Besser kann man den Niedergang nicht zeigen …

Als mit der Ankündigung von Russland die Entwicklung der Proton M einzustellen. Die Proton M entstand erst vor knapp zwei Jahren. Anfangs gab es zwei Varianten: ohne zweite Stufe als Proton Medium mit 5 t GTO-Nutzlast und dann noch mit vier anstatt sechs Boostern als Proton Light mit 3,6 t Nutzlast

Ein Jahr später hatte man das Konzept revidiert. Nun entfiel die Light Variante und anstatt der zweiten entfiel die dritte Stufe was dann die Netzlast nur noch auf knapp unter 6 t (anstatt 5 t) senkte. Nun hat man alle Arbeiten eingefroren.

Ich fand das Konzept schon komisch, als es kam. An und für sich ist es nicht schlecht. So kann man die Proton der Nutzlast anpassen, was bei anderen Trägern durch Booster geht. Nur warum erst jetzt? Die Proton wurde seit Anfang der Neunziger Jahre vermarktet, die heutige Version Proton M wird seit knapp 20 Jahren produziert. Hätte man nicht damals schon die Varianten einführen können, zumal Satelliten tendenziell eher schwerer werden, auch wenn der Trend sich in den letzten 10, 15 Jahren deutlich abflacht. Es ist aber ein Symptom für die russische Art ihre Raketen zu vermarkten. Nah dem Motto „Geld verdienen immer, Investieren nimmer“.

Mal genauer betrachtet: Nach dem Ende des kalten Kriegs gab es für die russischen Hersteller von Raketen, die Möglichkeit ihre Raketen kommerziell zu vermarkten. Damals kamen auch etliche Kooperationen auf, von denen sich aber schließlich nur wenige etablierten und das lag am obigen Wahlspruch. Es lag immer am westlichen Partner die Investoren aufzubringen. So bei Sealaunch oder Arianespace. Wo der Partner nicht dazu bereit war, blieb das Geschäftsmodell aus oder es gab nur wenige Starts. Dabei gab es genug Chancen.

Die Zyklon und ihr Nachfolger Dnepr sind Raketen mit der Startmasse einer Titan II und noch schwerer. Mit einer guten Oberstufe hätten sie leichte Satelliten in den GTO bringen können. Die Ukraine begann sogar eine Zusammenarbeit mit Brasilien um sie von Alcantara aus zu starten. Doch ohne Investitionen in den Startplatz blieb es bei den Planungen. Die Dnepr wird inzwischen auch von Russland nicht mehr gestartet weil, obwohl großenteils aus Russland stammend, einige Elektronikteile aus der Ukraine kommen und das ist ja nun der Feind. Das verrückte dabei: die Dnepr-Raketen sind ausgemusterte ICBM, vorhanden müssen nur etwas umgerüstet werden, kosten also nichts. Die Vermarktung der Rockot klappte, aber auch hier hat man praktisch nur die Rakete um eine schon existierende Stufe erweitert und startet sie wie die militärische Rakete aus einem Silo aus. Die meisten Aufträge stammen von der ESA und haben ihren Ursprung in der Verzögerung des Jungfernflugs der Vega. Weitere sind nun aber nicht mehr in Sicht.

Die Proton M wurde zwar leicht modernisiert und die neue Stufe Breeze M eingeführt. Doch so neu ist die auch nicht. Es ist die Oberstufe der Rockot ergänzt durch einen Zusatztank. Dabei blieb es. Besonders unverständlich für mich: Seit Jahren wird eine LOX/LH2-Oberstufe postuliert. Nur wird sie nicht entwickelt. Dabei hat Russland schon eine solche Stufe für Indien entwickelt. Die Nutzlast der Proton mit der Stufe für die GSLV-Mark III wäre nicht viel höher gewesen, bei 6,6 t in einen Ariane kompatiblen GTO (ohne diese Einschränkung: 8,4 t) aber man hätte die Stufe ja leicht vergrößern können und Optimierungen durchführen können die ja auch bei der Proton M noch etwas Nutzlast herauskitzelten.

Wir sehen das Phänomen auch bei der Angara, die in der Form seit Jahrzehnten geplant wird. Inzwischen gab es die ersten Einsätze. Zwei Starts erfolgten 2014. Dabei blieb es aber auch.

