Eine Kickstufe für die Ariane 5

Tja ihr dachtet doch nicht wirklich  dass ich das Raumfahrtbloggen einstelle? Ich habe mir gedacht bei meinen Aprilscherz-abgehärteten Bloglesern muss ich doch mal etwas schwerere Geschütze aufziehen. Zudem muss ja einer noch SpaceX kritisieren, sonst sind ja alle Jubel-gleichgeschaltet oder zum Übersetzen von Pressemitteilungen verkommen. Abseits vom 1. April würde ich in Zukunft auch immer mal einen Blick auf die Kategorie werfen. Wenn das unter „Satire“ eingeordnet ist, würde ich nichts, aber auch gar nichts dort ernst nehmen….

Nun da der letzte Gastbeitrag über eine Alternative für Ariane 6 auf so viel Interesse gestoßen ist, auch mal was von mir. Was mich schon seit langem ärgert, ist das wir Sojus Raketen brauchen um die Galileo Satelliten in den Orbit zu bringen. Das liegt vor allem daran dass diese keinen eigenen Antrieb haben, also eine Zirkularisierung erfordern. das kann die ESC-A nicht leisten, die EPS senkt die Nutzlast stark ab und wenn es die ESC-B gäbe, was kein Problem wäre, hätte man sie 2008 nicht kurzfristig von der Tagesordnung des Konzils genommen, dann bräuchten wir keine Sojus Starts. 30 sind es, je zwei werden bei einem Start befördert, macht 15 Sojus Starts zu je 70 Millionen Euro. Sicher kostet auch eine Ariane 5 ESC-B was, doch da landet das Geld wenigstens wieder in Europa und nicht in Russland.

Also kam ich auf die Idee: was wäre wenn …

… Europa sich entschließen würde eine „Low-Tech“ Kickstufe mit kryogenen Treibstoffen zu bauen. Mal sehen ob man da was vernünftiges hinbekommt. Wie bei jedem Projekt definiere ich erst mal Zeile:

  • Die Stufe soll die Galileo Satelliten von einem Transferorbit aus in den endgültigen Orbit befördern können
  • Die Stufe soll sich auch als Apogäumantrieb eignen
  • Die Stufe soll die Nutzlast der Ariane 5 für planetare Bahnen erhöhen
  • Einsatz auf der aktuellen Ariane 5 EC-A mit 10,3 t GTO (250 x 36000 km)

Daraus kann man einige Daten ableiten. Forderung 1 legt den minimalen Treibstoffvorrat fest. Die Galileo Satelliten gelangen in einen etwas niedrigen Orbit. Die Ariane 5 Nutzlast müsste dabei bei 10.6000 kg liegen. Um den Orbit zu zirkularisieren wären weitere 1453 m/s nötig. Bei einem spezifischen Impuls von 4000 m/s (niedrig geschätzt) bräuchte man 3,3 t Treibstoff dafür,

Forderung 2 bedeutet, dass man die Stufe isolieren muss, da sie dann erst nach 6 Stunden erneut gezündet wird.

Forderung 3 bedeutet dass der Schub bedeutend sein muss, anders als bei Apogäumantrieben, wo man sich relativ viel Zeit lassen muss steigt die Stufe laufend an. Ich habe als Grenze die Brennzeit der Ariane 5 EPS Stufe mit 1.100 s angesetzt. Daraus ergibt sich ein Treibstoffverbrauch von 3 kg/s oder ein geforderter Schub von 12 kN bei einem spezifischen Impuls von 4000.

Die Idee ist es nun dafür kein Expander Cycle Triebwerk einzusetzen, sondern ein ganz ordinäres druckgefördertes Triebwerk. Das ist erheblich preiswerter, die Entwicklung ist einfacher und selbst wenn man es braucht ist die Wiederzündung einfacher, man muss nur die Ventile öffnen und zeitgleich einen Zündfunken erzeugen. Bis zu dieser Größe sind druckgeförderte Triebwerke gängig, das Aestus ist z.B. doppelt so schubstark.

Das Aestus hat 28,4 kN Schub und wiegt 111 kg. Es hat bei einem Brennkammerdruck von 11 Bar einen Druck von 20 Bar in den Treibstoffbehältern und eine Düse mit einem Expansionsverhältnis von 84:1. Ich nehme diese Daten für mein Triebwerk, mit mit einer verkürzten Düse von 40:1, da sonst der Stufenadapter zu schwer wird.

Dann benötigt man Treibstofftanks. Hier ist nun ein Hauptnachteil der Ariane 5, die starken Vibrationen durch die Feststoffbooster kein Nachteil mehr, denn wegen dem Tankdruck von 20 bar sind diese sehr dickwandig. Idealerweise würde man vier kugelförmige Tanks nehmen, die ein Kleeblatt bilden. Das nutzt den Raum am besten aus. Wenn man drei der Tanks mit LH2 füllt und einen mit LOX erhält man eine Mischung von LOX/LH2 von 5,5 also ein gängiges Verhältnis. Für 3.300 kg Treibstoff bräuchte man dann vier Tanks von 2.900 l Volumen. Nimmt man welche von 1.90 m Durchmesser, so haben diese 3500 l Volumen, erlauben also noch etwas mehr Treibstoff. Basierend auf dem ebenfalls sphärischen 769 l Tank von EADS kommt man zu einem Gewicht von 90 kg pro Tank.

