Wie rekonstruiere ich Raketen von denen ich nur wenige Werte habe?

Der eine oder andere hat ja vielleicht wie ich die Intension von unbekannten Trägern ein Datenblatt zu erstellen, selbst wenn es nur wenige Daten darüber gibt. Ich will heute mal meine Methode vorstellen die ich schon in den Achtzigern genutzt habe um sowjetische Träger zu beschreiben, von denen damals kaum Daten bekannt waren. Man braucht dazu eigentlich nur drei Dinge:

  • Eine Datenbasis von möglichst vielen Trägern und Stufen
  • Etwas Ahnung von Physik (es reicht die Ziolkowskigleichung)
  • Etwas Erfahrung

Ich will heute mal zeigen wie man von wenigen Daten ausgehend die Daten der von dem Raptor Triebwerk angetriebenen Träger. Von diesem meist MCT genannten Träger (es gibt noch keinen offiziellen Namen von SpaceX) gibt es nur folgende Daten:

  • Durchmesser der ersten Stufe 10 m
  • Neun Raptor-Triebwerke in der ersten Stufe
  • Ein Raptor Triebwerk hat einen Schub von 1000 klbf und einen spezifischen Impuls von 321 am Boden und 363 im Vakuum (in s).

Nicht viel oder? Trotzdem kann man damit arbeiten. Fangen wir an mit der Masse der Rakete an.

Heute starten Träger mit rund 1,25 g als Beschleunigung. Die Falcon 9 z.B. hat einen Startschub von 5884 kN und wiegt 505 t, dass sind 11,65 m/s oder 1.19 g. Nehmen wir dieselbe Größe für die MCT an, so kann man auf Basis des Schubs von 9 Triebwerken deren Masse zu 3460 t beim Start bestimmen. Wenn die Schubangabe von 4448 kN pro Triebwerk dem Vakuumschub entspricht so ist es weniger, dann wären es 3060 t.

Wie sieht es nun bei erster und zweiter Stufe aus? Hier greift man auf eine Regel zurück: Man erhält im Verhältnis zum Startgewicht die höchste Nutzlast, wenn gilt

Masse erste Stufe / Zweite Stufe = Masse zweite Stufe / Nutzlast

Das gilt für Stufen mit gleichen Treibstoffen und gleichem spezifischen Impuls. Da die Oberstufen meist etwas bessere Leistungen haben, sind sie meist etwas größer als nach der Regel. Da als Nutzlast oft 150 t genannt werden, kann man so die Massen der Stufen im Verhältnis von 1 zu 3,93 setzen.

Die erste Stufe hätte so eine Startmasse von 2320,5 t die zweite eine von 589,5 t.

Wie hoch ist die Leermasse? Hier greift man auf Erfahrungswerte zurück. LOX/Methan steht im Volumen zwischen dem des sehr kompakten LOX/Kerosin und dem sehr voluminösen LOX/LH2. Für ersteres schafft SpaceX Voll/Leermasseverhältnisse von 30. Bei LOX/LH2 hätte die Ares V Erststufe eines von 11,2 zu 1 erreicht, Nimmt man das arithmetische Mittel so ist man bei 20,6 zu 1 oder 112,6 bzw.28,6 t. Da die Oberstufe schubschwächer sein kann hat sie die Möglichkeit noch etwas leichter zu werden, doch das liegt im Bereich von etwa 3 t.

Als Test kann man für die erste Stufe noch die Tanklänge berechnen. Bei LOX/Methan = 3,2 ergibt sich ein Volumen von 2728 m³, das sind bei 10 m Durchmesser eine Länge von 34,7 m – ein plausibler wert.

Erste Prognose wäre also folgendes Datenblatt:

Rakete: MCT

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
3060000 150000 0 7802 1285
Stufe Anzahl Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez.Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 1 2320500 112600 3150
2 1 589500 28600 3561

Die Verluste sind relativ niedrig, das liegt daran dass ich bei der ersten Stufe den niedrigen Bodenimpuls genommen habe, beim Vakuumimpuls kommt man auf eher übliche 1810 m/s. (die Falcon 9/Heavy liegen bei 1600 bis 1700 m/s). Die Annahme der Nutzlast scheint also plausibel. Man kann nun dies in einer Simulation noch etwas optimieren und kommt bei unveränderten Strukturwerten und spezifischen Impulsen folgenden Träger:

 

Vollmasse Leermasse spez. Impuls Geschwindigkeit
2118350,0 102832,5 3150,0 3385,2
790429,1 38370,3 3561,0 5702,0

Gesamtstartmasse: 3060373,2 kg

Nutzlast: 151594,1 kg = 5,2 Prozent der Startmasse

Die „Pi mal Daumen Lösung ist also nur um weniger als 2 t, sind nur 1,3% weniger Nutzlast schlechter. Setzt man für die Erststufe den höheren Vakuumimpuls an, so erhält man eine Lösung die dem „Pi mal Daumen“ Ansatz schon sehr nahe ist:

 

