Fehler

Als ich vor zwei Tagen den Link zu Matthias Gründers Buch SOS im All einfügte, fiel mein Blick auch auf die Kritik die nur einen Stern hatten. In beidem monieren die Autoren fehlende Sachkenntnis. Nun ja fünf Sterne würde ich dem Buch auch nicht geben, aber mehr als einen bestimmt. Die Frage ist: Kann man ein fehlerfreies Buch schreiben, oder wahlweise einen fehlerfreien Web-Aufsatz. Und was sind Fehler?

Fangen wir mal mit der ersten Frage an: Ich meine nicht das es von einem einzelnen möglich ein größeres Dokument fehlerfrei zu erstellen. Selbst in Lexika mit größeren Redaktionen, in denen Beiträge später nochmals gesichtet werden finden sich welche, wie schon die ct vor Jahren mal beim Vergleich von verschiedenen Online Enzyklopädien feststellte. Bei einem größeren Buch ist es noch schwieriger. Es ist ja nun mal nicht so, dass man jeden Satz den man schreibt nachrecheriert. Sonst würde man selbst für kurze Dokumente Ewigkeiten brauchen. Vieles schreibt man aus dem Gedächtnis, weil man meint so wäre es richtig oder man greift auf eigene Unterlagen und Zusammenfassungen zurück. Das eigene Gedächtnis kann aber trügen und nicht jeder kann wie Gene Kranz auf Mitschnitte alles Gesagten in Mission Control zurückgreifen um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Ich glaube gegen solche Fehler ist man fast machtlos, weil man sie selbst nicht bemerkt. Da kann man nur hoffen, dass man gute Korrekturleser oder Lektoren hat. Bei einigen Dingen, wie z.B. Zahlenangaben / technische Werte ist zumindest es recht einfach sie nachzuprüfen. Bei Umschreibungen oder Beschreibungen ist das sehr viel schwieriger.

Das zweite sind eine Fehlerklasse die man schwer eingrenzen kann und die auch die Autoren der Kritiken wohl im Visier hatten: Falsche Vereinfachungen und laxe Ausdrucksweisen. Die schleichen sich ein, wenn man versucht technische Dinge zu vereinfachen. In diesem Falle begibt man sich leicht auf dünnes Eis. Meine Meinung ist: besser umfassend umschreiben und notfalls einen Absatz mit Erklärungen über das System einfügen anstatt zu vereinfachen.

Die dritte Fehlerklasse, die ich persönlich unverzeihlich finde, ist das Vermischen von Tatsachen mit einer persönlichen Bewertung. Ein Sachbuch sollte die Tatsachen darstellen. Natürlich geht das nicht ohne sie zu bewerten. Das kann man machen indem man sofern vorhanden die Urteile von Untersuchungsberichten zitiert oder zeitgenössische Dokumente. Man kann das auch selbst in einem eigenen Abschnitt tun und kennzeichnen. Bei SOS im All ist das ganze mit dem ganzen Text durchwebt.

Aber komme ich mal zum Buch zurück. Was mich in der Erinnerung mehr störte, ist das es recht unsystematisch ist. Die Kapitel sind nicht sauber getrennt und es gibt ab und zu dann wieder Rückgriffe auf vergangenes. Ich habe dann aber mal wieder in das Buch reingeschaut und muss in der Retroperspektive den Kritikern recht geben. Also das schreibt Gründer zu Gemini 8:

Doch schon kurz nach der ersten Verbindung zweier Satelliten in der Erdumlaufbahn fiel durch einen Kurzschluß das Kontrollsystem einer Steuerdüse aus, und beide Objekte begannen heftig zu rollen, zu schlingern und zu pendeln. Zudem überschlugen sie sich sechsmal pro Minute. Obwohl es Armstrong gelang, in der sechsten Erdumkreisung das ausgefallene System wieder in Gang zu setzen, befahl Houston den Abbruch der Mission und die schnellstmögliche Notlandung, die trotz der widrigen Umstände als eine der genauesten der US-Raumfahrtgeschichte registriert wurde.

