Wiederverwendung – bei SpaceX realistisch?

Pläne für die Bergung und Wiederverwendung von Stufen gab es viele. Es wurde für die Ariane 1 überlegt, die Saturn V. aber außer bei den Feststoffboostern des Space Shuttles wurde es nie praktiziert. Die spielen aber in einer anderen Liga. Die starken Hüllen aus Edelstahl überstehen den Wiedereintritt und auch den Aufprall auf dem Meer. Es gibt kaum mechanische Teile und keine empfindlichen Triebwerke mit Turbopumpen.

Es gibt zwei Probleme dabei: Überlebt eine Stufe den Wiedereintritt und was kostet das an Nutzlast?

Nehmen wir mal das erste. Die Beanspruchungen beim Wiedereintritt können durchaus beachtlich sein. Sie nehmen mit steigender Abtrennungsgeschwindigkeit zu. Bei den Ariane 5 Boostern sind mir durch die Recherche für mein letztes Buch die Werte bekannt: Maximale Verzögerung: 22 g und maximale thermische Belastung 40 kW/m². Vor allem die Abbremsung ist von Bedeutung. Dieser Wert ist viermal höher als die maximale Belastung der Falcon 9  beim Aufstieg – und die erste Stufe der Falcon 9 wird bei erheblich höherer Geschwindigkeit als die Ariane 5 Booster abgetrennt. Zudem muss die Verteilung (also wo die maximale Belastung entsteht) nicht mit der beim Aufstieg übereinstimmen.

Das zweite sind die Triebwerke. Ich habe gewisse Zweifel daran, dass für Triebwerke mit heißen Brennkammern (die immerhin wenige Minuten noch auf rund 800-1000°C erhitzt wurden) es so gut ist mit 100 km/h auf Salzwasser von 15°C zu prallen. Meine laienhaften Kenntnisse als Chemiker lassen die Worte Korrosion und Abkühlungsschock aufkommen. Für die beweglichen Teile des Triebwerks, aber auch Verbindungen (Treibstoffleitungen etc.) ist auch der Aufprall nicht so gesund. Ich sehe durchaus die Gefahr von Bildung von Haarrissen, Ermüdung und Beschädigungen.

Die Folge könnte sein, dass die Reparatur der Stufe fast genauso viel kostet wie eine neue – denn um alle möglichen Fehler, Beschädigungen, Haarrisse, Ermüdete und korrodierte Stellen  zu finden wird man sie praktisch vollständig demontieren müssen. Ein Vergleich mit den Shuttle Boostern ist nicht besonders sinnvoll, weil diese aus 12,2 mm starkem Edelstahl bestehen während schon aus den bekannten Abmessungen des Tanks seine Windstärke unter 1 cm liegen muss und er besteht aus einer Aluminiumlegierung. Vergleichen sie mal einen Kochtopf mit dickem Edelstahlboden und einen mit einem dünnen Aluminiumboden und sie wissen was ich meine.

Das zweite ist was dies an Nutzlast kostet. Blickt man über den Tellerrand, also zu den bekannten Konzepten von Baikal und den LFBB und vergleicht diese mit den Stufen ohne Bergungsstufen (hier Angara Core und EPC) so fällt auf das sie deutlich schwerer sind:

EPC LFBB Angara Core Baikal Booster
Vollmasse 189.500 222.500 131.000 130.400
Leermasse 14.100 46.200 10.000 21.700

Auch wenn diese beiden Projekte aufgrund der Tatsache, dass sie wieder zum Startplatz zurückfliegen sollen (sie haben daher beide Flügel und ein Düsentriebwerk) nicht direkt mit dem SpaceX Vorhaben vergleichbar sind ist doch eines deutlich: die geborgenen Stufen sind deutlich schwerer als die Ausgangsstufen. Selbst im günstigsten Fall ist es das doppelte Gewicht.

