Heiligs Blechle

Letzte Woche kam der Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema Fahrverbote in Innenstädten und anscheinend hat sich jeder gerade das rausgesucht, was ihm in den Kram passt. Die für eine reinere Luft klagenden Umweltverbände, dass die Klage erfolgreich war, die Städte, dass die besonderen Umstände berücksichtigt werden müssen, Handwerker und Lieferanten, dass es Ausnahmegenehmigungen geben kann und die Bundespolitik, dass es ja eigentlich niemanden betrifft und man nichts machen muss. So Merkel. Denn es sind ja nur 66 Gemeinden, also so kleine Dörfer wie Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Dresden und die vielen kleinen Dörfer im Ruhrgebiet wie Düsseldorf, Köln, Duisburg … Kurzum: In den 66 Städten dürfte wohl ein größerer Anteil der Bevölkerung wohnen. Eigentlich auch logisch den der Dreck entsteht ja nun mal durch Autos und die findet man vor allem in großen Städten und nicht in kleinen Dörfern auf dem Land.

Dabei ist das Thema nicht neu. Grenzwerte für NOx werden seit 1993 diskutiert. Die nun einzuhaltenden Grenzen gelten seit 2001 europaweit verbindlich. 17 Jahre Zeit sie einzuhalten. Reagiert hat man erst, als Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig waren und auch dann zuerst nur mit dem Aufruf zu freiwilligen Verzicht, der erwartungsgemäß nichts gebracht hat. Dann haben sich die Städte und Gemeinden darauf berufen, dass Fahrverbote Sache des Bundes wären und man nichts machen könne. Dieser Zahn ist nun gezogen.

In den letzten Tagen gab es dann auch viel Berichterstattung zu dem Thema. Handwerker und Dienstleister fürchten darum, nicht mehr in die Innenstadt fahren zu können, weil viele Transporter und Kombis von Handwerkern Diesel sind. Verbraucher befürchten einen Wertverlust ihrer Dieselfahrzeuge und Autohändler berichten das schon vor dem Urteil, dass Euro-3 und Euro-4 Diesel unverkäuflich seien. Man bekäme sie für ein Appel und ein Ei. Weil sie aber niemand kauft, gehen sie nach Polen.

Nun sind alle überrascht. Diesel sind dreckig. Offensichtlich leiden Autofahrer unter Scheuklappenblindheit. Jeder der mal einen Autoauspuff bei laufendem Motor angesehen hat sieht, was da an Dreck raus kommt. Die Wolke ist unübersehbar und auch Benziner emittieren Feinstaub. Einfach mal ein Taschentuch an den Auspuff halten. Und das da NOx raus kommt weiß jeder Radfahrer, der hinter einer Dreckschleuder in der Schlange vor der Ampel wartet.

Nein ich will nichts mehr zur Automobilindustrie sagen, das habe ich schon zu genügend im Blog getan. So hier, und hier, Natürlich auch hier. Eine Analyse findet sich auch. Und das Grundproblem gab es schon 2009. Diese Industrie hat in Deutschland Narrenfreiheit. Sie kann machen was sie will, sie wird von der Politik nicht belangt, eher gefördert und beschützt. Nicht einmal jetzt, wo es Fahrverbote geben soll und die deutschen Automobilbauer Rekordgewinne aufweisen, die locker für die Umrüstung aller Diesel reichen würden setz sich die Regierung für die kostenlose Umrüstung der Diesel durch die Hersteller ein.

Nein es geht in diesem Blog um das Auto selbst und den Autofahrer. Meine Meinung: Es gibt Bürger zweiter Klasse und es gibt Autofahrer. Sie werden bevorzugt. Es werden laufend neue Straßen und Autobahnen gebaut, aber kaum Fahrradwege oder auch nur Bürgersteige. Im Neubaugebiet in der Nachbargemeinde gibt es nur an einer Straßenseite einen Bürgersteig. Ganz zu schweigen von der Breite. Selten sind Fahrradstreifen und Bürgersteige so breit, das zwei Fußgänger oder Fahrradfahrer nebeneinander fahren können ohne das einer ausweichen oder Absteigen muss. Bei Straßen für Autos ist das selbstverständlich – außer sie sind von beiden Seiten zugeparkt. Dabei sind sie naturgemäß viel breiter als die Wege für andere Verkehrsteilnehmer. Nicht mal den wenigen Platz den Fußgänger und Fahrradfahrer brauchen wollen ihnen also die Gemeinden zustehen.

