kann Objekte die mit 7km/s auf einer Höhe zwischen 5km bis zu nahen Weltraum fliegen mit ihren nuklearen Sprengkopf vernichten.

    Das neue System Nudol A-235 arbeitet mit einen neuen Radar und einen Supercomputer (Quad-Core-Prozessoren mit über 10 TeraFLOPS)zusammen.

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