Warum IBM nicht langfristig erfolgreich mit dem (IBM-)PC war
Ich habe ja schon Artikel über den IBM PC im Blog geschrieben, über die Technik, zum 30-jährigen und 35-jährigen Jubiläum. Dann gibt es noch die legendäre Geschichte von PC-DOS. Doch darum geht es nicht in diesem Artikel. Die Schöpfungsgeschichte des IBM PC habe ich schon ausführlich beackert. Ebenso seine Macken und die Unkenntnis der Manager vom Markt und nur mal den Firmen, die dort tätig sind.
Nicht immer ist es das beste Produkt, das marktbeherrschend wird. Das kennt man nicht nur vom Computer. Das meistverkaufteste Auto war der Käfer – sicher nicht das beste Auto. Ebenso verkaufte sich die „Ente“ recht gut, obwohl manche sie nicht mal als Auto bezeichnen würden. Ich denke die Entwicklung, die auf den IBM PC folgte, war vorhersehbar, auch wenn sie IBM selbst erstaunte.
Vor dem IBM PC
Das Gerät war von Anfang an ein Verkaufserfolg. Das überrascht. Es gab ja schon 16 Bit Rechner vor dem IBM PC. So der Sirius 1. Er war etwas billiger als der IBM PC hatte einen echten 8086 Prozessor mit 8 anstatt 5 MHz, Zwei Floppies, die mehr als doppelt so viel Daten fassten und einen hochauflösenden Grafikmodus, dessen Auflösung IBM erst mit der Vega-Grafik acht Jahre später erreichte. Trotzdem verkaufte sich der IBM PC besser. Warum?
Einfach weil IBMs Ruf bei Computern legendär war. Das beruhte nicht einmal so sehr auf der Technik. Vielmehr hatte die Firma einen hervorragenden Service und auch eine sehr gute Marketingabteilung. Kunden wurden bei IBM gut behandelt. Sie baute nicht nur Computer, sie stellten sie auch auf, nahmen sie in Betrieb und bei einer Störung war schnell ein Techniker vor Ort. Sie brachte die Kunden sogar dazu, die Rechner zu mieten, anstatt zu kaufen. Das verdoppelte für IBM den Gewinn. Das die Firma teurer als die Konkurrenz war störte da nicht.
Die Mikrocomputer waren dagegen noch neu. Der Altair war gerade mal sechs Jahre alt als der IBM PC erschien. Nimmt man den Apple II oder Commodore PET als Basis für den Vergleich – das waren die ersten Rechner, die so leistungsfähig waren, dass man mit ihnen arbeiten konnte – dann war der PC sogar nur drei Jahre alt. Bisher kauften die Geräte Nerds. Leute, die einen besonderen Bezug zu Technik hatten oder sich beruflich damit beschäftigten wie Ingenieure. Der PC war noch nicht da angekommen, wo später die meisten stehen sollten – im Büro.
Der Verkaufsschlager
Das änderte sich mit dem IBM PC. Der eintritt der Firma in den Mikrocomputermarkt bedeutete für viele auch, dass sie dieses Marktsegment erst wahrnahmen. Wenn IBM einen eigenen PC baut, dann müssen diese Mikrocomputer wohl doch für etwas gut sein. Viele kauften von IBM, einfach wegen des guten Rufs, oder wie es damals unter Entscheidern heiß „Niemand ist jemals dafür entlassen worden, dass er bei IBM kaufte“. Die Firma hatte in etwa den Ruf den Apple heute hat – es mal billigere und genauso leistungsfähige Smartphones geben, aber Apple ist eben der Standard, an dem sich alle messen. Deswegen bezahlen Apple-Käufer gerne mehr für Apple-Produkte.
Davon profitierten alle Hersteller von Mikrocomputern, denn nicht jeder wollte einen IBM PC – er war teuer und es gab noch kaum Software für ihn. Es gab einen enormen Boom und auch die Verkäufe von Apple & Co stiegen drastisch an.
IBM wurde selbst von der Nachfrage überrascht. Die optimistische eigene Prognose ging von 250.000 Rechnern in den ersten 5 Jahren aus. In Wirklichkeit wurde diese Grenze schon nach zwei Jahren gerissen. Die Nachfrage war so groß, dass IBM zuerst nur den US-Markt bedienen konnte, erst Anfang 1983, eineinhalb Jahre nach der Einführung, waren die Geräte auch in Europa verfügbar.
Der Abstieg
So verwundert es, das am 1.5.2005 IBM die PC-Linie an Lenovo verkaufte, gefolgt 2014 von der x86 Serverlinie. Aber bis dahin hatte die Firma einiges falsch gemacht.
