Zusammenarbeit oder Abhängigkeit?

Loading

Unter dem Titel „Europas Raumfahrt in der Krise“ – ohne Fragezeichen, kam in der letzten SuW ein Artikel von Alexander Stirn. Der Artikel beginnt mit einem Teaser, dass man bei dem ersten Start von Alexander Gerst 2014 Sticker verteilt habe, in der man ermuntere die ISS für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, weil dort Nationen friedlich zusammenarbeiten. Das war schon zwei Monate nach der Annektion der Krim.

Es folgt dann im Rest des Artikels die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf die USA hätten sich seit 2014 unabhängig von Russland gemacht und Europa sei einen Kuschelkurs gefahren und würde nun auf die Schnauze fallen.

Wenn es in Blog wie dieser wäre, der Beitrag wäre akzeptabel, aber als Artikel in einer Zeitschrift, in der vor allem Forschungsthemen kommen, sollte man doch eine neutrale Haltung bewahren.

Ich fange mal mit der ISS ab. Stirn schreibt, die USA hätten sich von Russland emanzipiert und ihr eigenes Versorgungssystem entwickelt und mit der Vulcan wären sie jetzt auch nicht mehr von russischen Triebwerken, welche die Atlas antreiben abhängig. Richtig ist nur das letzte, nach der Ukrainekrise 2014 es den politischen Druck gab von den RD-181 loszukommen. CCDev startete schon drei Jahre vorher und man kann nicht sagen, dass es in den letzten Jahren forciert wurde. Im Gegenteil: noch nach 2014 musste die NASA hart um die Mittel kämpfen. Die langjährigen Verzögerungen sind nicht nur ein Effekt das die Entwicklung beider Raumschiffe schwieriger war als gedacht, sondern auch, dass es über Jahre hinweg nicht die Finanzierung gab die benötigt wurde. Dass es mit der Unabhängigkeit nicht so weit her ist, zeigt dann auch die Bemerkung das die Antares größtenteils aus ukrainischer Produktion stammt. Nicht nur – die RD-191 Triebwerke stammen von Russland und die Entscheidung diese Triebwerke zu nehmen erfolgte nach 2014, als es am 28.10.2014 einen Fehlstart mit den ebenfalls russischen NK-33 Triebwerken gab.

Ganz falsch liegt Stirn mit der Bemerkung, man könnte die bisher durch Russland durchgeführte Anhebung der ISS durch eine Cygnus oder eine Dragon durchführen. Das zeigt mir eine erschreckende Naivität bzw. Nicht-Wissen von jemanden der als Wissenschaftsjournalist doch Recherche machen sollte, bevor er etwas schreibt. Besonders peinlich: nach seinem Lebenslauf hat er Physik studiert. Also ich habe Physik nur im Grundstudium gehabt. Doch selbst bei mir ist hängen geblieben, dass wenn ich bei einem Körper eine Kraft einwirken lasse, die nicht durch den Schwerpunkt geht, man nicht nur eine Bewegung in den Raumachsen, sondern eine Drehung oder ein Kippen induziert. Der Schwerpunkt der ISS liegt in der Längsachse, von der die Solarzellen abgehen. Alle Ankoppelpunkte für US-Versorger, aber auch das HTV, liegen an den Endpunkten von Modulen, die von diesem Punkt abgehen. Man kann die ISS so nicht anheben, außer man würde an anderer Stelle durch einen zweiten Antrieb den teil des Schubvektors kompensieren, der nicht durch den Schwerpunkt geht. Es gab eine kurze Zündung der Cygnus, aber die induzierte Drehung wurde vom ISS Langregelungssystem mit überdimensionalen Kreiseln abgefangen. Das geht für kurze Zeiten aber nicht dauerhaft. Sollte Russland tatsächlich aus der ISS – aussteigen – und dort geht die Zusammenarbeit ja weiter – so wäre die logische Lösung, dass die USA ein Modul bauen, dass sie an Unity andocken können und das die russischen Module ersetzt. Das muss am Ende eben einen Adapter für die beiden bemannten Transporter haben, denn die können ohne Hilfe des Canadaarms andocken. Die würden dann mit ihren internen Treibstoffvorräten die Station anheben. Da es vier reguläre Starts pro Jahr gibt, braucht man pro Start keine großen Treibstoffmengen für das Anheben. Das geht also mit internen Vorräten.

