Die Hitler Tagebücher Teil 6 – die Veröffentlichung

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Dies ist ein Artikel aus einer kleinen Serie zu dem Skandal um die gefälschten Hitler Tagebücher:

Die Teile behandeln den Skandal relativ umfassend und weitestgehend chronologisch.

Der Stern plant die Veröffentlichung erst zu beginnen, wenn er alle Bücher hat. Dieser Plan wird erschüttert, als an Weihnachten 1982 die „Deutsche Nationalzeitung“ des rechtsradikalen Verlegers Frey die Meldung publiziert, das Hitlers Tagebücher gefunden worden wären, es 25 Bände gäbe und diese zum Teil schon in der Bundesrepublik seien. Quelle ist der Holocaust Leugner David Irving. Heidemann weiß seit April 1980, das Irving hinter den Tagebüchern her ist. Die Quelle beider ist der Sammler Hartung, der auch den ersten Band hat, der Heidemann erst anfixte nach ihnen zu suchen. Von ihm hat Irving die gleichen Infos sie Heidemann im November 1980 hatte. Beim Stern befürchtet man, dass die internationale Presse vor der Veröffentlichung davon Wind bekommt und es aus mit dem „Scoop“ ist. Die Veröffentlichung wird von Herbst 1983 auf Heft 19, regulärer Erscheinungstermin 5.5.1983 vorgezogen. Die Veröffentlichung in der deutschen Nationalzeitung bleibt aber ohne Folgen. Zu schlecht ist der Leumund des Blattes. Es führt aber dazu, dass Heidemann auch diesen Band von Hartung erwirbt und nun das erste Halbjahr 1935 doppelt hat (siehe letzter Teil). Weiteren Druck verursacht die Meldung, dass auch der Spiegel hinter den Tagebüchern her sein.

Es ist Zeit, die Sache in trockene Tücher zu bekommen. Im März 1983 laufen Lizenzverhandlungen ab. Der wichtigste Markt ist der englischsprachige Markt. Murdoch und Newsweek überbieten sich zuerst, verbünden sich aber dann. Der G & J Verlag vertreten durch Schulte-Hillen versucht das gemeinsame Angebot von 3,75 Millionen Dollar nochmals hochzutreiben auf 4,25 Millionen, was aber dazu führt, das beide die Verhandlungen abbrechen. Schulte-Hillen hat sich verpokert. Später wird Murdoch noch die englischsprachigen Rechte für 1,2 Millionen Dollar zum „Rabattpreis“ kaufen. Zusammen mit anderen Rechten kommen so nur knapp 1,9 Millionen Dollar herein.

Von Bedeutung dabei ist der Historiker Trevor-Roper den Murdoch als Gutachter engagiert. Trevor Roper ist der erste Historiker der die Kladden vorgelegt bekommt. Henri Nannen scheiterte im Verlag mit dem Vorschlag, die renommierten und mit Hitler und der Zeit des Nationalsozialismus vertrauen, Joachim Fest und Sebastian Haffner als Gutachter zu gewinnen. Henri Nannen war 33 Jahre Chefredakteur des Stern und hatte das Blatt zu dem gemacht was es Anfang der achtziger Jahre war, eine feste Größe unter den deutschen Zeitschriften, politisch links orientiert und was die politische Berichterstattung anging Nummer 2 nach dem Spiegel aber mit 1,8 Millionen Exemplaren viel auflagenstärker. Nun war Nannen Herausgeber, ohne direkten Einfluss oder wie er selbst meinte „Der Grüßaugust“. Hätte man mal auf ihn gehört.

Trevor-Roper hat ein Buch über Hitlers letzte Tage auf Basis der Dokumente die er bei seiner Arbeit beim MI6 in die Finger bekam, geschrieben, sein Hauptforschungsgebiet zu dieser Zeit ist aber das 17-te Jahrhundert. Er ist zu 99,5 Prozent überzeugt, dass die Bücher echt sind. Gegen Fälschungen spricht für ihn einfach die schiere Masse. So viel kann man nicht fälschen, das kann man vielleicht mit einem Bild oder einem Brief machen, aber nicht mit 60 Bänden. Weinsberg, Experte von Newsweek, hält sie auch für echt, ist aber deutlich reservierter. Der Stern kann so Trevor-Roper für die Pressekonferenz gewinnen.