Dafür ist trotz Neubaugebiet, also Einhaltung der neuen Vorschriften, dass pro Wohneinheit eine bestimmte Anzahl an Stellplätzen vorhanden sein muss, die Straße zugeparkt. Einfacher Grund: Die Häuser sind zweigeschossig und haben eine Garage. Pro Geschoss kann eine Familie einziehen, das bedeutet, dass man mindestens zwei Stellplätze braucht, wenn man den Bundesdurchschnitt nimmt, (es gibt mehr zugelassene Autos als Führerscheinbesitzer) müssten es sogar vier sein.

Ich rate keinem Fahrradfahrer, sich das gleiche Recht zu nehmen wie ein Autofahrer, also sein Fahrrad zu den Autos auf der Straße zu parken oder in der Mitte der Fahrbahn zu fahren. Obwohl nach der Straßenverkehrsverordnung alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind, empfinden das viele Autofahrer als Unverschämtheit und räumen das Fahrrad weg, um einzuparken. Nicht immer ohne Beschädigungen. Beim Fahren in der Mitte wird es sogar gefährlich. Autofahrer sind auch die Einzigen, die meinen Hupen zu müssen, übrigens immer erst dann, wenn das, weshalb sie hupen, eigentlich vorbei ist, also, nachdem sie überholt haben oder jemanden ausgewichen sind. Sinn würde es nur machen, wenn man das vorher tut, um jemanden zu warnen, wobei ich dabei nur zusammenzucke und das ist kontraproduktiv. Fahrradfahrer klingeln erheblich seltener und auch Fußgänger rufen nicht dauernd anderen hinterher. Daran sieht man schon die Eigenheit mancher Fahrzeugbesitzer.

Dem Autofahrer reicht es nicht, dass er bevorzugt wird gegenüber allen anderen, sowohl in überbauter Fläche wie exklusiv nutzbaren Straßen. Viele parken auch noch die Bürgersteige zu oder sind auf schmalen Feldwegen unterwegs, die für Autos eigentlich gesperrt sind, und belegen dann deren ganze Breite.

Deswegen muss man sich nicht wundern, wenn Städte sich so schwer tun mit Fahrverboten, obwohl es woanders doch geht. Es gibt in anderen Ländern Regelungen, nachdem man entweder für die Fahrt in Ballungsgebiete zahlen muss oder nicht jeder rein darf. z.B. abwechselnd nur gerade oder ungerade Endziffern der Nummer. Ich halte das auch für besser, anstatt Diesel zu verdammen. Denn ich glaube kaum, dass irgendein Autofahrer sich Gedanken um die Umwelt macht. Wenn das ein Gesichtspunkt beim Kauf wäre, dann würden sich Klein- und Kleinstwagen gut verkaufen und nicht wie in der Praxis SUV und Kombis.

Mein Vorschlag: Liebe Gemeinden erhebt eine Gebühr für die, die ins Stadtgebiet fahren. Das hat zwei positive Folgen. Zum einen fährt dann nicht mehr jeder in die Städte. Vielleicht kann man so die Grenzwerte einhalten. Zum Zweiten kann man das Geld nutzen, um den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Das Problem dessen ist, dass er für die, welche nicht täglich zur Arbeit fahren müssen sehr teuer ist, die weichen dann lieber aufs Auto aus. Bei uns kostet ein Einzelticket oder eine Viererkarte zwei bis dreimal so viel wie die gleiche Fahrt anteilig bei einer Monatskarte (wenn man 20 Arbeitstage pro Monat annimmt). Wäre das billiger, so würden viele den OPNV nutzen, dann wären die Busse und Bahnen auch jenseits der Stoßzeiten zu Arbeitsbeginn und -ende voll – schon mal ein Vorteil, ohne dass es viel mehr Geld kostet. Man könnte aber mit dem Geld auch die Infrastruktur ausbauen oder zumindest die Taktung verkürzen. Oft stört ja nicht, dass die Fahrt zu lange dauert, sondern dass man viel Zeit mit dem warten auf den Anschluss verplempert.

