Rotes und Weißes Fleisch

Ein weitere Ausprägung des heute vorherrschenden mechanischen Körpermodells ist die Einteilung von Lebensmitteln in „gut“ und „schlecht“. Das bedeutet, dass Empfehlungen für oder gegen einzelne Lebensmittel ausgesprochen werden. Ein Beispiel, das aus den USA herüberschwappt, ist das Einteilen des Fleisches in „weißes“ und „rotes“ Fleisch. Weißes Fleisch ist Fleisch von Geflügel und Fisch, rotes Fleisch das Fleisch von Säugetieren wie Rind, Schwein, Lamm, Hase, Ziege. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Sorten ist der höhere Gehalt an dem Muskelfarbstoff Myoglobin. Genau dieser soll nach einer amerikanischen Studie für ein erhöhtes Dickdarmkrebsrisiko verantwortlich sein. Nach einer anderen Studie soll der Verzehr von „rotem Fleisch“ das Risiko für Diabetes Typ II erhöhen, also der Typ, der nicht angeboren ist. Beide Studien haben jedoch einen grundlegenden Makel: Sie haben zwar ein recht großes Kollektiv untersucht, aber sie versuchen, die Unterschiede in der Sterblichkeit oder dem Auftreten von Krankheiten auf einen einzigen Faktor zu reduzieren. So stieg das Diabetes Risiko nach der zweiten Studie um 19% wenn die Personen täglich 100 g „rotes Fleisch“ konsumierten und stieg auf 51%, wenn zusätzlich 50 g Wurst konsumiert wurde. Die erste Studie kam bei der Untersuchung des Sterberisikos zu ähnlichen Ergebnissen: So erhöhten Männer, die täglich knapp 250 Gramm rotes Fleisch genossen, ihr Krebstodrisiko um 22 Prozent und ihr Herztodrisiko um 27 Prozent – im Vergleich zu jenen Studienteilnehmern, die nicht mehr als 150 Gramm rotes Fleisch pro Woche zu sich nahmen. Bei Frauen stieg die Gefahr eines Krebstods bei 250 Gramm rotem Fleisch pro Tag um 20 Prozent und die eines tödlichen Infarkts oder Schlaganfalls sogar um 50 Prozent. Bei Personen, die viel „weißes Fleisch“ aßen, wurde der gegenteilige Effekt festgestellt.

Daraus wurde eine Empfehlung für eine Maximalmenge von 300 g „rotes Fleisch“ pro Woche abgeleitet. Diese Menge schließt auch Wurst mit ein, das bedeutet nicht mehr als 40 g Rinder- oder Schweinefleisch oder Wurst aus diesem Fleisch pro Tag. Das grundsätzliche Problem beider Studien ist, dass es sich um Daten eines Kollektives handelt. Personen gaben in Befragungen ihre Ernährungsgewohnheiten an und es wurde untersucht, woran sie starben oder welche Krankheiten sie bekamen. Auch wenn ein großes Kollektiv und ein langer Zeitraum betrachtet wurde, und damit ein Fehler vieler Studien (die Verwendung einer zu kleine Probandenmenge oder ein zu kurzer Zeitraum um statistisch abgesicherte Daten zu erhalten) vermieden wurde, hat die Studie Mängel. Ernährungswissenschaftler wissen schon, dass Befragungen der Verzehrsgewohnheiten sehr oft fehlerbehaftet sind. Personen neigen dazu, die Mengen verzehrter Lebensmittel falsch einzuschätzen. Butter und gekochtes Gemüse wird oft zu wenig angegeben und die Menge an Steaks und Zucker wird meist zu hoch angegeben. Damit gibt es schon bewusst einen systematischen Fehler in der Datenbasis. Der grundlegende Fehler ist aber die Reduktion der Ernährung auf einen Faktor. Sinnvoller ist es vielmehr „rotes Fleisch“ als einen Indikator zu sehen. Personen die viel Fleisch und viel Wurst essen, nehmen über die Wurst auch viel Fett zu sich. Das Fleisch wird ja auch nicht alleine gegessen. Es gibt ja noch Beilagen: Pommes, Bratkartoffeln, eine gute Soße. Man könnte auch sagen: man wird unter dieser Gruppe mehr Genussmenschen finden und mehr Personen, die relativ viel Energie zu sich nehmen. Auf der anderen Seite findet man bei der Gruppe die „weißes Fleisch“ isst, sicher mehr Ernährungsbewusste. Denn das Ausweichen auf Geflügelprodukte, die es zwar heute in größerer Menge zu kaufen gibt, aber zumindest zu Beginn der Studie, die sich über fast zwei Jahrzehnte hinzog, galt dies nicht. Wer also bewusst schon damals sich für „Weißes Fleisch“ entschied und auch in Kauf nahm, nach Geflügelwurst suchen zu müssen, der ist ein ernährungsbewusster Mensch. Es ist anzunehmen, dass er sich allgemein gesünder ernährt. Wer sich die Studie genauer ansieht, findet z.B. das keine Daten erhoben wurden über das Körpergewicht, oder den BMI der Probanden und wie sich dies veränderte. Es handelt sich um die Auswertung von Fragebögen, ohne die Vorgeschichte und Krankheitshistorie der Personen zu berücksichtigen. Doch natürlich ist dies essenziell, um den Hauptrisikofaktor Übergewicht oder zu reichhaltige Ernährung erkennen zu können. Genauso wenig wurde untersucht, ob die Probanden andere Dinge zu sich nahmen, die das Dickdarmkrebsrisiko senken wie z.B. ballaststoffreiche Kost oder Stoffe, die auch das Risiko von Diabetes II erhöhten.