Dann braucht man noch Helium als Druckgas. Die Menge muss ausreichen um 14.000 l Volumen mit 20 Bar Druck zu füllen. Das sind bei den üblichen Druckflaschen von 300 bar anfangsdruck rund 940 l Volumen. Das Helium wiegt dann 50 kg. Air Liquide setzt bei der Ariane 5 superkritisches Helium ein, dass 23 Stunden stabil ist. (167 kg in einer 224 kg Flasche). EADS Druckgastanks sind schwererer: 93 kg für je 300 l aber bei 400 bar Druck. Davon müssten drei ausreichen. Wenn die Tanks nicht vollständig gefüllt werden (2900 l) und vor dem Start druckbeaufschlagt, dann reichen auch zwei.

Dann braucht man noch Leitungen. Bei EADS fand ich ein Propellant Manaegment Device für Satellitenantriebe. Es wiegt 11 kg für 0,5 l/s. Da das Volumen zur dritten Prozent zunimmt, die Fläche aber nur zur zweiten wären für 10,7 l/s dann etwa 77 kg nötig.

Zuletzt braucht man noch ein Schubgerüst, dass die Tanks auch umschließt. Es wog bei der EPS Stufe 380 kg, allerdings auch ausgelegt für 21 t Lasten. Bei maximal 8 t ist man dann bei 144 kg.

Für Langzeitmissionen müssen die Tanks isoliert sein, doch die Isolation fällt kaum ins Gewicht 5 cm Polyurethanschaum sind dicker als bei der Delta 4 DSSC und wiegen bei 0,04 g/cm³. Das sind dann 20 kg mehr.

Die Konstruktion hat eine Höhe von 1,90 m. Das Aestus ist 2,18 m lang, mit verkürzter Düse würde es in die Mitte passen und könnte noch in die VEB hineinragen, die ja ein 0,95 m hoher Ring ist. Ein Stufenadapter ist so nicht nötig. Die Konstruktion würde dann aber den gesamten Durchmesser der Ariane 5 ausfüllen (5,33 m maximaler Durchmesser), wäre aber nur etwa 2 m hoch.

Damit hätte man alles beisammen:

  • Triebwerk; 111 kg
  • Schubrahmen: 144 kg
  • Tanks: 4 x 90 kg
  • Isolierung: 20 kg
  • Druckgas: 3 x 93 kg + 50 kg Gas
  • Leitungen: 77 kg
  • Gesamt: Trockenmasse: 1.041 kg

Das ganze ist relativ konservativ angesetzt. Bei dem Schub könnte man auch das AJ-118 als Vergleich (-40 kg) heranziehen, mit einer Flasche weniger Helium oder gar superkritischem Helium käme man auch aus (-93 bzw. -211 kg).

Die Maximalzuladung an Treibstoff beträgt bei den 3500 l Tanks 724 kg LH2 und 3990 kg LOX, also 4714 kg Treibstoff. Das ergibt ein Strukturverhältnis von 5,52 zu 1, in etwa in der Region der ECS-A.

Was noch fehlt ist eine Equipment Bay und Lageregelungstriebwerke. Das letztere ist schnell gelöst. EADS hat ein 300 N LOX/LH2 Triebwerk im Angebot. Bei nur 5 Bar Druck erreicht es 4070 m/s Ausströmgeschwindigkeit. Es wiegt 1,9 kg. Je zwei Blöcke mit 4 Triebwerken würden für die komplette Lagereglung und Vorbeschleunigung ausreichen. Das sind weitere 15,2 kg.

Der Bordcomputer mit Inertialplattform und Batterien selbst muss nicht so schwer sein. Bei der Vega wiegt das Avionikmodul 171 kg.

Damit hätten wir als Komplettsystem eine Startmasse von 5941 kg und eine Trockenmasse von 1227 kg. Mit einer Ariane 5 ECA würde dieses System bei einem spezifischen Impuls von 4200 (siehe unten) würde diese Stufe 6170 kg in den Galileo Ortbit befördern. Ein Galileo Satellit wiegt 680 kg, das wären also fast 9 Stück. Da noch was für die Befestigung draufgeht rechnen wir mit 7 bis maximal 8. Dann wäre das System mit vier Starts aufgebaut. Das würde folgende Bilanz aufmachen:

entweder 15 Starts der Sojus à 70 Millionen Euro = 1050 Millionen Euro

oder

4 Starts der Ariane 5 ECA à 160 Millionen Euro = 640 Millionen Euro + 410 Millionen Euro für die Entwicklung der Kickstufe.

Ein durckgefördertes Triebwerk, ohne die teuren Turbopumpen, mit einer Ablativ verkleideten Brennkammer (plus Aktive Kühlung) müsste eigentlich für diesen Betrag umsetzbar sein.

