Vitamine, Bedarfsdeckung und Nahrungsergänzungsmittel

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Ich habe mir mal was Grundsätzliches zu Vitaminen, Vitaminpräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln im Allgemeinen zu schreiben. Als Lebensmittelchemiker habe ich da eine etwas andere Perspektive als die Mediziner und Ökotrophologen.

Wie werden Empfehlungen erarbeitet?

Das erste betrifft den Vitaminbedarf und die Bedarfsdeckung. Ich denke den meisten ist nicht klar, wie diese Werte ermittelt werden. Zuerst einmal muss ermittelt werden wie hoch der Bedarf ist. Schon das ist nicht einfach, man kann ja keine Menschenversuche durchführen. Es gibt verschiedene Methoden. Mann kann z. B. erst einmal ermitteln wann in der Historie Krankheitssymptome auftraten. Dann hat man einen Richtwert wie hoch die Mindestzufuhr sein kann, wenn man weiß, was die Menschen gegessen haben. Noch besser ist wenn man von diesen auch Serumwerte hat. Vitamine müssen über das Blut wie jeder andere Stoff transportiert werden und hat man wenig eines Vitamins im Körper so ist die Konzentration im Blutserum niedrig, dann kann man bei Gesunden vergleichen wie sich ihre Ernährung auf diesen Serumwert auswirkt und so Mindestmengen festlegen.

Meist gibt es diese Daten aber nicht und man sichtet vorhandene Daten und schätzt so den Bedarf ab. So kommen dann oft verschiedene Organisationen zu unterschiedlichen Empfehlungen. Um ein extremes Beispiel zu nehmen: Vitamin D wird auch durch die Haut durch die Sonneneinstrahlung gebildet. Die Empfehlungen für Vitamin D schwanken daher je nachdem wie viel Sonne in den jeweiligen Ländern es gibt. Sie liegen in Deutschland und den USA mit langen Wintern höher als in Italien und die EU setzt z.B. die tägliche Aufnahmemenge auf 15 µg fest, die DGE auf 20 µg. Die USA aber für Erwachsene nur 5 µg. Dabei nehmen US-Amerikaner mit etwa 8 µg/Tag erheblich mehr Vitamin D zu sich als Deutsche die im Durchschnitt bei unter 3 µg/Tag und damit einem Bruchteil des Referenzwertes liegen. Das liegt daran, dass dort die Milch mit Vitamin D supplementiert wird.

Nun ist die Bevölkerung aber heterogen zusammengesetzt, selbst wenn man, wie dies fast immer der Fall ist, verschiedene Referenzwerte für verschiedene Altersgruppen, Schwangere und Stillende und Männer und Frauen festlegt. Zwischen Männern und Frauen gibt es bei einigen Vitaminen geschlechtsspezifische Unterschiede, oft beruht der Unterschied aber darauf, dass bei fast allen Stoffen es einen Zusammenhang mit dem Körpergewicht gibt. Ein Vitamin arbeitet oft als Coenzym im Stoffwechsel, das heißt jede Zelle benötigt eine gewisse Menge und wiegt man mehr, so hat man mehr Zellen und benötigt mehr des Vitamins. Die Unterschiede der Geschlechter ergeben sich so meist daraus, dass man bei einem Mann mit einem Körpergewicht von 75 kg rechnet und bei einer Frau mit 60 kg.

Um nun Schwankungen innerhalb z.B. der Gruppe der Erwachsenen abzufangen, da sich diese in Gewicht aber auch körperlicher Aktivität unterscheiden oder es Personen gibt die einen Stoff besser aufnehmen als andere nimmt man den Wert, den man als mittleren Tagesbedarf ermittelt hat und schlägt noch zwei Standardabweichungen darauf. Man geht also davon auf, das sich der Bedarf nach einer Verteilungskurve über die Bevölkerung verteilt, das ist die Form einer Glockenkurve. Beim geschätzten Bedarf und darunter sollten 50 % der Bevölkerung liegen, 68 % bei einer Standardabweichung und 95 % bei zwei Standardabweichungen.

