Warum gibt es keine Wasserstoffoberstufe mit Druckförderung?

Mit diesem theoretischen Thema zu Druckförderung bei  Wasserstoffoberstufen  will ich mich heute befassen. Was rauskommt weiß ich selbst noch nicht, auch wenn ich eine Ahnung habe, was raus kommt. Ich will das Thema trotzdem mal als Grundlagenartikel erörtern.

Fangen wir mal mit den Grundlagen des Pro- und Kontra an. Druckförderung ist bei kleinen Stufen, vor allem mit lagerfähigen Treibstoffen der Standard. Alle Satelliten haben Antriebe mit Druckförderung. Manche für größere Geschwindigkeitsänderung (wie z. B. beim Übergang vom GTO in den GEO) aber in jedem Falle um Lageänderungen oder kleine Orbitkorrekturen durchführen zu können.

Die Delta, Titan 3C, Falcon 1 und alle bemannten US-Missionen setzten ebenfalls druckgeförderte Antriebe ein. Warum hat man es niemals mit LOX&LH2 probiert? Auf den ersten Blick wirkt das etwas seltsam. Also fangen wir mal mit einer Erörterung an.

Pro Druckförderung

Der wesentlichste Vorteil einer Druckförderung ist eine Vereinfachung der Förderung. Es entfällt der Gasgenerator und die Turbopumpe. Gerade diese ist oft Ursache von Ausfällen. Der Fehlstart der letzten Antares (der erste Start der neuen Version wurde auf Montagabend verschoben) hatte seine Ursache in einem Versagen der Turbopumpe. Durch die schnell rotierenden Blätter ist die Turbopumpe das Teil mit den meisten beweglichen Teilen und prädestiniert für Fehler. Dadurch ist die Turbopumpe auch ein relativ teures Teil des Triebwerks.

Sie spart man bei der Druckförderung komplett ein. Die dadurch bewirkte Zuverlässigkeit führte auch dazu, dass alle bemannten US-Missionen nur druckgeförderte Triebwerke einsetzten, selbst wenn der Schub wie bei Apollo ungewöhnlich hoch für ein druckgefördertes Triebwerk war.

Contra Druckförderung

Kommen wir zu den Nachteilen der Druckförderung.

Der erste ist, das die Tanks unter einem Druck stehen der höher als der Brennkammerdruck. Sehr hohe Brennkammerdrücke sind so nicht möglich. Bei vielen druckgeförderten Triebwerken liegen so die Brennkammerdrücke bei 10 bis 20 Bar. Schon hier sieht man einen Grund, warum Wasserstoff wohl nicht zum Einsatz kommt, den Wasserstoff hat eine kleine Dichte. Die Gesamtmischung ist dann drei bis viermal weniger dicht als lagerfähige Treibstoffe. So braucht man auch drei bis viermal größere Tanks die entsprechend mehr wiegen. Bei Tanks steigt die Masse nach der Kesselformel proportional zum maximalen Druck.

Die genaue Betrachtung

Ein niedriger Brennkammerdruck reduziert natürlich auch die Ausströmgeschwindigkeit. Doch hier ist der Unterschied gar nicht so groß. Die folgende Tabelle enthält die theoretischen spezifischen Impulse (Mittelwert aus freiem Gleichgewicht und eingefrorener Zusammensetzung) für eine Expansion mit Flächenverhältnis 40 und einem LOC/LH2 Verhältnis von 5

Brennkammerdruck 1 bar 2 bar 4 bar 8 bar 16 bar
Spezifischer Impuls 4049 m/s 4173 m/s 4207 m/s 4238 m/s 4268 m/s

Das sieht eigentlich doch toll aus oder? Wenn man von 2 Bar Brennkammerdruck auf 16 bar geht, steigert man den spezifischen Impuls nur um 100 m/s. Damit wäre ein Triebwerk mit niedrigem Brennkammerdruck in der Gesamtüberlegung nicht so viel schlechter, denn was man bei dem spezifischen Impuls gewinnt, verliert man bei den Tanks, die schon bei Turbopumpenförderung den Großteil der Masse einer Stufe ausmachen. Neben der höheren Tankmasse kommt dann ja auch noch das Druckgas hinzu, das man zusätzlich mitführen muss, um den Tankdruck aufrechtzuerhalten.

