ISS-Boost
Es wird mal wieder Zeit für eine neue „technische Spinnerei“. Diesmal geht es um die ISS.
Die ISS befindet sich so nahe der Erde, dass sie derzeit um 50 bis 100 m pro Tag sinkt. Das klingt nach wenig, ist jedoch ein sich selbst beschleunigender Prozess, da in einer niedrigeren Höhe die Abbremsung noch höher ist. Bei einer Masse von rund 350 t benötigt man dafür einiges an Treibstoff. In wenigen Tagen wird das zweite ATV an die ISS andocken. Mehr als zwei Drittel seiner Nutzlast besteht nur aus Treibstoff. Insgesamt über 5 t bringt er zur ISS. Johannes Kepler wird die ISS um 40 bis 50 km anheben um das Absinken zu verlangsamen. Ideal wäre es die ISS in eine noch höhere Bahn anzuheben. Die geplante mittlere Bahnhöhe soll bei 407 km liegen. In dieser Höhe ist die Abbremsung aber noch sehr hoch. 200 km weiter von der Erde entfernt wäre keinerlei Bahnanhebung mehr über die gesamte Lebensdauer nötig.
Auf der anderen Seite darf die ISS nicht zu weit von der Erde entfernt sein, weil die Nutzlast der Trägerraketen abnimmt. Es sind zwar wenn man berücksichtigt, das auch mehr Treibstoff für den Wiedereintritt benötigt werden nur 8% des Startgewichts, aber da nur etwa 30% der Startmasse auf die Transportgüter entfallen dann schon ein Viertel der Transportkapazität (berechnet für eine 600 anstatt 400 km hohe Umlaufbahn).
So muss die ISS sich in einer niedrigen Erdbahn befinden. Zeit wenigstens den Treibstoffverbrauch für die Aufrechterhaltung der Bahn zu minimieren.
Meine Idee: an die ISS koppelt ein Gefährt nur für diesen Zweck an, dass mit elektrischen Triebwerken arbeitet. Folgendes Anforderungsprofil gibt es:
- Fähigkeit die Bahnhöhe der ISS auch bei widrigen Umständen aufrecht zu erhalten
- Ausreichende Stromzufuhr ohne Strom von der ISS zu ziehen
- Möglichst langlebig
Zuerst einmal zum Antriebsbedarf. Die ISS soll mit einem bis zwei angekoppelten Transportern 450 t wiegen. Weiterhin muss das Gefährt nicht nur fähig sein, die momentane Abbremsung in der Höhe von 50 bis 100 m/Tag zu kompensieren, sondern auch die Extreme die bisher bei 250 m/Tag lagen. Das ergibt einen maximalen Antriebsbedarf von 67.500 N pro Tag. (für 2r0 m/Tag)
Eingesetzt sollen Triebwerke des Typs RIT-XT von EADS werden. Sie werden nur auf der Tagseite betrieben wenn die Solarpanels volle Leistung aufweisen. Das soll mit Puffern 50% der Zeit ausmachen, also 43.200 s pro Tag, woraus sich eine Forderung nach einem Dauerschub von 1.6 N ergibt. Bei einem Schub von 0,15 N pro Triebwerk werden so 11 Stück benötigt. Weitere Triebwerke, die aber nicht laufend betrieben werden, werden benötigt, um die ISS zu drehen oder im Orbit zu verschrieben. (Zur Lageänderung).
Die Stromversorgung soll für 11 Triebwerke ausreichen. Bei 4,7 kW Stromverbrauch pro Triebwerk ergibt sich so eine Forderung nach einer Stromversorgung mit 51,7 kW Dauerleistung. Wird eine Degradation der Solarzellen und die Effekte der Jahreszeiten (mit schwankender Spitzenleistung) mit 30% hinzugerechnet, so ergibt sich eine Forderung nach einer Leistung von 67 kW. Das wären z.b. 4 Paneele mit je 4 x 21 m Größe.
Die Triebwerke haben eine Lebensdauer von 15.000 Stunden. Das entspricht bei einem Betrieb über 50% der Zeit 3,4 Jahre, wenn die Abbremsung geringer ist und die Triebwerke nur kurzzeitig eingeschaltet werden erheblich länger, beim nominellen Wert von 100 m/Tag rund 8,5 Jahre.
Der Treibstoffbedarf kann so aus Multiplikation des bekannten spezifischen Impulses und der Betriebszeit berechnet werden. Es ergeben sich folgende Parameter:
- Treibstoff: 2.100 kg
- Tanks: 400 kg (Verwendet wird Xenon, was schwere Druckgastanks notwendig macht)
- Solarzellen: 840 kg (80 W/m², der Wert des SLA von Dawn)
- Triebwerke: 20 Stück, neben den 11 am Heck noch 9 für Drehungen und Bewegungen quer zur Bahnebene: 7 kg pro Triebwerk: 140 kg
Das ergibt zusammen eine Masse von 3.480 kg für die Kernssysteme. Wird der ISS-Boost mit einer Sojus gestartet bleiben so noch gute 3.500 bis 4.000 kg für Strukturen, Avionik und Kopplungsadapter.
