Kanzlerin auf Abruf – Keine Zukunft für die Volksparteien
Nun hat ja Merkel endlich reagiert und tritt nicht mehr als Parteivorsitzende an und will 2021 auch nicht mehr als Kanzlerin antreten. Manche sagen na endlich, bedauern tut es außer Horst Seehofer keiner. Das sagt eigentlich schon alles. Ich denke er bedauert das, weil er wohl keinen Nachfolger/in bekommen wird, mit dem er so verfahren kann wie mit Merkel. Wie hat er sie vorgeführt. Nicht nur in den letzten Monaten mit angedrohtem Rücktritt, Ankerzentren, Obergrenze, Abkommen über Rückführung und zuletzt die Affäre über Maaßen. Aber das war nur der Abschluss. Er hat in der Vergangenheit immer durchgesetzt, was er wollte. 2013 die Maut von der Merkel in einer Fernsehdiskussion, dem typischen Duell kurz vor der Wahl, sagte das sie, das es die Maut mit ihr nie geben würde und er steht nur stellvertretend für die CSU-Minister, die allesamt sich durch Inkompetenz oder industriefreundliches Verhalten auszeichnen.
Ich hätte schon längst die Nullen gefeuert, den Seehofer als allerersten. Aber Merkel feuert nicht. Ich kann mich an keine Regierungsumbildung erinnern, die bei Kohl noch so häufig waren. Wenn jemand gehen musste dann tat er das selber, wie Guttenberg.
Seehofer hat es fertiggebracht, dass man praktisch vom Beginn der Koalition bis jetzt nach außen hin nur von internen Diskussionen gehört hat und die Groko nur noch als Dauerstreit wahrgenommen hat. Wenn Merkel es nicht fertigbringt, so jemanden aus dem Kabinett zu schmeißen, dann sollte sie selbst gehen. Denn dann hat sie ihr Kabinett nicht mehr im Griff.
Schade ist es nicht, denn mein Eindruck von Merkel ist, das sie in den 13 Jahren eigentlich nur Tagespolitik gemacht. Krisen bewältigt, Kompromisse gesucht. Das ist wichtig und auch das tägliche Geschäft. Ich erwarte aber von einem Kanzler das er auch die Dinge angeht, die nicht aktuell anstehen, aber für die Zukunft wichtig sind. Da gäbe es einiges. Noch immer wurden, seit es die Bundesrepublik gibt, nur Schulden gemacht. Nun wäre es Zeit, mal auch welche zurückzuzahlen. Das Gesundheitssystem muss dauerhaft finanzierbar bleiben und es muss Schluss sein mit dem Zweiklassensystem von privat- und gesetzlich versicherten. Schlussendlich bleibt die Rentenproblematik erhalten, nämlich das es zu wenige Einzahler und zu viele Bezieher gibt. Schröder hat ja schon mal einen Versuch unternommen, dass man privat vorsorgen soll. Es wäre an der Zeit das Probleme anzugehen. Mit „privat“ Vorsorgen erreicht man ja nur die Besserverdienenden. Mein Vorschlag wäre ein Staatsfond der breit investiert und der auch Gewinne erwirtschaftet. So was soll es in den skandinavischen Ländern geben und dort soll es auch funktionieren. Dann gäbe es noch die Klimawende, die typisch für Merkels Politik ist: Versprachen und nicht ahlten. Als sie 2005 gegen Schröder antrat, kündigte sie an die Ökoumlage abzuschaffen. Hat sie nicht gemacht. Aber weitere Schritte zum Klimawandel auch nicht. Noch immer wird die Kohle protegiert, die Automobilindustrie hat sie als treuen Verbündeten, wenn es um die Festlegung niedriger europäischer Grenzwerte geht. Dann gäbe es noch das Dauerproblem Bildung das sich nicht nur auf die „Digitalisierung2 beschränkt, sondern weiter geht. Schön wäre es, wenn man mal bundesweit Abschlüsse und Mindestanforderungen vereinheitlicht, sowohl bei der Schule wie auch im Studium. Viele Wege zum Abschluss sind ja schön, aber die müssen die gleichen Standards erfüllen.
Kurzum: ich brauche keine Kanzlerin, die die Industrie vertritt und nichts tut. In einem Beitrag über Lindner auf Phoenix ging es auch über die Sondierungsgespräche, die ja dann platzten. Merkel wird beschrieben, als jemand der keinen Plan hat, was sie eigentlich möchte und meinte, wenn man einen Satz umformuliert, der ein Wort enthält, das FDP oder Grünen nicht passte, das Problem wäre gelöst, aber in der Sache eben keine Kompromisse machte.