Vollmasse Leermasse spez. Impuls Geschwindigkeit
2383500,0 115703,9 3561,0 4812,1
526682,1 25567,1 3561,0 4807,1

Gesamtstartmasse: 3060016,8

Nutzlast: 149834,6 = 5,1 Prozent der Startmasse. Zum Mars würde die MCT in dieser Form nur etwa 30 t transportieren. Für den 100 t schweren Transporter müsste sie also noch um einiges Größer sein, vielleicht in der Art wie die Falcon Heavy mit drei Boostern als Erststufe. Diese hätte schon ohne Crosseffeding 81 t Nutzlast für einen Marskurs, mit Crossfeeding, der in diesem falle der Einführung einer neuen Stufe entspricht käme man dann wahrscheinlich auf die 100 t. (nicht durchgerechnet)

Rakete: MCT 3 Booster

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Verkleidung
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
7633373 82373 0 11500 1285
Stufe Anzahl Name Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez.Impuls (Vakuum)
[m/s]
1 1 6961500 337800 3150
2 1 589500 28600 3561

Was ist der Haken? Es ist die Lösung mit der höchsten Nutzlast. Das muss aber nicht die umgesetzte sein. Technische Randbedingungen können abweichende Konstruktionen nötig machen. Dazu ein Beispiel: Bei einer zweistufigen Rakete wäre für die zweite Stufe ein Schub von 80% des Restgewichtes ideal, das wären bei 678 bis 848 t Masse bei der Zündung etwa 5424 bis 6784 kN. Wenn man nun nur ein Raptor Triebwerk in der zweiten Stufe einsetzen will, so würde man wohl diese eher etwas verkleinern und die erste vergrößern, auch wenn das Nutzlast kostet.

10 thoughts on “Wie rekonstruiere ich Raketen von denen ich nur wenige Werte habe?

  1. Moin Bernd,
    sieht fast schon gut aus, allerdings soll der Vakuumschub der zweiten Stufe 380s betragen, das wären dann 3728m/s. Der Impuls wird wohl mit Boostern für die erste Stufe wohl im schnitt auch viel dichter bei den 3560m/s dran liegen, weil die Zentralstufe nur vielleicht für 60s mit allen Triebwerken laufen soll. Ich hab mir das Program RPA in der Lite Edition installiert und gesehen das der Impuls recht schnell mit der Höhe ansteigt. Trifft deine Aussage über die Anzahl der Triebwerke auch mit Boostern zu, wenn die Geschwindigkeit bei der Stufentrennung schon dichter an den 7,8km/s liegt die für LEO benötigt werden?
    Den hängt doch auch irgendwie mit der Höhe der Rakete zusammen wo die erste Hauptstufe abgetrennt wird?
    Was ich mich auch schon gefragt habe, was es ausmachen würde einen Startplatz nicht nur dicht beim Äquator, sondern auch im Hochgebirge, z.B. in den Anden auf 5000müNN zu haben?
    Derzeit bin ich noch nicht in der Lage sowas durchzurechnen.

  2. Raptor Triebwerk mit 321s und einen sehr hohen Schub ist schon eine ausgezeichnete Leistung, russische Ingenieure haben selbst gestaunt. Der ISP ist etwas kleiner als bei RD-0162, aber deutlich besser (um 21s) als bei RD-0164. Auch der Raptor hat das russische Schema, englische Bezeichnung als Full flow staged combustion, ist der heilige Gral bei den Raketentriebwerken. Ja, Mask ist sehr schnell bei der Entwiclung.

    Meine Frage, kann Mask die Parameter des Raptors halten? Er wolle keine Zusammenarbeit mit Russland in Methantechnologie, so war seine Aussage.

  3. Vor allem haben die USA nur ein staged combustion Triebwerk gebaut das RS-25 und das arbeitet mit einem anderen Prinzip als LOX/Kerosintriebwerke. Bisher hat SpaceX nur vorhandene Technologie eingesetzt, mit dem raptor würden sie was neues entwickeln. Man kann gespannt sein.

    Vielleicht isst es auch kein Zufall, das SpaceX mit dem Prozess gegen ULA die Frage nach einem US-Triebwerk als Ersatz angestoßen haben. Mit 4400 kN und fast derselben Treibstoffmischung wäre das Raptor ein Ersatz, wenn man Methan durch RP-1 ersetzt und so etwas Schub verliert käme man sogar genau hin.

  4. Eine sehr gute Option.
    So ein Triebwerk nach neusten Technologien entwickelt, eine Brennkammer (wozu auch zwei ?), ist auch leichter, kann somit etwas mehr Nutzlast befördern, wäre besser als der russische.

  5. Hallo Bernd,

    ich weis nicht wo ich die Frage am besten stelle, deshalb schreib ichs mal hier hin.

    Aus aktuellem Anlass, jetzt ist da das SpaceX Methan Raptortriebwerk im Gespräch für einen Ersatz des RD-180 bei der Atlas V im Gespräch.

