Warum Raumsonden eine aktive Steuerung brauchen

So während der Upload des Buchblocks für Buch Nummer Sechs – und damit das letzte in diesem Jahr lauft ein neuer Blog. Etwas Reklame dafür gibt es dann wenn es in 1-2 Wochen lieferbar ist an dieser Stelle. Nachdem meine Kurzweilligen Blogs wohl keinen interessieren oder meine Blogleser Angst vor ihren Frauen haben und keinen Kommentar hinterlassen wollen, heute wieder einen tiefschürfenden Blogeintrag aus der Rubrik „Bernd erklärt die Raumfahrt“. Satelliten kommen ja im Extremfall ohne Steuertriebwerke aus. Für viele reicht es die räumliche Lage zu ändern. Das geht auch mit anderen Maßnahmen wie Drallrädern oder der Ausrichtung nach dem Magnetfeld mit metallenen und unter Spannung gesetzten Auslegern.

Kann man auch Raumsonden ohne Steuerungsmöglichkeiten bauen? Nun die ersten hatte keine, doch dazu später mehr. Fangen wir an mit einem ersten Beispiel. Wir schicken eine Raumsonde zum Mond. Nun gibt es erst mal Fehler beim Einschuss. Eine Stufe berechnet zwar die Bahn laufend neu, aber zwischen zwei Berechnungen beschleunigt sie weiter. Bei 10-20 Bestimmungen pro Sekunde und 0,5 – 2 g Beschleunigung resultiert ein Fehler von rund 1 m/s. Je langsamer die Stufe beschleunigt desto kleiner ist der Fehler. Bei der letzten Ariane 5 Mission waren es z.B. nur 0,3 m/s.

Ziel soll der Mond sein, der nach 3 Tagen erreicht wird. Ein Raumschiff wird bestrebt sein, sich dem Mond recht nahe zu nähern ohne ihn zu rammen, da dann der Geschwindigkeitsbedarf minimal wird. Steht die Brenndauer fest, so kann eine falsche Distanz nicht nur dazu führen dass eine unplanmäßige Bahn erreicht wird, sondern dass die Treibstoffvorräte gar nicht ausreichen.

Machen wir erst mal eine Lieschen-Müller Rechnung: Es soll keine Orbitalgesetzte geben und eine Abweichung von 1 m/s zur Seite soll vorhanden sein. Dann würde die Raumsonde in jeder Sekunde sich um 3,6 km (3600 s * 1 m/s) von der idealen Position entfernen. Nach 3 Tagen wird so eine Abweichung von 259,2 km erreicht. Apollo näherte sich bis auf 110 km dem Mond – Im Extremfall wäre ohne Kurskorrektur wäre sie also auf dem Mond aufgeschlagen.

Nun gelten aber die Orbitalgesetze und eine andere Geschwindigkeit bedeutet dann auch einen anderen Orbit. Wäre der ideale Orbit z.B. einer von 200 x 385.000 km Bahn, so bedeuten z.B. 1 m/s in der Geschwindigkeit einen neuen Orbit von 389.500 km Erdferne, also fast 5000 km mehr. Die Raumsonde braucht  4 d 11 h 59 m 46 s um an die Position zu kommen und erreicht sie mit einer Geschwindigkeit von 236,8 m/s. Beim ursprünglichen Orbit wären es 5 d 2 h 42 m 4 s gewesen und 184 m/s. Die Sonde kommt also rund 14 Stunden zu früh an mit rund 50 m/s zu hoher Geschwindigkeit. Auch räumlich wäre durch die andere Form der Ellipse eine andere Position erreicht worden.

Was hat dies zur Folge? Nun der Mond steht nicht still. Er umrundet die Erde in dieser Entfernung mit 1010 m/s, das bedeutet in 14 Stunden legt er rund 51.000 km zurück. Er würde sich also wenn die Raumsonde früher an der Mondumlaufbahn befindet an einer ganz anderen Position befinden. Daraus wird klar: Will man den Mond erreichen und hat keine Kurskorrekturmöglichkeit, so muss man die Bahn mit sehr hoher Genauigkeit erreichen.

So verwundert es nicht, dass dies bei den ersten Raumsonden ohne eigene Triebwerke misslang:

  • Pioneer 1 hat eine zu geringe Geschwindigkeit, aber auch einen Falschen Winkel und hätte den Mond um 30.000 km verfehlt, wenn die Oberstufe korrekt funktioniert hätte
  • Pioneer 3 hatte das gleiche Schicksal, aber auch hier stimmte der Einschusswinkel nicht und wich um 4 Grad (rund 36000 km beim Mond) ab.
  • Pioneer 3 wurde auf einen zu schnellen Kurs gebracht, passierte den Mond 3 Stunden zu früh in 59.250 km Entfernung anstatt 32.000 km Entfernung
  • Luna 1 verfehlte den Mond um 5955 km, Sie sollte auf ihm aufschlagen
  • Ranger 3 hatte eine aktive Steuerung, doch ohne Funkverbindung zum Boden kompensierte sie zu großen Fehler der nicht existierte und die Sonde passierte den Mond in 38.000 km Entfernung.

