Die Guten und die Bösen
Ich habe mir heute mal wieder Eis gekauft. Ich nehme gerade ab, aber so nach etwas mehr als einem Monat hatte ich mal Lust auf eine Süßigkeit und Eis ist mir da lieber als Schokolade. Meine Wahl fiel auf ein „Strudeleis“ (seit die Speiseeisverordnung nicht mehr gilt gibt es zig Phantasienamen, die nichts mehr über die Zusammensetzung aussagen). Also „Strudeleis“ besteht meinen Erfahrungen nach (es ist nicht das erste) vor allem aus Luft und hat dann auf der Zunge mehr das gefühl von Schaum oder Mohrenkopf als von klassischem Eis. Das ist etwas ungewohnt. aber der eine mag es und der andere vielleicht nicht.
An sich ist das Eis relativ ehrlich. Relativ heißt, es enthält die für industrielles Eis übliche Emulgatoren, die man in Eis aus handwerklicher Produktion nicht findet. (Primär um die Luft zu stabilisieren die natürlich für mehr Volumen sorgt, sekundär um auch das Eis nicht so flüssig werden zu lassen, wenn es taut). Dafür gab es kein Pflanzenfett oder andere Bestandteile die nichts im Eis zu suchen haben. Aber es fiel mir was anderes auf: es wurde schongefärbt. Das Kirscheis verendet dazu Hibusextrakt, Karottenextrakt und Rotebeetensaftkonzentrat. Alle diese Zutaten haben keinen Sinn in einem Eis, außer es einzufärben. Dabei sollte man annehmen, dass das Sauerkirschensaftkonzentrat genügend Eigenfarbe aufweist. Das Aroma schmeckt auch ziemlich künstlich, so ein bisschen wie bei diesen Cocktailkirschen und dieses künstliche Kirscharoma das man in Kirschlikör findet. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, das wird nach Verzehr der Packung noch ein „Was ist drin Artikel“.
Aber was mir eigentlich am Herzen liegt: Das ist ein typisches Produkt der Lebensmitteltechnologen. Ich weiß ja, das mein erster erlernter Beruf – Lebensmittelchemiker – bei der breiten Öffentlichkeit einen schlechten Ruf hat. Das liegt vielleicht daran, weil Chemie allgemein einen schlechten Ruf hat, und das wird ja propagiert in Büchern wie „Neue Chemie in unserer Nahrung“. Das entspricht natürlich nicht dem Inhalt der Wissenschaft. Es gibt wenn man sich die praktische Beschäftigung ansieht, so gibt es drei Säulen. Das eine ist die Theorie, das zweite ist das, was das Stereotyp „Chemie“ in der Öffentlichkeit wohl sieht – die Synthese, also die Erzeugung neuer Substanzen, die man in der Natur nicht findet oder die Modifikation natürlicher Substanzen. Der dritte und eigentlich traditionellste Zweig ist die Analytik. Für mich ist Analytik sicher das wichtigste an der Chemie. Zum einen natürlich aus dem geschichtlichen Kontext – der größte Teil der Chemiegeschichte entfiel auf die Erforschung der Elemente und Verbindungen. Auch Nobelpreise wurden vor allem für Aufklärungen und analytische Leistungen vergeben. Zum andern ist es natürlich auch im Studium der wichtigste Teil. Anorganische Chemie ist zum größten Teil Analytik, bei Wasserchemie, Biochemie, Molekularchemie und Lebensmittelchemie ist es sogar zu fast 100% nur Analytik. Lediglich die organische Chemie wird von der Synthese dominiert.
Was macht der Lebensmittelchemiker? Er untersucht Lebensmittel oder ihre Zutaten. Entweder bei einem staatlichen Labor oder bei einem Industriebetrieb in der Qualitätskontrolle oder in einem unabhängigen Labor. Dann sollte er noch eine rechtliche Hilfestellung geben wie das dabei erhaltende Ergebnis zu beurteilen ist. Wobei zumindest als ich noch tätig war, es darauf hinaus lief nicht nur eine Hilfestellung war, (also eine naturwissenschaftliche Beurteilung, aber keine rechtliche) sondern eine konkrete Aufstellung der Vergehen, was eigentlich Aufgabe des Staatsanwaltes gewesen wäre.
Wer ist für die netten Lebensmittel mit billigen Zutaten, Ersatz von Zusatzstoffen mit technologisch ähnlich wirkenden Lebensmitteln und vielen Aromastoffen verantwortlich? Es sind die Lebensmitteltechnologen. Dieser Studiengang hat als Aufgabe primär die Umsetzung der Technologie zur Produktion von Lebensmitteln. Also wie optimiere ich die Produktion, verringere ich die Kosten, kreiere ich neue Rezepturen und setze diese in ein Massenprodukt um. Dieser Job umfasst weder eine rechtliche Ausbildung, noch eine chemische Vorbildung. Der Abschluss ist auch nicht eine Staatsprüfung nach einem einjährigen Praktikum in einer Landesuntersuchungsbehörde, sondern ein ein einfaches Diplom .Ich meine beide Inhalte gehören mit rein. Das was produziert wird muss ja dann rechtlichen Vorschriften gehorchen, die ja auch mit chemischen Grenzwerten, Vorgaben, gehorchen müssen. Der Beruf hat eine große Verantwortung hinsichtlich der Öffentlichkeit und davon ist im praktischen Handeln nichts zu spüren. So wird man wahrscheinlich mit noch raffinierteren Verbrauchertäuschungen rechnen können. Denn sie stehen auf der andern Seite. Die einen müssen darüber wachen, dass Lebensmittel den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen und die anderen müssen eben versuchen deren Grenzen maximal auszuloten und den Gewinn ihrer Arbeitgeber zu maximieren. Aber was mich immer ärgert ist, dass die erste Berufsgruppe mit dem schlechten Ruf der zweiten assoziiert wird. Also Leute wenn euch die Zusammensetzung von Lebensmitteln nervt, dann beschimpft in Zukunft die Lebensmitteltechnologen.
Ich bin auf das Thema gekommen, weil sich meine jüngste Nichte nun gerade fürs Studium bewirbt. Sie will primär Biologie studieren und hat bei jeder Bewerbung noch einen Hilfsantrag gestellt für ein zweites Fach. Und da war auch Lebensmitteltechnologie drunter. Und das gefiel mir gar nicht, wie man sich denken kann. Aber da sie sich an vier Unis/FH beworben hat, denke ich hat sie eine gute Chance Biologie zu studieren und nicht bei den Panschern zu landen.