Die Hitler Tagebücher – Teil 8: Die Bombe platzt

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Dies ist ein Artikel aus einer kleinen Serie zu dem Skandal um die gefälschten Hitler Tagebücher:

Die Teile behandeln den Skandal relativ umfassend und weitestgehend chronologisch.

Am 4. Mai liegen die Ergebnisse des BKA vor. Das Papier besteht aus Nadelholzfasern, Gras und Laub und enthält optische Aufheller, die erst 1955 in Papier verwendet wurden. Die roten Schnüre mit Hakenkreuzen enthalten Viskose und Polyester und stammen aus der Nachtkriegszeit. Es wurden vier verschiedene Tinten benutzt. Die Tinte aus den Tagebüchern ist maximal zwei Jahre alt, die vom Heßband maximal ein Jahr älter. Weitere Funde betreffen den Inhalt wie ein Telegramm das in den Tagebüchern auftaucht aber nie verschickt wurde, stattdessen Telefonierte Hitler. Auch die Unterschrift stimmt nicht. Ein Querstrich in der Unterschrift hatte der originale Hitler erst später, in den Büchern aber von Anfang an und die Schrift fällt anders ab als die Originalunterschrift Hitlers – es gibt zwar wenige Schriftdokumente Hitlers, aber eine Unmenge an Unterschriften, schließlich musste der Führer ja etliches abzeichnen. Nun muss das ganze noch in druckreife Gutachten gepresst werden.

Die offiziellen Ergebnisse werden dem Stern zeitgleich mit einer Pressekonferenz des Bundesarchivs am 6.Mai präsentiert. Um 11:00 erfährt sie der Stern, um 12:00 beginnt die Pressekonferenz des Bundesarchivs.

Es beginnt eine Krisenredaktionskonferenz. Henri Nannen stoppt sofort die Rotationsmaschinen in Itzehoe, 70.000 schon gedruckte Exemplare müssen zurückgerufen und eingestampft werden, er schickt auch eine Pressemeldung zu den Nachrichtenagenturen, dass die Tagebücher gefälscht sind, aber Innenminister Zimmermann war schneller. Der Bundesinnenminister bekam auch die Ergebnisse und nutzte die Gelegenheit dem „linken Kampfblatt“ eins auszuwischen. Um 13:27 ging die erste Meldung über die Agenturen.

Gleichzeitig hält das Bundesarchiv eine Presskonferenz in der es die Ergebnisse erläutert. Er endet mit dem Satz „Es ist eine recht simple Fälschung, Abschriften die ein phantasieloser, ja ich würde sagen, lustloser Fälscher in die Ich-Form umgebogen hat“. Tja was haben „Mein Kampf“ und „Die Hitlertagebücher“ gemein? Keiner hat sie jemals richtig gelesen ….

Im Stern löst die Nachricht eine Krise aus. Heidemann muss her. Der ist gerade in Bayern unterwegs, will bei einer alten Druckerei die für die SS gearbeitet hat, rausbekommen ob schon damals Blankophor verwendet wurde. Heidemann wird erreicht, soll zum Münchner Flughaven fahren, für ihn wird eine Chartermaschine geordert, damit er der Presse entkommt. Heidemann trifft um 20:00 im Verlagshaus ein. Inzwischen hat Henri Nannen einige Redeakteure beauftragt, die Sache zu untersuchen. Einer, Michael Seifert schreibt Jahre später darüber ein sehr empfehlenswertes Buch. Heidemann wird verhört, der kapiert zuerst gar nicht warum es geht und spielt zwei Telefonmitschnitte vor, die belegen sollen, das er Martin Bormann auf der Spur ist. Das „Verhör“ zieht sich über Stunden hin. Immer wieder wird Heidemann ermahnt das er alles vergessen soll was er von Fischer gehört hat, die ganze DDR Story wäre wohl erstunken und erlogen und er soll doch endlich dessen Identität preisgeben. Für Seufert ist nach einer Story von Heidemann klar das dieser lügt. Die Geschichte erzählte Heidemann schon vorher zweimal, um Verzögerungen bei den Lieferungen zu begründen. Demnach wäre er selbst in die DDR gefahren, hätte die Fenster bei sich und dem Beifahrersitz heruntergefahren. Nun hätte er ein Auto mit ebenfalls heruntergelassenen Fenstern überholt und das Geld während der Fahrt auf den Beifahrersitz geworfen. Danach hätte ihn das Auto überholt und auf dem gleichen Wege die Tagebücher hinüber geworfen. Für Seufert ist nun klar, das sie Heidemann belügt. Seufetrt kennt die B-5, die Transitstrecke zwischen Hamburg und Berlin durch die DDR. Er ist sie oft gefahren. Es ist eine alte Reichautobahn, nie seit der Fertigstellung vor dem zweiten Weltkrieg saniert. Auf ihr verkehrte sowjetisches Militär mit schweren Panzern. Die Strecke war in einem erbärmlichen Zustand, mit vielen Buckeln und Schlaglöchern. Niemand würde nach Seufert dort schneller als die DDR-Richtgeschwindigkeit von 100 km/h fahren und erst recht nicht die Hand vom Lenkrad nehmen um etwas durch das Fenster zu werfen. In der Tat ist die Geschichte auch eine freie Erfindung von Heidemann, der ja alle Bücher von Kujau bekam.

