Die Sache mit dem LAS

SpaceX hat nun ja ihre Super-Draco Triebwerke qualifiziert, die eine Doppelfunktion als LAS (Launch Abort System) und Landetriebwerk haben. Wie immer reklamiert die Firma einige „First“, einige sind auch echte Erstleistungen, andere nicht. Was keine Erstleistung ist ist die Konzeption eines LAS nicht als Turm auf dem Raumschiff wie bei Mercury, Apollo oder Sojus, sondern an der Basis. Das wird auch das Konkurrenzmodell CST-100 haben und die ESA plante es schon vor 25 Jahren für ihren Raumgleiter Hermes. Die ESA hat übrigens auch schon 13 Jahre vor SpaceX eine unbemannte Kapsel, nämlich ihren ARD, gestartet und erfolgreich geborgen.

Fangen wir zuerst mal an was die Vor- und Nachteile eines auf der Kapsel angebrachten und eines an der Basis angebrachten LAS. Zum einen ist die Belastung bei der Auslösung natürlich eine andere. Oben angebracht ist es eine Zugbelastung, unten angebracht eine Schubbelastung, die sich noch dazu zum Schub der Rakete addiert. Doch das ist sicher konstruktiv lösbar auch sonst sind Kapseln ja einseitige Belastungen gewöhnt. Deswegen sind sie so massiv.

Die Anordnung korrespondiert aber auch mit einem Schubvektor. Bei einer kegelförmigen Kapsel liegt der Schwerpunkt tief, im unteren Drittel der Kapsel. ein LAS auf einem Turm hat die Raketen weit weg von dem Schwerpunkt, unten sind sie dagegen nahe des Schwerpunkts. Das wirkt sich aus wenn das LAS, das meist aus mehreren Raketen besteht, nicht synchron zündet. ein längerer Weg bedeutet einen größeren Hebeleffekt, der die Kapsel dreht. Das wird bei einem Turm durch die Anbringung der Raketen im Spitzen Winkel zur Längsachse der Rakete entschärft. Dadurch ist der Hebel quer dazu kurz. unten ist das so nicht möglich, was höhere Anforderungen an eine gleichmäßigeren Schubaufbau bei allen Triebwerken stellt. Die Dragon setzt acht Triebwerke ein, bei Apollo war es eines, da ist ein verzögerter Schubausbau ausgeschlossen. Die unten angebrachten Triebwerke kann man nicht direkt unter der Kapsel platzieren. Zum einen ist da der Hitzeschutzschild (egal wenn man sie nicht als Landetreibwerke nutzt) aber in jedem Falle ist da die Rakete und man will ja nicht bei einer Zündung die Oberstufe durch einen Schneidbrenner zur Explosion bringen. Sie werden daher an der Seite schräg nach außen zeigend angebracht, dort ist aber in jedem Fall eine Hebelwirkung gegeben.

Allerdings zünden Feststofftriebwerke so schnell und zuverlässig, dass dieses Problem bei ihnen nicht wesentlich ist. Flüssige Treibstoffe, wie sie die Dragon verwendet sind da eine andere Herausforderung. Sie bauen ihren Schub langsamer auf, Triebwerke mit Turbopumpen brauchen einige Sekunden bis sie vollen Schub haben. Triebwerke mit Druckförderung sind schneller. Bei der OTRAG Rakete geht der Schubaufbau von 40% auf 100% Schub innerhalb von 0,5 s. Das ist zwar etwa zehnmal langsamer als bei einem Feststofftriebwerk, aber es ist noch schnell genug. Denn zumindest bei der NASA gab es während der Apollo Ära die Maxime, dass das Sicherheitssystem so ausgelegt sein sollte, das immer genügend Zeit für eine überlegte Reaktion vorhanden sein soll. Man vertraute nicht auf automatische Auslösung. Nun haben Menschen aber eine Schrecksekunde, die ja bei Autounfällen immer bei der Reaktionszeit berücksichtigt wird. Daher würde ich den Schulaufbau in 1 s als schnell genug ansehen.