Weiter geht es im Artikel mit Spekulationen das die ISS unkontrolliert abstürzen könnte, wenn Russland aussteigt, weil dann die Fähigkeit für das Anheben fehlt. Als Erstes hätte man gut zwei Jahre Zeit eine Lösung zu entwickeln. Module welche die russischen Module ersetzen können und die nie gestartet wurden, gibt es ja schon. Wahrscheinlicher ist die Gefahr, das die Politik dann das Ende der ISS beschließt. Doch das diese deorbitiert werden muss, weiß die NASA seit langem, was sie bsiher mit den Verlängerungen des Betriebs aufgeschoben hat, war die Planung für ein Konzept. Aber es ist nicht unmöglich. Nicht preiswert, aber in kürzester Zeit umsetzbar wäre ein Deorbitieren mit einer Orion die im Servicemodul sowohl das dafür nötige Triebwerk mit dem hohen Schub wie auch die benötigte Treibstoffmenge hat. Die für Dragon und Starliner entwickelten Adapter sind kompatibel mit der Orion. Ein Andocken ist also problemlos möglich.

Dann geht es los mit der Kritik an den Europäern. Man habe den Krieg nicht so verurteilt wie Stirn sich dies wünscht. Aha. Also zuerst einmal ist die ESA eine Weltraumorganisation. Die Zusammenarbeit mit Russland geschieht bei der Wissenschaft und Forschung. Es geht nicht um wirtschaftliche Unterstützung, politische Unterstützung oder militärische Unterstützung. Auf wissenschaftlicher Ebene arbeiten auch die USA bei der ISS noch mit Russland zusammen. Mehr noch: für Russland ist die ISS ein politisches Aushängeschild, anders als die Zusammenarbeit bei eROSITA und Exomars, die im Artikel genannt werden. Vor allem – merkt der Autor nicht seinen Kardinalfehler? Wenn ich die Zusammenarbeit mit einem Staat einstelle, der einen anderen überfällt mit Lügen im Vorfeld und einer hanebüchenen Begründung, warum hat man nicht die Zusammenarbeit 2003 mit den USA eingestellt als diese den Irak überfallen haben? Auch da hat keiner an die angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen geglaubt. Mehr noch – bedenkt man die zahlreichen Kriege, in welche die USA und die UdSSR / Russland seit Beginn der Raumfahrt involviert sind und in denen sie nicht angegriffen wurden. Kriege die also völkerrechtlich verurteilte Angriffskriege waren. Dann glaube ich hätte es nie eine Zusammenarbeit mit diesen Nationen gegeben, wenn man Stirns Kriterium konsequent umsetzt. Selbst wenn ich nur auf Russland schaue: 1985 gab es die Zusammenarbeit der Franzosen mit Russland bei dem Vega Ballon Projekt und vieler ESA Staaten bei den Vega Sonden. Da gab es schon den Krieg in Afghanistan. Jean-Loup Chrétien flog 1982 und 1988 während des Afghanistan Konflikts mit Sojus Kapseln. Seit 1992 ist Russland dauernd in Konflikte verwickelt und man hat nie die wissenschaftliche Zusammenarbeit aufgekündigt.

De Fakto schadet man sich mit dem Embargo nur selbst. Was hat man von dem Abschalten von eROSITA denn erreicht? Beeindruckt das Putin oder die russische Bevölkerung? Nein. Aber die Wissenschaftler, die bisher an dem Projekt beteiligt waren, werden in Sippenhaft genommen und die Botschaft an die russische Seite und das sind eben auch vor allem wissenschaftliche Institute, nicht der Militärapparat oder die politische Kaste sind verheerend. Vor allem ist der Schritt ja einseitig, denn die russischen Experimente an Bord des TGO laufen ja weiter. Bei Exomars lief viel schief, denn eigentlich sollte der Rover ja längst über den Mars rollen, aber nun steht das Projekt aus zwei Gründen. Eine Plattform stammt von Russland und die Proton als Träger stammt von Russland. Beides ist zu ersetzen, aber es geht nicht schnell und es verteuert die Mission weiter.