Es gibt von der Besprechung eine Abschrift weil ein Tonband mitläuft. Auf Seite 39 von 42 ist Heidemann so mürbe und übermüdet das er die Telefonnummer von Fischer nennt. Er hat zwar Kujau einmal in Ditzingen besucht, doch der ist mittlerweile umgezogen und seitdem trafen sie sich nie bei ihm zu Hause. Nun geht alles sehr schnell. Es ist 5 Uhr morgens. Über die Telefonauskunft wird ermittelt, das der Anschluss in Bietigheim-Bissingen verortet ist, einer Kreisstadt nahe Stuttgart mit damals etwa 35.000 Einwohnern. Um 7.00 wird der Stern-Reporter in Frankfurt, der am nächsten ist, beauftragt dorthin zu fahren und „Fischer“ zu suchen. Der findet das in drei Stunden heraus und meldet das der Mann Kujau heiße es sei niemand da, Nachbarn meinen Kujau und seine Lebensgefährtin wären in Urlaub gefahren. Der Briefträger meint Kujau bekäme auch Post die an einen Fischer adressiert sei. Mit der Information wird der Reporter in West-Berlin gefüttert, der in die DDR fahren soll und dort die Geschichte von einem Bruder im Generalsrang abklopfen soll. Der hat in einem Tag die Verwandten von Kujau ausfindig gemacht und es gibt keinen General oder sonst wie in einer DDR-Behörde angestellten unter Kujaus Verwandten. Innerhalb eines Tages hat der Stern die wahre Natur von Kujau herausgefunden und die Story, die Kujau Heidemann erzählt, als eine Lüge entlarvt, etwas was Heidemann nicht in zwei Jahren fertiggebracht hat. Am 7. Mai, einem Samstag ist offenkundig, das die gesamte Fundgeschichte erfunden und erlogen ist und Kujau die Bücher gefälscht hat oder den kennt, der sie gefälscht hat.

Am Montag dem 9.5.1983, Sonntags haben ja auch Gerichte zu, erstattet Henri Nannen Strafanzeige gegen Gerd Heidemann, der bekommt am nächsten Tag, dem 10. Mai 1983 mit Hinweis auf die Strafanzeige die schriftliche Kündigung. Die Nachricht geht natürlich über die Medien und so ist auch Konrad Kujau informiert als er sich am 14.5.1983 beim Grenzübertritt in Bregenz von Österreich nach Deutschland stellt. Der Prozess beginnt am 21.6.1984 und endet am 8.5.1985. Konrad Kujau ist voll geständig. Gerd Heidemann sieht sich auch im Prozess als Opfer. Noch Jahrzehnte später lamentiert er darüber, dass er seine Unschuld durch die Mitschnitte von Gesprächen und Telefonaten beweisen könne, aber man diese beim Gericht nicht als Beweis anerkannt habe, da ohne wissen von Kujau angefertigt. Kujau wird zu 4 Jahren 6 Monaten verurteilt, kommt wegen einer Erkrankung an Kehlkopfkrebs aber schon nach drei Jahren frei. Heidemann bekommt 4 Jahre 8 Monate. Zwei Monate mehr, denn es geht ja nicht um die Fälschung von Tagebüchern, sondern Unterschlagung und Betrug und Heidemann hat nach dem Gericht mehr Geld unterschlagen und das Vertrauensverhältnis des Verlags ausgenutzt um Geld abzuzweigen was der Richter in der Urteilsbegründung als strafverschärfend ansieht.

