Der Ukraine-Krieg und die Raumfahrt

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Wenn ich in den letzten Tagen eines dauernd gehört habe, dann wohl, dass die Erschütterung über einen Krieg in Europa groß ist. Das hätte niemand gedacht.Es verwundert mich etwas, weil Russland ja schon in Syrien, Georgien und Tschetschenien Krieg geführt hat. Das sind Nachbarländer Russlands und das ist die Ukraine auch. Warum sollte es bei ihr anders sein, nur weil man sie per Definition zu Europa zählt?

In jedem Falle sind die Auswirkungen viel größer als bei den vorherigen Konflikten. Das sieht man an den Sanktionen, an der Kehrtwende der Politik wie Waffenlieferungen an die Ukraine, Aufrüstung. Es gab aber auch Folgen für die Raumfahrt. Diese will ich in diesem Blog aufarbeiten.

Den Anfang machte die Abschaltung des Experiments eROSITA. eROSITA ist das letzte und modernste Röntgenteleskop Deutschlands, wahrscheinlich sogar der Welt. Es befindet sich auf dem russisch-deutschen Satelliten Spektrum-Röntgen-Gamma“ (SRG). Dort ist es das Hauptinstrument. SRG wurde am 13.7.2019 von Russland gestartet und befindet sich in einem L2-Orbit. Die Abschaltung sowie die Zusammenarbeit mit russischen Instituten wurde von der DLR beschlossen,

Als Nächstes folgte der Exomars Rover. Der war ja schon überfällig. Nach dem Trace Gas Orbiter sollte der Rover eigentlich im nächsten Startfenster also 2018 starten. Doch zuerst wurde der Rover nicht fertig, was schon beim Start des TGO klar war. Der Start rückte schon 2016 auf 2020. Dann machte das Fallschirmsystem bei der Erprobung Probleme. Angesichts dessen das der Vorläufer Schiaparelli 2016 bei der Landung verloren ging, hat man auf 2022 verschoben. Nun ist der Start abgesagt, denn er findet ja auch einer russischen Proton ab, das ist die Kompensation für die Mitnahme russischer Instrumente auf dem Rover.

Noch mehr Nutzlasten waren auf die Sojus gebucht. Am 26. Februar zog Russland alle Arbeiter aus dem CSG ab, damit fallen erst mal alle Sojus-Starts vom CSG aus weg. Es gab dann noch gebuchte Aufträge für Starts von Baikonur aus, z.B. von Oneweb, doch die fielen dann wenige Tage später auch weg,

Derzeit sind folgende Starts vornehmlich europäischer Nutzlasten auf die Sojus gebucht:

  • Zwei Starts von je zwei Galileo Navigationssatelliten
  • Der ESA Euclid infrared space telescope and EarthCARE Satellit
  • Der Sentinel 1C Radar Satellit für Kopernikus Klimaprogramm.
  • Der schwedische MATS Microsatellit.
  • Vier GRUS Erdbeobachtungs-Microsatelliten für die japanische Firma Axelspace
  • The StriX-1 Demonstration Satellite für die japanische Firma Synspective.

Bei Oneweb, bei denen noch sechs Starts mit der Sojus ausstehen, setzte Russland ein Ultimatum. Die Firma ist ja keine Regierungsorganisation, aber England ist Miteigentümer, die britische Regierung hatte, als Oneweb durch Corona in Finanznöten war einen Anteil für 1 Millaire Pfund gekauft. Der wichtigste Grund warum man Oneweb nicht gleich abgesagt hat dürfte sein, das der zweite große Eigentümer Barthi Enterprises aus Indien sind. Indien hat sich in den Abstimmungen sowohl im Sicherheitsrat, wie auch in der UN-Vollversammlung enthalten. Nach dem Ultimatum hat OneWeb alle Starts ausgesetzt.

Was gibt es hier an Alternativen – kurzfristig nichts, doch langfristig gibt es einige Alternativen. Sowohl für Oneweb wie auch Galileo sind Folgestarts mit der Ariane 62 geplant, die dürfte dann eben einige Starts mehr bekommen.

Die Mikrosatelliten können wahrscheinlich problemlos bei einer Falcon 9 oder PSLV mitfliegen. Bei SpaceX Rideshareprogramm sogar wahrscheinlich kurzfristig. Sentinel 1C ist an der Nutzlastgrenze einer Vega C, er wiegt 2.300 kg und soll in eine SSO-Bahn in 693 km Höhe gebracht werden. Die genaue Nutzlast der Vega-C ist noch unbekannt, doch sie soll 50 % mehr bringen als die Vega und die schafft 1.500 kg in einen 700 km SSO. So wäre wahrscheinlich ein Start mit der Vega möglich, oder eben auch mit der Ariane 62.