Anders als Stirn schreibt, sind die Sojus Starts auch keine große Einnahmequelle für Arianespace, denn mit den Starts muss ja auch die Startrampe finanziert werden. Als Ariane 6 beschlossen wurde, hat Starsem als Vermarkter protestiert, das man so mit den Sojus Starts Verluste machen würde, wenn Ariane 6 die Sojus ersetzt bevor die Kosten für den Launch Komplex wieder drin sind. Doch dann kam der Großauftrag von Oneweb und seitdem ist alles wieder in Butter.

Für zwei europäische Satelliten findet man Ersatz. Euclid kann auf einer Ariane 6 starteten ein gebuchter Sentinel auf einer Vega C. Die anderen besprochenen Satelliten im Artikel sind ja keine der ESA oder europäischen Regierungen. Sondern sie stammen von privaten Organisationen und haben damit auch nicht eine Auswirkung auf das europäische Wissenschaftsprogramm.

Meiner Ansicht nach waren die Boykotte falsch. Sie schaden nicht nur – nicht nur Russland, sondern auch uns – sondern sie senden eine falsche Botschaft aus. Nämlich die das alle Russen in Haft genommen werden, das man nicht differenziert zwischen Putin, Labrow & Co und den vielen russischen Ingenieuren und Wissenschaftler die in internationalen Projekten arbeiten.

Langfristig ist es aber eine weitergehende Entscheidung nämlich die, ob man vorwiegend auf internationale Zusammenarbeit setzt oder diese als Abhängigkeit ansieht. Und das erstreckt sich nicht nur auf Russland. Mit fallen ohne viel nachzudenken drei Projekte ein, in denen man Abkommen mit den USA geschlossen hat und die dann von der NASA eingestellt wurden – die International Halley Watch, die International Solar Polar Mission und eben Exomars, das man ja ursprünglich zusammen mit den USA umsetzen wollte. Wenn nochmal ein Irrer wie Trump Präsident wird, könnte da durchaus noch mehr kommen, und jeder weiß, die Amis lieben es Leute zu wählen, die nicht ganz normal sind. Ich werfe nur mal die Namen Nixon, Reagan und Trump in den Ring.

Das grundlegende europäische Problem ist doch ein anderes, es ist fast dasselbe wie bei der EU: es sind in der ESA 22 Staaten beteiligt. Jenseits der Projekte der ESA machen aber alle ihr eigenes Süppchen. Das betrifft vor allem die Trägerraketen. Es wird die Ariane 6 und Vega C entwickelt aber immer wieder ordern ESA-Staaten für ihre Regierungsnutzlasten (nicht die von Firmen) Träger von anderen Nationen. Deutschland hat bei der vorletzten Rideshare Mission den deutschen Satelliten EnMAP gestartet, ein Radarsatellit der Bundeswehr ist auch bei SpaceX gebucht. Dagegen bestehen die USA selbst bei bilateralen Projekten darauf das der Satellit mit einer US-Trägerrakete gestartet wird, selbst wenn sie nur einen kleinen Teil der Gesamtfinanzierung leisten wie z.B. bei Solar Orbiter. Das man nur mit den eigenen Trägern startet, ist bei anderen Raumfahrtagenturen wie Indien oder Japan so, obwohl diese ein kleineres Budget als die ESA-Staaten haben. Man sollte zumindest erwarten das alle ESA-Mitgliedsstaaten die Vega und Ariane 6 nutzen. Weiterhin könnte man auch bei vielen nationalen Projekten mehr zusammenarbeiten, das erfolgt auch relativ wenig.

Eines ist internationale Zusammenarbeit aber nicht – Abhängigkeit wie es der Artikel von Alexander Stirn suggeriert, denn die ganzen Probleme, die er aufzeigt, hat man sich ja selbst eingebrockt. Wie die ISS zeigt, kann man trotz Ukrainekrieg international bei der Forschung weiterarbeiten. Russland hat nach den Embargos nur kommerzielle Starts wie für OneWeb geblockt, erst die einseitige Aufkündigung der Zusammenarbeit seitens des DLR und der ESA hat die heutige Situation herbeigeführt.