Ein anschauliches Beispiel für die Problematik aus einem anderen Bereich soll das Problem verdeutlichen. Sieht man sich an, wo in Deutschland Störche leben und wo die Geburtenrate hoch ist, so wird man eine deutliche Korrelation finden. Weiterhin gibt es ebenfalls einen sehr deutlichen statischen Zusammenhang zwischen Abnahme der Geburtenrate und Abnahme der Storchpopulation. Was folgern wir daraus? Sollte doch tatsächlich der Storch für die Kinder verantwortlich sein? Nein, natürlich nicht. Es gibt andere Ursachen. Störche leben auf dem Land. Die Geburtenrate ist auf dem Land höher als in der Stadt, wo es mehr Singles und DINKS (Double Income, No Kids), also Paare bei denen beide Partner berufstätig sind und keine Kinder haben, gibt. Weiterhin ist es so, das selbst bei vielen Familien, bei denen der Ernährer in die Start arbeiten geht, diese ihren Hauptwohnsitz auf dem Land oder in einem Vorort haben, da hier die Mieten kleiner, die Umgebung für Kinder ungefährlicher und die Lebensqualität höher ist. Die Abnahme der Geburtenrate hat mehrere Ursachen. Sie steht aber nicht ursächlich mit der Abnahme der Störchepopulation zusammen, die durch die Vernichtung deren Lebensräumen (intensive Landwirtschaft, weniger Brutgelegenheiten) begründet ist.

In beiden Fällen gibt es eine zufällige Übereinstimmung, die einen Zusammenhang vortäuscht. Übertragen auf viele Ernährungsstudien heißt dies: Man versucht einen Faktor für etwas dingfest zu machen, die Ursachen liegen aber woanders. Der vermehrte Verzehr von rotem Fleisch korreliert sicher auch mit einer allgemein üppigeren Ernährung, mit dem Konsum von mehr tierischen Lebensmitteln. Umgekehrt kann man erwarten, dass Personen die mehr Geflügel und Fisch essen, bewusster kleben. Sie sind wahrscheinlich besser über die Grundlagen der Ernährung, Risikofaktoren und gesunde Ernährung informiert und achten daher mehr auf die Ernährung. Das rote Fleisch ist so nicht für die Krankheiten verantwortlich, sondern eher ein Indikator für einen bestimmten Lebensstil.
Dies ist nur das letzte Beispiel, bei dem man versuchte, einen einzigen Ernährungsbestandteil, oder ein einziges Nahrungsmittel, für eine positive oder negative Wirkung verantwortlich zu machen. Es reiht sich in die Liste anderer Ernährungsirrtümer wie „Natrium verursacht Bluthochdruck“ oder „Cholesterin verursacht Arteriosklerose“ ein. Bei all diesen konnte eine direkte Ursache – Wirkungsbeziehung nicht nachgewiesen werden.

One thought on “Rotes und Weißes Fleisch

  1. Ich nehme selbst an einer Ernährungsstudie teil, und dabei ist mir ein grober Fehler aufgefallen: Diese Langzeitstudie berücksichtigt nicht, daß sich die Ernährungsgewohnheiten mit der Zeit ändern. So sind falsche Ergebnisse unvermeidbar.

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