Was die Entscheidung Merkels allerdings brisant macht ist, dass sie den Parteivorsitz abgeben möchte, aber Kanzlerin bleiben möchte. Das hat bisher noch nie geklappt. Helmut Schmidt hat es bedauert, das er nicht den Partievorsitz hatte, denn die Wende kam ja nicht nur durch die FDP, sondern auch Teile der SPD waren nicht mehr von seiner Politik überzeugt und Willy Brand war die Opposition in der eigenen Partei – und Parteivorsitzender. Sie selbst hat ja Schröder kritisiert, als er 2004 den Parteivorsitz abgab. Und in der Tat hat Schröder nur eine Neuwahl gemacht, weil die eigene Partei ihn nach verlorenen Landtagswahlen aufgrund der Harz-IV Reformen dazu gedrängt hat. Als Kanzler hätte er sich ja auf seiner Mehrheit im Bundestag ausruhen können.
Wenn man demokratisch denkt, so ist es sinnvoll, wenn verschiedene Personen verschiedene Ämter haben, schon alleine wegen der Arbeitsbelastung dieser Spitzenämter. Sonst weiß man auch nicht ob Merkel nun gerade Politik als Kanzlerin oder Partievorsitzende macht. Das sollte getrennt sein. In der Praxis funktioniert es aber nicht, weil man dann noch einen mehr am Tisch hat, der mitentscheiden will. Dann muss CDU Politik also nicht zwingend das sein, was Merkel will. Vor allem wenn sich Spahn oder Merz als Nachfolger durchsetzen.
Stand jetzt wird es sicher keine Neuwahlen geben. Zu viel haben CDU und SPD in den letzten Monaten verloren, bei zwei Landtagswahlen jeweils 10 Prozent. Es würde vielleicht nicht mal mehr für eine neue Koalition reichen, die dann auch nicht mehr eine große wäre. Aber mit jemanden als CDU-Parteivorsitzenden, der ja dann wahrscheinlich auch der nächste Kanzlerkandidat werden möchte, im Nacken wird das Regieren schwierig, denn der wird sich profilieren wollen und das geht am besten, wenn man sich von Merkel politisch distanziert. Ich glaube daher nicht, dass Merkel einmal die Vertrauensfrage stellen wird oder sich einem Misstrauensvotum stellen muss, aber ich glaube nicht, dass sie die drei Jahre noch übersteht und vorher zurücktritt. Auch um aus Parteidisziplin dem Nachfolger den Weg freizumachen, der dann mit dem Kanzlerbonus starten kann.
Was die letzten Wahlen aber auch zeigten ist das das System Volkspartei verfällt. Wir hatten ja schon mal eine Demokratie. Die Weimarer Republik. Die war von zwei Dringen geprägt. Zum einen von Parteien mit ideologisch verfestigtem Programm, ohne das es Kompromisse geben kann, wie KPD auf der einen Seite und NSDAP auf der anderen. Zum anderen von Parteien, die nur bestimmte Bevölkerungsgruppen vertreten. Es gab eine Partei für Katholiken, für die Bauern und – das hat sich bis heute erhalten – eine nur für Bayern. Im ersten Parlament der Bundesrepublik gab es noch neun Parteien und einige sonstige Abgeordnete. Das hat sich durch die 5-Prozenthürde und immer weniger Direktmandaten dann reduziert und 1953 waren es noch fünf und seit 1957 drei Parteien. Das war das System der Volksparteien, die nicht mehr krass links oder rechts ausgerichtet waren, sondern eben gemäßigt und mit dem Bestreben, möglichst große Gruppen zu vertreten. Die SPD mit der Ausrichtung „mehr links“, also Politik, die mehr ihrem klassischen Klientel den Arbeitern und sozial nicht so gut gestellten entspricht und die CDU, die wie ihr Klientel das Bürgertum vor allem konservativ denkt. Dazwischen die FDP, die nominell dann für mehr Freiheit steht.
