Die Raketenentwicklung in den USA von 1945 bis 1965 – Teil 2

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So, dieser Teil schließt nahtlos an den ersten Teil von  gestern an, doch ich wollte nicht eure Aufmerksamkeit auf die Probe stellen und zudem wärs auch etwas lang zum lesen.

Die Redstone machte als taktische Waffe einen Sinn, aber noch gab es nicht den Plan eine Mittelstrecken- oder Interkontinentalrakete zu entwickeln. 1954 änderte sich das. Auf der Maiparade auf dem roten Platz waren Mittelstreckenraketen Russlands zu sehen. Die Militärparade war nicht nur zur Feier des Siegs über Nazideutschland da, sie war auch eine Waffenschau. Nun wähnten sich die USA in einer Mittelstreckenraketen-“Lücke“. Es ist erstaunlich wie viel Geld man in den USA loseisen kann wenn man dieses Wort „Gap“ verwendet. Das hat Stanley Rubrik in seinem Film „Dr. Strangelove“ sehr gut herausgearbeitet. Als zweites Ereignis, das zu einer „Bedrohung“ führte, zündete 1954 auch Russland seine erste Wasserstoffbombe. Mit der Wasserstoffbombe als „Nutzlast“ spielte auch die schlechte Treffgenauigkeit von 1,5 bis 2 km keine so große Rolle. So kam es dazu das fast zeitgleich zwei neue Mittelstreckenraketen entworfen wurden: die PGM-17 Thor von der Air Force und die PGM-19 Jupiter von der Army. Beide bekamen das Okay 1955. 1957 sah es kurze Zeit so aus, als würde die Jupiter eingestellt werden – zwei Typen mit fast gleichen technischen Daten und sogar demselben Triebwerk waren schließlich nicht nötig, da startete am 3.10.1957 Sputnik 1 und damit war klar das Russland sogar eine ICBM hatte. Nun wurde stationiert was nur verfügbar war. Gebaut wurden 101 Jupiter, davon nur 45 stationiert und 225 Thor, davon wurden maximal 60 stationiert. Die Thor hatte die viel schlechtere Erfolgsquote bei den Teststarts scheiterten über 60 Prozent, während es bei der Jupiter nur 21 Prozent waren. Aber sie wurde trotzdem eingestellt, weil im November 1957 die US Air Force für alle Raketen größerer Reichweite verantwortlich wurde und die stellte natürlich ein Army Projekt ein. Beide Träger waren moderner als die Redstone. Das Triebwerk war kardanisch schwenkbar aufgehängt, verzichtete auf die Strahlruder und der Gasgenerator benötigte keinen eigenen Treibstoffvorrat sondern nutzte die Treibstoffe aus den Haupttanks.

Wenig später ging man schon an die Konstruktion von ICBM, die rund dreimal größer als eine IRBM sein mussten. Das grundlegende Problem war nicht die Größe – durch mehrere Triebwerke kann man das Gewicht schon wuppen. Das Problem war, dass eine einstufige Rakete die nötige Geschwindigkeit von rund 7.000 m/s nicht erreicht. Damit es bei der Atlas als ersten Rakete klappt, musste man tricksen. Die Atlas wurde zeitgleich wie die Thor im Januar 1955 genehmigt, brauchte wegen der Größe aber einige Jahre mehr für die Umsetzung. Neben dem Einsparen an Gewicht durch Innendruckstabilisierung war bei der Atlas der Trick, dass sie drei Triebwerke hatte. Ein zentrales Marschtriebwerk in der Mitte und zwei doppelt so schubstarke Boostertriebwerke außen. Diese beiden konnten im Flug abgeworfen werden. Zusammen mit der extremen Leichtbauweise der Tanks, verlor die Rakete so die Hälfte ihrer Trockenmasse im Flug. Das erfolgte bei Erreichen einer bestimmten Beschleunigung.

Die Atlas Entwicklung verlief langsam. Es gab drei Vorserien, die Atlas A bis C. Die Atlas A hatte noch kein Zentraltriebwerk, Atlas B und C sollten vor allem die Steuerung und den Wiedereintrittskopf testen und verbessern. Erst die Atlas D war einsatzfähig. Sie wurde stationiert, obwohl sie anfällig war. Aber damals wähnten sich die USA in einer „ICBM-Gap“. Sie benötigte eine funktionierende Luftwaffenbasis auch nach dem Abheben, weil diese die Lenkinformationen übermittelte. Erst die Atlas E war nach dem Start autonom und die Atlas F konnte sogar in einem Silo gelagert werden, musste aber vor dem Start herausgefahren werden. Das die Raketen unter freiem Himmel herumstanden, war bis dahin der Normalfall gewesen.