Die operationellen StriX-1 sind geplant auf der japanischen Elektron, mit 150 kg Masse sind es Mikrosatelliten die problemlos einen Start finden.

Dann gibt es auch noch Triebwerke. Drei westliche Trägerraketen setzen Triebwerke aus der Konfliktregion ein. Die Atlas V setzt RD-180 aus Russland ein. Die Antares RD-191 ebenfalls aus Russland und die Vega ein RD-869 aus der Ukraine. ULA welche die Atlas V betrieben sind aus dem Schneider. Sie haben schon alle Triebwerke die sie für die noch ausstehenden Starts brauchen. Neben den Erfahrungen mit der Ukrainekrise 2014, die zur stärkeren Bevorratung führte, auch um die Bedenken des DOD zu zerstreuen, verdankt das ULA den Verzögerungen bei der Vulcan bei der das die Triebwerke von Blue Origin einige Jahre hinter dem Zeitplan hinterherhinkten. Das heißt eigentlich sollte die Atlas V jetzt auslaufen, so hat man schon alle Triebwerke. Das letzte RD-180 wurde schon am 14.4.2021 ausgeliefert.

Gar nichts hört man von Northrop Grumman welche die Antares Rakete mit dem Cygnus Versorger betrieben. Da hier aber die RD-191 die alten NK-33 ersetzt haben können sie notfalls wieder auf diese zurückgreifen.

Die Vega setzt das ukrainische RD-869 ein. Das wurde ja mal schon im Blog kommentiert. Ich bin nicht drauf eingegangen, weil ich für die Behauptung keine Verifikation fand und wir wollen ja hier nicht in „Hören-Sagen“ abrutschen. Aktuelle Daten wie weit die Vega betroffen ist, gibt es nicht. Am 7.5.2021 also vor fast einem Jahr gab es einen neuen Abschluss über Triebwerke, 10 wurden bestellt. Zwei Vega Starts sind seitdem erfolgt, man kann aber auch von weiteren Lieferungen ausgehen. Immerhin wurden 7 von 11 Triebwerken des derzeitigen Vertrages, der bis 2023 geht schon geliefert eines befand sich auf dem Weg. Wenn man Mitte 2021 also bis auf drei Triebwerke schon alle bis 2023 benötigten hat, denke ich, wird es noch für 2022 genügend Triebwerke geben.

Was beim Hersteller in Dnipro in der Ukraine vor sich geht weiß niemand. Es gab eine Explosion nahe der Stadt am 24.2, aber bisher keine Kampfhandlungen.

Eine Alternative zu dem RD-859 ist einfach und schwierig. Einfach, weil das AVUM nur noch wenig Geschwindigkeit aufbringen muss. Verzichtet man auf etwas Nutzlast so könnten die Feststoffantriebe es auf eine stabile Bahn bringen mit dem Apogäum in Zielhöhe. Dann hat man genügend Zeit den Orbit anzuheben, sodass man es auch durch ein schubschwächeres Triebwerk, wie ein 500 Newton Satellitentriebwerk ersetzen kann. Die Mission würde dann eben einige Stunden länger dauern. Auch ein Bündel von Triebwerken ist denkbar, so setzten die US-Raumsonden MRO und MAVEN jeweils sechs dieser Triebwerke ein. Das ist der einfache Teil. Der komplizierte: dafür muss man die Stufe umkonstruieren und das geht nicht schnell.

Als Alternative gäbe es das BERTA Triebwerk. Es wurde von Airbus schon mal für einen AVUM Ersatz vorgeschlagen und um es herum wird gerade eine Kickstufe für die Ariane 6 entwickelt. Aber das gibt es noch nicht.

Ob eine Beschleunigung der Lyra Oberstufe. Die hat ein neues Triebwerk, das M10, das leitet sich ebenfalls aus einem ukrainischen Triebwerk ab, dem RD-046, soll nach AVIO Angaben aber eine europäische Entwicklung sein, auch wenn die ersten Tests von 2008 bis 2014 in der Ukraine stattfanden. Das M10 wird derzeit auf Sardinien erprobt, doch der Jungfernflug der Vega E ist erst für 2026 geplant. Da gibt es also eine Lücke von 4 Jahren.