Was bringt es?
Der Gesamtimpuls der zur Verfügung steht beträgt 89 Millionen Ns. Das entspricht bei den Triebwerken des ATV, welche normalerweise den Job erfüllen, rund 29.500 kg Treibstoff, also der Frachtkapazität von fast vier ATV. Da ein jeder rund 420 Millionen Euro kostet bedeutet dies, das solange einer dieser ISS-Booster weniger als rund 1,6 Milliarden Euro kostet, er lohnend ist.
Da gerade Europa vor allem die ISS anheben sollte, wäre es in eigenem Interesse ein solches Gefährt zu entwickeln. Wie könnte es aufgebaut sein? Es gäbe sicher mehrere Möglichkeiten. Die für mich naheliegendste ist es schon bestehende Hardware zu verwenden. Es gibt zwei Möglichleiten: Muss alles aus Europa stammen, so würde man den Avionikteil des ATV nehmen, dort alle Teile ausbauen die man nicht braucht bzw. austauschen (z.b. die Tanks durch Druckgastanks, Solarzellen durch deutlich leistungsfähigere) und den russischen Kopplungsadapter direkt auf den Avionikteil anbringen. Der Nachteil ist das schon dieser Teil des ATV heute über 5 t wiegt und daher viel Gewicht eingespart werden muss und er mit dem Durchmesser von 4,5 m nicht von einer Sojus gestartet werden kann. So fällt ein Start mit einer Ariane 5 an, was immerhin die Möglichkeit eröffnet den Druckbehälter mit Fracht zusätzlich zu starten.
Die zweite Möglichkeit ist eine Progress umzurüsten. Sie wiegt ohne Treibstoffe rund 4,1 t, könnte also alle Systeme aufnehmen, ist kompatibel zur Sojus Trägerrakete (die beim Start von Kourou aus auch etwas mehr zur ISS transportiert). Es wäre daher die günstigere Lösung. Der Nachteil beider Lösungen ist, dass der einzige Kopplungspunkt der durch den Schwerpunkt der Station geht und bei dem die Triebwerke in die Bewegungsrichtung schauen der am Ende von Swesda ist, der Ankopplungspunkt des ATV und auch zahlreicher Progress ist. Das bedeutet dass der ISS-Booster regelmäßig abdocken und andocken muss, was aber kein Problem ist, wenn es nicht zu lange dauert. Schließlich ist die Auslegung für die maximale Abbremsung ausgelegt, der Transporter kann also danach wieder die Station anheben und nicht nur das Sinken aufhalten.
Weiterhin steht Strom zur Verfügung der von der ISS genutzt werden kann, wenn die maximale Abbremsung nicht vorliegt.
Man kann das Konzept sogar noch weiter spinnen. Alle Transporter gelangen erst in eine niedrige Erdumlaufbahn, fliegen dann die ISS in ihrer höheren Umlaufbahn an und koppeln dann ab um deorbitiert zu werden. Beim ATV ist es z.B. eine Ausgangsbahn von 260 km Höhe. Für die Manöver hat er dabei 2 t Treibstoff an Bord – ein Zehntel seiner Startmasse. So wäre auch denkbar, dass die ISS in einen sehr hohen Orbit gebracht wird, in dem sie kaum abgebremst wird, danach koppelt der ISS-Boost ab und ist dann Pendler zwischen niedrigem und höheren Orbit. Die Lasttransporter benötigen dann erheblich weniger Treibstoff. Eigentlich nur den Teil um von einer niedrigen Bahn zu deorbiteieren. Das ist beim ATV ein Viertel der Treibstoffvorräte.
Der ISS-Boost könnte den schwersten Transporter, das ATV in 72 Tagen von 260 km Höhe bis in 600 km Höhe bringen oder in 32 Tagen zur mittleren Bahnhöhe der ISS von 407 km. Der Lohn sind 1.500 kg mehr Nutzlast immerhin ein Fünftel der derzeitigen Nutzlast. Der Treibstoffvorrat würde für 8 Transfers 260 ? 407 km oder 4 von 260 ? 600 km reichen. Das ist recht wenig und die Zeitdauer ist recht groß. Weiterhin ist in der erdnahen Bahn die Abbremsung durch die vier großen Solarpaneele recht groß. Dafür lohnt es sich also nur bedingt. Beim ATV würde das dem Einsparen von rund 12 t Nutzlast entsprechen. Für diesen Zweck wäre ein optimiertes Gefährt notwendig oder die Möglichkeit dass die Frachttransporter jeweils den Xenonvorrat auffüllen. Die Triebwerke können redundant ausgelegt werden, sodass die begrenzte Lebensdauer dann nicht den Betrieb limitiert. Bei 7 kg pro Triebwerk wiegt ein zweiter Satz der 11 Triebwerke für die eigentliche Antriebssektion nur 77 kg.