Chefredakteur Koch bietet ihn darum, zwei Zitate zu autorisieren: Die Bücher seien der größte Knüller seit Watergate und ein bedeutender zeitgenössischer Fund und die Geschichte des dritten Reiches müsste in weiten Teilen umgeschrieben werden. Trevor-Rope autorisiert das erste Zitat, aber nicht das zweite Zitat, was man Koch aber nicht sagt. So wird ihm dieses Zitat in den Mund gelegt.

Erst jetzt wird die Redaktion des Stern eingeweiht. Viele wundern sich, dass die Meldung so lange trotz des Flurfunks geheim blieb, Kritik oder Zweifel gibt es aber nicht, der Verlag hat 9,34 Millionen DM für die Bände gezahlt, da müssen die doch echt sein, genauestens geprüft.

Erst jetzt läuft aber die chemische Analyse an. Erst am 14. April werden zwei unbeschriebene Blätter aus zwei Tagebuchbänden herausgetrennt und der Entwurf des Mussolini Telegramms, des wichtigsten Vergleichsstücks für die Schriftgutachten ans BKA gesandt. Gleichzeitig wird, weil nun Gerüchte auftauchen, Murdoch könnte mit der Story vor dem Stern an die Öffentlichkeit treten, der Erscheinungstermin der Sternserie auf den 28.4.1983 und Heft 18 vorverlegt.

Am 21. April, immer noch rechtzeitig vor der Veröffentlichung, gibt es eine erste telefonische Beurteilung des BKA. Der Telegrammentwurf an Mussolini ist gefälscht und enthält Blankophor, ein optischer Aufheller. Die beiden unbeschriebenen Blätter könnten aus den dreissiger und vierziger Jahren stammen. Für Peter Koch als Chefredakteur ist das ein Schock, denn er hat nie von irgendwelche Zweifeln der Echtheit gehört. Walde beruhigt aber, das Telegramm stamme nicht aus derselben Quelle wie die Tagebücher, was eine glatte Lüge ist und Walde weiß das. Koch reicht das nicht. Er geht zu Schulte Hillen, der soll Heidemann bewegen, endlich preiszugeben wer die Quelle der Bücher ist. Erst jetzt bekommt er Einsicht in die Verträge, die Heidemann und Walde zu reichen Männern machen, ihnen das alleinige Verwertungsrecht zusprechen und die volle Kontrolle wer die Tagebücher begutachten darf. Da vertraglich fixiert ist, dass Heidemann seine Quelle nicht nennen muss, sei es aussichtslos Heidemann dazu zu bewegen. Er selbst habe es schon probiert. Trotzdem probiert es Schulte-Hillen erneut. Heidemann verweist erneut darauf, dass die Informanten beim Auffliegen in Lebensgefahr seien und schwört beim Leben seiner Kinder einen Eid, das die Tagebücher echt sind. Das genügt Schulte-Hillen.

Erst am 25 April 1983, nachdem am 22.4.1983 die schriftlichen Gutachten vorliegen, werden dem Bundesarchiv drei komplette Bände zur Begutachtung übergeben. Es gibt nochmals eine Krisensitzung, in der die Gutachten besprochen werden. Was Walde entgeht, ist das in den Gutachten das Alter der Tagebuchseiten gar nicht bestimmt wurde, sondern nur gesagt wird, das diese aus dem Zeit stammen können. Der 22.4.1983 ist auch der Tag, in dem die Redaktion eingeweiht wird, kurz vor Schluss, denn Stunden später geht die Meldung über die Nachrichtenagenturen raus, inklusive des Satzes von Koch, dass die Geschichte des dritten Reiches umgeschrieben werden müsse. Es wird über die Tagebücher diskutiert. Vielen fällt nun erst auf, das Heidemann sie immer wieder mit NS-Devolutionalien angesprochen hat und der eine oder andere kann sich auch daran erinnern wie ihm Heidemann einen der Kladden zeigen wollte. Es wird im Ressort Geschichte über die Tagebücher diskutiert, ist doch allgemein bekannt, das Hitler sehr schreibfaul war, doch wenn die Beschaffung nun schon über zwei Jahre lief und so viel Geld im Spiel war. … Im Fachjargon: Die Story war „too big to fail“.