Kommen wir zur bemannten Raumfahrt. Wie Putin ist auch Roskosmos Chef Rogozin nicht sparsam mit markigen Worten. Er droht mit dem Absturz der ISS. Das ist nun in etwa so wahrscheinlich wie die Behauptung des russischen Botschafters vor der UN, Ukraine würde Biowaffen in geheimen Labors produzieren die dann mit Vögeln und Fledermäusen nach Russland gebracht werden um dort nur Menschen slawischer Herkunft zu töten.

Tatsache ist: die einzige Möglichkeit derzeit die Höhe der ISS zu halten, ist das regelmäßige Anheben der Bahn mit Progress-Transportern die am russischen Teil andocken. Doch ohne dieses Anheben würde es einige Jahre dauern bis sie in eine so geringe Höhe erreicht das sie nicht zu retten ist. Zudem gibt es Alternativen. Schon 2018 hat eine Cygnus experimentell die Bahn angehoben wenngleich nur um 282 Meter. Vom US-Segment aus ist das schwieriger, weil der Schub nicht durch den Schwerpunkt geht, man muss also durch Zünden mehrere Düsen so darauf achten, dass die Station nicht in eine Drehung gerät. Doch prinzipiell ist das immer möglich. Keiner der US-Transporter hat eine große Treibstoffkapazität, aber es gibt bis zu acht Starts pro Jahr. Verzichtet man bei jedem auf etwas Fracht und füllt dafür die Tanks voll auf, so sollte es reichen die Station zu halten. Zuletzt könnte man ja noch eine Orion ankoppeln. Ihr Servicemodul hat genügend Treibstoff, um die Station mehrere Jahre in der Höhe zu halten. Mit einer SLS wird das zwar teuer, aber man hat ja etwas Zeit und könnte nach einer Startmöglichkeit auf einem anderen Träger suchen und einen Adapter bauen. Bei einem Teststart der Orion ging es ja schon mit einer Delta 4H. Wahrscheinlich würde man mit einer Orion die Station gleich etwas mehr anheben, sodass man wieder einige Jahre Ruhe hat. Immerhin scheint die internationale Zusammenarbeit an Bord der ISS ja noch weiterzugehen. Rogozin, Russlands Weltraum-Kaberettist, hatte ja schon mehrfach angekündigt, die russischen Module abzukoppeln. Damit würde er nur Russland schaden. Tatsache ist: Russland hat nur drei Module an Bord der ISS. Ihre Solarzellenflächen sind eingefahren seit die große Paneele des US-Segments den Strom liefern. Die Lebenserhaltung war anfangs auch im russischen Segment, inzwischen gibt es aber auch im US-Segment weiterentwickelte Anlagen. Russland hat in seinen Modulen nur wenige Möglichkeiten Experimente durchzuführen. Es gibt nicht wie bei NASA, ESA und JAXA eigene Labormodule mit Racks bei denen man die Experimente leicht austauschen kann.

Kurz: für die Rest-ISS würde sich der Verlust in Grenzen halten. Man müsste das Lebenserhaltungssystem nachrüsten, doch das ginge mit einem normalen Frachttransport. Ja es gäbe Chancen. Ohne die russischen Module kann man an Unity weitere Module andocken, zumindest aber ein Boostmodul. Da gäbe es mehrere Möglichkeiten – ein Servicemodul der Orion mit dem Kopf eines ATV zum autonomen Andocken – das müsste man dann alle paar Jahre auswechseln, wenn der chemische Treibstoff verbraucht ist, oder man nimmt ein Ionenantriebsmodul wie schon mal von mir skizziert, das würde mit Überschussstrom der ISS betrieben werden und da würde ein Modul für die Restzeit der ISS reichen.

Russland hat aber keine Mittel um ihre abgekoppelten Module zu betrieben. Ihr neue Raumstation ROSS ist ein Papierprojekt wie zahlreiche neue räger die seit Jahren postuliert werden. Die Angara, immerhin in der Entwicklung seit 2008 ist bisher gerade mal zweimal orbital gestartet. Zwischen den Starts liegen Jahre.

Die meisten Aktionen gab es durch Russland. Das ist verständlich, versucht man so dem Westen zu schaden und man hat sogar etwas davon: bei Starts ist es üblich, dass vor dem Start alles bezahlt ist, das heißt, wenn jetzt Russland Starts aussetzt und die Träger für militärische Satelliten nutzt haben die Kunden die schon bezahlt.

