Wie kommt JUICE zu Jupiter

Die nächste ESA „Cornerstone“ Mission ist JUICE, eine Raumsonde die über mindestens drei Jahre Vorbeiflüge an Europa, Ganymed und Kallisto machen soll und schließlich in einen Orbit um Ganymed einschwenken soll. Noch gibt es wenig über die Raumsonde, sie scheint nach der Abbildung mit Solarzellen zu arbeiten, was inzwischen ja möglich ist – leichtgewichtige und für den Betrieb bei Jupiter qualifizierte Solarzellen gibt es ja. Die Kosten betragen 850 Millionen Euro – teurer als eine Mars oder Venussonde, aber immer noch billiger als Exomars.

Mit schuld daran ist dass man zum Start eine Ariane 5 braucht – das verwundert nicht, denn auch Juno benötigte die leistungsstärkste Atlas Version, Cassini die Titan 4B und Galileo wäre sogar auf die Shuttle Centaur G Prime angewiesen gewesen.

Zeit also wieder für einen Grundlagenartikel. Ich will die Mission dieser Raumsonde mal aufgreifen um zu zeigen wie JUICE zum Jupiter kommen kann. Es gibt da einige Möglichkeiten.

Möglichkeit 1: direkter Start mit einer Ariane 5

Wer die ungefähren Leistungsdaten der ESC-B kennt (sie ist noch nicht fertig, aber es gibt schon einige Eckdaten), der kann erahnen, dass es mit der ESC-B alleine nicht geht. Um zum Jupiter direkt zu kommen benötigt man mindestens 14,1 km/s relativ zur Erdoberfläche. Da die Bahn von Erde und Jupiter geneigt und elliptisch sind, kann der Wert auf bis zu 14,5 km/s ansteigen, nimmt man 14,3 km/s als Mittel, so sind dies 4 km/s mehr als in einen GTO Orbit. Schon bei 1,2 km/s mehr (zum Mars) halbiert sich aber die Nutzlast. Nimmt man eine Trockenmasse der ESC-B von 5 t an (sie ist mit 6-6,25 t angegeben, aber wie bei der ESC-A wird dies wahrscheinlich mit dem Stufenadapter sein) so kann sie nur rund  344 kg auf diese Geschwindigkeit beschleunigen. Es können noch ein paar Kilo mehr sein wenn man irgendwo Gewicht einspart (z.B. wiegt alleine die VEB 950 kg), aber es ist nicht gerade viel.

Das hohe Trockengewicht ist der Schlüssel. Es muss reduziert werden. Die effizienteste Möglichkeit ist es eine neue Stufe einzuführen. Sowohl Juno wie auch New Horizons nutzen beim Start eine zusätzliche Star 48 Oberstufe von etwa 2 t Start- aber nur 232 kg Trockenmasse. Leider gibt es in Europa keine Oberstufe in der passenden Größe. Am ehesten geeignet wäre der Zefiro 9A Antrieb. Er würde die Nutzlast auf beachtliche 1847 kg anheben. Allerdings nur wenn die VEB auf der ESC-B bleibt. Doch das ist kein Problem, denn zusammen wiegt das Gespann nun 13.300 kg. Damit verlässt es die Erde nicht, sondern erreicht eine elliptische Erdumlaufbahn. Es gibt also genügend Zeit in dieser JUICE in Betrieb zu nehmen und die Raumsonde kann dann die Zündung des Zefiro 9 direkt veranlassen und mit ihren Steuertriebwerken den Betrieb stabilisieren.

Eine zweite Möglichkeit wäre es die Fregat Oberstufe der Sojus auf der Ariane 5 einzusetzen. Sie hat ihre eigene Steuerung. Sie würde 1891 kg zum Jupiter bringen. Es wäre dann eine direkte Bahn oder erst eine Parkbahn um die Erde möglich (da die Gesamtnutzlast für ESC-B mit 8,45 t immer noch zu klein für eine Fluchtbahn ist).

