Wahlsysteme und ihre Tücken

Nun ist ja Boris Johnson der neue Premier von England. Gewählt wurde er von 159.000 Mitglieder der „Torries“ oder konservativen Partei. Auch ohne die Mathematik zu bemühen, würde ich sagen, das dies weniger als 1 % der Wähler sind. Es ist einer der Punkte wo ich immer den Kopf schüttele. Die Engländer und die Amerikaner beanspruchen ja beide das Urland der (modernen) Demokratie zu sein. Beide haben auch recht – Die Engländer hatten früher ein Parlament und den König entmachtet, aber die Amis verzichteten zuerst auf den König als Staatsoberhaupt.

Aber wie bei allen Systemen die alt sind – sie halten nicht Schritt mit dem Fortschritt. Die Welt ändert sich. Die Möglichkeiten zu wählen und die Wähler auch. Es ist gerade mal 100 Jahre her das Frauen wählen dürfen – übrigens zum ersten Mal in Deutschland. Manches wirkt auch antiquiert und es gibt Verlegenheitslösungen. So ist das Parlamentsgebäude ja auch noch das gleiche in England. In den Tagungsraum können nicht mal alle abgeordneten sitzen. Abstimmungen finden zuerst mit „Yeah“ Rufen statt und dann ordentlich draußen mit Wahlzetteln. Einfach weil der Platz fehlt.

Was ich total veraltet finde ist das Mehrheitswahlrecht, das wir ja auch noch bei uns bei der Erststimme bei Bundes- und Landtagswahlen haben. Nichts gegen das Prinzip an sich. Es ist ja auch das richtige für eine Kommunalwahl oder Bürgermeisterwahl. Man wählt eine Person, der man vertaut, vielleicht sogar kennt. Aber bei uns sind die Kandidaten ja auch alle vom Parteivolk und die Verteilung legt die Zweitstimme fest. Wenn, also was oft der Fall ist, in einem Bundesland die meisten Kandidaten von einer Partei bei den Erststimmen siegen dann kommen von der Zweitstimmenliste wenige weiter und umgekehrt. Wenn aber die Zweitstimmen sowieso relevant für die Verteilung sind, dann sollte die Erststimme, mit der man eine Person wählt, auch Personen und nicht Parteien vorbehalten bleiben. Mein Vorschlag für Deutschland: Für die Erststimme dürfen nur Personen kandidieren, die nicht Mitglied einer Partei sind. Das hätte auch zur Folge, dass die Regierung wie Opposition im Parlament für ihre Gesetzesvorlagen werben muss und die Abgeordneten nicht einfach Stimmvieh sind. Die Opposition hat die Chance auch Gesetze durchzubringen, wenn sie eine Mehrheit findet und ich glaube solche Nonsensgesetzte wie die Maut oder für Ankerzentren, die bevorzugt von der CSU kommen würden, nie in Kraft treten.

Aber zurück zu England. Das Mehrheitswahlrecht für Partien ist meiner Ansicht nach Unsinn. Kleine Partien wie bei uns FDP, Grünen, Linke und Alternative für Deppen wären so unterrepräsentiert, weil sie nur wenig Chancen haben ein Direktmandat zu erhalten. Es ist aber auch zumindest wenn man es so macht wie in den USA unfair. Sowohl George W. Bush wie Trump wurden Präsidenten, obwohl sie nicht landesweit die meisten Stimmen hatten. Es wurde nach Bundesstaaten abgestimmt und da wird in den US sowieso intensiv Wahlkampf nur in einigen Staaten geführt, bei denen die Mehrheit nicht gewiss ist, den gesonnten Swing-States. Wenn es um ein landesweites Amt geht, sollten auch alle Stimmen aller Bundesstaaten addiert werden. Aber das US-System ist auch sonst noch veraltet mit dem System von Wahlmännern.

Aber es ist noch Gold im Vergleich zum englischen System. Wenn die gerade regierende Partei einen neuen Vorsitzenden wählt, wird der automatisch Regierungschef – ohne jede Abstimmung im Parlament. Es ist dort auch nicht mal möglich, wie bei uns Regierungsamt und Parteiamt zu trennen. Noch seltsamer: der Zeitpunkt der nächsten regulären Wahl (ohne Regierungsrücktritt) steht bei uns fest. Eben alle vier Jahre. In England kann innerhalb einer bestimmten Zeit die Regierung Neuwahlen ausrufen, wie es ihr gefällt und sie tut das natürlich, wenn die Umfragen gerade für sie sind. Kann aber wie man bei Theresa May sieht, auch nach hinten los gehen.

Mein Vorschlag: parlamentarische Systeme sollten in regelmäßigen Abständen modernisiert werden. Aber damit tun sich die Parlamente schwer. Bei uns will man seit zwei Legislaturperioden den Bundestag verkleinern. Es wurden immer mehr Überhangmandate und inzwischen haben wir das zweitgrößte Parlament weltweit, nach Nordkorea! Das betrifft auch das Procedere. Wenn ich mal in den Nachrichten Szenen aus anderen Parlamenten sehe, dann haben die offensichtlich die Möglichkeit einer elektronischen Abstimmung mit Anzeigetafeln für das Ergebnis. Bei uns wird noch mit Stimmkarten abgestimmt. Warum führt man das nicht ein? Spart Zeit, und ein einfaches Zählsystem ohne Internetanbindung (alle Abgeordneten müssen ja vor Ort sein) wäre auch sicher.