Bei einem nur zweistufigen Träger ist auch das Gewicht der ersten Stufe wichtig. SpaceX setzt die leichte Aluminiumlegierung 2195 ein. Nach ihren Angaben wiegt der 7710 kg schwere Triebwerksblock schon halb so viel wie die erste Stufe gesamt, woraus man ein Leergewicht von 16 t bei einem Startgewicht von etwa 260 bis 270 t ableiten kann, was schon eine sehr leichtgewichtige Konstruktion ist. Setzt man die Raketengleichung an, so lässt sich leicht berechnen, dass die Nutzlast um 1 kg sinkt, wenn die erste Stufe um 5,6 kg schwerer wird.

Bisher klappte bei keiner geplanten Bergung einer Falcon Trägerrakete diese. Beim letzten Versuch beim Jungfernflug der Falcon 9 kamen nur noch Trümmer an. Das spricht dafür, dass die stufe beim Wiedereintritt vollkommen zerstört wurde. Bei diesem extremen Leichtgewicht und der nicht gerade hochtemperaturfesten Legierung ist das kein Wunder.

Wie viel schwerer wird die Stufe wohl werden, bis sie stabil genug ist nicht zu desintegrieren? Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber steigt ihre Leermasse um 30% so senkt das die Nutzlast schon um 900 kg. Bei 50% sind es rund 1.400 kg. Höhere Belastung kostet Gewicht. So hat z.b. die mit einem Feststofftriebwerk aus dem Silo herausgeschossene RS-36M ein deutlich höheres Leergewicht als andere Träger Russlands dieser Größe – ich vermute auch hier ist diese Belastung deutlich höher als später die im Flug auftretende. Der nächste Vergleich der mir einfällt ist die Kistler K-1 – sie arbeitet mit derselben Treibstoffkombination, sollte auch bergbar sein und verwendet sogar noch leistungsfähigere Triebwerke. Setzt man ihr Leergewicht als Maßstab an, so müsste die erste Stufe der Falcon 9 rund 22,1 t wiegen, was in etwa 1,1 t Nutzlast kostet. Bei rund 7 t Maximalnutzlast der derzeitigen Version also durchaus eine größere Einbuße

Da bei der zweiten Stufe das ganze noch problematischer wird – jedes Kilo mehr geht von der Nutzlast ab und die Belastungen sind wegen der doppelt so hohen Geschwindigkeit erheblich höher, zudem wird noch Treibstoff benötigt um die Stufe zu deorbiteren, der dann auch noch abgezogen wird. denke ich werden die Pläne die zweite Stufe zu bergen wohl schon beerdigt worden sein.

Insgesamt sehe ich bei dem Vorhaben sehr viele Fragezeichen. Viel mehr als eine Absichtserklärung, aber kaum Details, wie die Bergung ablaufen soll und was man getan hat um zu garantieren dass sie auch klappt gibt es auch seitens SpaceX nicht. Bei der ersten Stufe der Ariane hat man dies damals genau untersucht und kam bei Versuchen im Windkanal zu dem Schluss das es von der Form und der Massenverteilung sehr wahrscheinlich ist, dass die Stufe sich beim Abstieg überschlagen würde und so nicht mit Fallschirmen ohne eine aktive Stabilisierung geborgen werden kann, was (neben den geringen Kosteneinsparungen) dann dazu führte das Projekt einzustellen. Ich habe von SpaceX leider nichts vernommen wie sie getestet haben ob es bei Ihnen klappen kann.

Überhaupt ist offen, wie „reuse“ funktionieren soll. Man findet auf der Website keinen Hinweis auf besondere konstruktive Maßnahmen, außer bei der Falcon 9 auf den Hinweis das Fallschirme und ein GPS Receiver an Bord ist – aber nichts bei der Falcon 9. Musk sagte in Interviews, man müsste den Thermalschutz verstärken – das wars. Wenn das alles ist wundert es mich nicht das es nicht klappt. Bevor jemand sagt „dann bergen sie eben nur die Triebwerke“ – das scheint weder geplant zu sein, noch so einfach zu gehen. Wenn die Tanks beschädigt sind und volllaufen dürften auch die Triebwerke versinken und dass diese abgesprengt werden und separat landen, eventuell mit Airbags stabilisiert dafür gibt es keine Pläne und Angaben.