Die Probleme waren vielfältig: organisatorischer, technischer und wirtschaftlicher Art. Als Laie denkt man zuerst daran, dass die Klones IBM das Leben schwer machten. Sehr bald erschienen Nachbauten des IBM PC. Zuerst als sogenannte MS-DOS-Kompatible von anderen Herstellern von Computern wie Zenith, HP, Data General, Texas Instruments, NCR. Sie waren nur auf Betriebssystemebene kompatibel. Das lies den Herstellern die Freiheit die Hardware anders zusammenzustellen, z.B. den 8086 anstatt 8088 Prozessor zu verwenden. Diese Rechner hatten aber keine Zukunft, denn wegen der Langsamkeit des IBM PC programmierten viele am Betriebssystem vorbei und die Programme liefen dann nur noch auf dem IBM PC oder einem 100 % Kompatiblen. Davon gab es bald jede Menge. Compaq begann mit dem Entwurf einer „tragbaren“ Version des IBM-PC. Das war vor Einführung von LCD oder Plasmabildschirmen mit einem kleinen Monitor eher ein schleppbarer Computer, aber man konnte ihn immerhin überall hin mitnehmen. Auch andere Computerhersteller sprangen auf den Zug auf. Commodore waren erfolgreich mit ihrem PC Klone. In Deutschland war es die Firma Schneider, die eigentlich Audiotechnik produzierte und zuerst den CPC von Armstrad vertrieb, später aber einen eigenen PC und einen PC, bei dem alles in die Tastatur passte, vorstellte.
IBM wusste das es dazu kommen würde. Bei Großrechnern waren „Kompatible“ schon gang und gäbe. Weder das Bussystem noch andere Teile waren urheberrechtlich geschützt und es gab das Phänomen schon bei den Mikrocomputern. Der Altair 8800 wurde als IMSAI 8080 nachgebaut (sein berühmtester Auftritt ist im Spielfilm „War Games“) und vom Apple II gab es sogar etliche Nachbauten.
IBM meinte, das man so große Stückzahlen herstellen würde, dass die Nachbauten kein Problem wären, einfach weil man kostengünstiger produzieren würde. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist das IBM trotzdem viel teurer verkaufte als andere. Das lag am eigenen Vertrieb, der nochmals unterteilt in einen Großkunden und Normalvertrieb war. Der Großkundenvertrieb bekam aufgrund höherer Stückzahlen günstigere Preise, was dazu führte das sich viele Händler mit mehr Geräten eindeckten, als sie kurzfristig verkaufen konnten. Da damals die Preise für die Hardware laufend sanken – pro Jahr um ein Drittel war durchaus normal – konnte diese Praxis zum Ruin führen. Michael Dell begründete sein Unternehmen, als er IBM PC von Händlern aufkaufte, die sich übernommen hatten und wieder weiterverkaufte. Vor allem war aber IBM noch nicht in der Welt der Mikrocomputer angekommen. Ich kann mich an keine einzige Anzeige eines Händlers in einer Computerzeitschrift erinnern, in der ein IBM PC auftauchte. Er wurde vom eigenen Vertrieb verkauft, nicht über einen Computershop, der auch andere Marken vertrieb.
Das funktionierte trotzdem gut, die meisten PC wurde schon wegen des Preises nicht von Selbstständigen oder kleineren Firmen, sondern von größeren Firmen eingesetzt und da meist nicht vom Boss, sondern der Sekretärin. Langfristig erschloss aber der PC mit sinkenden Einstiegspreisen immer größere Käuferschichten und die schloss man so aus.
Der Preisverfall war ein anderes Problem. Der war nicht neu. Seit es integrierte Schaltungen gab, sanken die Preise für eine bestimmte Schaltung dauernd. Was den Mikrocomputermarkt aber von dem kleinen Markt von Großrechnern unterscheidet, war die Konkurrenz. Es gab zig verschiedene Hersteller von RAM-Chips, TTL-Bausteinen, PROMS und selbst der Prozessor wurde von mindestens 5 Herstellern produziert. Diese Konkurrenz führte zu einem viel schnelleren Preisverfall als bei Großrechnern. Das bedeutete aber auch: man musste einen PC schnell verkaufen, dürfte keine Lagerbestände aufbauen. IBM erwies sich nicht als flexibel genug und war auch deswegen immer teurer als die Konkurrenz.
Zu langsam, zu spät
Schlussendlich scheiterte die Firma daran, dass sie zu wenig innovativ war. Erst 1984 erschien der IBM AT mit dem Nachfolgeprozessor 80286. Den Prozessor gab es seit zwei Jahren, doch IBM wollte lange keinen Nachfolger entwickeln, verkaufte sich der IBM PC doch sehr gut. Zeitgleich erschien der Macintosh – anders als der IBM PC AT ein revolutionäres Gerät und es erschienen die ersten Workstations. Beim nächsten Prozessor, dem 80386 wartete die Konkurrenz nicht bis IBM einen Rechner fertig hatte: der Compaq 386 verwandte einfach die Hardware des BM PC AT, ersetzte den Hauptprozessor und erweiterte das Bussystem um einen zweiten Stecker, in dem die zusätzlichen Leitungen des 80386 ansprechbar waren.