Das Bundesarchiv reicht Teile der Bände weiter ans BKA zur kriminaltechnischen Beurteilung und beginnt den Inhalt zu untersuchen.

Während dessen kommen Trevor Roper Zweifel. Er war seit den Lizenzverhandlungen sehr eingespannt, musste Artikel für Murdoch schreiben, als er eine Oper besucht und geistig abschalten kann, beginnt er nachzudenken über die Ungereimtheiten, wie Heidemann immer dann ein Dokument aus seinem Archiv zog wenn es diese gab. Es passt zu perfekt. Er sinniert über den „nichtssagenden“ Heß-Band. Heidemann selbst kommt ihm wie ein Naivling vor, aber er meint anfangs, auch ein Idiot können einen über solchen Fund stolpern. Er trägt seine Bedenken Chefredakteur Giles vor, der versteht das Trevor Roper eine 180 Grad Wende macht, trotzdem reist er zur Stern Pressekonferenz. Murdoch sind Trevor Ropers Bedenken egal, er will publizieren und so erscheint die Times als erste mit der Nachricht. Der Stern versucht in einem gemeinsamen Essen mit Heidemann im Hotel Atlantik die Bedenken von Trevor Roper zu zerstreuen, erreichen aber das Gegenteil.

Einen besonders schlechten Eindruck erweckt Heidemann bei Barbara Dickmann. Sie soll für Stern TV eine 45 Minuten Dokumentation erstellen. Dickmann ist ehemalige Tagesschaumoderatorin und soll zum Stern wechseln. Heidemann glänzt dadurch, dass er die Geschichte der Bücher erneut wieder ausschmückt und weitere Beteiligte erfindet – die Geschichte hat schon mehrmals erzählt, immer wenn neue „Mitwisser“ dazu kamen, Nie fiel auf, das sie immer etwas anders erzählt wurde. Auf einige Fragen von Dickmann gibt er aber keine Antwort, weil er ja seinen Informanten schützen will. Dickmann will abbrechen als sie in die Schweiz für einen Dreh der Tagebücher in einem Tresor einer Schweizer Bank fliegen, an einer Synagoge vorbeikommen und Heidemann erklärt, in dieser Synagoge würde Martin Bormann vom Mossad gefangen gehalten. Daraufhin witzelt Dickmann „Klar und Du telefonierst täglich mit ihm“. Die Antwort „Ja ich habe erst vorgestern mit ihm gesprochen“. Für Dickmann ist klar das Heidemann ein Irrer ist und sie ist nur durch viel Zureden dazu zu bringen den Beitrag fertigzustellen. Er wird bei der Pressekonferenz vorgeführt und später vom ZDF gekauft und ausgestrahlt.

Morgen geht es weiter mit der kurzen Zeit in der der Stern im Rampenlicht steht.

Links / Referenzen zur Serie

Auf die Beschäftigung mit dem Thema kam ich durch die ZDF Dokumentation „Die Jahrhundertfälschung Hitlers Tagebücher“ von ZDFZeit 2013. Daraufhin kaufte ich mir drei Bücher, eines von Erich Kuby schmiss ich nach dem Lesen weniger Seiten mit grundlegender Imperialismuskritik im DDR Jargon wieder weg. Es fand sich dann auch nur ein DDR-Verlag für die Publikation. Dabei galt der Autor als kompetent und arbeitete für Spiegel und Stern. Die beiden anderen Bücher kann ich empfehlen. Zeitnah, etwas kürzer ist von Manfred Bissinger: Hitlers Sternstunde. Kujau, Heidemann und die Millionen. Es ist etwas detailverliebter, geht weiter in der Biographie von Kujau und man findet mehr Zahlen und Daten in dem Buch. Seine Schwäche ist die Gliederung nach Themenschwerpunkten, nicht der Chronologie. Zudem ist es ein typischer Schnellschuss, will den Hype um den Skandal ausnutzen. Es endet noch vor dem Urteil. Das zweite Buch Der Skandal um die Hitler-Tagebücher stammt von Michael Seufert, Ressortleiter beim Stern und von Henri Nannen beauftragt mit der internen Aufklärung des Skandals. Es ist umfangreicher, chronologisch gegliedert und mehr auf den Stern zentriert. Beide enden aber ziemlich genau nach dem Skandal und behandeln den Prozess eher stiefmütterlich. Ich kann beide empfehlen und würde auch heute wieder beide kaufen und sie erneut lesen. Warum? Ingrid Kolb, damals Stern Redeakteurin, gibt in der obigen ZDF Doku die Antwort. Sie wird von Bekannten nach dem Spielfilm „Schtonk!“ angesprochen und sagt dann immer „Es war noch irrealer“ und die Bücher sind wirklich Infotainment. Die Details sind so bizarr das das Lesen wirklich amüsant ist, sofern man nicht gerade Heidemann heißt. Über den Prozess informiert dieses PDF. Genaueres über die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung liefert das Bundesarchiv.