Die meisten Experten sind der Meinung das „RLV“ also Reuseable Launch Vehikles“ also solche schon konstruiert und für die Bergung ausgelegt sein müssen. Und das ist bei der Falcon 9 nicht der Fall.

So gesehen kann ich Musks Kommentierung auf die Frage nach der Bergung nach dem Jungfernflug nicht ganz verstehen: „We will never give up! Never! Reusability is one of the most important goals. If we become the biggest launch company in the world, making money hand over fist, but we’re still not reusable, I will consider us to have failed.” Da setzt man sich doch selbst unter Druck. Aber er ist ja kein Spezialist für kluge worte – ich denke da nur den Kommentar in dem er Neil Armstrong als „manipuliert“ bezeichnet hat.

5 thoughts on “Wiederverwendung – bei SpaceX realistisch?

  1. So verlockend die Idee von eine Wiederverwendung ist
    hier müssen Nachteile und Vorteile in Gleichklang gebracht werden.
    Mehrfache Bergung von Erststufe spart Gelder für neue bau
    aber gibt kosten der Bergung der Erststufe (z.b. Landung in Ozean)
    nehmen wir Falcon 9 Block II Erststufe mit 17800 kg leer wegwerf“ Version
    die wieder verwendbare braucht ein Hitzeschild, Stabilisatoren, Fallschirme,
    Bremsraketen, Aufblasbare Airbags zu treiben und ein GPS Sender zum auffinden.
    das erhöht die Erststufe um 16% auf 20648 kg also um 2848 kg
    die müssen von Nutzlast abgezogen werden also von 9358 kg auf 6510 kg!
    dazu kommt noch weiter Probleme:
    versagt die Bremsraketen oder ein oder mehre Fallschirme (gab schon)
    schlagt die Erststufe zu hart auf Wasser und beschädigt den Tank schwer
    Ares-X testflug passierte genau das mit der ersten Stufe, total schaden.
    Ok dann Tank wegwerfen und Triebwerke wieder verwenden.
    doch was Passiert mit heiße Treibwerke wenn sie in Kalten Meerwasser fallen ?
    das Metall wird gehärtet, heißt es wird spröde
    in dem fall kann das Triebwerk bei Wieder Verwendung explodieren

    wie gesagt Nachteile und Vorteile wiegen sich auf…

  2. Auch wenn ich heute als Webentwickler arbeite, so hab ich doch eine Ausbildung als Anlagenmechaniker. Von daher kann ich recht gut einschätzen, das man mit den Triebwerken in jedem Fall ein gewaltiges Problem bekommt, wenn man sie nicht abgekühlt ins Wasser fallen lässt. Je nach Jahreszeit hat der Atlantik vor CC eine Wassertemperatur von durchschnittlich 20 Grad C. Lässt man da Triebwerke mit einer Temperatur von mehreren 100 °C reinfallen, dann kommt es durch die schnelle Abkühlungen zu Verhärtungen im Material, zu Mikrorissen und zu Gefügeveränderungen. Ich halte es für sehr zweifelhaft, ob ein so belastetes Triebwerk erneut zuverlässig eingesetzt werden kann. Es muss nicht unbedingt exploderen, aber es kann dann so viel ausfallen, das das Risiko eines Fehlstarts deutlich ansteigt. Zwar kann man zu einer bestimmten Zeit den Ausfall eines Triebwerkes auffangen, aber ob man dann noch die nötige Nutzlast erreicht, ist fraglich.

