Bahnberechnungen Teil 1: Inklinationsänderungen

Nun geht es im zweiten Teil um Inklinationsänderungen, etwas was offensichtlich auch Experten ein Rätsel ist. Diesen Eindruck hatte ich zumindest, als die Columbia verlorenging und dort einige „Experten“ vorschlugen, man hätte die Raumfähre doch an die ISS andocken und evakuieren können – dumm nur wenn das aufgrund 20 Grad Inklinationsunterschied physikalisch nicht geht.

An und für sich ist die Tatsache recht einfach: auf einer niedrigen Erdumlaufbahn bewegt sich eine Satellit mit 7,5 km/s auf einer Bahn mit einer bestimmten Neigung zum Äquator. Diese hängt vom Startort ab. Da der Startort beim ersten Umlauf wieder überflogen wird, kann Inklination nicht kleiner als die geographische Breite sein, zumindest nicht viel kleiner (die Rakete bewegt sich südwärts und damit findet ein Teil der Brennphase bei einem niedrigen Breitengrad statt, wodurch die Inklination sinkt). Eine höhere Inklination ist immer möglich, wenn man Richtung nördlich oder südlich startet.

Wenn die Bahn erreicht ist, dann ist eine Inklination schwer zu ändern. Diese Tatsache beruht darauf, dass man dazu die Richtung der Geschwindigkeit verändern muss. Mein Paradebeispiel, für allem die das nicht glauben ist einfach: Mal auf der Autobahn mit 200 km/h fahren und schauen was passiert, wenn man das Lenkrad plötzlich um 90 Grad dreht. Dann muss man nur das erlebte (und überlebte?) auf 28.000 km/h übertragen.

Wers berechnen will:

vd= 2× sin(Winkel ÷ 2) × v

vd: Betrag um die Inklination zu ändern

Winkel: Winkeldifferenz in Grad

v: momentane Bahngeschwindigkeit

Also rechnen wir mal für Columbia: v = 7600 m/s, Winkeldifferenz=21 Grad, so erhalten wir dass dazu 2770 m/s nötig sind, was die rund 300 m/s maximale Korrekturkapazität von Columbia weit überfordern würde.

De Fakto übersteigen schon kleine Winkeländerungen daher die verfügbaren Treibstoffvorräte. Das ist im Normalfall kein Problem, weil in der Regel der Satellit gleich in den Orbit mit der gewünschten Inklination gestartet wird. Es scheitert nur, wenn die Inklination kleiner als die geographische Breite sein soll. Das ist in der Praxis bei GTO/GSO Bahnen der Fall. Dann gibt es mehrere Strategien.

Wenn die Zielbahn sowieso in einem Zweiimpulstransfer erreicht werden soll, dann gibt es die Option, zuerst nur eine Parkbahn zu erreichen, die stabil ist, und dann am Äquator die nächste Zündung durchzuführen. Diese Geschwindigkeit wird dann bei 0 Grad Breite addiert und dadurch sinkt die Inklination der Übergangsbahn ab. Diese Strategie setzt eine wiederzündbare Oberstufe voraus und wird z.B. bei der Centaur so durchgeführt. Schlussendlich muss die Inklination aber irgendwann doch abgebaut werden. Sieht man sich die obige Formel an, so kann man leicht erkennen, dass man dies dann macht, wenn die Geschwindigkeit v minimal ist. Also bei einem Übergang in den GSO zweckmäßig nicht im Perigäum bei rund 10,2 km/s sondern im Apogäum bei nur 1,5 km/s Geschwindigkeit.

Trotzdem benötigt man natürlich mehr Treibstoff wenn man von einer höheren Inklination aus startet. Da der Transfer vom GTO in den GSO vom Satelliten mit seinem eigenen Antrieb durchgeführt wird (zumindest bei zivilen Satelliten, beim Militär ist es sowohl in Russland wie auch den USA die Oberstufe die das durchführt) geht das von dem Treibstoffvorrat ab, der später zur Verfügung steht und der letztendlich heute die Lebensdauer eines Kommunikationssatelliten limitiert.