Möglichkeit 2: Fly Bys

Das JUICE direkt zu Jupiter gebracht wird ist eher unwahrscheinlich, denn die Sonde soll 2022 starten, aber den Jupiter erst 2030 erreichen. Auf einer direkten Bahn erreicht man Jupiter aber nach spätestens zweieinviertel Jahren. Wahrscheinlicher sind daher Fly-Bys an den Planeten. Es gibt hier sehr viele Möglichkeiten.

1: Mars Fly-By. Der Mars liegt auf dem Weg zum Jupiter. Wenn er an der richtigen Position ist, was alle drei Jahre der Fall ist, dann kann man Geschwindigkeit sparen. Das war für den ursprünglichen Starttermin von Galileo 1982 vorgesehen. Allerdings ist der Mars recht klein. Je nach Anfluggeometrie und Abstand kann er eine Raumsonde um maximal 1 km/s beschleunigen. Rosetta z.B. um 800 m/s. Immerhin: bei der Ariane 5 -Fregat würden nur 800 m/s weniger schon die Nutzlast auf 2.465 kg erhöhen, das ist dann schon schwerer als Galileo.

2: Erde/Venus Fly By. Oder wie es neudeutsch heißt VEGA, VVEGA oder VEEGA. Ein V oder E steht jeweils Venus oder Erde. Die Idee: die nötige Geschwindigkeit erhält man durch Vorbeiflüge n diesen beiden erdähnlichen Planeten. Galileo flog eine VEEGA Passage (zweimal Venus, einmal Erde), Cassini eine VVEGA (zwei Venus Vorbeiflüge, ein Erdvorbeiflug), Juno einen Erdvorbeiflug (EGA) und Rosetta eine EMEGA (Erde, Mars, Erde).

Ein Vorbeiflug an der Erde oder Venus kann eine Raumsonde um 3-4 km/s beschleunigen. Allerdings nun bezogen auf die solare Geschwindigkeit. Beim Start profitiert die Sonde vom Start aus einem Potentialtopf, sodass sie nur 3,3 km/s mehr als die Fluchtgeschwindigkeit aufwenden muss, während die solare Geschwindigkeitsdifferenz zu Jupiter eigentlich 8,7 km/s beträgt.

Die Berechnung der Bahnen ist komplex und sie sind nur möglich weil die Raumsonden eigene Treibstoffvorräte haben, mit denen sie zwischen den Vorbeiflügen die Bahnen anpassen können, sonst wären sie zu lange unterwegs. Ein Erdvorbeiflug würde schon die Startgeschwindigkeit auf 12,2 km/s senken. Ideal wäre eine Bahn die bis auf 340 Millionen km von der Erde wegführt. Sie führt dazu, dass die Sonde nach zwei Jahren die Erde erneut passiert. Die Raumsonde müsste dann von der erde um 3,64 km/s beschleunigt werden, was möglich ist (eventuell unterstützt durch eine Zündung des Triebwerks beim Vorbeiflug.

Möglichkeit 3: Ionentriebwerke

Die Raumsonde wird ihren Strom durch Solararrays decken. Da beim Jupiter die Leistung nur noch ein 27-stel dessen bei der Erde beträgt hat man beim Start enorm viel überflüssige Leistung. Man kann diese nutzen um mit einem Ionenantrieb die Bahn aktiv zu ändern. Wenn JUICE bei Jupiter noch 400 Watt Leistung hat, 1.800 kg ohne Ionentriebwerke wiegt, so wird die Sonde beim Start 2.900 kg schwer sein und knapp 1.400 Tage lang ihre Ionentriebwerke betreiben müssen. Bei höherer Leistung und Reserven für Strahlungsschäden kann es sogar noch schneller gehen.

Möglichkeit 4: Kombinationen

Man kann dies natürlich auch kombinieren. So kann eine Ariane 5 ohne zusätzliche Oberstufe eine rund 3-4 t schwere Sonde schon mal auf eine Bahn jenseits des Mars schicken. Mit den Ionentriebwerken wird diese ausgeweitet und die Kurskorrekturen zurück zur Erde durchgeführt die dann noch einen Schubs gibt.