Das Ganze hat nur ein Haken: Der Schub eines Triebwerks ist abhängig von der Fläche am Ausgang zur Düse und dem Brennkammerdruck. In erster Näherung gilt: Schub = Druck x Fläche. Gehe ich von 30 bis 40 Bar wie heute bei LOX/Lh2 Triebwerken auf 3-4 Bar herunter, so muss bei gleichem Schub die Fläche am Düsenhals zehnmal größer werden, mithin das ganze Triebwerk zehnmal größer, und selbst wenn es nicht so massiv sein muss erheblich schwerer.

Man kann natürlich den Schub reduzieren. Arbeitet das Triebwerk nur im Orbit, so ist das eine tragbare Lösung, aber nicht für alle Fälle. Kommunikationssatelliten haben heute bei bis zu 6 t Masse z.B. nur einen Antrieb mit 400 bis 500 N Schub. Um Treibstoff zu sparen, zünden sie diesen mehrmals um den GEO zu erreichen, da ein 5-t-Satellit sonst den Antrieb fast dreieinhalb Stunden am Stück arbeiten lassen muss. Das reduziert die Gravitationsverluste, die z.B. jetzt bei Exomars mit einem ebenfalls kleinen Antrieb sehr hoch sind. Exomars braucht über 300 m/s mehr, um in den Orbit zu gelangen, als wenn er einen schubkräftigen Antrieb hat. Doch er hat eben nur eine Chance und kann das Manöver nicht auf mehrere kleine aufteilen. Bei LOX/LH2 müsste man als Ausgleich die Stufe gut isolieren, um die Verdampfung vor allem des Wasserstoffs zu vermeiden.

Als zweite Folge des großen Triebwerks sinkt bei einer gegebenen Düsengröße das Expansionsverhältnis. Diese kann ja nicht beliebig vergrößert werden. Nehmen wir eine (schon recht große) Düse mit 2 m Durchmesser, die zu einem 80-kN-Triebwerk gehören soll. Dann kommt man je nach Druck auf folgende Flächenverhältnisse:

Brennkammerdruck 1 bar 2 bar 4 bar 8 bar 16 bar
Flächenverhältnis 3,9 7,8 15,7 31,4 62,8
Spezifischer Impuls 3499 m/s 3779 m/s 4006 m/s 4194 m/s 4344 m/s

Damit erhält man aber auch andere spezifische Impulse. Die nun doch stark absacken. Die Brennkammer dürfte in etwa proportional zum absinkenden Druck schwerer werden (die Fläche steigt quadratisch, doch durch den abnehmenden Druck wird die Wandstärke immer dünner).

Es wird nun an der Zeit das Mal durchzurechnen. Ich habe mich dabei auf existierende Systeme gestützt.

Die folgenden Annahmen werden gemacht:

  • Schub wie beim HM-7B, von diesem werden auch das Gewicht von Brennkammer und Triebwerk übernommen. Die Düse wird auf 2 m Größe vergrößert
  • Kugelförmige Tanks aus Aluminium, Zugfestigkeit 300 N/mm, 50% Überdruckfestigkeit
  • Heliumdruckgas nur für LOX-Tank, für Wasserstoff wird LH2 am Triebwerk in Gas umgesetzt.
  • 12.000 kg Treibstoffzuladung: 2.000 kg LH2 10.000 kg LOX
  • Heliumdruckflasche der Ariane 5 (93 kg Gewicht ohne Helium, nimmt 300 l bei 400 Bar auf, das entspricht 21,3 kg Helium)

Man erhält folgende Tabelle:

HM-7B (3 Bar Tankdruck)
Druck: 36 bar 1 2 3 4 5 6 7 8 12 16
Brennkammer: 70,00 2520,00 1260,00 840,00 630,00 504,00 420,00 360,00 315,00 210,00 157,50
Düse: 77,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00 150,00
Expansionsverhältnis 93,10 4,83 9,67 14,50 19,33 24,17 29,00 33,83 38,67 58,00 77,33
LOX-Tank 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75 3,75
Gewicht 115,35 115,35 115,45 173,03 230,51 287,90 345,20 402,40 459,50 686,98 912,96
LH2-Tank 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61 5,61
Gewicht 387,11 387,11 387,43 580,67 773,58 966,17 1158,45 1350,40 1542,04 2305,42 3063,78
Helium+Flasche 115,00 39,60 79,21 118,81 158,42 198,02 237,63 277,23 316,83 475,25 633,67
Gasförmiger Wasserstoff 64,97 129,94 194,91 259,87 324,84 389,81 454,78 519,75 779,62 1039,50
Zusatzmasse für Tank 12,58 25,17 56,59 100,52 156,93 225,79 307,07 400,74 898,68 1592,40
Summe Trockenmasse 764,46 3212,07 1992,09 1862,51 1942,51 2106,10 2311,27 2540,03 2783,37 3827,65 4917,91
Aufschlag Strukturen 600,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00 200,00
Spez Impuls 4384 3581 3844 3974 4058 4117 4164 4201 4232 4319 4374
Startmasse 15477,04 14322,03 14257,42 14402,39 14630,94 14901,08 15194,81 15503,12 16807,27 18157,41
Brennschlussmasse 3477,04 2322,03 2257,42 2402,39 2630,94 2901,08 3194,81 3503,12 4807,27 6157,41

Was die Trockenmasse angeht, so gibt es ein Minium bei 3 Bar Druck beim Triebwerk, 4,5 Bar Tankdruck. In der Bilanz ist der gasförmige Wasserstoff einberechnet. Er ist nicht nutzbar, weil er für die Druckbeaufschlagung gebraucht wird. Ebenso erhöht er die Masse des LH2-Tanks.

Die Gewichtsbilanz ist auch keine komplette Stufe. Die Ariane 4 Drittstufe wog mit dieser Treibstoffzuladung z.b. 1356 kg trocken. Die Differenz ist den Tanks in Zylinderform geschuldet: Zylindertanks haben an den Zylinderwänden die doppelte Dicke wie an den halbkugelförmigen Abschlüssen. Das addiert etwa 500 kg hinzu, dazu fehlt noch der Schubrahmen und die Leitungen. Bei den selbst konstruierten Raketen müsste man nur Schubrahmen und Leitungen hinzurechnen, wofür ich 200 kg für ausreichend halte. Der Spezifische Impuls ist mit dem angegebenen Expansionsverhältnis gerechnet.

Nun irgendwann muss man dann aber zum konkreten umsteigen. Ich habe zur einfacheren Rechnung diese Stufen auf eine jeweils 150 t schwere Lox-RP1 Stufe gesetzt, angelehnt an die Atlas mit 10 t Trockenmasse und einem spezifischen Impuls von 3200 im Vakuum. Hier die Nutzlasten:

Nutzlast LEO

GTO-Nutzlast

Es gibt wie man sieht ein Optimum, sowohl bei LEO wie GTO-Orbits bei 3-5 Bar Druck.

Sofern man die Stufe, nicht wie hier, benötigt um überhaupt einen Orbit zu erreichen, sondern erst zündet wenn man schon einen Orbit erreicht hat kann man einen Nachteil der „Niedrigdruck“ Versionen abfangen: die große Brennkammer. Geht man mit dem Schub herunter, so wird die Brennkammer kleiner und das Expansionsverhältnis.

Eine Oberstufe für die Ariane 5

Damit komme ich zu der Anwendung, die ich schon im Auge hatte als ich den Artikel schrieb: Als zusätzliche Stufe für die Ariane 5. Bei Kugeltanks ist da sowieso die Treibstoffzuladung begrenzt. Bei 5,40 m Durchmesser darf der größte Tank maximal 2,70 m Durchmesser haben (mehrere kleine Tanks anstatt einem großen, sonst wird die Stufe zu hoch). Das sind beim Wasserstoff dann 700 kg pro Tank oder 1.400 kg insgesamt. Beim Mischungsverhältnis von 5,5 kommen dann noch 7.700 kg LOX dazu. Je zwei Tanks fassen dann den Treibstoff. Reduziert man zudem den Schub des Triebwerks auf 30 kN, so ist nicht nur das Triebwerk leichter, sondern auch das Expansionsverhältnis größer:

Man erhält nun schon sehr gute Gewichtsverhältnisse. In der Praxis wird man aber die Stufe etwas anders bauen. Denn mit der angenommenen langen Düse von 2 m Durchmesser (und etwa 3-4 m Länge) braucht man einen großen Stufenadapter, der die gesamte Gewichtsersparnis wieder zunichtemacht.