Der offensichtlichste Unterscheid ist, dass ein Rettungssystem an einem Turm während des Aufstiegs abgesprengt wird, der Zeitpunkt orientiert sich nach der Performanceeinbuße, wenn es zu späte abgetrennt wird und dem Restrisiko wenn dies zu früh erfolgt. Üblicherweise wird es kurz nach Zündung der letzten Stufe abgetrennt, da man davon ausgeht, dass Probleme sich schon bei der Zündung zeigen. Zudem ist das Raumschiff dann in einer solchen Höhe, dass man genügend Zeit hat eine ballistische Bahn mit einem normalen Wiedereintritt zu durchlaufen. Die Masse ist beträchtlich. SAS für die Sojus wiegt je nach Version 1,5 bis 2 t, LES für Apollo 4,17 t.

Anders als einen Turm kann man unten angebrachte Triebwerke nicht abtrennen. Zwar kann man es jederzeit auslösen, doch hat man ein Gewichtsproblem – selbst wenn es leichter ist weil man keine Hülle über der Kapsel braucht welche die Kräfte verteilt und keinen Turm, dann braucht man doch den Treibstoff und seine Tanks. Das LES von Apollo hatte einen Schub von 689 kN über 3,2 s. das entspricht bei einer lagefähigen Kombination die auch auf Meereshöhe arbeiten muss (spezifischer Impuls hier nur 2500 m/s) rund 889 kg Treibstoff. Bei Apollo wäre das wegen des Servicemoduls und Mondlanders kein großer Nachteil gewesen, aber man braucht diesen Treibstoff nur um die rund 5,8 t schwere Kapsel abzutrennen. Bezogen auf diese ist das also 20% Mehrgewicht und bei Dragon, Sojus und anderen Raumschiffen die nur den Orbit erreichen doch einiges. Dazu kämen noch die Triebwerke und die Tanks. Dann ist man leicht bei 25%.

Doch das scheint nur so. Denn wer sagt denn das man den Treibstoff nicht nutzbringend nutzen kann? Der Treibstoff entsprach bei Apollo einer Geschwindigkeitsänderung um 380 m/s. Das ist mehr als ausreichend um von einem niedrigen Erdorbit zur ISS zu gelangen, die Ankopplung durchzuführen, abzukoppeln und den Wiedereintritt durchzuführen. Einem ATV reichen dazu schon 300 m/s oder weniger je nach Bahnhöhe der ISS. Dazu müssen nur gemeinsame Tanks für gemeinsame Nutzung mit den weniger schubstarken kleineren Triebwerke vorgesehen werden, So gesehen bekommt man ein LAS wenn es an der Basis angebracht ist praktisch für umsonst (ohne Nutzlastverlust), denn es fallen als zusätzliche Masse nur die Triebwerke an, die um den Faktor 100 schubstärker als die Verniertriebwerke sein müssen. Die Dragon wird den Treibstoff auch für die Landung nutzen. Dafür braucht man nicht so viel wie man denkt, denn auch ohne Fallschirm wird eine Kapsel in der dichten Atmosphäre nicht sehr schnell fallen, vielleicht einige Hundert km/h. Bei 360 km/h = 100 m/s reichen aber bei 3 g Abbremsung schon 3,3 s Betriebsdauer aus um die Kapsel auf Null abzubremsen. Dafür braucht man nur eine Geschwindigkeitsänderung von 129 m/s, etwa ein Drittel des Treibstoffs.

Ich weiß, Laien erscheint die weiche Landung auf einem Himmelskörper wie Magie, doch sie sind es nicht. Ein einfacher Radarhöhenmesser und ein Beschleunigungsmesser reichen aus den Schub eines Triebwerks so zu steuern, dass eine Sonde weich aufsetzt. Dazu braucht man nicht mal einen Computer Surveyor landete so in den sechziger Jahren mit einer einfachen Feeedbacksteuerung – hohe Geschwindigkeit – hoher Schub. Die Herausforderung ist dagegen eine andere: für die Landung müssen die Triebwerke viel weniger Schub entwickeln als beim Abtrennen von der Rakete, wo man ja schnell aus dem Gefahrenbereich herauskommen soll. Bei der Dragon werden acht Super Draco rund 573 kN Schub erzeugen. Selbst wenn eine Dragon 2.0 dann 10 t wiegt und die Nutzlast einer Falcon 9 ausnutzt, dann braucht man bei einer Landung mit 3 g und reduzierter Masse (wegen dem verbrauchten Treibstoff, entladene Fracht) von 8 t für die Abbremsung mit 3 g nur 240 kN, also weniger als die Hälfte des schubs. Bei SpaceX ist eine weiche Landung mit langsamen Absinken in den Videos zu erkennen, das ist dann ein noch kleinere Schub von vielleicht 70 kN nötig (knapp unter 1 g). Die Triebwerke müssen also in einem sehr großen Bereich im Schub regelbar sein. noch mehr wäre es, wenn sie auch die Verniertriebwerke ersetzen würden, die typischerweise nur 0,2 bis 0,4 kN Schub haben. Ob dem so ist weiß man nicht. Die Zahlen oben dienen nur als Beispiel, es gibt keine Informationen über die Masse der Dragon 2.0 und die genaue Landestrategie außer eben Videos.