Das ging so fast 30 Jahre gut, bis die Grünen einzogen. Die Grünen etablierten sich als neue Spartenpartei, für alle, denen Umweltschutz wichtig war. In den ersten Jahren ziemlich radikal, auch wenn sie nun ziemlich bürgerlich geworden sind. 1990 dann zuerst die PDS als Nachfolge der SED, dann die Linke als Sammelpunkt aller, denen die SPD inzwischen nicht mehr links genug war. Sara Wagenknecht reicht das ja nicht und sie hat nun ja schon wieder eine neue Sammlungsbewegung gegründet. Nun haben wir noch die AFD als Sammelbewegung für alle, die intolerant sind und meinen mit dem Wählen von Denkzetteln gibt es eine bessere Politik (in der Praxis wird nur das regieren und das finden einer handlungsfähigen Regierung schwieriger). Ein Programm, das über Wirtschaft und Flüchtlinge herausgeht, haben sie nach vier Jahren ja noch nicht, wie Gauland im Sommerinterview zugeben musste. Die AFD ist auch so stark, weil sie in der Wirtschaft fast die gleichen Positionen wie die FDP vertritt, die sich seit 1983 zu einer Partei entwickelt hat, in der Liberalität nur noch als Wirtschaftsliberalität interpretiert wird, also eine Politik für die Besserverdienenden macht. So gesehen wäre noch Platz für eine liberale Partei, die für mehr Freiheit steht. Mehr Freiheit bedeutet weniger Staat und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Sinn, sondern auch bei Vorschriften im Alltag, weniger Überwachung der Bürger.
Das Regieren wird daher nicht einfacher. Denn die „Volksparteien“ hatten ja auch einen Vorteil: sie hatten relativ gemäßigte Positionen, denn der Großteil der Bevölkerung ist eben nicht extremistisch. Da fällt es leichter, Kompromisse zu schließen. Das wird mit den Linken oder AFD zumindest auf Bundesebene kaum möglich sein und entsprechend hatten in der Weimarer Republik Bündnisse auch kurze Halbwertszeiten.
Ich glaube allerdings nicht, dass es wieder zu Volksparteien kommen wird. Im Gegenteil. Es ändert sich ja auch die Gesellschaft. Es gibt immer weniger Arbeiter und das Bürgertum ist auch nicht mehr das was es wahr. Damit fallen bei SPD und CDU/CSU auch viele Stammwähler weg
Ich wage zu prognostizieren, dass langwierige Verhandlungen wie bei Jamaica die Regel sein werden. CDU/SPD mögen vielleicht noch bei der nächsten Bundestagswahl noch über 50 Prozent kommen, aber die letzten vier Wahlen zeigen, dass sie dabei laufend verlieren und das dürfte keine der beiden Partien wollen. Die SPD wollte ja in der Opposition bleiben bis Steinmeier der Führung ins Gewissen geredet hatte. Für sie selbst wäre es sicher besser gewesen, denn obwohl es den Streit in den letzten Monaten nicht um sie ging. Aber die SPD hat eben auch nicht Stellung bezogen und war für den Vorschlag Seehofers Maaßen zu befördern.
Ich glaube allerdings kaum, das mit den neuen Kandiaten für den Parteivorsitz es besser wird. Kramp-Karrenbauer vertritt die Politik Merkels. Mein Kommentar zu der Politik: siehe oben. Merz steht für radikale wirtschaftsliberale Positionen und war ja Aufsichtsratsvorsitzender bei Black Rock. Damit wäre er besser in der FDP aufgehoben als in der CDU und Spahn steht ebenfalls für Konservativismus. Waherscheinlich werden alle drei Kandidaten versuchen, am rechten Rand von der AFD Stimmen abzufischen. Mein Rat: lasst es. Zum einen zeigt die Historie, dass es nicht klappt. Das zeigte sich nicht nur bei der CSU und ihrer verlorenen Landtagswahl, das zeigte sich auch seit 1983 in dem Versuchen der SPD diie Stimmen von Grünen und Linken wieder zurückbekommen. Es hat nie geklappt. Zum Zweiten würde ich auch mal nachdenken: Ob ihr Wähler von der AFD haben wollt, die so intolerant sind, dass man sie durchaus rassistisch und fremdenfeindlich nennen kann und noch dazu so dumm, das sie diese Dumpfbacken, die nun im Bundestag sitzen, wählen nur weil sie meinen einen Denkzettel aussprechen zu müssen. Dann müsst ihr auch so hirnrissige Politik für die machen. Ihr könnt aber drauf wetten, das es dann so kommt wie in Bayern: für jeden den ihr da rechts hinzugewinnt verliert ihr zwei oder drei Wähler aus der Mitte, für die ihr nun zu radikal seid.