    Entweder man kühlt die Triebwerke vorher langsam auf Umgebungstemperatur ab, oder man lebt damit, das eine Wiederverwertung nicht machbar ist. Auch bei allen anderen Systemen halte ich das für sehr zweifelhaft, Salzwasser ist einfach sehr korrosiv, die Kosten für die Wiederaufarbeitung einer Stufe können leicht teurer als eine Neuproduktion sein. Immerhin handelt es sich um eine Leichtbaukonstruktion, auf keinen Fall zu verwechseln mit den Boostern des Shuttle. Die bestehen aus starkem Edelstahl und selbst dort kommt es immer wieder vor, das einzelne Segmente Verformungen durch die harte Wasserung erleiden und ausgemutert werden müssen. Vermutlich wird es billiger, eine neue Stufe zu fertigen, als die alte Stufe wiederaufzuarbeiten. So kann man durch das Weglassen der Landesysteme auch die Nutzlast etwas steigern. Aber ob dann SpaceX noch profitabel arbeiten kann?

  3. Ich denke auch, dass man massive Probleme kriegt, wenn die Triebwerke einfach so ins Wasser plumpsen. Grundsätzlich für denkbar halte ich es aber, die Raketenstufe „kopfüber“ ins Wasser fallen zu lassen, indem man die Fallschirme am unteren Ende anbringt. Allerdings wird sich die Stufe danach immer auf die Seite legen, und dann berühren zumindest einige Triebwerke doch das Wasser. Zumindest der harte Aufprallschock wäre aber vermeidbar. Denkbar wäre sogar, mit Airbags oder Bremsraketen „weich“ auf festem Untergrund zu landen.

    Noch schwieriger sind die Probleme mit dem Wiedereintritt. So eine Raktenstufe ist ja – anders als die Gesamtrakete – alles andere als aerodynamisch geformt. Eine denkbare Möglichkeit wäre aber, die Nutzlastverkleidung hierfür zu „recyceln“: Unter diese befinden sich dann Nutzlast und Oberstufe. Kurz vor Brennschluss der Unterstufe öffnet sich eine große Klappe in der Nutzlastverkleidung, Oberstufe und Nutzlast werden ausgeworfen, dann wieder Klappe zu.

    Die Spitze der Nutzlastverkleidung müsste dann natürlich für den Wiedereintritt mit einem Hitzeschutz versehen werden. Und man müsste steuerbare Stummelflügel bzw. Leitwerksflossen anbringen, damit man die Rakete während des Wiedereintritts in der richtigen Position halten kann. Während des ballistischen Flugs nach Brennschluss kann es ebenfalls nötig sein, Drehimpuls loszuwerden bzw. die Rakete richtig zu orientieren – dazu sollten aber ein paar billige Kaltgastriebwerke reichen. Und zur Betätigung all der Steuerklappen und -düsen braucht es dann eine eigene Avionik samt Trägheitsnavigation und GPS.

    22 g Bremsbeschleunigung beim Wiedereintritt klingt nach viel, sollte aber erträglich sein. So eine Unterstufe wird ja gegen Ende der Brennphase auch schon mit 5 bis 6 g beschleunigt (kenne allerdings den genauen Wert für die Falcon 9 nicht), und da ist ja noch die zu diesem Zeitpunkt viel schwerere Oberstufe drüber. Auf die leere Stufe umgerechnet entspräche das 15 g oder mehr. Zudem ist denkbar, die Unterstufe gezielt in den ersten Sekunden des Wiedereintritts mit einem gewissen Anstellwinkel (ein paar Grad sollten reichen), fliegen zu lassen, so dass diese einen Auftrieb erfährt, der die vertikale Sinkrate reduziert. Ebenso ist denkbar, die Gesamtrakete so zu steuern, dass die Stufentrennung in möglichst geringer Höhe und mit möglichst kleiner vertikaler Geschwindigkeitskomponente erfolgt. Dann erfolgt der Wiedereintritt schon kurz nach der Stufentrennung und mit noch recht geringer Sinkrate.

    Freilich bewirken alle genannten Maßnahmen jeweils ein Mehrgewicht oder einen Mehrverbrauch an Treibstoff. Die Nutzlast würde also deutlich abnehmen.

    Kai

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