Es gibt zwei neuere Aufarbeitungen des Stern-Skandals. Der Stern selbst hat den 10-teilligen Audio Podcast „Faking Hitler“ herausgebracht, mit vielen Tonbandmitschnitten von Heidemann/Kujau sowie Interviews mit Heidemann, Walde und Sorge. Man erfährt aber sehr wenig über die Details, die Fehler in den Büchern und Kujau kommt in dem Podcast erheblich schlechter weg als Heidemann. Er gilt als der wahre Schuldige, von der Unterschlagung von Heidemann ist fast nicht im Podcast die Rede. Der Stern hält wohl noch immer zu ihm.

Reschke Fernsehen (ich kann auch die Sendung von Anja Reschke über die CSU empfehlen) hat sich nun erstmals mit dem Inhalt der Bücher befasst. Den kennt man, weil ja nach zwei Ausgaben die Stern-Reportage eingestellt wurde, bis heute nicht. Hinzugezogene Historiker beurteilen die Bücher heute als eine groß angelegte Holocaust Leugnung. Nun ist auch klar, warum die Tagebücher bis heute nicht öffentlich gemacht wurden, obwohl der Stern dies für 1993 ankündigte und seitdem mehrmals, aber nie ans Bundesarchiv abgaben. Das ist ein Skandal von Heute: Der Stern als Helfer von Holocaustleugner und Nazis, weil eben die Bücher niemals Historikern zugänglich gemacht wurden, weil man befürchtete der Inhalt wurde sonst publik werden. Die Bücher kann heute jeder einsehen und über Volltext-Recherche durchsuchen.

5 thoughts on “Die Hitler Tagebücher Teil 6 – die Veröffentlichung

  1. Zu Kujau:

    Ich wollte mir diesen Kommentar eigentlich für das Schlusskapitel aufheben, aber die von dir verlinkte PDF zum Prozess bringt es auf den Punkt. Kujau kam als „sympathischer Betrüger“ wesentlich unbeschadeter aus der Affäre heraus, obwohl er nach heutigem Stand nicht annäherend so harmlos war. (Stichwort: Holocaustleugnung etc.)

    Und ein Verantwortlicher dafür ist ein gewisser Privatsender mit drei Buchstaben. Ich erinnere mich noch gut wie oft es Kujau geschafft hat in eine Sendung bei RTL zu kommen und aus seinem Ruf als „Spitzbube“ Kapital zu schlagen. Würde er heute noch Leben, bekäme er tausendprozentig seine eigene Dokusoap.

    Und Heidemann war einfach nur dumm, zu gierig und hatte seinen Verstand mit zu viel brauner Suppe vergiftet.

      1. Ist gefixt, ich würde den Podcast komplett hören, er ist meiner Ansicht nach sehr einseitig. Man sollte nicht vergessen, das Heidemann nach dem Urteil des LG Hamburg mehr Geld veruntreute als Kujau und die längere Strafe bekam und der lieferte dafür wenigstens noch gefälschte Tagebücher. Wenn Du auch mal die Bücher liest weist Du das du Heidemann nicht mehr trauen kannst als Kujau.

        1. Bin aktuell bei Folge 3. Und bislang wird Heidemann tatsächlich irgendwie als „naiv“ dargestellt, was er gewiss nicht war.

          Allein wie er später mit Geld umsich geworfen hat sagt alles. (Die Afrika Geschichte nehme ich ihm übrigens nicht so richtig ab.)

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