Auffällig ist, dass die Raumsonde doch sehr lange unterwegs ist – 8 Jahre bis Jupiter ist schon sehr lange. Galileo brauchte sechseinhalb Jahre und Cassini nur  vier Jahre. Da werden sicher einige Extrarunden gedreht. JUICE wird, soweit ich dies finden konnte eine EVEEGA Bahn einschlagen (drei Erd- und einen Venusvorbeiflug) und chemischen Treibstoff einsetzen. Die Trockenmasse soll 1.650 kg betragen, es soll aber relativ viel Treibstoff mitgeführt werden,

Ach ja einen Tipp hätte ich noch für die ESA. Da nun erwogen wird für die „Ariane 6“ das Prinzip des geographischen Rückflusses zu lockern – warum fang ihr nicht schon bei der ESC-B damit an? Mein Vorschlag: Nehmt die Delta V Oberstufe in der 5 m Version und baut das Vinci dort ein. Die Treibstoffmenge ist fast dieselbe (27,2 zu 27,5 t) nur wiegt diese leer 3.490 kg anstatt 6.000 bis 6.250 kg. Selbst wenn man das um 200 kg höhere Triebwerksgewicht berücksichtigt und noch eine VEB drauf montiert steigert dies die Nutzlast auf 13,6 anstatt 11,5 t wie dies bei der ESC-B geplant ist und noch schlimmer: die gesamte Delta IV Entwicklung war preiswerter als der Kostenvoranschlag von EADS für die ESC-B Oberstufe…

One thought on “Wie kommt JUICE zu Jupiter

  1. Es ist schon erstaunlich, wie ein Ionentriebwerk die Anforderungen an die Rakete in diesem Beispiel reduziert…

    Trotzdem haben sich die Macher zu recht gegen einen Ionenantrieb entschieden. Bei der ESA gibt es nämlich jede Menge Details zur Mission; sie stecken in einem großen PDF mit dem Namen: „JUICE Yellow Book Draft“. Der Satellit wiegt leer ca. 1800 kg, mit Stufenadapter, fast 3 t Treibstoff und Reserve für in der Planung vergessene zusätzlich notwendige Massen kommt man schon hart ran an das Limit von knapp 5 t, die die aktuelle Ariane 5 (ECS A) auf eine Fluchtbahn mit 3,15 km/s im „unendlichen“ (bezogen auf die Erde) „wuppen“ kann. Deswegen auch die komplexe EVEE-Bahn für den Flug zum Jupiter.

    Für „Jupiter Orbit Insertion“ wird übrigens ein Delta-V von 900 m/s benötigt. 300 m/s spart man dabei per Ganymed Gravity Assist.

    Vor dem Hintergrund der genannten Daten verstehe ich, dass man den „Trip“ konventionell durchführt, also mit chemischen Antrieben und zahlreichen Swing-Bys. An der Satellitenmasse von knapp 5 t ändert sich ja im Falle eines Ionenantriebs nichts: Der hilft beim Jupiter nicht mehr weiter, da man nicht genügend Strom hat. Im Gegenteil, er wäre dort sogar hinderlicher Ballast für die ganzen geplanten Orbit-Änderungen. Also bräuchte man ein seperates Ionenantriebsmodul, das kurz vor dem Ziel dann abgeworfen wird. Besonders pikant ist dabei, dass eine Starkstromverbindung (geeignet für ca. 20 Kilowatt, entsprechend der Leistung eines Durchlauferhitzers) beim Abwurf getrennt werden muss. Ich weiß nicht, ob es für so was schon Vorbild-Missionen gibt.

    Mit allem drum und dran, also Struktur, Triebwerken und Treibstoff, dürfte die Ionenantriebs-Stufe knapp 2 Tonnen wiegen. Zusammen also 7 Tonnen, und damit zu viel, um einen „halben“ GTO-Start der Ariane 5 zu buchen. Mit der Sojus würde man die 7 Tonnen natürlich problemlos ins LEO starten können, aber die ist auch nicht so viel billiger als die Ariane 5. Und von den gesparten Kosten muss man die Entwicklungs- und Validierungskosten für die Ionenantriebs-Stufe wieder abziehen. Ob man mit Ionenantrieb am Ende überhaupt was spart, ist also sehr fraglich.

    Kai

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