Es muss nicht komplett kostenlos sein, obwohl ich denke das, das möglich wäre. Aber selbst wenn es komplett kostenlos wäre, fürchte ich wird es nicht viel ändern. Deutschland ist ein Autonarrenland. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum es so viele Autos sind und für jede noch so kleine Strecke genutzt werden müssen. Warum die meisten so groß sind – oft größer als nützlich. Wenn bei uns in der Hauptstraße ein langer Kombi parken will dann muss der warten bis längere Zeit kein Auto kommt, weil er beim Ein-/Ausparken beide Spuren blockiert. Trotzdem sehe ich das jeden Tag und ich wohne in einer kleinen Gemeinde, da kommt niemand von außerorts zum einkaufen. Anstatt das jemand aus der Gemeinde also zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkauft, nimmt er lieber einen sperrigen Kombi. Es geht ohne Auto, ich komme seit 53 Jahren ohne aus. Kleine Strecken gehe ich zu fuß, mittlere mit dem Fahrrad und wenn es weiter gehen muss dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich halte das Auto für einen Luxus, das ist es, auch wenn man mal zusammenrechnet, was es pro Jahr kostet. Doch den Luxus leisten sich eben zu viele, obwohl man schon lange nicht mehr flüssig unterwegs ist. Die Staumeldungen sind manchmal länger als die Hauptnachrichten. Ich weiß nicht, was passieren muss, damit sich was ändert. Vielleicht mal wieder autofreie Sonntage, idealerweise bei schönem Wetter. Ich glaube, wenn keiner fahren kann, dann würde sich etwas im Bewusstsein ändern, das es auch ohne Auto geht, ansonsten gibt es nur Neid auf die, die noch fahren dürfen.

Es ändert sich ja nicht mal was, wenn es teurer wird. Wie heiß es schon vor 35 Jahren „Und kostet das Benzin auch 3 Mark 10, scheißegal es wird schon gehen …“ Ja Markus, recht hast Du gehabt.

13 thoughts on “Heiligs Blechle

  1. Dass moderne Dieselmotoren so viel Stickoxide ausstoßen, liegt ironischerweise mit daran, dass die Autohersteller versucht haben, die Feinstaubgrenzen einzuhalten. Deswegen werden Dieselmotoren heißer betrieben, um mehr Partikel zu verbrennen. Das sorgt dann natürlich auch für mehr Stickoxide. Im Prinzip müsste man dort abwägen. Immerhin hat ein Dieselmotor ja nicht nur Nachteile (und Dieselmotoren wurden von der Autoindustrie gerne benutzt, um den durchschnittlichen CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugpaletten zu senken – anders als Elektroautos hatten Dieselfahrzeuge auch noch den Vorteil, tatsächlich gekauft zu werden).

  2. Eigentlich warte ich ja gerade auf Kommentare a la „Diejenigen für die Narrenfreiheit gilt sind die Fahrradfahrer, die fahren immer viel zu schnell durch sämtliche Fußgängerzonen und immer *geifer* auf der falschen Seite und immer *sabber* ohne Licht und die Rostlauben stehen immer *trief* überall herum und solange die so fahren sehe ich das überhaupt nicht ein langsammer zu fahren oder vorsichtiger …“, einfach weil bei solch einem Thema immer solche Kommentare kommen.

    Liebe Autofahrer und Beschützer der armen Fußgänger vor diesen Rowdys: Schonmal überlegt, dass ihr in einer 1-2 Tonnen schweren Kiste aus Stahl mit einer Kraft von hunderten von Menschen sitzt und vergleicht das dann mal mit einem Fahrrad und wenn ihr dann noch in der Lage seit zu recherchieren schaut mal nach wie viele Fußgänger jährlich durch Fahrradfahrer verunglücken und dann reden wir nochmal.
    Und selbst wenn die Hälfte der verunglückten Fahrradfahrer selbst schuld ist, so ist doch meistens ein Auto zumindest involviert.

    Ich gebe zu, dass es leider viele Fahrradfahrer gibt denen Verkehrsregeln doch eher irgendwo hinten dran vorbei gehen und das sollte sich ändern, allerdings kann ich es durchaus verstehen, warum gerade nicht so geübte Fahrradfahrer vielleicht eher auf dem Fußweg als auf der Straße fahren wo jeder SUV-Vollidiot einen anhupt wärend er in 20 cm Abstand an einem vorbeizieht.

    Nur mal so nebenbei, Hupen ist innerorts als Warnung bei Gefahr erlaubt und nicht als Ausdruck irgendwelcher Unzufriedenheit und der vorgeschriebene Abstand ist 1,5m.