Zuletzt kennt man ja von der Analytik das Vorkommen von Vitaminen in Nahrungsmitteln. Die werden aber üblicherweise nicht roh gegessen. Bei der Nahrungszubereitung gibt es Verluste. Vitamine können durch Waschen verloren gehen., viele sind temperaturempfindlich, werden leicht oxidiert (Lagerung, aber auch verstärkt beim Erhitzen) oder durch Laugen oder Säuren geschädigt. Manche auch durch Licht. Ich habe während meines Studiums eine neue Methode für die Bestimmung von Vitamin B6 (Pyridoxin) ausgearbeitet und dabei auch mal untersucht, ob ich meine Referenzlösungen vor jeder Bestimmung neu machen musste. Extrem war die Abnahme, wenn eine Flasche dem Sonnenlicht ausgesetzt war, da nahm die Konzentration entsprechend einer Kurve mit der Steigung 1/ex ab, entsprechend dem verhalten einer Reaktion erster Ordnung. Daher werden je nach Empfindlichkeit des Vitamins noch Zuschläge addiert, die diese Verluste abfangen sollen.

Als Folge ist man bei den Empfehlungen auf der sicheren Seite. Relativ gut bekannt, mit welchem Wert man welchen Effekt erreichen kann, ist dies bei Vitamin C. Um Skorbut, die typische Mangelkrankheit zu vermeiden genügen bereits 20 mg Vitamin C am Tag. Die Empfehlung liegt in Deutschland bei 95 mg bzw. 110 mg/Tag (Frauen/Männer). Bei etwa 100 mg/Tag steigt der Spiegel in den Immunzellen nicht mehr, das ist deren Sättigungsgrenze. Der Blut-Serumspiegel steigt ab 200 mg/Tag nicht mehr an. Zudem sinkt bei Vitamin C wie bei den meisten Vitaminen die Resorption ab, wenn viel zugeführt wird, das bedeutet sehr hohe Einzeldosen werden nur zu einem kleinen Teil aufgenommen.

Seit es Nahrungsergänzungsmitteln mit hohen Dosen gibt, wird für diese auch ein zweiter Wert festgelegt, nämlich die Menge die man gefahrlos zu sich nehmen kann, ohne das diese negative gesundheitliche Wirkungen hat. Mehr als diese Menge darf in keiner Tagesdosis eines Nahrungsergänzungsmittels stecken. Auch hier geht man so vor wie bei der Bedarfsermittlung, nur umgekehrt von dem höchsten Wert der noch ungefährlich ist, werden zwei Standardabweichungen abgezogen. Bei vielen Stoffen sind diese Werte relativ hoch, bei Vitamin C z.B. bei 5.000 mg/Tag. Jedoch nicht bei allen. Bei Vitamin A oder den Spurenelementen Selen und Fluor liegen optimale und potenziell gefährliche Dosen nahe beieinander.

Zuletzt sollte man berücksichtigen, das der Körper die meisten Vitamine aber auch Mineralstoffe speichern kann. Ganz genau ist das meist nicht bekannt. Bei Vitamin C werden z.B. Speicher genannt die acht bis 40 Tage ohne jede Zufuhr abmildern können. Das bedeutet auch: man muss nicht jeden Tag ein bestimmtes Vitamin zuführen. Meist liegen die Speicher im Bereich einiger Wochen, aber es können wie bei fettlöslichen Vitaminen oder dem Vitamin B12 auch Monate sein.

Nahrungsergänzungsmittel

Nach diesen Grundlagen nun zu Nahrungsergänzungsmitteln. Die gesetzliche Grundlage ist klar: jeder kann alles mögliche als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen, wenn belegt ist, dass dies nicht schädlich ist. Entsprechende Untersuchungen macht z.B. in Deutschland das Amt für Risikoberwertung BFR. Der Hersteller muss aber diese Belege nicht liefern. Im Prinzip kann er etwas auf den Markt bringen ohne nicht nur eine Wirksamkeit zu belegen, sondern auch nicht die Ungiftigkeit. Erst wenn es Beweise gibt, die dafür sprechen das etwas giftig ist, wird der Gesetzgeber aktiv. Das BFR warnt aber nur, ich habe hier mal eine Stellungnahme zu Pyrrolizidinalkaloide herausgesucht, die man in vielen Kräutern findet. Resümee: „In einigen Nahrungsergänzungsmitteln ist der Gehalt sogar so hoch, dass bereits nach kurzfristigem Verzehr toxische Wirkungen möglich sind.“.