Ich sehe aber bei dem engen Zeitplan der durch bis zu 12 Transporte pro Jahr plus 4 Mannschaftstransporte in wenigen Jahren üblich sein wird eher den Hauptnutzen in dem dauernden Anheben der Bahn. Es wäre sogar zum Ende der Lebenszeit der ISS denkbar die Bahn soweit anzuheben, dass die Station für einige Jahrzehnte sicher in einem höheren Orbit ist. Dort könnte man entscheiden was man mit ihr tun will, z.B. Module die noch brauchbar sind erneut verwenden oder es gäbe genug Zeit ein leistungsfähiges Deorbit Gefährt zu entwickeln. Oder man vermietet sie an einen Weltraumtouristik-Dienstleister (Wer sagt denn, dass man alles gleich versenken muss?)
Hmm … also den Hauptnachteil den ich darin sehe ist dass man die Experimente die auf Mikrogravitation beruhen beeinträchtigt … man muss ja das Absinken auf einem ganzen Umlauf in einem halben kompensieren (wobei ich mir nicht sicher bin ob das bahn-mechanisch überhaupt geht) … da wäre ein Triebwerk das ala GOCE den ganzen Umlauf liefe besser, da könnte man die Mikrogravitation sogar verbessern … momentan hat die ISS ja auch Akkus an Bord die die Energie der Tagseite für die Nachtseite puffern, ist aber vermutlich sehr schwer das ganze … und man verbaut sich damit die besten dockingplaetze, es sei denn man befestigt die Triebwerke an vier symmetrischen Gondeln, dann kann man vielleicht schon Nickbewegungen mitsteuern durch drosseln … der Tunnel durch das Triebwerksmodul wäre dann auch für Wartungen und Stauraum nutzbar … aber keine Ahnung ob sich im „Exhaust“ eines Ionentriebwerksbuendels ein anderes Raumschiff sicher docken ließe …
Die Idee eines Space Tugs im LEO gefällt mir … es müsste aber schon sehr zuverlässig ausgelegt sein, was es wohl etwas teurer macht … aber interessant finde ich es 🙂
HElados
Die Beschleunigung entspricht bei 100m/Tag 0,14 Millionstel g. Auf der ISS gibt es niemals weniger als 1 Millionstel g. Das ist also zu vernachlässigen.
Die Mikrogravitation reicht aber heute schon für die Experimente aus. Es wurde ja allgemein bedauert das das CAM am Boden blieb das Bruchteile eines g aber keine Mikrogravitation zur Verfügung gestellt hätte.
Der Exhaust wird Neutralisierung und ist als solcher für Schiffe keine Gefahr. Wir reden hier von einem Materiefluss von 12 mg/s. Außerdem kann man ja von oben und unten anfliegen so wie dies das HTV schon heute tut.
Für einen LEO Transporter wäre wahrscheinlich ein noch leistungsfähigeres Schiff sinnvoller. Bei dem Konzept nimmt ja der eigentlich ISS Boost nicht mal die hälfte der Startmasse ein. Für viele LEO Transfers wäre ein Gefährt mit geringerer Strukturmasse aber mehr Treibstoff und mehr Triebwerken sinnvoller um die Zeit zu reduzieren und mehr Flüge zuzulassen.
Mal eine andere Frage die sich jetzt nur auf die bisherige Lösung bezieht:
Du schreibst, daß bei 600km Bahnhöhe jegliche Bahnanhebung über die komplette Lebensdauer der ISS entfiele.
Dafür brauchen die Transportschiffe für Hinflug und Wiedereintritt mehr Treibstoff respektive haben weniger Nutzlast.
Wenn man nun die Transportkapazität, die bei 600km Höhe für Treibstoff entfällt, für andere Transportgüter zusätzlich einsetzt, hat man dann nicht ein Nullsummenspiel?
Das ganze ist relativ komplex und hängt von mehreren Faktoren ab wie Sonnenaktivität aber auch genauer Auslegung der Transporter. Der Gewinn ist um so kleiner je weiter man weg ist. So bringt alleine die Anhebung jetzt um 50 km schon sehr viel, das ist auch der Grund warum die fracht von Johannes Kepler praktisch zu 3/4 nur aus Treibstoff besteht.
In der Tendenz ist mit der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Trägerraketen die ja bei drei Typen derzeit unternommen wird (Sojus, Ariane und Falcon) und bekannten strukturellen Maximalfrachtmengen es aber so dass es immer lohnender wird die Station weiter von der Erde weg zu bringen.