Wichtiger als Investitionen in die Raketen, wäre es in eine äquatornahe Startbasis zu investieren, zumindest wenn man an den Raketen was verdienen möchte, aber auch von Vorteil für die eigenen russischen Satelliten. Jede russische Rakete, die von Baikonur aus startet hat drei Probleme:

  • Bei der Inklination des Startgeländes fehlen gegenüber dem Äquator rund 170 m/s Geschwindigkeit
  • Die Lage in der Kasachischen Steppe lässt eine wirkungsvolle Reduktion der Bahnneigung während der Aufstiegsbahn nicht zu
  • Die Bahnneigung in der ersten Erdumlaufbahn von 52 Grad ist dann so hoch, dass ein Satellit rund 1100 m/s mehr aufbringen muss als wenn er von Kourou aus starten würde.

Bei der Sojus zeigt sich das am besten. Der Wechsel von Baikonur zum CSG erhöht die Nutzlast von 1.500 auf 2.700 kg. Das ist eine Erhöhung um 80 Prozent!. Bei einem solchen Gewinn lohnt es sich, auch wenn man für eine Startbasis investieren muss. Die Startanlage für die Sojus kostete 344 Millionen Euro. Sie ist räumlich getrennt von den Startanlagen der Ariane 5 enthält also auch die Infrastruktur für die Satellitenvorbereitung und Betankung. Nehmen wir mal an, Krunitschew hätte als 1992 die Vermarktung der Proton begann, einen Kredit aufgenommen, eine Startrampe nahe des Äquators errichtet (es gibt dort genügend Inseln und kleine Nationen, die sicher nichts gegen einige Investitionen haben, das man nicht viel Infrastruktur braucht, zeigt ja nicht zuletzt Sealaunch).

1998 wäre die Startrampe eröffnet und seitdem (20 Jahre lang) sechs kommerzielle Starts erfolgt. Angesichts der höheren Nutzlast bei gleichen Herstellungskosten hätte man sicher einen Geldgeber gefunden. Bei einer Verzinsung von 4 % und linearem Abzahlen über 20 Zahlen hätte das aus den 400 Millionen Dollar mit Zinsen rund 924 Millionen Dollar zum Abzahlen gemacht. Diese Summe umgelegt auf 6 kommerzielle Starts pro Jahr (eher konservativ geschätzt) hätten jeden Start um 8 Millionen Dollar verteuert, bei rund 105 bis 120 Millionen Dollar pro Start also nicht viel.

Dafür wäre der Nutzlastgewinn enorm. Man müsste nicht mal eine neue vierte Stufe einführen, die ja auch Geld kostet und schuld an einigen Fehlstarts hatte. Die Proton M in der dreistufigen Version kann 8,3 t in den GTO bringen wenn sie bei 5 Grad Inklination startet. Mit der KVRB, die für die GSLV produziert wurde, wären es sogar 11 t. Man könnte sogar Doppelstarts durchführen. Würde man für die man 10 % weniger als Arianespace berechnen, so würde jeder Start 55 Millionen Dollar zusätzlichen Gewinn einbringen – da wäre bei nur einem Doppelstart pro Jahr die Startrampe in acht Jahren refinanziert. Selbst die Sojus, mit nur wenigen Starts von Kourou aus, sollte die Kosten der Startrampe in 7 bis 9 Jahren wieder einspielen.

Warum man es nicht macht? Ich kann es mir nicht erklären. Die sinnvollste Erklärung die ich gefunden habe ist das Russlands Raumfahrtunternehmen bis heute nicht in der Marktwirtschaft angekommen sind. Sie warten eben drauf das die Regierung was macht oder eben ein Investor aus dem Ausland. Selbst etwas zu unternehmen das scheint im kommunistischen System nicht vorgesehen zu sein.