Stärker reglementiert ist die Werbung dank EU-Gesetzgebung. Wer mal die Beschreibung von Nahrungsergänzungsmitteln durchliest wird sehen, dass bei vielen pflanzlichen Produkten gar nichts versprochen wird, weil der wissenschaftliche Beweis fehlt und selbst bei Vitaminen findet man Wischi-Waschi Ausdrücke wie „kann zu gesunden Knochen beitragen“. Ja kann, das kann aber auch ein Schokoeis ….

Die Haltung von Medizinern und Ernährungswissenschaftlern zu Nahrungsergänzungsmitteln ist klar: sie plädieren für eine vollwertige und abwechslungsreiche Ernährung, die würde dann alles enthalten. Nahrungsergänzungsmittel würden die Leute davon abhalten, sich „gesund“ zu ernähren, indem sie meinen sich so die fehlenden Vitamine zuführen zu können.

Ich sehe das entspannter. Zum einen ist es eben so das die Empfehlungen nicht für jeden etwas sind. Ich mag z.B. keinen Fisch und Meerestiere. Omega-3 Fettsäuren und Iod findet man aber nur in diesen Lebensmitteln. Wer sich rein vegan ernährt, wird große Probleme haben seinen Vitamin B12 und Eisenbedarf zu decken. Wer gerne Vollkornprodukte wie Müssli oder Vollkornbrot isst, hat einen gegenüber der Normalbevölkerung stark erhöhten Zinkbedarf, da ein Stoff in der Samenschale dieses Spurenelement effektiv bindet. In solchen Fällen sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll. Darüber hinaus gibt es natürlich echte Mangelsymptome, bei einigen Stoffen erreicht der Durchschnitt der Bevölkerung nicht die Empfehlungen, so bei Folsäure und Vitamin D. Da kann bei einem kleinen Teil der Bevölkerung ein medizinisch manifester Mangel vorliegen und diese Leute bekommen dann sogar Präparate auf Rezept.

Für die große Masse sehe ich Nahrungsergänzungsmittel als nicht nötig an. Aber: Es gibt auch den physiologischen Faktor. Kurz: wenn ich ein Nahrungsergänzungsmittel nehme, vielleicht sogar ein hochdosiertes, in einer aufwendigen Verpackung, dann weiß ich, dass ich etwas gutes für meine Gesundheit tue. Alleine dadurch (Stichwort: Placeboeffekt) fühle ich mich besser. Wenn man hoch dosierte Mischungen nimmt – die meisten Stoffe haben ja einen Tagesbedarf im Mikro- oder Milligrammbereich, dann kann man in den maximal 1 g die man pro Tablette unterbringen kann, problemlos von allen Vitaminen den Wochenvorrat pro Dosis zusammenmischen – dann muss man nicht jeden Tag etwas nehmen, denn eines ist auch klar: Bei Vitaminen und Mineralstoffen gilt auch: Überdosierung bringt nichts. Das ist eigentlich logisch, wenn man von den Spurenbestandteilen auf die Hauptnährstoffe übergeht. Wenn man z.B. Fett längere Zeit über der Referenzmenge nimmt, wird man leicht durch einen Blick in den Spiegel oder die Waage feststellen, dass man Nährstoffe nicht überdosieren soll. Das klappt bei Vitaminen und Mineralstoffen nur, weil das was zu viel ist oft nicht aufgenommen wird oder wieder ausgeschieden wird. Allerdings eben nicht bei allen. Was ungefährlich ist und wofür wir ja auch Speicher haben ist eine kurzzeitige Überdosierung. Wenn ich im Sommer z.B. ein Pfund Erdbeeren am Tag esse, dann habe ich genug Vitamin C für etwa 7 bis 8 Tage aufgenommen. Ebenso kann ich diese Vitamin C Menge über einer Tablette das einmal zu mir nehmen. Das heißt hoch dosierte Vitaminpillen machen Sinn, aber in dem Sinne das man sie nicht täglich nehmen muss.