Zwischendurch versuchte sich IBM sogar im Segment der Heimcomputer. Schon der Ansatz ist sportlich, denn dort herrschte ein gnadenloser Preiskampf. Es zählte vor allem der Preis. Es verkauften sich Geräte gut, die günstig waren, wie der Sinclair Spectrum oder C64. Die meisten Käufer waren wohl Jugendliche, die mit den Geräten nicht arbeiteten oder programmierten, sondern spielten. Der IBM PC jr (für junior) war eine einfache Version des PC wie dieser lief er unter MS-DOS. Das Gerät wurde zum totalen Flop. Zum einen gab es Hardwaregründe wie die miese Tastatur. Daneben war, da man die Hardware des PC übernahm, der Rechner auch nicht so gut zum Spielen geeignet, dazu fehlten ihm die Grafikfähigkeiten. Vor allem war er aber zu teuer: eine Version mit Diskettenlaufwerk kostete 1269 Dollar, ein C64 mit Diskettenlaufwerk weniger als die Hälfte. In Europa kam er gar nicht erst auf den Markt.
Sackgasse PS/2
Die Firma beschritt dann einen Weg, der sich als Sackgasse entpuppte. Man wollte wieder die Kontrolle über die Plattform zurückgewinnen. Das bedeutete eigene Hardware die lizenzrechtlich geschützt war. Die Modellreihe PS/2 (Personal System 2 – man beachte die gleiche Nomenklatur wie beim Betriebssystem OS/2) führte diese ein: Den Microchannel-Bus, VGA-Grafik, 1,44 MB Diskettenlaufwerke im 3,5 Zoll Format und die bis heute üblichen Buchen für Tastatur und Maus. Wer dafür Hardware produzieren wollte, benötigte eine Lizenz von IBM. Das machte nicht nur die Rechner teuer, sondern auch jegliche Peripherie. Damals war aber IBM nur ein Anbieter von vielen und den Wechsel machten die Kunden nicht mit. Sie blieben lieber beim alten Standard trotz seiner Nachteile. Dabei hätte man schlauer sein können. Genau dasselbe tat Apple beim Mac, der auch als abgeschlossenes System konzipiert war, anders als der offene Apple II. Auch beim Macintosh scheiterte das Konzept.
OS/2 – „OS Halbe“
Noch desaströser fiel die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems aus. Damit Microsoft es nicht einfach lizenzieren konnte, wollte IBM mit Microsoft es zusammen entwickeln. Die Zusammenarbeit verlief niemals reibungslos. So bestand Microsoft immer noch darauf, es weiter anzubieten. Es gab zwar keine Lizenzierung aber Microsoft verkaufte es auch. Microsoft wollte den 80286 Prozessor überspringen, für den die erste Version von OS/2 entwickelt wurde, weil er schon veraltet war (und Bill Gates vom Prozessor nichts hielt). IBMM wollte das System aber für die aktuellen Rechner haben und nicht für zukünftige. Vor allem dauert es enorm lange OS/2 zu entwickeln – über zwei Jahre, was damals eine halbe Ewigkeit war. Als 1987 die erste Version erschien, war der 80386 seit zwei Jahren Standard und er wurde nicht unterstützt. Dabei hatte die erste Version nur eine Textoberfläche wie DOS – zwei Jahre vorher waren mit Windows und GEM die ersten grafischen Benutzeroberflächen erschienen. OS/2 hinkte immer Windows hinterher, auch wenn es das stabilere System war. Schließlich stieg Microsoft ganz aus und IBM entwickelte es alleine weiter. Die beiden letzten Version 3.0 und 4.0 waren auch wirklich gut gelungen. Das Problem: Als OS/2 3.0, die erste von IBM alleine produzierte Version 1994 erschien, war Windows längst marktbeherrschend. Zwar konnte OS/2 auch Windows Programm in einer Emulation ausführen, das war aber quälend langsam, wie der Autor bei einem Highscreen-PC von VOBIS selbst erleben konnte, den die Firma mit OS/2 anstatt Windows verkaufte, da sie damals gerade Ärger mit Microsoft hatten. Schließlich stellte man nach der Version 4.0 das System komplett ein.
Einer unter vielen
Mit dem Scheitern sowohl einer eigenen Hardwareplattform wie auch eines eigenen Betriebssystems war IBM nur ein Hersteller von PCs wie viele andere. Die Hardware wurde inzwischen von Intel weiterentwickelt oder von Industriegremien festgelegt. Das Betriebssystem stammte fast vollständig von Microsoft. Dabei blieb IBM teurer als die Konkurrenz, auch wenn ihre Geräte wie die Notebooks der Thinkpad-Serie einen sehr guten Ruf hatten. Bei immer weiter sinkenden Preisen für Computerhardware verlagerte sich aber die Käuferschicht hin zum Normalbürger und dem war das Renommee von IBM egal. Firmen, die 1980 noch neu waren, waren zehn Jahre später eingeführte Hersteller von Mikrocomputern und hatten damit auch einen guten Ruf. Der Marktanteil sank laufend und als Schluss beendete IBM das Kapitel PC komplett und konzentriert sich seitdem auf größere Rechner (Server) aus Basis der hauseigenen PowerPC-Plattform.
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