Kommen wir zum spezifischen Impuls. Wenn man FCEA anwirft für ein LOX/LH2 Verhältnis von 6:1 (etwas niedrige als das 5,5 zu 1 in den Tanks, ich rechne mit Wasserstoffverbrauch für die Verniuertriebwerke, Dump, und Verdampfungskühlung) und einem Brennkammerdruck von 8 Bar und einer Expansionratio von 40:1 kommt man auf einen spezifischen Impuls von 4398 m/s bei chemischen Gleichgewicht und 4078 m/s bei eingefrorenem Gelichgewicht. Die Mitte der beiden Werte ist dann weitgehend richtig, also 4238 m/s. Das ist über den 4200 die ich oben angesetzt habe, also konservative Annahme. FCEA zeigt auch, dass man bei etwas weniger Brennkammerdruck nur wenig verliert. Bei 4 Bar sind es immer noch 4206.

Ein geringerer Druck hilft Gewicht zu sparen. Das Aestus als Vergleich arbeitet mit 11 Bar, die Tanks stehen dazu unter 20 Bar. Damit habe ich auch für die Gewichtsabschätzung gearbeitet. Wenn der Druck absinkt, sinkt auch der Schub ab. Basierend auf dem Aestus mit seinen 265 cm² Düsenhalsfläche und 12 kN gefordertem Schub kommt man auf einen Brennkammerdruck von mindestens 4,6 Bar. Nimmt man 5 bar, so kann man den Tankdruck auf 10 Bar absenken.

Das spart ein:

Helium: 25 kg

Heliumflaschen: 170,5 kg (eine vergrößerte reicht aus)

Wandstärke bei den Treibstofftanks: 180 kg

Nach FCEA kommt man immer noch auf einen spezifischen Impuls von >4200 m/s. allerdings bei einer um 375 kg geringeren Trockenmasse oder 375 kg mehr Nutzlast.

Was man damit machen kann:

die optimierte Version (5566 kg Startmasse, 852 kg Trockenmasse, ispez = 4200 m/s) mit Isolation könnte  6257 kg in einen GEO Orbit befördern (isolierte Variante), 7980 kg auf einen Fluchtkurs ) oder 6376 kg in den Galileo Orbit.

Besonders bvei dem Fluchtkurs ist der Unterschied zur Ariane 5 ECA (etwa 7200 kg) deutlich. Bei höheren Geschwindigkeiten nimmt dies noch zu. JUICE wiegt 4.800 kg und wird von Ariane 5 ECA auf eine hyperbolische Exzessgeschwindigkeit von 3,15 km/s² beschleunigt. Die kickstufe könnte entweder 6805 kg auf diese Geschwindigkeit beschleunigen oder 4800 kg auf 5,72 km/s² Exzesgeschwindigkeit, was fast einen Erdvorbeiflug einspart und die Reisezeit verkürzt.

Die letzte Frage: Was bringt es bei GTO Transporten? Leider fast nichts. Selbst die optimierte Variante würde die Nutzlast nur von derzeit 10.300 auf 10677 kg erhöhen. Verglichen mit der Nutzlast ist die Stufe zu klein. Ihr gewinn nimmt um so stärker zu je kleiner die Nutzlast ist. (Zu Merkur (Bepi-Colombo) würde die Stufe z.b. 3,3 t auf den Weg bringen und direkt zum Jupiter noch 2340 kg, die ESC-A alleine würde gerade mal 410 kg auf eine Jupiterbahn transportieren). Was diese Stufe aber lösen würde, wäre die ESA Forderung nach einer wiederzündbaren Stufe für wissenschaftliche Missionen. Das liegt ihr am Herzen und ist wohl auch eine Triebfeder für die ESC-B, während man das Feature für normale Wald und Wiesen Missionen nicht braucht. Wofür man sie auch einsetzen könnte wären ATV Missionen. Da braucht man eigentlich keine ESC-A, weil sie nur die Bahn zirkularisieren muss, wofür wenig Treibstoff benötigt wird. Eine kleine Rechnung zeigt, dass die Kickstufe anstatt der ESC-A eingesetzt immerhin noch 20.600 kg auf eine Transferbahn zur ISS bringt. Man spart dann die ESC-B die (abgeleitet von den Auftragsvolumen) mehr als 20 Millionen Euro (meine Schätzung: 30 Millionen) kostet. Selbst wenn die Struktur dann stärker sein muss reicht das für die derzeitigen ATV gut aus.

One thought on “Eine Kickstufe für die Ariane 5

  1. „Tja ihr dachtet doch nicht wirklich dass ich das Raumfahrtbloggen einstelle? Ich habe mir gedacht bei meinen Aprilscherz-abgehärteten Bloglesern muss ich doch mal etwas schwerere Geschütze aufziehen. Zudem muss ja einer noch SpaceX kritisieren, sonst sind ja alle Jubel-gleichgeschaltet oder zum Übersetzen von Pressemitteilungen verkommen.“

    Gut zu hören! Darüber bin nicht nur ich froh… 😉

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