Morgen der vorletzte Teil über die Nachwehen.

Links / Referenzen zur Serie

Auf die Beschäftigung mit dem Thema kam ich durch die ZDF Dokumentation „Die Jahrhundertfälschung Hitlers Tagebücher“ von ZDFZeit 2013. Daraufhin kaufte ich mir drei Bücher, eines von Erich Kuby schmiss ich nach dem Lesen weniger Seiten mit grundlegender Imperialismuskritik im DDR Jargon wieder weg. Es fand sich dann auch nur ein DDR-Verlag für die Publikation. Dabei galt der Autor als kompetent und arbeitete für Spiegel und Stern. Die beiden anderen Bücher kann ich empfehlen. Zeitnah, etwas kürzer ist von Manfred Bissinger: Hitlers Sternstunde. Kujau, Heidemann und die Millionen. Es ist etwas detailverliebter, geht weiter in der Biographie von Kujau und man findet mehr Zahlen und Daten in dem Buch. Seine Schwäche ist die Gliederung nach Themenschwerpunkten, nicht der Chronologie. Zudem ist es ein typischer Schnellschuss, will den Hype um den Skandal ausnutzen. Es endet noch vor dem Urteil. Das zweite Buch Der Skandal um die Hitler-Tagebücher stammt von Michael Seufert, Ressortleiter beim Stern und von Henri Nannen beauftragt mit der internen Aufklärung des Skandals. Es ist umfangreicher, chronologisch gegliedert und mehr auf den Stern zentriert. Beide enden aber ziemlich genau nach dem Skandal und behandeln den Prozess eher stiefmütterlich. Ich kann beide empfehlen und würde auch heute wieder beide kaufen und sie erneut lesen. Warum? Ingrid Kolb, damals Stern Redeakteurin, gibt in der obigen ZDF Doku die Antwort. Sie wird von Bekannten nach dem Spielfilm „Schtonk!“ angesprochen und sagt dann immer „Es war noch irrealer“ und die Bücher sind wirklich Infotainment. Die Details sind so bizarr das das Lesen wirklich amüsant ist, sofern man nicht gerade Heidemann heißt. Über den Prozess informiert dieses PDF. Genaueres über die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung liefert das Bundesarchiv.

Es gibt zwei neuere Aufarbeitungen des Stern-Skandals. Der Stern selbst hat den 10-teilligen Audio Podcast „Faking Hitler“ herausgebracht, mit vielen Tonbandmitschnitten von Heidemann/Kujau sowie Interviews mit Heidemann, Walde und Sorge. Man erfährt aber sehr wenig über die Details, die Fehler in den Büchern und Kujau kommt in dem Podcast erheblich schlechter weg als Heidemann. Er gilt als der wahre Schuldige, von der Unterschlagung von Heidemann ist fast nicht im Podcast die Rede. Der Stern hält wohl noch immer zu ihm.

Reschke Fernsehen (ich kann auch die Sendung von Anja Reschke über die CSU empfehlen) hat sich nun erstmals mit dem Inhalt der Bücher befasst. Den kennt man, weil ja nach zwei Ausgaben die Stern-Reportage eingestellt wurde, bis heute nicht. Hinzugezogene Historiker beurteilen die Bücher heute als eine groß angelegte Holocaust Leugnung. Nun ist auch klar, warum die Tagebücher bis heute nicht öffentlich gemacht wurden, obwohl der Stern dies für 1993 ankündigte und seitdem mehrmals, aber nie ans Bundesarchiv abgaben. Das ist ein Skandal von Heute: Der Stern als Helfer von Holocaustleugner und Nazis, weil eben die Bücher niemals Historikern zugänglich gemacht wurden, weil man befürchtete der Inhalt wurde sonst publik werden. Die Bücher kann heute jeder einsehen und über Volltext-Recherche durchsuchen. Nicht zuletzt gibt es noch die Sicht von Gerd Heidemann selbst. Er hat mittlerweile eine eigene Website, aber die ist extrem umfangreich und leider voller Papierscans, ohne das eine OCR darüber ging.

 

One thought on “Die Hitler Tagebücher – Teil 8: Die Bombe platzt

  1. „Innerhalb eines Tages hat der Stern die wahre Natur von Kujau herausgefunden und die Story, die Kujau Heidemann erzählt, als eine Lüge entlarvt, etwas was Heidemann nicht in zwei Jahren fertiggebracht hat.“

    Also DAS tut wirklich weh.

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