Wenig Verständnis habe ich für den schritt des DLR die Zusammenarbeit mit allen russischen Instituten zu beenden. Das ist kein Krieg russischer Wissenschaftler, auch nicht des russischen Volkes. Es ist ein Krieg von Putin und einigen Getreuen. Ich erwarte, dass man beim DLR soviel Differenzierung aufbringt. Zudem setzt man ja so die russischen Wissenschaftler mit Putin gleich. Daneben ist es unsinnig. Was macht es für einen Sinn, ein wissenschaftliches Instrument abzuschalten? Wer hat etwas davon? Niemand. Es schadet eigentlich nur den deutschen Wissenschaftlern, die es betreiben.

7 thoughts on “Der Ukraine-Krieg und die Raumfahrt

  1. Sehe ich genauso. Kriege beendet man nicht, indem man die Zusammenarbit von wissenschaftlichen Instituten beendet, genau so wenig, indem man Hunde oder Katzenausstellungen boykottiert. Den Krieg kann man nur auf Basis von Verhandlungen beenden, genauso, wie man ihn hätte durch Verhandlungen vermeiden können. Ich hoffe sehr, dass die Politiker schnell von diesem Hacke hin, Hacke her ablassen, und nach Lösungen suchen. Auch Russland versteht mehr als nur die Sprache der Macht.

  2. Könnte man nicht eine Falcon 9 Oberstufe mit angekoppelter Dragon verwenden. Bei der Dragon müsste der Dockingadapter durch ein russisches ersetzt werden, so dass diese am richtig Ort docken könnte. Dadurch würde man die Stufe zünden, um die Station einem höheren Orbit bringen, damit man viele weniger Treibstoff braucht und so Zeit hat für eine dauerhafte Lösung.
    Die Frage ist, ob die Station es aushält, wenn die Stufe mit voller Kraft beschleunigt.
    Das Andocken in einen oder zwei Orbit sollte klappen, das schaft die Soyuz auch.

    1. Warum umständlich wenn es doch schon eine Lösung gibt? Mal abgesehen davon das der Sauerstoff bis diese an der ISS angekoppelt wohl verdampft ist und es die Sicherheitsrichtlinien aufgrund desselben Tatbestandes wohl nicht zulassen. Von kleinen Details wie das die Dragon gar nicht ausgelegt ist noch eine Stufe zu transportieren, der Schwerpunkt sich verlagert und der Bordcomputer der die Stufe dann wieder abtrennen muss bis man an der ISS angekommen ist längst keinen Saft mehr hat und die stufe auch noch deorbitiert werden muss ganz zu schweigen.

    2. Das würde nicht funktionieren, weil man ja einen russischen Adapter brauchen würde, und die ‚Stimmung zur Zeit eine Zusammenarbeit mit Russalnd nicht erlaubt. Man stelle sich dann noch vor, die Lösung wäre dankt mangelnder Tests so zuverlässig wie andere Projekte von Musk, aber nun wären „die Russen“ schuld.

    3. Würde aus 2 Gründen nicht gehen.

      Zum einen ist das Oberstufentriebwerk der F9 zu stark es würde bei der Beschleunigung die Struktur der ISS beschädigen.
      Zum anderen müsste man mit Russland zusammenarbeiten,
      und selbst wenn Russland hier nicht aktiev sabotieren würde, ist die russische Raumfahrt in einem so desolaten Zustand, dass es wohl schief gehen würde.
      Ich denke dabei an die Bohrung in der Sojuz, die von außen erfolgt sein muss und mit einem nicht auf der ISS vorhandenen Kleber von außen repariert war.
      Zum anderen an das MLM welches auf ein UDSSR-TSK Aufbaute und mit 12 Jahren verspätung Startete und dabei die ISS in eine Bedrohliche Rotation versetzte.

  3. Das Loch in der Sojuz wurde von einem Amerikaner gebohrt, hat Rogossin gesagt. Wahrscheinlich hat er heimlich einen den Raumanzug angezogen und es von außen abgedichtet.

    Die Ukraine wird nie wieder Triebwerke liefern, denn das Werk wird bald zu Russland gehören. Ich denke sogar, das man in den eroberten Gebieten eine freie Wahl abhalten wird die dann klar für einen Anschluss an Russland sein wird. Da wo es einen Ukraierüberschuss gibt, zerbomt man einfach Wohnhäuser und Schulen, dann gehen die Ukrainer ganz von alleine.
    Die ethnischen Russen und die Soldaten werden die freie und demokratische Wahl dann schon gewinnen.

  4. @ulf

    die Russen werfen die Bohrung in der Sojus der Astronautin Serena Auñón-Chancellor vor.
    Aber bei der kontrolle von außen wurde festgestellt, das das Loch von Außen verschlossen wurde.
    Das kann nicht im Weltraum erfolgt sein. Außeneinsätze kann man nicht heimlich durchführen.

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