Und wie schon gesagt. Probleme gibt es auch mit den USA. Nachdem das James Webb Teleskop in Betrieb geht, will die NASA den Betrieb der fliegenden Sternwarte SOFIA zum 30.9.2022 einstellen. Begründung: beide Observatorien beobachten im selben Wellenlängenbereich. Das stimmt, aber mit der Begründung könnte man auch alle Teleskope bis auf das größte in den USA abschalten. Je mehr Mittel man für Beobachtungen hat, desto mehr Dinge kann man entdecken. Zumal ich wette, dass SOFIA trotz der Mehrkosten durch die Flüge billiger ist als der Betrieb von James Webb. Einfach durch die Erfahrungen mit der Finanzierung von Hubble, für die Mittel die Hubble jährlich bekommt, könnte man jedes Jahr zwei Teleskope der 9 m Klasse bauen. Wenn SOFIA nur ein US-Projekt wäre, so wäre das Sache der NASA, doch es ist ein gemeinsames Projekt der NASA und des DLR. Und es ist nicht das erste Mal, schon 2014 wollte die NASA es einstellen, nachdem das Teleskop nur vier der geplanten 20 Jahre in Betrieb war.

Damit reiht sich SOFIA in die Reihe der Projekte ein, die von den USA einseitig aufgekündigt wurden. Ratet mal wie viele es seitens Russland gab, bei denen das der Fall war – genau: keines. Selbst in der kältesten Phase des kalten Kriegs fand der gemeinsame Flug von Apollo-Sojus am Jahre vorher vereinbarten Starttermin statt.

Ich dachte ja, das ich da mich so langsam dem Pensionsalter nähere, kürzertreten könnte und jüngeren Raumfahrtjournalisten das Feld überlassen könne, aber zumindest Alexander Stirn genügt nicht meinen Standards für sorgfältiges Recherchieren.

Dafür noch eine gute Nachricht. Es wird ein neues Buch geben. Nachdem ich mal bei BOD im Blog auf meine Bücher verlinkt habe, fiel mir in der Ergebnisliste auf das jemand ein Buch über Voyager geschrieben hat. Die Probekapitel fand ich nicht überzeugend, selbst die Wikipedia ist umfangreicher, dafür das Buch relativ teuer: 25 Euro für 92 Seiten. Das liegt aber vor allem daran das der Autor Hardcover gewählt hat, das sorgt unabhängig von der Seitenzahl bei BOD für deutlich höhere Kosten. Tja das hat mich herausgefordert. Wer den Blog kennt, der weiß – die Voyagersonden waren mein Einstieg in die Raumfahrt. Ich habe viel über sie geschrieben, wäre ein Buch nicht dann logisch?

Gesagt, getan, ich habe zuerst mal alles, was ich schon geschrieben habe zusammenkopiert und bin derzeit dabei das durchzuarbeiten, denn das sind schon über 140 Seiten. Es wird dabei aber nicht bleiben. Ich habe viel über die Technik und relativ wenig über die wissenschaftlichen Ergebnisse geschrieben und es soll allgemeinverständlicher werden.

Der eine oder andere wirds sich nun fragen „Und was ist mit dem Apolloprogramm?“. Also wenn ich professioneller Schriftsteller wäre, ich würde wohl sagen ich hätte eine „Schreibblockade“. Aber der Grund ist einfacher. Mir fehlt die Motivation mich monatelang durch ein Thema durchzukämpfen. Wobei bei schon angefangenen Büchern hinzukommt, dass ich bevor ich überhaupt mal was Neues einfügen kann, ich erst mal alles lesen muss, was ich schon geschrieben habe und die angefangenen vier Bücher haben ja auch schon einen Umfang von 142 bis 345 Seiten. Das ich inzwischen deutlich höhere Einnahmen durch die Webseite habe, als durch die Bücher, die ja aufgrund des Niveaus nur für wenige interessant sind, macht die Sache auch nicht besser.

3 thoughts on “Zusammenarbeit oder Abhängigkeit?

  1. Hallo Bernd,
    warum die USA nich 2003 boykotiert wurde?
    Ganz einfach: Weil der internationale Journalismus die USA für gut und den Irak für schlecht hält….

    Dein Voyager-Buch kaufe ich, obwohl ich Deine Artikel und Wikipedia schon studiert habe.

    Auf die Apollo Bücher warte ich gespannt und geduldig 😉

    Mach einfach weiter Dein Ding!

    Herzlichst
    Ralf mit Z

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.