    Ich kann auch Fahrradfahrer verstehen, die lieber auf der falschen Seite fahren als irgendeine komplizierte Kreuzung zu überqueren oder auf der Straßenseite ohne Fahrradweg oder mit dem zugeparkten Fahrradweg zu fahren.

    Ich selbst versuche mich meistens an die Regeln zu halten, aber es gelingt mir nicht immer, z.B. an plötzlich endenden Fahrradwegen (absteigen und schieben ist keine Option) oder es gibt auch Situationen an denen ich die Regeln dann auch mal ignoriere, z.B. Rechtsabbiegerampeln, am besten wenn auf der Zielstraße rechts ein Fahrradweg ist, weil das für Fahrradfahrer an der Stelle sinnlos ist, oder wenn die Regeln nicht ersichtlich sind, z.B. an so mancher Kreuzung (benutze ich jetzt die Autoampel an die mich die Fahrradspur führt, oder die kombinierte Fahrrad- Fußgängerampel daneben).

    Apropos Fußgänger: Oben genannte Gründe (mit dem Fahrrad ist man schneller als ein Fußgänger) gelten natürlich auch für das Verhältniss von Fahrradfahrern zu Fußgängern, wenn auch in abgeschwächter Form, aber warum kommen eigentlich so viele Leute auf die Idee direkt vor Fahrradfahrern über die Straße gehen zu müssen wärend sie diesen sogar sehen, oder warum raunzen einen Leute noch an wenn sie zu dritt auf einem Fahrradweg gehen und man es dann wagt zu klingeln?

    1. Es geht mir weniger um das Verhalten der Autofahrer. Es geht darum das meiner Meinung nach ein Verkehrsmittel gnadenlos bevorzugt wird, obwohl die anderen Verkehrsteilnehmer mit einem Bruchteil des Flächenverbrauchs auskommen würden aber nicht mal den bekommen. Nur als weiters Beispiel, der Weg zur nächsten Nachbargemeinde ist für Fußgänger und Fahrradfahrer 1 m breit (für beide zusammen!). Bei Regenwetter wird man durch die Straßenunebenheiten vom Autoverkehr auf der strecke vollgsesaut. Von einem Pendant der Bundesstraßen und Autobahnen als schnelle Verbindungen zwischen den Städten ohne Autoverkehr mal ganz zu schweigen. Ich habe die komische Vorstellung das alle Menschen auch im Straßenverkehr gleichberechtigt sein sollten. Das gilt natürlich auch das man dann den Nicht-Autofahrern dieselben Möglichkeiten zugesteht also Fußgängerwege und Fahrradwege die so breite sind das zwei Verkehrsteilnehmer problemlos Platz haben ohne das einer Ausweichen muss. Ist bei Straßen selbstverständlich.

      1. Mir ist schon klar um was es dir geht, auch wenn das meiner Meinung nach etwas zusammenhängt, wie man immer schön erkennen kann wie sich Leute wieder aufregen wenn den Autofahrern Parkraum „nur“ für einen Radweg „weggenommen“ wird.

        Eigentlich wollte ich auch nur den ersten Absatz schreiben, danach ist es einfach etwas mit mir durchgegangen.

  3. Mal eine steile Behauptung vom Diesel-Kenner Ralf mit Z 😉
    Wie wärs wenn man einen Mercedes-Benz 200 Diesel von vor der Elektronik-Ära mit einem moderen Diesel-Filter mit unabhänger Freibrenn-Technik und Benzin-Brennstoff benutzt?

    Kaum NOx wegen altem Diesel-Motor mit Feinstaubfreiheit (er stößt das Zeug eh in Flocken aus) und der Diesel-Ruß wird durch den Filter (Kat) was auch sonst verbrannt….

    Das wäre ein Auto….. (aber nicht für mich, ich habe keinen Führerschein!)
    Politiker haben anscheinend auch nicht mehr Ahnung von der Materie, Automobilhersteller offenbar auch nicht….
    Deshalb halte ich die ganze Diskussion für lächerlich, denn Benziner oder Elektro-Autos sind auch nicht so sauber wie behauptet…
    Und Fahradfahrer können auch einen fahren lassen… was da an Schadstoffen rauskommt…. Aber der Filter ist vielleicht gut?