Damit ist klar, dass eine Raumsonde ihren Kurs korrigieren können muss. Wann und wie geschieht dies am besten? Nun es ist so wie bei einer Bowling Kugel die geworfen wird. Anfangs reichen kleine Abweichungen um die Bahn gravierend zu ändern. Würde man ihr erst kurz vor dem Ziel einen Schubs geben, so würde er sie nur wenig ablenken. Das bedeutet dass die Kurskorrekturen um so kleiner sein können je früher sie stattfinden. Auf der anderen Seite ist die Position und Geschwindigkeit nur fehlerbehaftet bekannt und so können dadurch neue Fehler entstehen. Weiterhin gibt es auch Störeinflüsse. Bei einem Flug zum Mond ist dies der Mond selbst, aber es gibt auch interne Einflüsse wie z.B. Drallräder die ihre Position/Drehzahl ändern, austretendes Restgas. Bei Sonnenumlaufbahnen spielen die anderen Planeten eine Rolle und der Strahlungsdruck des Lichtes (eine fehlerhafte Kompensation des einseitig wirkenden Strahlungsdrucks führte z.B. zum Verlust des MCO). In der Praxis gibt es daher meist mehrere Manöver. Das erste kurz nach dem Start um die gröbsten Fehler zu beheben. Bei Apollo machte man dies gerne mit dem Haupttriebwerk, auch wenn es nur für wenige Sekunden brennen musste und man überkompensierte, um es kurz zu testen. Es folgt dann eines auf der Hälfte der Distanz und manchmal noch eines kurz vor dem Ziel für das Feintuning.

Bei Raumsonden gilt das Gleiche. Aufgrund der größeren Störeinflüsse sind hier aber 3-4 Manöver die Regel. Ansonsten sind die Abweichungen beim Planeten gewaltig. Bei New Horizons trennen bei Jupiter die Star-48B Oberstufe mit der sie gestartet wurde und die Sonde über 400.000 km. Bedingt durch die unterschiedliche Ablenkung beim Vorbeiflug werden es dann bei Pluto über 200 Millionen km sein. Selbst kleine Störeinflüsse wirken sich bei planetaren Umlaufbahnen aus: So verschob alleine der Strahlungsdruck des Lichtes Mariner 2 um 1.200 km, worauf man bei Mariner 3+4 Experiment kleine Sonnensegel montierte um diesen Effekt auszunutzen.

Wie wird aber nun genau bestimmt ob die Bahn korrekt ist? Nun dazu braucht man nur einige Meßpunkte für die man Geschwindigkeit und Position kennt. Verbindet man diese kann man die Bahn zurückberechnen. Es gibt heute sehr ausgeklügelte Verfahren, aber ich will die einfachsten beiden erklären. Zuerst einmal die Geschwindigkeit. Dazu muss man nur die Verschiebung der Funkfrequenz berechnen die durch den Dopplereffekt entsteht. Heute gibt es Bausteine die eine sehr genaue Frequenz abgeben mit sehr kleinen Schwankungen, diese USO’s (ultrastable Oszillators) werden heute eingesetzt. Vor einigen Jahrzehnten waren die nötigen Geräte jedoch noch zu schwer für eine Raumsonde und man wandte einen Trick an: Die Erde sandte ein Signal zur Raumsonde, eine Elektronik multiplizierte das Eingangssignal mit einem festen Teiler und sandte es zurück und auf der Erde wurde das Signal und die Ankunftsfrequenz gemessen.

Damit hat man die Geschwindigkeit der Sonde. Doch diese ändert sich ständig. Man muss auch wissen wo sie sich gerade befindet. Im Idealfall hat die Raumsonde eine sehr genaue Uhr an Bord, dann ist das kein Problem, doch auch hier gibt es eine einfachere Lösung: In das Signal das die Sonde von der Erde bekommt wird ein Zeitcode eingebettet, der die Zeit beim Absenden beinhaltet. Wenn es nun wieder auf der Erde ankommt muss nur der Zeitcode mit der aktuellen Zeit vergleichen werden und durch die doppelte Lichtgeschwindigkeit geteilt werden und man hat die Entfernung der Sonde von der Bodenstation. In der Praxis muss natürlich noch einiges berücksichtigt werden, so bewegt sich ja auch die Bodenstation mit der Erdrotation und die Erde bewegt sich ebenfalls im Sonnensystem. Trotzdem war es schon 1969 so möglich den Ort von Apollo auf 30 m genau zu bestimmen. Mit neueren Techniken kann heute die ESA die Position von Mars Express genauer bestimmen als die Marsbahn selbst bekannt ist, d.h. der Hauptfehler verlagert sich nun auf die nicht zu 100 % genau bekannte Position der Planeten.

Ist durch Vermessung der Bahn (je länger. desto genauer) diese bekannt, so kann natürlich berechnet werden wo die Sonde sein würde, wenn sie in Zielnähe ist und um wie viel sie noch korrigieren muss um den Punkt mit hoher Genauigkeit zu erreichen, der gewünscht wird.

One thought on “Warum Raumsonden eine aktive Steuerung brauchen

  1. Zitat: … Dann würde die Raumsonde in jeder Sekunde sich um 3,6 km (3600 s * 1 m/s) von der idealen Position entfernen. …

    Müsste es nicht „in jeder Stunde“ heißen? oder verstehe ich da jetzt was falsch?

    gruß

    Dietmar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.