Da dieser Treibstoffvorrat fest ist, gibt es, wenn der Kommunikationssatellit selbst leichter ist, als die mögliche Nutzlast der Trägerrakete verschiedene Strategien den Treibstoffvorrat der nach dem Erreichen des GSO noch verbleibt. Bei US-Trägern ist es der supersynchrone GTO. Der supersynchrone GTO ist eine Bahn, dessen Apogäum höher als beim GTO liegt. Im Folgenden will ich mal zeigen wo die Unterschiede liegen:

GTO supersynchroner GTO
Perigäum 200 km 200 km
Apogäum 35943 km 66.000 km
Geschwindigkeit im Perigäum 10242 m/s 10540 m/s
Geschwindigkeit im Apogäum 1592 m/s 958 m/s
Inklinationsänderung von 28 Grad auf 0 Grad im Apogäum 770 m/s 463 m/s
Absenkung des Apogäums auf 379 m/s

In der Praxis ist es etwas komplizierter, weil im Apogäum ja auch die Anhebung des Perigäums erfolgt und dann sich Geschwindigkeitvektoren addieren. Beim supersynchronen hebt man das Perigäum auf 35943 km an, und senkt dann das Apogäum ab. Für diese Bahn benötigt man zuerst 958 m/s um das Perigäum anzuheben, dann 378 m/s um das Apogäum abzusenken. Schon diese Summe ist kleiner als die beim Übergang vom GTO in den GSO nötigen 1477 m/s. Dazu kommt dann noch dass man bei Angleichung der Inklination etwas weniger Energie aufbringen muss.

In der Gesamtsumme sind natürlich die rund 300 m/s miteinzubeziehen, welche die Trägerrakete zusätzlich für das höhere Apogäum aufbringen muss, sodass die Gesamtbilanz eher schlechter ist. Der supersynchrone Orbit ist eine Lösung wenn die Trägerrakete Reserven hat, also die Nutzlast kleiner ist als die maximal mögliche, aber da der Satellit nur vorgegebene Treibstoffvorräte hat, kann er nicht schwerer werden.

Eine zweite Praxis setzen die Russen bei der Breeze-M auf der Proton ein. Hier wird die Oberstufe mehrmals im Perigäum gezündet und dabei dieses angehoben. Bis zu fünf Zündungen sind möglich. Das Anheben des Perigäums reduziert zwar nicht die Inklination, aber es reduziert die Geschwindigkeit die der Satellit aufbringen muss wenn er den GTO erreicht. Eine weitere Möglichkeit ist es mit der Breeze-M die Inklination im Apogäum abzubauen und gleichzeitig das Apogäum anzuheben.

Beim letzten Start von Asiasat 7 wurde das Perigäum in zwei Stufen angehoben. Beim letzten Schritt wird im Apogäum nochmals das Perigäum angehoben und gleichzeitig die Inklination reduziert. Diese aufwendige Vorgehensweise ergibt Transferorbits die durch das angehobene Perigäum noch weniger Treibstoff vom Satelliten erfordern um den GSO zu erreichen. Wenn wie beim letzten Start Asiasat 7 nur 3.800 kg wiegt, die Proton aber 6.300 kg transportieren kann wird so ein GTO von 13386 x 35586 x 0 Grad erreicht. der Satellit benötigt dann nur noch 620 m/s um den GSO zu erreichen, anstatt 1477 m/s. Der Preis ist allerdings auch hoch: Denn um 1500 m/s gegenüber einem konventionellen Orbit einzusparen wird die Nutzlast um 40% reduziert. Diese Vorgehensweise geht auch nur, weil die Breeze-M mit lagerfähigen Treibstoffen arbeitet, denn die letzte Zündung findet erst 10 Stunden nach dem Start statt.

2 thoughts on “Bahnberechnungen Teil 1: Inklinationsänderungen

  1. Hallo,

    habe gerade gelesen, dass die chinesische Raumstation eine Inklination von 42° hat und somit nicht von Russland oder USA angeflogen werden könne.

    Ist das korrekt? Geht es prinzipiell nicht oder nur mit sehr hohem Energieaufwand?

    Die Schwierigkeiten bei einer Inklinationsänderung erklären mE auch die Unnmöglichkeit, mit einem Raumschiff wie z.B. Starship, Jagd auf Weltraumschrott zu machen. Korrekt?

    Würde mich über eine Antwort freuen.

    LG, Friedrich

    1. „Angeflogen“ ist unscharf formuliert. Beim Start von der Erde aus ist die station von jedem Startort leicht erreichbar wenn dessen Breitengrad kleiner oder gleich der Bahnneigung (41,5 Grad) ist, also Cape Canaveral aber nicht Baikonur. Damit kann ein Starship auch ohne die Anfangsinklination zu ändern jeden Bahnschrott erreichen dessen Bahnneigung kleiner oder gleich der des Startsplatzes in Texas ist.

      Ist etwas im Orbit oder der Startplatz in höheren Breiten wie z.B. die ISS oder Baikonur, so ist dies sehr energieaufwendig. Bei der Bahnneigung der ISS sind es z.B. rund 1300 m/s die aufgewandt werden müssen und der Treibstoff macht dann etwa 37 % des Gewichts aus,

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