    Meint ein nicht-Autofahrer aber kein Öko-Faschist…

    1. Ja, die guten alten Saugdiesel. Schade, dass die aufgrund des Irrglaubens, dass alte Technik per se schlechter und (in diesem Fall) dreckiger ist als neue, aufs Altenteil, sprich in die Schrottpresse oder ins Ausland abgeschoben wurden. Zudem halten die Dinger ewig (was dem Ressourcenverbrauch und Müllproblem zugute kommt) und laufen normalerweise in vergleichsweise niedrigen Drehzahlen (was den Verschleiß und somit den Dieselverbrauch und den Schadstoffausstoß über die Zeit minimiert).

      Dass das Auto in vielen Belangen das ungünstigste Fortbewegungsmittel ist, bestreite ich als Autofahrer dennoch nicht. Nur leider treffen Vorschläge wie Gebühren, Fahrverbote und Anreize zum Neuwagenkauf in großem Umfang eben auch die Falschen. Ich selbst bin zum Beispiel alleinerziehender Papa eines Kleinkindes, wohnhaft in einer Großstadt. Und trotzdem fahre ich oft mit dem Auto. Denn das Kind muss in den Kindergarten und ich zur Arbeit. Mit dem ÖPNV benötige ich mit Wartezeit an den Haltestellen (wer Kinder hat, weiß, dass Pünktlichkeit und Beeilen nicht unbedingt in der Erfahrungswelt eines Kleinkindes vorkommt) sowie allen Umstiegen derzeit etwa eine halbe Stunde länger als mit dem Auto für den Hinweg und dieselbe Zeit nochmal für den Rückweg am Abend. Das bedeutet 1 Stunde mehr Fahrzeit, also eine Stunde weniger Zeit für Familiäres wie Haushalt, Essen, Kinderbetreuung, etc.. Wenn Wocheneinkauf ansteht, erhöht sich die Mehrzeit nochmals. Die Vorteile des ÖPNV, dass ich nicht selbst fahren muss, im Winter keine Scheibe vom Eis befreien und die Parkplatzsuche entfällt, sind ja schon da.

      Nun könnte ja einer auf die Idee kommen, dass das mit dem Fahrrad schneller geht. Ja, tut es. Es gibt hier in der Tat auch einen recht schönen Radweg den Fluß entlang. Nur leider geht das eben nur mit Ausnahmen. Im Winter oder bei Sauwetter mit Kind auf dem Rad ist alles andere als entspannt, manchmal schlicht nicht möglich. Der Schwerpunkt eines Rades mit Sitz und Kind drauf ist äußerst ungünstig (ich habs schon probiert, es ist kein Vergnügen), was sich gerade bei schmierigen Straßen bemerkbar macht. Das ist mir mit Kind einfach zu unsicher. Und im Winter werden die Radwege hier nicht überall geräumt. Und wenn ich mit Kind einkaufen muss, kann ich die Tüten dann an den Lenker hängen und auch gleich das Rad schieben. Mit der Beladung ist Radeln kaum noch möglich. Das dauert dann noch länger als mit dem ÖPNV. Fahrradanhänger fürs Kind werden hier leider zu oft gestohlen. Da fehlen sichere Unterstell- und Anschließmöglichkeiten, eben auch vor Supermärkten, etc. Also auch keine Alternative.

      Und über Vorschläge, man könne sich ja ein E-Auto oder einen EURO6* kaufen kann ich nur müde lächeln. Selbst wenn ich vom Staat ein paar Tausend EURO dazu bekomme, kann ich mir als Alleinerziehender die restlichen mehrere Zehntausend EURO nicht eben mal so leisten.

      Und dabei hab ich bisher nur vom innerstädtischen Vorankommen gesprochen und noch gar nicht von Touren über Land. Wenn ich mit Kind mal zu den Großeltern fahren möchte, benötige ich zwingend ein Auto, da am Wochenende kein ÖPNV (tatsächlich keiner! Nur in der Woche, aber da muss ich schließlich selbst arbeiten und kann die nicht besuchen) mehr die Kleinstadt bedient, in der sie wohnen. Radfahren ist bei über 80km durchs Mittelgebirge keine Lösung.

      Soll heißen, Gebühren und Fahrverbote treffen wie so oft eben nicht nur die, die sich durchaus etwas (für Umwelt und Mitmenschen) besseres leisten können und nur nicht wollen, sondern auch diejenigen, die sich durchaus vorstellen können, etwas besser zu machen, sich das aber eben nicht leisten können, keine wirklichen Alternativen haben und von solchen Maßnahmen dennoch hart im Alltag eingeschränkt werden. Augenmaß und sozialverträglich ist was anderes.