Da muss man sich nicht wundern, wenn es mit der Digitalisierung nicht klappt, wenn man im Parlament noch so arbeitet wie im letzten Jahrhundert …

Allerdings sollte dann auch ein Parlament ernst genommen werden. Die Findung der Präsidentin der Europäischen Kommission zeigt ja das das EU-Parlament nicht ernst genommen wurde. Noch mehr Unverständnis sehe ich in der bundesdeutschen CDU/CSU. Wenn man meint, dass man nur weil von der Leyen Deutsche ist, man darüber hinwegsehen kann das im Prinzip das Parlament als einzig demokratisch direkt gewählte Instanz ignoriert wurde dann hat man von Demokratie und das es um Europa und nicht Deutschland geht, nichts verstanden. Natürlich wurden die Regierungen die die Entscheidung trafen demokratisch gewählt, aber für nationale Politik und nicht EU-Politik und daher sollte das Parlament viel stärker aufgewertet werden. Dazu gehört auch, das nur Partien zur Wahl zugelassen werden die auch im Parlament an europäischen Fragen arbeiten wollen. Wir haben ja viele rechte Parteien im Parlament von denen nicht wenige das Parlament abschaffen wollen. So was wäre national nicht möglich. So eine Partei würde verboten werden. Dazu gehört aber auch ein Programm für Europa und nicht für die Vertretung nationaler Interessen oder noch peinlicher bei der CSU: bayrischen Interessen. Bei der vorletzten Europawahl hatte die CSU allen ernstes einen Bayernplan. Wie provinziell ist das denn? Wenn ihr nichts dazu beitragen könnt oder wollt, dann übernehmt eben die Liste der CDU. Aber weil für Europa vor allem immer noch die Kommission aus Regierungschef zuständig iost und die nicht auf eigene Macht verzichten wollen, wird sich da nicht ändern.

5 thoughts on “Wahlsysteme und ihre Tücken

  1. 100% zustimme.

    Das Mehrheitswahlrecht wurd eja immer damit gepreisen, dass dadurch keine Radikalen an die Macht kommen könnten.Die letzten Jahre haben dies allerdings Lügen gestraft.

    Was Änderungen betrifft:

    Tja, hier ist halt das Problem: Wirkt es sich nachteilig für die amtsinhabende Partei aus, wird es 100%ig nicht gemacht.

    @EU:

    Hier war halt das Problem, dass z.b. die Franzosen und Co. nicht den ursprünglichen Kandidaten wollten. Und den anderen wollten die Oststaaten nicht, weil die keinen „Linken“ haben wollten. Ergo, Kompromisskandidat, mit dem keiner wirklich glücklich ist.

    Und ansonsten ist es leider Standard, dass das Parlament bei wichtigen Entscheidungen ignoriert wird. Das hat ironischerweise schon Martin Schulz in seinem EU-Buch beklagt…

    1. Da finde ich ist aber eher das Problem das der Wahlsieger nicht einfach automatisch auch Kommisionspräsident wird sondern erst ausgeknobelt werden muss. Und von der Alternative für Deppen hab ich noch nie was gehört.
      Die Abkürzung AFD steht doch für Aufmerksamkeit Für Dackel.

      1. Oder „Aktion freie Drogen“

        Und wie glaubwürdig ist eine ausländerfeindliche Partei, die sich von Ausländern bezahlen lässt?

        1. Sind die nicht gerade gegen Drogen u.a. Marihuanafreigabe?
          Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Auch die Schweiz nimmt keine Ausländer auf, bis auf Wirtschaftsflüchtlinge die wegen zu hoher Steuern auf ihr Kapitalvermögen in die Schweiz flüchten ….

  2. Die Besonderheit von Großbritannien liegt unter Anderem auch darin, dass es keine (am Stück) geschriebene Verfassung gibt. Bei Streitfragen wälzt das Oberste Gericht dann alle möglichen Dokumente bis zurück zur Magna Carta. Viele „Gesetze“ sind überhaupt nicht zu Papier gebracht sondern aus dem paralamentarischen Usus heraus entstanden (hamma schon imma so gemacht…).
    Zudem gab es lange Zeit keine Parteien in unserem Sinn. Es gab Whigs und Tories, die aber keineswegs eindeutig als liberal oder konservativ bezeichnet werden konnten sondern je nach Opportunität ihre Standpunkte vertraten oder auch komplett wechselten.
    Die Parteien haben sich erst mit dem aufstrebenden Bürgertum im 18. – 19. Jahrhundert entwickelt.
    Ein Nebeneffekt des Mehrheitswahlrechts ist auch, dass dort öfter Politker auch mehrmals (siehe Churchill) die Partei wechselten. So konnte man einfacher an die Macht gelangen, wenn die eigene Partei gerade in der Minderheit war. Im wesentlichen gab es aber seit dem 20. Jahrhundert die meiste Zeit in Großbritannien 2 große Blöcke. Die letzte Wahl ist daher aussergewöhnlich, da das Parlament nun völlig zerplittert ist. Eigentlich klar, da ja die Fronten remain und leave quer durch die Parteien gehen. Man hat als in einem 2-Parteien Mehrheitswahlsystem eine Chance, es auszuhebeln indem man eine möglichst spalterische Sache auf die Agenda bringt.

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