    Über die Sinnhaftigkeit möchte ich jetzt gar keinen Streit entbrennen, ebenso wenig wann Raptor tatsächlich einsatzbereit wäre (Ich persönlich denke die USA sollten entweder selbst ein dem RD-180 vergleichbares Hauptstrom-Kerosintriebwerk entwickeln und ohne große Änderungen an der Atlas einsetzen, könnte auch hilfreich sein für die Flüssigbooster des SLS, Pläne dafür gibts ja in der Schublade, oder die Atlas ansonsten gleich einstellen).

    Das Raptor könnte also in der Atlas V Erstufe eingesetzt werden. dazu müsste diese aber natürlich so gut wie neu konstruiert werden und würde größer werden.

    Feststoffbooster sollen wie bisher eingesetzt werden können.

    Damit man nicht mit LH2, Methan und LOX gleichzeitig drei kryogene Stoffe händeln muss mit entsprechendem Aufwand im Groundsupport liegt der Gedanke nahe dann auch gleich die Centaur auf Methan umzustellen. Das RL-10 wurde ja schon in den 60ern mit Methan getestet, das sollte also klappen. Die Centaurstufe selber müsste wohl nur minimal umgeändert werden da Methan ja eine höhere Dichte hat und somit bei gleicher (oder minmal größeren) Größe im Endeffekt den selben Gesamtimpuls liefern würde.

    Wie also müsste eine Atlas (VI) mit Raptor-Methan-Erstufe und Methan-RL10-Cenatur und die üblichen Feststoffbooster aussehen bzw. was müsste zur bisherigen Atlas geändert werden um vergleichbare Nutzlasten zu transportieren?

    Wie gesagt, Sinnhaftigkeit und Kosten da jetzt mal nicht berücksichtigt da sich vorallem die Kosten ja jetzt kaum abschätzen liessen. Geht man nach Kosten und Sinn dann stellt man Atlas sowieso ein und setzt auf Delta IV als Zurgpferd und lässt erstmal nur für „verschmerzbare“ Nutzlasten die Falcon 9 mitmischen bis diese eine genügende Zuverlässigkeit durch erfolgreiche Starts erwiesen hat.

    Vielleicht hast du ja mal Lust und Zeit etwas zu rechnen, wenn nicht ist es auch nicht schlimm 🙂

    Achja, in dem anderen langen Kommentarfaden hab ich mittlerweile etwas den Überblick verloren, aber zu der ganzen Kritik – mach dein Ding so wie du es für richtig hälst, das ist dein Blog, deine Webseite und deine Meinung, es ist wichtig wenn man im Internet Themen von verschiedenen Blickpunkten aus betrachtet sieht und vorallem so das sie nachvollziehbar, nachrecherchierbar und nachrechenbar sind. Und auch die vielen Aufsätze und Datenblätter in deiner Webseite die du mühsam zusammengetragen hast sind unheimlich wertvoll, ich hoffe du machst so trotz Kritik weiter 🙂

    Auch wenn ich deine Kritik und dementsprechend formulierte Beiträge vorallem wegen der Informationspolitik einer bestimmten Firma verstehe, manchmal, falls bei denen etwas klappt oder zumindest gute Ideen wie 3D-Druck oder das LAS präsentiert werden, wäre ein Lob oder zumindest ein positiver Kommentar auch nicht fehl am Platze – aber das ist nur meine persönliche eigene Meinung 😉

    Gruß, Gerry

  6. Hallo Gerry, ich bin zwar nicht Bernd, aber wenn du selber nachrechnen möchtest, kann ich dir einige Berechnungstabellen schicken, die ich für ähnliche Probleme mal selbst angefertigt habe.
    Viele Grüße
    Niels

  7. Toller Artikel, alles verständlich!
    Wie hoch könnte so eine Rakete denn werden???
    Aktuelle F9:
    68,4m Höhe
    3,7m Durchmesser

    68,4m:3,7m=18,48648655

    =>10m Durchmesser*18,48648655=184,86…m???

    Kann man so rechnen oder wird sich das bei einem grösseren Durchmesser verändern?

    lg,
    noah

  8. Also ich habe nach der Wikipedia Abbildung 10 m Durchmesser angenommen. Das ist auch der der Saturn V und die Rakete wiegt ja in etwa das gleiche. Da ist der Tank der ersten Stufe 34,6 m lang. Der entsprechende wert für die S-IC liegt bei 32,6 m. Die zweite Stufe hätte bei 6,60 m Durchmesrer (wie S-II) eine Tanklänge von 13,61 m. Dazu kämen noch die Dome. In der summe wäre sie als zweistufige Rakete eher kürzer als die Saturn V, vielleicht 70 m ohne nutzlast.

    Methan/LOX hat nur eine um 20% niedrigere dichte als Kerosin/LOX, lange nicht so wenig wie bei LH2/LOX. Die Falcon 9 ist deswegen so hoch weil man die Rakete um 50% verlängert hat. Aber in 3,6 m Durchmesser würden die Triebwerke gar nicht reinpassen.

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