Tipps für die Auswahl von Vitaminpräparaten

Der einfachste, aber auch wirksamste Tip ist: man kann Präparate nach dem Preis selektieren. Alle Hersteller verwenden chemische Reinsubstanzen, die sie zusammenmischen. Beim einen oder anderen Präparat kommt ein Pflanzenextrakt hinzu, der hat mit den Vitaminen aber nichts zu tun. Geht es nur um Mineralstoffe, so sind Präparate von Vorteil die diese organisch gebunden haben also Magnesiumcitrat ist besser als Magnesiumcarbonat. (Von Magnesiumoxid sollte man Abstand nehmen, denn bei eigenen Experimenten stellte ich fest, dass die Tabletten völlig unverändert den Verdauungstrakt passieren).

Bedenken sollten einem kommen, wenn die Werbung übertreiben ist – also viel versprochen wird oder mit allzu vielen schönen Bildern wirbt. Was mir bei vielen Präparaten auffiel ist das in der Beschreibung gar nicht die Zusammensetzung steht sondern man diese in einem Bild suchen soll. Ebenso halte ich den Zusatz von Nichtvitaminen oder die Verwendung nicht mehr korrekter Bezeichnungen wie Vitamin B3 (Niacin), Vitamin B5 (Panthothensäure), B7 (Biotin = Vitamin H), B9/B11 (Folsäure). Noch schlimmer: früher gab es auch „Vitamine“, die heute keine mehr sind, weil sie nicht essenziell sind wie „Vitamin B4“ (Cholin), B8 (Inositol), B10 (p-Aminobenzoesäure) und entsprechend werden solche Substanzen nach wie vor untergemischt, nur damit mehr Vitaminbezeichnungen in der Liste auftauchen.

Als abschreckendes Beispiel hier eine Amazon Rezension von mir für eines dieser Präparate:

Von „Made in Germany“ erwarte ich, dass man sich an deutsche Standards hält, sowohl bei der Nährwertkennzeichnung wie Rechtschreibung und Bezeichnungen. Als Lebensmittelchemiker habe ich schon lange keine so schlechte Deklaration mehr gesehen. Das geht los mit Rechtschreibfehlern wie Niacinamind, Zikbisglycinat, Beta Cartosin. Geht weiter mit einer Mischung von deutschen und englischen chemischen Bezeichnungen und chemischen Bezeichnungen und Vitaminnamen wie „Phyllochinon, Vitamin K2“. Das letztere ist eine Doppelung, deren Sinn mir nicht entschließt. Einige Stoffe wurden in mehreren Verbindungen zugesetzt, so Vitamin K, B12 und B6. Die Deklarationsfehler finden sich sowohl in der Beschreibung bei Amazon wie auf dem Etikett.

Von einer deutschen Firma erwarte ich auch, dass sie fähig ist den Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen in der Beschreibung offenzulegen und nicht, dass man dafür ein Bild mit der Vergrößerungsfunktion untersuchen muss.

Genauso haben wir mit der DGE ein nationales Gremium, das Referenzwerte veröffentlicht, sodass man, wenn man Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland mit deutschem Aufdruck verkauft auch diese nehmen sollte und nicht die der EU, die teilweise extrem niedriger liegen. Bei Vitamin D sinkt so die RDI von 400 auf 100 %, bei Folsäure halbiert er sich.

Ein verantwortlicher Hersteller verwendet auch die offiziellen Bezeichnungen und nicht die veralteten Bezeichnungen wie „Vitamin B3“ oder „Vitamin B5“. die schon in den Achtziger Jahren als ich zum ersten Mal mit der Materie in Kontakt kam nicht mehr üblich waren. Und ein verantwortlicher Hersteller mischt auch keine Substanzen unter, die keinen Vitaminstatus haben wie Ubichinone, Inositol, Cholin oder Oligomere Proanthocyanidine (abgekürzt als OPC).

Der Vitamingehalt mag stimmen, angesichts der geringen Kosten für Vitamine und den zu erwartenden Bußgeldern bei einem Verstoß wäre etwas anderes ziemlich dumm, aber die ganze Aufmachung wirkt für mich höchst unprofessionell und nicht vertrauenerweckend.

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