Die Regierung ist ja auch nicht so viel schlauer. Zuerst schließt man mit Kasachstan ein langfristiges (50 Jahre laufendes) Abkommen über die Nutzung von Baikonur ab, das so praktisch eine Exklave von Russland ab. Dann will man einen neuen Weltraumbahnhof als Ersatz bauen, hat aber offensichtlich nicht das Geld dafür, denn seit Jahren macht Woschody kaum Fortschritte. Viele Starts werden auch nicht umziehen. Vor allem bringt er hinsichtlich der geographischen Breite wenig. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte einen neuen Weltraumbahnhof auf den Kurillen eingerichtet. Die von Russland im Zweiten Weltkrieg okkupierten Inseln, liegen nördlich von Japan und bei einem Start nach Osten passiert man nur den Pazifik. Jede Bahnneigung ist möglich und die kleinste geographische Breite liegt bei 45 Grad. Nicht viel weniger als bei Baikonur, bringt aber immerhin 200 m/s Geschwindigkeitseinsparung oder wenn ich auf mein Eingangsbeispiel komme 9.300 kg mit der KVRB in die Übergangsbahn die nur 36 anstatt 41 Grad geneigt ist. Das entspricht wenn man mit einer zweiten Zündung eine 4.000 x 35.887 x 23 Grad km Bahn anstrebt. 7,5 t in einen CSG-kompatiblen Orbit (ΔV=1500 m/s). Immerhin rund 10 Prozent mehr als von Baikonur aus.

Auch bei den Raketen dasselbe Chaos. So hat man die Sojus 2.1V eingeführt. Das ist eine Sojus ohne Booster mit einem NK-33 Triebwerk als Zentraltriebwerk. Obwohl die ja bei der Antares und den Tests im Stennis Testcenter nicht so gut aussahen. Das Triebwerk wird nicht mehr gebaut, die Rakete ist mit ihrer Nutzlast eine Konkurrenz zur kleinsten Angaraversion mit nur einem URM – sie macht daher nicht viel Sinn.

Das einzige was im neuen Russland noch genauso gut funktioniert wie früher im Kommunismus sind die Ankündigungen. Andauernd kommen neue Konzepte für Raketen auf, oder wie schon Otto Piffel in 1-2-3 sagte „Aber mit unserem neuen 25-Jahresplan werden wie die Kapitalisten überholen….“

3 thoughts on “Besser kann man den Niedergang nicht zeigen …

  1. Ich vermute, dass die Entscheidung für die Proton-Varianten von den Entwicklungen der Angara beeinflusst wurden. Man entschied sich ja vor ein paar Jahren die Angara nur mehr vom neuem Bahnhof zu starten, da dieser aber nach den Verzögerungen noch ein paar Jahre weg war, wurde die Idee halt mal untersucht. Ist aber nur eine Vermutung.

    Man könnte auch noch Korruption auf die Liste der Probleme setzen. Gab es da nicht einen Direktor der mit einem mit Diamanten besetzten Auto durch die Gegend fuhr während die Arbeiter streikten, da sie kein Gehalt mehr bekamen? Inzwischen wurden ja bereits ein paar Personen verurteilt.

    Die Angara wird in den ersten Jahren nach ihrer Einführung keine größeren Kosteneinsparungen gegenüber der Proton bringen.
    Das mit Nauka ist einfach nur unfassbar (Verzögerungen, Umbauten bei denen man gewaltige Schäden anrichtet, Komponenten die so alt sind, dass sie nun schon wieder ausgetauscht werden müssen).

    Wobei die Saudis zeigten mehrfach Interesse Geld zu investieren. Falls man nun nicht sehr klug handelt wird nicht nur China vorbeiziehen (unvermeidlich), sondern selbst Indien wird deutlich aufschließen. Vor Zehn Jahren war das fast unvorstellbar.

    Die größte Leistung der russischen Raumfahrt der letzten 20 Jahre?
    Keine Toten bei den bemannten Flügen – das sage ich ohne Ironie.

  2. Ein Bernd Leitenberger hat das wieder anhand der nüchternen Fakten völlig richtig erkannt, unter dem Putin Regime ist das Land zum Niedergang verdammt. Generell sollte man sehr kritisch und skeptisch sein mit Aussagen die aus Russland kommen. Die letzten Jahrzehnte waren das ausschließlich Ankündigung die nie eingehalten wurden. Erinnert fast an Jemanden den ein Bernd Leitenberger ebenfalls die nüchternen Fakten um die Ohren haut.

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