Wie aufwendig die Atlas Entwicklung war, zeigt auch das 350 ICBM gebaut wurden (Tests, Stationierung und Waffentests, das sind Starts von ICBM durch die Militärangehörigen, damit die auch mal wissen wie das in Wirklichkeit abläuft, aber natürlich ohne Sprengkopf) aber nur 129 Raketen wurden stationiert, also nur etwas mehr als ein Drittel.

Die Atlas Entwicklung galt als riskant. Würde das denn klappen mit den ultradünnen, nur durch Innendruck stabilisierten Tanks? Was passiert, wenn man die Triebwerke nicht im Flug abwerfen kann? Und so wurde schon ein halbes Jahr später die Genehmigung erteilt ein zweites Waffensystem zu entwickeln, die SM-68 Titan. Die Titan – später als es noch SM-68B gab, Titan I genannt, war eine zweistufige Rakete. Sie konnte auf das Schnick-Schnack von innendruckstabilisierten Tanks und Abwurf von Triebwerken verzichten. Die Titan war sogar noch leichter als die Atlas und trotz zwei Stufen verlief das Testprogramm reibungsloser. Schon 1959 ersetzte die Titan I die Atlas. Insgesamt wurden 163 Titan I gebaut. Davon 62 Vorserienmodelle für Erprobungstests und 47 für Tests die mit Starts endeten, um die Mannschaften mit dem Träger vertraut zu machen. 54 Titan I wurden stationiert. Insgesamt 67 Teststarts gab es, 20 davon vom VAFB, nur die Hälfte war erfolgreich, vielleicht ein Grund warum sie so schnell von der Titan 2 abgelöst wurde. Eine Rakete explodierte 1962 im Silo in der Beale AFB.

Alle bisherigen Raketen hatten aber einen entscheidenden Nachteil: Der Verbrennungsträger war immer flüssiger Sauerstoff, LOX abgekürzt. Flüssiger Sauerstoff ist der beste Oxidator den es gibt, aber er ist nur bei -205 bis -183°C flüssig. Die Raketen mussten dauernd nachgetankt werden. Trotzdem alterten durch die tiefen Temperaturen viele Bauteile schnell. Es kam zu Bränden in den Silos und außerhalb der Silos waren die Raketen sehr anfällig. Im Prinzip waren alle Raketen mit LOX als Treibstoff Erstschlagswaffen. Bei einem Angriff hätte die Zeit nicht gereicht sie aufzutanken und zu starten. Das ist für die Abschreckung natürlich jetzt nicht so toll. Später prägte ja Verteidigungsminister McNamara den Begriff MAD – (mutually assured destruction), also wenn einer der beiden Großmächte die andere atomar angreift, dann stirbt sie als zweiter. Doch das war nur möglich mit Raketen die zweitschlagtauglich waren. Dazu mussten sie in einem Silo mit Bunker vor einem Erstschlag geschützt und danach startbar sein. Das ging nur mit Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen. Es erfolgte der Beschluss, die Titan auf lagerfähige Treibstoffe umzurüsten.

Es gibt in allen Entwicklungsschritten Parallelen zur Sowjetunion:

  • Vor den ICBM entwickelte auch Russland zuerst zwei Mittelstreckenraketen, die R-4 und R-5.
  • Auch die R-7 als erste ICBM kam nicht ohne den Abwurf von Masse während des Flugs aus, hier waren es die Außenbooster die abgeworfen wurden.
  • Der nächste Schritt war auch in Russland die Entwicklung einer echten zweistufigen Raketen, der R-9, aber immer noch mit LOX/Kerosin.
  • Danach ging man an die Konstruktion von Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen, die R-16. Sie war wie die Titan II dann auch anders als die vorherigen ICBM lange stationiert.

Selbst die verwendeten Treibstoffe gleichen sich. De Fakto hätte man ja anstatt Stickstofftetroxid auch die billigere Salpetersäure verenden können. Vor allem gibt es eine Alternative zum sehr teuren Hydrazin und seinen Derivaten: Man kann mit Salpetersäure/Stickstofftetroxid auch normales Kerosin verbrennen. Beide Nationen setzten aber auf Hydrazin / Dimethylhydrazin. Diese Substanzen sind aufwendig in der Herstellung und sehr teuer.

Bei der Titan II, die sehr bald die Titan I ersetzte, wurde diesmal keine neue Rakete entwickelt, sondern nur die Triebwerke im Schub gesteigert, und die zweite Stufe auf den Durchmesser der ersten angepasst. Die Steigerung war nötig, weil auch der Sprengkopf größer war. Der W-53 Sprengkopf hatte eine Sprengkraft von 8,5 MT, der größte von den USA jemals stationierte.