Außer einer lapidaren Erklärung, daß der Zwischenfall eine »wirklich sehr ernste Angelegenheit« gewesen sei und die Astronauten einer sehr großen Gefahr ausgesetzt gewesen waren, hielt sich die NASA zunächst bedeckt.

Äh, das ist dann doch schon ziemlich stark vereinfacht und dadurch sehr falsch. Ich schreibe mal, was ich zum gleichen Ereignis in meinem Buch Das Gemini Programm: Technik und Geschichte geschrieben habe:

Anders als bei Gemini 6 gelang der Start des GATV 8 am selben Tag. Nach sieben Stunden, in der vierten Erdumrundung, hatte sich die Gemini 8 aus ihrem 160 × 272 km hohen Orbit dem GATV 8 genähert und koppelte an. Die radargesteuerte Annäherung und das Ankoppeln gelangen problemlos. Die Flugkontrolle übermittelte vom Boden aus die Kommandosequenz für das Anheben des Orbits zur Agena. Allerdings erhielt die Flugkontrolle lediglich eine Bestätigung des korrekten Empfangs; ein Auslesen des Computerspeichers war vom Boden aus nicht möglich.

27 Minuten nach dem Ankoppeln begann die Kombination immer rascher zu rotieren und erreichte sechs Umdrehungen pro Minute. Da schon der Start der letzten Agena scheiterte und die Astronauten ihr nicht trauten, schalteten Scott und Armstrong zuerst abwechselnd die Agena an und ab (Codes 401 und 400) wie von der Bodenstation für den Fall einer Fehlfunktion vor dem Ankoppeln geraten. Die Gemini Kapsel war während dieser kritischen Phase praktisch auf sich alleine gestellt, da sie nur während etwa 5 Minuten pro Umlauf Funkkontakt zum Boden hatten. Dieser wurde über ein Schiff mit Empfangsantennen hergestellt.

Die Rotation war aber nicht zu stoppen und wurde sogar schneller. Armstrong koppelte ab, weil er den Fehler in der Agena vermutete. Es war jedoch die Gemini Kapsel, bei der eine Düse alle 3 s feuerte. Sie reagierte völlig unberechenbar, unabhängig von den Kommandos, schaltete sich laufend an und aus.

Als Folge wurde durch die verringerte Masse die Rotation noch stärker und erreichte eine Umdrehung pro Sekunde; nahe an der Grenze, bei der die Astronauten bewusstlos geworden wären. Zusätzlich taumelte die Kapsel durch den veränderten Schwerpunkt nun auch noch. Das Gesichtsfeld der Astronauten schränkte sich bereits ein („Tunnelblick“); ein Symptom, das kurz vor der Bewusstlosigkeit auftritt. Es blieb ihnen nur noch eine Wahl: Auf das RCS-System in der Kapsel umzuschalten und das Steuerungssystem der Ausrüstungseinheit völlig von der Stromzufuhr zu trennen. Armstrong tat dies und konnte so die Rotation in der sechsten Erdumkreisung stoppen. Dadurch hatte Armstrong jedoch 75 Prozent des vorhandenen RCS Treibstoffs verbraucht. War das Wiedereintrittssystem einmal in Betrieb genommen, so sahen auch die Anweisungen vor, so rasch wie möglich zu landen. Denn hätten Sie keinen Treibstoff mehr, so wäre die Kapsel nicht ausrichtbar vor der Zündung der Retroraketen und auch danach nicht mehr steuerbar. Das MCC leitete für den nächsten Orbit eine Notlandung ein und die Mission war nach nur 11 Stunden beendet.