      Zu allererst muss imho als gängige Allwetter-Alternative der ÖPNV angepasst und ausgebaut werden. Weniger was den Fahrpreis angeht, sondern eine höhere Kapazität, sprich Anzahl der Fahrzeuge, als auch eine höhere Taktung. Und wieder mehr Bahnpersonal und gepflegtere Stationen, was einem auch abends auf entlegenen Stationen ein Sicherheitsgefühl gibt. Dann hätte ich hier tatsächlich eine Alternative zum derzeitigen Auto. Im Moment funktioniert das für mich leider noch nicht. Des weiteren müssen sowohl die Kommune als auch private Firmen (Supermärkte, Einkaufszentren) für mehr Fahrradsupport sorgen, wenn das eine Alternative sein soll. Zum Beispiel Fahrradbügel wären schonmal zumindest bei hinreichend gutem Wetter ein Grund, das Rad zu nehmen. Radwege müssten ebenfalls besser ausgebaut werden.

      Also, bitte nicht vorschnell Verbote und Gebühren fordern. Vielleicht lieber zusammen mit Umsteigewilligen Verbesserungen der Alternativen verlangen. Und wenn die etabliert sind, kann man über Einschränkungen des Automobilverkehrs nachdenken. Da wären ich und sicher viele andere Betroffene dann dabei.
      ***

        1. Ach, ich bin zwar jetzt kein Schwabe, aber dieser Dialekthass mancher „Hochdeutscher“ ist doch schon seltsam.

          Nur weil euer Dialekt zufälligerweise derjenige ist, in dem, zu den für die Entwicklung einer gemeinsamen Schriftsprache entscheidenden Moment, die dafür wichtigen Menschen gelebt haben macht es diesen Dialekt in keiner weise besser oder die anderen Dialekte zurück geblieben.

          Auch dieses bewusste Nichtverstehen ist schon etwas nervig. Wenn ich mir Mühe gebe verstehe ich ausser speziellen Dialektbegriffen so ziemlich jeden deutschen Dialekt und wenn sie sich Mühe geben bekommen das die hochnäsigen „Hochdeutschen“ auch hin.

          Für das Gespräch mit Leuten anderen Dialekts ist die Schriftsprache wenn möglich vorzuziehen, das ist soweit richtig, meiner Ansicht spricht aber nichts dagegen untereinander den jeweiligen Dialekt zu verwenden oder wie Bernd das getan hat auch, wenn auch eher sparsam, feststehende Begriffe eines Dialekts an passender Stelle einfließen zu lassen.

        2. Hier in Norwegen gibt es so etwas wie eine Standardspache nicht. Jeder spricht Dialekt und schreibt in einer der beiden Schriftversionen. Es gibt so etwas wie eine Standardaussprache oder besser gesagt zwei, aber das wird nur in den Nachrichten am Fernsehen gesprochen.

          Ich verstehe die Deutschen nicht, dass sie kein Dialekt sprechen wollen, weil es minderwertig wäre. Als Schweizer reagieren wir darauf allergisch.

  4. Also hier in Oslo wird das so angehabt, dass man 45 NOK (5€) bezahlt um die Stadt reinzufahren. Dieselfahrzeuge bezahlen mehr. Während der Stosszeit gibt es keine Extragebühr. Da hat der tief-rot-grüne Stadtrat massenweise Parkplätze entfernt. Gewisse Handwerker nehmen jetzt keine Aufträge in Oslozentrum an, weil sie nicht mehr parken können. Naja, wenn die Politiker keine Handwerker mehr kriegen, dann werden sie sich nochmals überlegen.
    Die weitere Stufe ist eh geplant: Alle paar 100m kommt dann eine Mautstelle ab nächstes Jahr bis vor kurz den Wahlen. Und nach dem Autofahren extrem teuer geworden ist, soll dann der öV verteuert werden, weil autofahren ja noch teurerer kommt.

    Resultat: Diese Massnahmen treffen am Schluss genau die Wähler der Arbeiterpartei, die das ganze unterstützt: Nämlich die finanzschwachen Leute, die für Transport viel mehr ausgeben müssen. Den Reichen ist das egal: Die kaufen sich einen Tesla und fahren dann gratis rum.

  5. Wie sagte doch mal eine Tatort Kommissarin vor 30 Jahren : „Vernunft ist Parteipolitisch nicht organisiert“ Das gilt für alles im Leben.

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