Hallo Bend,
die von Dir angeführte Liste der anzugehenden Themen finde ich traurig. Bei über 150 Mrd Investitionslücke in der Infrastruktur vornehmlich ans Rückzahlen von Krediten zu denken ist für mich eher kurzsichtig, als ein Schritt in die Zukunft. Im übrigen werden regelmässig die Schulden mit Zins zurückgezahlt. Das Gesundheitssystem ist solide aufgestellt, und die Kosten wachsen im Rahmen der Wirtschaftsleistung. Das Gesundheitssystem ist übrigens ein Wirtschaftszweig, der zu dieser Wirtschaftsleistung beiträgt. Die Rente wäre ohne die unsinnigen Eingriffe zu finanzieren, nur wäre die Belastung der Unternehmen geringfügig höher. Das Problem eines geänderten Verhältnis von arbeitenden Einzahlern zu Rentnern ist gar keins, wenn man den Produktivitätsfortschritt richtig an die Mitarbeiter weitergeben würde. Auf der Warenseite wird nämlich mehr als reichlich produziert, so dass man sogar große Überschüsse ins Ausland verbringen muss (Exportüberschuss).
Eine wichtige Frage für mich wäre, wie man es hinbekommt, dass man von seiner Arbeit wieder ohne Stütze leben kann. Eine andere wichtige Frage wäre für mich, wie wir wieder vom Besserwisser zum guten Nachbarn werden können. Wie wir mit anderen ohne Sanktionen auskommen. Noch eine zu klärende Frage wäre, wie wir Mobilität für alle ermöglichen, ohne alle auf die Anschaffung eines KFZ zu drängen.
Zu den Schulden – es werden ja neue gemacht um die alten zu bezahlen. In der Höhe blieben sie. Ich sage auch nicht das man nicht marodes sanieren soll, nur höre ich derzeit bei Überschüssen nur von Steuergeschenken. Man soll die Steuer so lassen und mit der einen Hälfte des Überschusses sanieren und mit der anderen Schulden zurückzahlen.
Der Exportüberschuss hat eher damit was zu tun, wie gut eine Volkswirtschaft ist. Wenn man im Land weniger produziert als man verbraucht wie England und eine negative Handelsbilanz hat ist das ganz schlecht. Die Gewinne durch den Verkauf auch im Ausland kommen ja auch bei den Arbeitern an, denn Gewerkschaften orientieren sich bei ihren Forderungen immer nach den Gewinnen der Industrie im Vorjahr. Weniger produzieren bringt also höchstens weniger Arbeitszeit bei geringerem Lohn.
Du hast recht die Problematik das es noch immer keinen Minimallohn gibt der wirklich erheblich höher als Harz-IV ist habe ich vergessen ebenso sollte die Politik was dagegen machen das aus den Minijobs, die mal als Möglichkeit gedacht waren für Leute die nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen eine Alternative zu haben inzwischen genutzt werden eine reguläre Stelle in zig minijobs aufzuteilen.
Das Problem ist grundsätzlich das Regierung-Opposition-System. Sobald sich drei Blöcke bilden, vor allem wenn eine grössere Partei komplett ausgrenzt wird. Dann funktioniert es nicht mehr.
In der Schweiz haben wir das Problem anders gelöst, nämlich mit Konkordanz-Demokratie: Alle grössere Parteien sind sowohl in der Regierung als Opposition. Der Bundesrat (Regierung) wird einzeln vom Parlament gewählt, wo bei drei grössten Parteien Anrecht auf 2, und die viertgrösste auf einen Sitz hat. Neben bei müssen die unterschiedlich Landesteile vernünftig repräsentiert sein. Ist ein Mitglied zur Zeit seiner Wahl Parteipräsident, muss er den Posten vor Antritt in der Regierung abgeben. Bei einem Industriechef muss dieser seine Anteile an seine Firmen abgeben (Verkaufen, vorvererben…) Beschliesst der Bundesrat etwas müssen alle Mitglieder den Entschluss tragen, auch wenn sie persönlich dagegen sind. Das führt eigentlich zu sehr stabilen Verhältnissen. Personen sind im Schnitt 10-12 Jahren im Bundesrat, und auf dem gleichen Posten, d.h. sie haben Zeit um längere Projekte durchzuführen. Dass ein Mitglied abgewählt wird, ist äusserst selten. Normalerweise treten sie selbst zurück.
Natürlich gibt es noch die Volksabstimmungen mit dem man den Politiker auf den Finger klopfen kann.