Anders als alle vorherigen Typen war die Titan II denn auch sehr lange stationiert, bis in die Achtziger Jahre hinein, also über zwanzig Jahre, auch ein Analogon zur russischen R-16. Selbst das Vergrößern des Durchmessers machte Russland analog. Aus der R-16 wurde die R-36 mit einem durchgängigen Durchmesser von 3 m. Anders als die Titan II hat diese aber noch nicht ausgedient. Die R-36 wurde nochmals vergrößert zur R-36M, der größten und schwersten ICBM die jemals stationiert wurde. R-36M wurden nach der Ausmusterung durch den Abrüstungsvertrag Start als „Dnepr“ Rakete eingesetzt. Einige Jahre schien es so, als würden auch sie auslaufen, weil Elektronikbauteile aus der Ukraine ihre Lebensdauer überschritten haben und es keinen Ersatz gibt. Doch nun rüstet Russland wieder auf und anstatt neu zu entwickeln, gibt es eine neue Version der R-36M, nun allerdings als RS-28 bezeichnet wird. In den USA wurde schon während der Titan II Entwicklung an viel kleineren Feststoffraketen gearbeitet, die als Minuteman in großer Stückzahl in den Sechzigern stationiert wurden. Seitdem sind neue militärische Raketen wegen der viel einfacheren Handhabung und Ungefährlichkeit nur noch Feststoffraketen.

Doch was macht man mit den ausgemusterten Raketen? Die USA haben rund 50 Redstones, 45 Jupiter, mindestens 60 Thor, je 54 Atlas E+F und 27 Atlas D und je 54 Titan I und II stationiert. Ohne weitere Raketen für Teststarts, die auch nicht alle benötigt wurden, sind das über 400 Raketen, die alle nach wenigen Jahren ausgemustert wurden, die ersten 1962, die letzten 1965.

Da damals schon das Weltraumzeitalter begonnen hatte, darf man annehmen, das diese Raketen als Trägerraketen genutzt wurden. Redstone, Jupiter und Thor benötigten eine Oberstufe konnten aber 200 bis 500 kg Nutzlast in einen Leo transportieren. Atlas und Titan konnten ohne Oberstufe einen Orbit erreichen, aber mit kleiner Nutzlast mit einer Oberstufe betrug die Nutzlast 1,5 bis 4 t. Das war damals schon eine beträchtliche Nutzlast, die meisten Satelliten waren leichter. Oberstufen konnte man auch an verschiedene Träger adaptieren, wie die Agena zeigt die auf Thor, Atlas und Titan eingesetzt wurde.

Doch das tat man in den USA nicht. Die meisten Träger wurden verschrottet. So erging es allen Jupitern. Bei den Redstones fand man für einen Teil eine weitere Verwendung im Rahmen eines Raketenabfangsystems als Testrakete. Von den 60 ausgemusterten Thor – es gab wahrscheinlich mehr Thor – wurden 31 immerhin als Träger für kleine Satelliten vor allem Wettersatelliten des DSMP Programms eingesetzt. Bei den Atlas E+F die sie ablösten – die Atlas D wurden verschrottet waren es 45 von 108 Trägern. Es waren so viele, das man meinte sie nicht mehr alle zu benötigen. Anfang der siebziger Jahre wurden 35 Atlas-Raketen verschrottet, da die Luftwaffe annahm, sie wären überflüssig. Mit einem Bulldozer wurden die Trägerraketen platt gewalzt, um 3.000 Dollar pro Exemplar und Jahr an Unterhaltskosten einzusparen. Für dieses „vorausschauende Handeln“ bekam der verantwortliche Air Force Offizier Col. Poor (sic!) eine Auszeichnung.

Dieses „vorausschauende“ Handeln führte dazu das Anfang der Achtziger Jahre die Atlas ausgingen und die USAF nach Ersatz suchte. Sie rüstete nun die Titan II um, die nun auch ausgemustert wurden. Das entpuppte sich als viel teurer als ein Atlas Start und kostete 487 Millionen Dollar. Für 14 Träger. Aber das US-Millitär hats ja. Die geben gerne auch so viel wie die NASA an Gesamtetat hat für Klimaanlagen für die Truppen aus, anstatt diese in Gebäude anstatt Zelten unterbringen.

Der Großteil der anderen Raketen, so 30 bis 35 Titan II und alle Titan I wurden verschrottet. Also ich hätte sie zu Trägerraketen umgebaut. Es muss da so was wie eine geistige Schranke geben. Denn genutzt wurden auch die Thor und Atlas nur für militärische Nutzlasten. Beide Linien wurden auch für zivile Träger eingesetzt. Und die NASA orderte neue Thor und Atlas D um sie dann als Trägerraketen einzusetzen anstatt die ausgemusterten militärischen Träger einzusetzen.

Selbst heute hat sich nicht so viel verändert. Inzwischen wurden ja auch die Nachfolger Minuteman und Peacekeeper zum Teil ausgemustert, wegen dem Start-Vertrag. Aber sie werden als „Minotaur“ nur selten eingesetzt und dann nur zum Teil, also meist die Erststufen, die Oberstufen sind zivile antriebe. Viel sparen kann man so nicht.

 

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