Idealweise wird man die Stufe so konstruieren, dass oben vier Wasserstofftanks mit einem kleineren Durchmesser liegen, darunter in der Mitte das Triebwerk umgeben von den LOX-Tanks. Die sind schon bei 7,7 t Treibstoff 1,61 m hoch. Wenn das Triebwerk genauso hoch ist, entfallen (in Analogie zu bekannten Triebwerken) rund 60 cm auf die Brennkammer. Der Durchmesser des Triebwerks ist etwa ein Drittel der Länge, daraus errechnet man eine Abschlussfläche von 314 cm² die bei 40 N/cm² einem Schub von 12,5 kN entsprechen. Die 1 m lange Düse würde sich auf 80 cm Durchmesser erweitern, das entspricht einem Expansionsverhältnis von 7,1 und einem spezifischen Impuls von 3748 m/s.

Brennkammer: 117,00
Düse: 50,00
Expansionsverhältnis 7,10
LOX-Tank 1,61
Gewicht 36,59
LH2-Tank 2,70
Gewicht 172,57
Helium+Flasche 12,57
Gasförmiger Wasserstoff 28,99
Zusatzmasse für Tank 2,50
Summe Trockenmasse 388,73
Aufschlag Strukturen 200,00
Spez Impuls 3748
Startmasse 9017,71
Brennschlussmasse 617,71

Dafür wurde eine solche Stufe nur 618 kg trocken bei 8,4 t Treibstoffzuladung wiegen. Allerdings bräuchte man noch ein Gerüst für die Tanks und einen Adapter. Setzen wir dafür noch mal 482 kg an, so liegt bei bei 9500 kg voll und 1.100 kg trocken. Auf eine Ariane 5 platziert, würde sie die GTO-Nutzlast um 550 kg anheben, das ist wenig, liegt aber daran dass dann auch die VEB von der ECS-A auf diese Stufe umzieht. Man könnte aber etwas Gewicht einsparen. So kann man die Elektronik zwischen LOX und LH2 Tanks integrieren, ebenso die anderen Teile der VEB, das spart deren Strukturgewicht ein, was nochmals einige Hundert Kilogramm bringt. Zudem kann man den gasförmigen Wasserstoff für die Manöver nach Brennschluss nutzen und so Hydrazin einsparen, das bisher dafür verwendet wird.

Wichtiger als die Nutzlast ist aber die Wiederzündbarkeit. Diese Stufe könnte für Galileo die Zirkularisation durchführen was die Nutzlast für den Galilleoorbit auf 6087 kg erhöhen würde. Das reicht für 6 anstatt 4 Satelliten pro Start.

Resümee

Eine kleine Oberstufe mit relativ niedrigem Brennkammerdruck, mehreren kugelförmigen Tanks, also im Prinzip eine EPS nur mit LOX/LH2 wäre für bestimmte Missionen durchaus interessant. Solange die dadurch bedingte lange Brenndauer kein Problem ist (obige Stufe müsste um die 8,4 t Treibstoff zu verbrennen z.B. 2543 s lang betrieben werden.

Wenn man die Verdampfungsverluste im Griff hat, wären für mich neben Hochenergiemissionen (Flüge zu Jupiter und weiter) auch GTO->GEO Transfers und Missionen zum Mond interessant. Airbus (früher EADS) hat auch ein 300-N-LOX/LH2 Triebwerk im Portfolio, aber das ist eher als Satellitenantrieb gedacht.

Es wäre aber bei einer Oberstufe für die Vega einsetzbar. Sie hat nur einen Durchmesser von 1,9 m, was bei kugelförmigen Tanks bei Stück von je 90 cm Durchmesser 78 kg Wasserstoff und 390 kg Sauerstoff entspricht. Das ist in etwa die Treibstoffzuladung, die derzeit das AVUM hat, jedoch mit einem um ein Viertel höheren spezifischen Impuls. Es steigert wahrscheinlich die Nutzlast nicht sehr, aber wenn man mal vom ukrainischen Triebwerk wegkommen will würde ich so was zumindest mal untersuchen.

Bei den niedrigen Druckwerten wäre auch noch ein zylindrischer Tank denkbar. Er ist schwerer, doch seine Geometrie ist günstiger. Das nachzurechnen überlasse ich aber euch. Alleine für den Aufsatz habe ich schon 6 Stunden gebraucht.

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