Es gibt also Vorteile wie Nachteile. Ein oben angebrachtes LAS mit Feststofftriebwerken ist konstruktiv die einfachere Lösung. Unten angebracht mit flüssigen Treibstoffen kann man es auch noch für Bahnänderungen und die Landung nutzen.

5 thoughts on “Die Sache mit dem LAS

  1. SpaceX hat das pusher-LAS sicher lange vor Boeing angekündigt. Aber sie sind natürlich nicht die ersten, die auf diese Idee kommen. Aber Dragon V2 wird die erste Kapsel sein, wo es operationell auch wirklich eingesetzt wird (mal angenommen, SpaceX wird tatsächlich von der NASA für die Commercial Crew Services ausgewählt, natürlich – was IMHO noch nicht wirklich klar ist, egal was viele denken mögen).

    Natürlich ist sanfte Landung selbst keine allzu grosse Hexerei und und wurde unzählige Male durchgeführt. Allerdings nie bei einer bemannten Kapsel, die zur Erde zurückkehrt. Ja, die Sojus bremst kurz ab, aber das ist kein sanftes, kontrolliertes Aufsetzen. Insofern ist es durchaus „neu“, wenn es wirklich umgesetzt wird.

    Gemäss Musk (auf Twitter, vor ein paar Wuchen) lassen sich die SuperDracos auf ca. 40% herunterdrosseln. Das scheint also zu passen.

  2. Das Konzept mit den 8 Triebwerken ist sogar noch besser regelbar, da je nach Last nicht alle Triebwerke für die weiche Landung benötigt werden. Man kann also 2 oder gar 4 gegenüber liegende Triebwerke ungenutzt lassen.
    Diese ungenutzten Triebwerke könnten als Backup dienen, wenn denn von den anderen Triebwerken eines ausfällt. Da die Triebwerkspakete auch noch mehr in X-Form, statt gleichmäßig über den Umfang verteilt sind, erhofft man sich hier wohl auch noch eine halbwegs akzeptable Steuerung / Balance, wenn ein ganzes Triebwerkspaket ausfällt.
    Es sind diese kleinen Details, die die SpaceX-Lösung von den anderen schon existierenden, bzw. von Wettbewerbern geplanten Systemen unterscheiden.

    Ich vermute, es wird in nächster Zeit mal einen Teststart einer Dragon mit Hilfe der Dracos geben. So analog zu den Flügen des Grasshoppers.

  3. Vielen Dank, Bernd, für diesen ausgewogenen Artikel zu einem SpaceX-Thema!

    Haupthindernis für eine punktgenaue weiche Landung auf der Erde mit Triebwerken ist sicher das Wetter. Schon Luftdruck- und Temperatur-Unterschiede reichen, um die Trajektorie eines rein aerodynamisch gebremsten Körpers zu ändern. Denn beide Parameter haben Einfluss auf Dichte und Viskosität der Luft. Wind und Niederschläge sorgen dann für weitere Drift weg vom Landeplatz. Wenn man punktgenau landen will, was SpaceX vorhat, wird man nach meinen Schätzungen während des Abstiegs mindestens 100 m/s an Delta-v für Korrekturen aufwenden müssen, wenn nicht mehr. Der Jetstream weht beispielsweise mit 200 bis 500 km/h (entsprechend 60 bis 150 m/s).

    Alternativ könnte man natürlich mit Steuerflächen arbeiten. Aber das ist dann ein weiteres System, das man kontrollieren muss, und das nicht ausfallen darf…

    Kai

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