Die Bergung der Kapsel, die in der Nähe von Okinawa niederging, 10.000 km vom primären Zielgebiet im Atlantik entfernt, war wegen eines Wellengangs von 6 m Höhe ebenfalls problematisch. Es dauerte drei Stunden, bis der Zerstörer Leonhard Mason mit Maximalgeschwindigkeit Gemini 8 erreicht hatte und die Besatzung geborgen wurde. Die Punktlandung, erstmals vom Bordcomputer mitgesteuert nur 2 km vom errechneten Zielpunkt entfernt war die wohl beste Nachricht zur Mission.

[…]

Ursache für die dauernd feuernde Steuerdüse war ein Kurzschluss im elektrischen System der Steuerdüsen. Dadurch bekam eine Düse sporadisch Strom und feuerte. Bei den nächsten Kapseln baute McDonnell als Folge zahlreiche Sicherungssysteme ein, die elektrisch betätigte Systeme stromlos machten, falls ein Kurzschluss aufgetreten wäre.

Also die Darstellung ist nicht sehr kurz, sondern auch falsch. Es gelang ja nicht das System wieder in Gang zu setzen, sondern es wurde abgeschaltet und die Rotation mit dem RCS System der Kapsel anstatt des Servicemoduls zu stoppen. Es gab auch in dem Sinn kein „Kontrollsystem“ sondern eine direkte Verdrahtung. Schalter um in der Konsole – Strom an, Schalter aus – Strom weg. Ich habe dann ein paar Seiten weiter gelesen – und wenn man dann den Äußerungen über die folgenden Missionen glaubt, dann war beinahe jede Gemini Mission eine Panne. Das ist dann schon eher ein Problem. Denn wenn wirkliche Abbrüche genauso viel Platz eingeräumt bekommen wie Missionen die an sich erfolgreich waren, aber bei der eben nicht alles 100% funktioniert, dann geht der eigentliche Sinn des Buches über Katastrophen der bemannten Raumfahrt zu berichten verloren. Dann geht es eher darum das der Autor einem seine Meinung aufs Auge drücken will. (Es fehlen übrigens zwei komplette Shuttle Flüge die vorzeitig abgebrochen wurden weil es technische Defekte an Bord gab – vollständig ist es also auch nicht). So gesehen kann ich die 1-Sterne Beurteilung verstehen. Wenn man streng ist, kann man die vielen Fehler nicht ignorieren und dann taugt es auch nicht als Einstieg um bei weiteren Büchern (von anderen Autoren) ins Detail zu gehen. Auf der anderen Seite, wenn man ein gut geschriebenes Erzählbuch sucht und einen technische Details nicht interessieren und man konform mit der persönlichen Meinung des Autors geht, dann kommt man leicht zu den 5 Sternen und teuer ist es auch nicht – Genauigkeit und Arbeitsaufwand drücken sich eben auch im Preis aus. Die Beurteilung hat also viel von den Erwartungen und dem Vorwissen der Leser zu tun.

Die Frage ist nun: Was erwartet ihr von Sach/Fachbüchern? Wo gab es üble oder vielleicht gute Überraschungen? Kam es auch mal vor, dass ihr ein Buch ganz toll fandet und als ihr mehr über das Thema wusstest ihr den Kopf über Fehler geschüttelt habt, die ihr danach erst gesehen habt?

Ansonsten drücken wir Rosetta alle Daumen beim heutigen Vorbeiflug am Asteroiden Lutetia und dass die Kamera diesmal nicht vorzeitig abschaltet….

One thought on “Fehler

  1. Auch wenn der Autor heute für die Flugrevue schreibt, so gehört er zu den Ex – DDR Autoren, die vor 20 Jahren (und auch danach) nichts anderes zu tun hatten als die russische Raumfahrt in den Himmel zu heben und die amerikanische Raumfahrt niederzumachen. Daher sehe ich diesen Autor (als Ex – DDR Bürger, der sich auch vor der Wende schon für die US Raumfahrt interessiert hat) zwar als durchaus kompetent, allerdings auch als lange zeit idiologisch verblendet an und gebe nicht viel auf seine Meinung.

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